Spielend Sprachen lernen

(Artikel)
Vivian R., 31. Mai 2016

Spielend Sprachen lernen

Wie Computerspiele mein Leben bereichert haben

Sprachen lernen ist wahnsinnig schwierig. Und anstrengend. Und irgendwie hat man nie das Gefühl, damit fertig zu sein. "Spielend Sprachen lernen" klingt also fast so unwirklich wie "Abnehmen im Schlaf" - ist aber kein Schmu! Dafür muss man nicht zu quietschig bunten Sprachlernprogrammen für Kinder greifen – ein paar Klicks in den Optionen irgendeines Spiels reichen schon aus. Tada! Das Lernen kann beginnen!

Für die meisten Menschen hören Sprachkurse ja spätestens mit der Oberstufe auf. Gerade mit Deutsch kommt man im alltäglichen Leben auch so ganz gut zurecht, da Filme, Bücher und Spiele in der Regel fix übersetzt werden. Will man trotzdem seine Sprachkenntnisse verbessern, bieten sich gar nicht so viele Möglichkeiten: Sprachkurse sind teuer, Sprachlernspiele oft nur für Kinder entwickelt, und sich einfach mal ein Buch auf der Zielsprache zu holen kann ziemlich demotivierend sein. Wenn man mal eine Seite unaufmerkam gelesen hat, muss man sich mühselig in die Story einpfriemeln.

Anders sind da Filme, weil sich hier durch die Verknüpfung von Bild und Sprache gleich ein Kontext ergibt. Den Herrn der Ringe hat bestimmt jeder so einige Male gesehen. Wenn man den auf eine andere Sprache umstellt, kriegt man die Story trotzdem mit.

Und dann gibt es ja noch die Computerspiele. Die auch Geschichten erzählen, Kontext aus Sprache und Bild liefern, aber im Gegensatz zu Filmen und Büchern auch noch interaktiv und damit hochmotivierend sind. Und sie sind ein klasse Weg, um auch nach der Schule und ohne feste Kontakte in ein anderssprachiges Land seine Sprachkenntnisse stetig zu vertiefen.

Sprachen TW3Bei den meisten modernen Spielen lassen sich Text- und Dialogsprache einfach umstellen.

Was nämlich schön ist beim Sprachenlernen durch Spiele: Man lernt Sprachen am besten, wenn wir nicht nur einzelne Worte lernen (ich schiele hier mal zu den unsäglichen Vokabeltest, mit denen man immer gequält wird), sondern wenn man sie im Kontext oder in sogenannten Chunks lernt. Das Phänomen kennen wir alle: Beim "How are you?" denkt wohl keiner mehr über die richtige Wortstellung im Fragesatz nach.

Und wenn wir doch mal ins Schleudern kommen, hilft uns unser Sprachgefühl weiter. "To make homework" klingt einfach falsch, weil wir es nie so gehört haben. So was haben wir in den meisten Fällen natürlich nicht auswendig gelernt. Sprachgefühl heißt ja nicht Sprachgedanken, sondern entsteht von selbst, je mehr Sprachkontakt man hat. Und Computerspiele helfen wie andere Medien, auch abseits von Sprachunterricht und Auslandsaufenthalt viel fremdsprachlichen Input zu bekommen!

Das liegt vor allem an ihrer Authentizität. Spielen wir ein Spiel in der "Ursprache", haben wir direkten Kontakt zu einem authentischen Sprachkontext. Grammatikbücher, schön und gut. Aber die sind voll mit komplett blöden Beispielsätzen, die oft überhaupt keinen Sinn ergeben. ("Meine Handtücher sind im Taxi." Echt jetzt?)

Klar, in Büchern, Filmen und Spielen ist die Sprache nicht immer grammatisch super korrekt und ganz oft ist auch Slang oder ein starker Akzent dabei und geflucht wird eh an allen Ecken und Enden. Eine Sprache besteht ja aber nicht nur aus dem absoluten Goldstandard, wie er im Grammatikduden steht, sondern zum großen Teil aus Variationen. Das ist ja gerade so spannend an Sprachen.

Sprachen Slang2Idiome und ein bisschen Slang schaden nie.

Wir verändern unseren Sprachgebrauch ja ganz automatisch je nach Sprechsituation. Mit dem Kumpel am Telefon reden wir eben anders als mit der Chefin im Büro. In unserer Muttersprache fällt uns das meistens leicht, in anderen Sprachen ist das viel schwieriger. Im Computerspiel, gerade bei Rollenspielen mit Dialogoptionen, haben wir einen geschützten Raum, in dem wir die verschiedenen Weisen mal austesten können.

Wenn uns unser Gegenüber im Spiel plötzlich angreift, obwohl wir dachten, wir hätten eine neutrale oder höfliche Option gewählt, lernen wir schnell, dass einige Worte okay und einige weniger adäquat sind. Sind wir flapsig zu dem obersten Offizier im Spiel, merken wir den sprachlichen Regelverstoß sofort an seiner Reaktion. Anders als im Unterricht, können wir in Spielen einfach die Situation noch einmal neu laden und die nächste Reaktion ausprobieren.

Für den Anfang eigenen sich vor allem Spiele, deren Inhalt man schon kennt und die keine zu subtile Story erzählen. Spiele wie Skyrim, Pokémon oder auch Battlefield, zum Beispiel. Die Story ist nicht so kompliziert und durch das Inventar kann man viele neue Wörter nebenher lernen.

Aber grundsätzlich funktioniert jedes Spiel, solange man bequem zwischen den Sprachausgaben und Untertitel umstellen kann. Zu Anfang hilft es, eines von beiden in der Muttersprache zu lassen. Später kann man Sprache und Text miteinander verbinden und trainiert so gleich Hörverstehen und Orthographie gemeinsam!

Sprachen - Transistor

Es muss ja nicht gleich das dicke Rollenspiel sein: Letztens erst hat mir eine Kommilitonin aus meinem Russisch-Kurs erzählt, dass sie ein Farming-Browser-Game auf Russisch umgestellt und sie so schon einige Wörter gelernt hat. Das geht bei simplen Spielen natürlich leicht. Wo eine Kanne plus Kuh abgebildet ist und ?????? drunter steht, wird wohl Milch drin sein. Ich finde das viel launiger als Sprachlernapps, die ähnlich simpel sind, aber nur aus Sprachaufgaben bestehen und ansonsten keine Erfolgserlebnisse geben.

Die intrinsische Motivation - "Ich möchte dieses Spiel verstehen, also muss ich mich durch die fremde Sprache boxen!" - ist bei Spielen eben extrem hoch. Bei den meisten wohl viel höher als beim Shakespeare-Lesen in der Schule.

Sprachen UndertaleGerade bei Indie-Spielen, die gar keine Lokalisierung bekommen, muss man zwangsläufig Englisch lernen, um sie spielen zu können.

Trotzdem muss man bedenken, dass Computerspiele fast ausschließlich den passiven Wortschatz und das Sprachgefühl trainieren. So richtig viel selbst produziert man Sprache ja nur in den seltensten Fällen selbst. Anders natürlich bei Computerspielen, die man im Internet gemeinsam mit anderen spielt. (Nur muss man da aufpassen, dass man nicht nur Schimpfwörter lernt. Suka Bljad und so.)

Basiskenntnisse in Wortschatz und Grammatik helfen enorm. Sonst hat man keine Lücken, die gefüllt werden, sondern nur eine große Wand aus fremder Sprache. Ist fraglich, ob ich gut ohne Vorkenntnisse polnisch lerne, wenn ich bei The Witcher 2 die Sprache umstelle. Ich glaube, am Ende wäre ich einfach nur frustriert.

Ich finde, dass Spiele eine tolle Erweiterung zum Sprachlernunterricht sein können. Durch Geschichten lernen wir einfach besser als nur durch schlichte, kontextlose Satzbeispiele aus dem Grammatikunterricht.

Die motivierende Wirkung von Texten macht sich ja schon der Literaturunterricht zunutze. Computerspiele sind im Endeffekt nichts anderes als Texte, nur durch die interaktive Komponente die anderen Medien einfach fehlt, noch viel motivierender. Im Unterricht merke ich schon, wie meine Schülerinnen und Schüler gleich viel mehr Bock haben, selbst die ödesten Grammatikaufgaben zu machen, wenn sie die auf einem Programm auf dem Smartphone oder dem Computer erledigen können anstatt mit Stift und Zettel.

Sprachen Stardew ValleyFarming-Spiele eignen sich besonders gut, um sich einen soliden Grundwortschatz aufzubauen.

Aber wir müssen gar nicht immer zu den quietschig bunten Sprachlernspielen greifen, um spielerisch unsere Sprachkenntnisse zu verbessern: Einfach mal ganz normale Spiele, die wir sowieso spielen, auf eine andere Sprache umzustellen, hilft. Das ist am Anfang anstrengend, aber man findet sich total schnell rein.

Als Lehr- und Lernmedium kommen Computerspiele zwar langsam in der Fachdidaktik-Literatur an, aber ein Lehrer, der sie tatsächlich im Unterricht einsetzt, ist mir noch nicht untergekommen. Schade! Denn Computerspiele sind definitiv unterschätzt!

Kommentare

Ben
01. Juni 2016 um 15:13 Uhr (#1)
Seitdem ich Witcher 3 gespielt habe, kann ich mehr Pflanzen auf englisch als auf deutsch benennen :D
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27. April 2024 um 00:02 Uhr
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