Cargo! The Quest for Gravity

(Artikel)
Rian Voß, 26. Mai 2011

Cargo! The Quest for Gravity

Das wohl merkwürdigste Spiel des Jahres

Man kann über Cargo! sagen, was man möchte, aber es ist prinzipientreu: als ich das Spiel einschaltete und als Ingenieurin Flawkes auf einem Inselarchipel voller nackter, glatzköpfiger, reimender Gnome zu mir kam, hatte ich keine Ahnung, was das jetzt alles soll. Vier Stunden und einen ganzen Haufen Abartigkeiten später habe ich IMMER NOCH KEINE AHNUNG, WAS DAS JETZT ALLES SOLL. WORUM GEHT DIESES SPIEL ICH VERSTEHE NICHT?! Diese nackten Männer tanzen und singen und hängen sich an mein Fahrzeuge und explodieren vor Freude, nur um dann aus dem nächstbesten Vulkan wiedergeboren zu werden!

Um zumindest ansatzweise eine Erklärung für viele Abgedrehtheiten zu erhalten sei gesagt, dass das Spiel von Ice-Pick Lodge ist, die auch schon The Void, dieses künstlerische Jenseits-von-Gut-und-Avantgarde-Ego-Sonstwas entwickelten - und welches ich ziemlich anziehend fand. Insofern verwundert es zumindest nicht, dass sie mit ihrem neuen Indie-Titel, gepublisht von bitComposer Games, erneut ein paar Dellen in unser tägliches Mainstream-Gaming schlagen möchten.
Die Geschichte von Cargo! The Quest for Gravity ist schnell erzählt... glaube ich. Ich bin mir da nicht so sicher. Auf jeden Fall kommt man als Flawkes mit ihrem Captain an Bord eines Luftschiffes bei einem Insel-Archipel an, welches anscheinend alles ist, was von unserer Welt übrig ist. Dort treffen wir ein paar Maschinengötter, die die Welt biblisch neu errichten wollen (Satan treibt sich auch dort rum), dabei aber ein paar Parameter falsch einstellten und jetzt ist fast der gesamte Planet überflutet und die Schwerkraft hat sich an den meisten Stellen verdünnisiert, so dass sehr viele Gebäude in der Stratosphäre herumschweben. Naja, die brauchen wohl ein bisschen Hilfe, also sagen sich die letzten zwei Menschen (?), dass sie da den Maschinengöttern für ein geringes Entgeld unter die nicht vorhandenen Arme greifen und ein bisschen die Buddies, die neue dominante Spezies der Erde, babysitten. Was gar nicht so einfach ist, denn die haarlosen Gnome spüren keinen Schmerz, dafür haben sie an allem Spaß - auch am eigenen Ableben.


Zum merkwürdigen Setting schmeißt das Spiel eine ungewöhnliche Mixtur aus Gameplay-Elementen zusammen, so dass sich Cargo! wie ein Zwischending aus Giants, Spore und Banjo-Kazooie: Nuts & Bolts spielt: pro Jahreszeit (es gibt vier, Hochwürden) bekommt man eine große Aufgabe gestellt, etwa einen Vulkan zu reaktivieren oder allgemein die Buddies davon abzuhalten, sich ins eigene Messer zu stürzen. Um dieses Ziel zu erfüllen, muss Flawkes sich aus einem simpel zu bedienenden, lego-ähnlichen Baukasten Fahrzeuge aus Treibgut zusammenkloppen, um schnell irgendwohin zu kommen oder um Buddies einzusammeln. Die nötigen Teile lassen sich einerseits überall einsammeln, die meiste Zeit wird man allerdings von den gierigen Göttern direkt Apparate zum Verbauen erstehen. Jetzt ist natürlich leider der Dollar vollkommen wertlos geworden (hat sich ja schon seit Jahren angekündigt) und die einzig gültige Währung ist FUN! FUN ist in diesem Fall aber kein Akronym für irgendwas, sondern steht wirklich für Spaß, insbesondere den der Buddies. Buddies sind zum Glück sehr leicht zu erheitern, man kann sie zum Beispiel treten, zu Musik tanzen lassen oder, was am gehaltvollsten ist, per Rettungsring an das Auto oder das U-Boot hängen und ein paar wilde Kurven fahren. Mit dem erhaltenen FUN kann man dann besagte Teile kaufen oder die Schwerkraft von einigen im Orbit schwebenden Gegenständen wiederherstellen, was zu einen Zuwachs der Buddy-Bevölkerung führt.

Während es zwar in der Kampagne ein paar nette Aufgaben gibt, bei denen man allerdings häufig erst einmal raten muss, was überhaupt zu tun ist (oft gibt es irgendein unsichtbares Zeitlimit und eine vage Information, was man jetzt unbedingt tun sollte und man weiß erst, was getan werden sollte, wenn es zu spät ist), kommt der Hauptspaß vom Basteln im Fahrzeugeditor. Das ist wie bei Spore, da habe ich auch 90% des Spiels im Kreatureneditor verbracht und das eigentliche Spiel war total öde. Nur wäre "total öde" für Cargo! tatsächlich noch eine Beleidigung.
Ein Beispiel: als mir gesagt wurde, ich sollte doch schnellstmöglich ein Auto bauen, um die Buddies davon abzuhalten sich von gigantischen Pinguinen zerquetschen zu lassen, hatte ich gerade ein paar Bauteilkisten eingesammelt und ansonsten kein Geld. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen noch genug Asche für ein Cockpit zusammenkratzen können, aber für vier Räder hat's dann doch nicht gereicht - ich musste mit drei Rädern auskommen. Das hat zwar ein paar ingenieursmäßige Kompromisse und Gegengewichtung erfordert, aber mein Dreirad lief letztendlich gut genug, um die Pinguine zu überfahren! Prima Sache: man kann Fahrzeuge auch während der Fahrt abändern.


Letzteres war auch zwingend nötig. Über diesem Absatz seht ihr nämlich meine zweite Kreation: die Nussschale. Es ist wichtig zu erwähnen, dass sich die Fahrzeuge alle physisch korrekt bewegen und das Konstruieren der Vehikel die große Bequemlichkeit gibt, dass Motoren automatisch sich bewegen wie sie sollen, so dass man mit sechs Tasten einigermaßen gemütlich lenken kann. Nun betrachtet mal den Helikopter im oberen Bild. Fällt euch was auf? ER KANN NICHTS! Als Nex mir beim Spielen zusah, ist er vor lachen umgekippt, weil dieses popelige Ding nur eine einzige Flugrichtung kannte und ich ansonsten hilflos in der Luft herumdümpelte!
Meine erste Verbesserung war dann auch nicht so clever: ich war mal wieder mittellos und konnte mir nur einen Frontrotor leisten, also konnte die Nussschale Zwei zwar abheben und vorwärts fliegen, versagte aber bei Drehbewegungen. Das Problem habe ich dann erst einmal umgangen, indem ich im Flug immer mal wieder den Frontrotor abbaute, ein bisschen zur Seite rückte, im Flug drehte (das war dann auch das einzige, was der Helikopter konnte) und danach den Rotor wieder vorne dranschraubte. Als ich mir endlich den zweiten Rotor leisten konnte, musste ich merken, dass mir ein weiterer Antriebsmotor fehlte...


Cargo! The Quest for Gravity ist ein quirliges Spiel für 20 Euro, bei dem man einigen Bastelspaß erleben kann (vor allem, wenn man mit einem geringen Budget zurechtkommen muss), allerdings geht dem Spiel auf lange Sicht ein wenig die Puste aus, da die "Story" nur genug Atem für vier kurze Jahreszeiten hat und es dann im Sandbox-Modus außer einem weiten Testgelände für Fahrzeuge aller Art sonst kaum etwas zu tun gibt. Die Geschichte, den Grafikstil und die Musik kann man hassen oder lieben wie man möchte, aber nach großartigen Sprachkünstlern braucht man hier zumindest nicht zu suchen - so ziemlich alle der wenigen Rollen sind grauenhaft fehlbesetzt, aber zum Glück wird ja auch nicht allzu viel geredet. Kaufempfehlung meinerseits, wenn ihr mal etwas rigoros Anderes spielen wollt und ihr Bock drauf habt, im selbstzusammengebauten Porsche über Eisplatten zu pesen. Rian

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