A New Beginning

(Artikel)
Kristin Riedelsberger, 15. Oktober 2010

A New Beginning

"Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv!"

Die meisten Adventures sollen einfach nur Spaß machen. A new Beginning aber, das neue Spiel von Daedalic Entertainment, soll zusätzlich zum Nachdenken anregen und den Spieler für das große, immer wieder diskutierte Problem unserer Zeit sensibilisieren: den Klimawandel. Bei diesen Aussichten mag der ein oder andere schon stöhnend mit den Augen rollen, doch wer sich des Abenteuers annimmt wird bald merken, dass auch das Aufhalten der Klimakatastrophe fesselnd, spannend und ziemlich fordernd sein kann.


Wir schreiben die 80er Jahre. Der alte Brummbär Bent Svensson tut sich nach seinem Burnout schwer, den ärztlich verordneten Ruhestand zu genießen. Er lebt einsam in einem kleinen Ferienhaus in Norwegen, wo er den Erinnerungen an seine verstorbene Frau Meta, an seinen Sohn Duve und an seine Forschungen nachhängt, der Energiegewinnung durch Photosynthese – doch das hauseigene Forschungslabor hat Bent schon seit zwei Jahren nicht mehr betreten. Es erinnert ihn daran, wie sehr er seine Familie vernachlässigt hat. Bent macht sich Vorwürfe. Die Rettung der Welt war ihm immer wichtiger gewesen als die Rettung seiner Familie. Umso verständlicher ist seine Reaktion, als plötzlich eine junge Frau vor der Tür steht, die behauptet, aus der Zukunft zu kommen und nach seiner Hilfe verlangt: Angeblich sei er der einzige, der die Welt retten kann; angeblich sei seine entdeckte Energiequelle, die Blaualge, ausschließliche Energielieferantin in einigen hundert Jahren; angeblich wäre die Welt schon 2050 völlig durch den Klimawandel zerstört, wenn er nicht bereit sei, zu helfen – und sie müsse es ja wissen, schließlich sei sie ja mit Hilfe einer durch den "Svensson" angetriebenen Zeitkapsel dort gewesen. "Ich bin nicht für die ganze Welt verantwortlich!", protestiert Bent, der die ganze Geschichte ohnehin für "Humbug!" hält, doch die mysteriöse Besucherin lässt ihm keine Wahl. Fay ist fest entschlossen, mit seiner Hilfe den so genannten Phoenixplan in die Tat umzusetzen: Die Menschen sollen endlich einsehen, dass Kernenergie die Umwelt zerstört und anfangen, in die Blaualge zu vertrauen! Doch der Egoismus und die Gewinnsucht von Indez Industries, dem Kernkraftmagnaten schlechthin, stellen den ursprünglich friedlichen Plan auf eine harte Probe...


Bei dieser Geschichte ist schnell klar, dass es sich bei A New Beginning nicht um ein qietschbuntes Spielchen handeln kann. Die Entwickler haben sich große Mühe gegeben, die Bedrohlichkeit der Situation atmosphärisch zu transportieren. Dies geschieht zum einen durch detailreiche, dunkel gehaltene Szenerien, zum anderen durch den gut durchdachten Soundtrack, der – wie von Daedalic gewohnt – passender nicht sein könnte (und dem Spiel übrigens beiliegt). Ein Weiteres tun die großartigen Sprecher, die viel schauspielerisches Talent aufbieten und genau zum jeweiligen Gesicht passen – vor allem natürlich die Stimmen der beiden Hauptakteure: Da wäre zum einen Bent, dessen Stimme auf der einen Seite übellaunig und hoffnungslos daher kommt, auf der anderen aber seinen weichen Kern und tatsächliche Begeisterung ob der neuen Aufgaben offenbart, zum anderen Fay, die stets ihren zickigen Unterton bewahrt, aber auch mal ganz kleinlaut und emotional sein kann.
Man könnte sagen, dass Musik, Charaktere und Geschichte in diesem Adventure zu einer gelungenen Symbiose zusammen finden: Vor allem Bent und Fay sind glaubhaft, ein tolles Abenteuerpaar und entwickeln oder offenbaren im Laufe des Spieles teils überraschende Facetten, sodass es keine Vorhersehbarkeit gibt und die Geschichte von Anfang bis Ende spannend bleibt. Dazu trägt auch bei, dass der eigentliche Erzählstrang sich aus vielen Fäden zusammenspinnt: Da wäre Bents Familiengeschichte, Fays Zeitreisen, ihre Beziehung zu ihrem Mitstreiter Salvador und der Klimawandel, aber auch grundsätzliche Themen wie Menschlichkeit und Ethik spielen eine große Rolle.


Neben der Geschichte selbst sind auch die Schauplätze vielfältig und abwechslungsreich. Deadalic haben beispielsweise ein komplettes Forschungsschiff "entwickelt", in welchem zahlreiche Bereiche untersucht werden müssen. Verlaufen kann man sich hier dennoch nicht: Immer wieder tauchen Übersichten auf, an denen man sich orientieren kann und die einem helfen, zügig von einem Ort zum anderen zu kommen. Vor allem aber hat jeder Raum seine Berechtigung: Kein Zimmer ist bloßer Einsammlungsort für einen Gegenstand.
Doch viele Schauplätze nützen einem nichts, wenn es keine Menschen gibt, mit denen man interagieren kann. Auch hier hat Daedalic sich dieses Mal viel Mühe gegeben: Kauzige Gesprächspartner gibt es überall, und sie helfen einem nicht nur im Spielverlauf voran, sondern hellen auch die düstere Atmosphäre auf. Einen zweiten Droggelbecher wird man hier nicht finden, aber immerhin ein glatzköpfiges Sensibelchen, das sich – als Türsteher engagiert – bei der alles entscheidenden Klimakonferenz nicht von den Demonstranten provozieren lassen darf...


Im Gegensatz zum Vorgänger The Whispered World, in welchem die abstrusesten Kombinationen von Gegenständen und blankes Versuchen zum Ziel führten, ist A New Beginning streng logisch und somit fair zum Spieler. Es ist zumeist klar, auf welches Ziel hingearbeitet werden muss, die Rätsel, die sich übrigens freiwilligermaßen einfach überspringen lassen, sind zwar knifflig, aber immer mit einiger Überlegung lösbar und selbst, wenn man statt auf aufwendige Bildschirmsucherei auf praktische Hot-Spots zurückgreift, kommt man noch auf eine beachtliche Spielzeit.
Obwohl das Spiel als Adventure schon heute überzeugt und für viele Stunden an den Bildschirm fesselt, hatte ich manchmal den Eindruck, als hätten dem Spiel noch 2-3 Wochen länger im Test und in der Programmierung ganz gut getan. Nach und vor den im Comicstil gehaltenen Filmsequenzen kam es immer mal wieder zu Abstürzen (Autosave sei Dank!), Personen verschwanden für einige Zeit vom Bildschirm, nur um dann an derselben Stelle wieder aufzutauchen und als Bent mir plötzlich mit Fays Stimme „Das geht nicht!“ mitteilte, zweifelte ich kurz an meinem Verstand. Auch andere Dialogfehler traten auf, sodass Fay oder Bent nach dem Stellen einer Frage nur tonlos den Mund bewegten, während im Untertitelfeld einzig und allein das Wort „Tschüß“ prangte. Als klaren Stilbruch empfand ich auch die Idee von Daedalic, den Spieler im 5. (!) Kapitel plötzlich Räume nicht mehr betreten zu lassen, sondern durch Weitergehen Richtung Raum die Wand zu einem Fenster zu „morphen“. Auch, dass die Musik in einer der Finalsequenzen immer dann aussetzt, wenn man eine neue Frage aus dem Menü auswählt, war der Stimmung irgendwie abträglich. Wirkliche Bauchschmerzen macht mir allerdings ein inhaltlicher Fehler in dieser sonst so durchdachten Geschichte, der beinhaltet, dass Bent später wie aus dem Nichts heraus einen spielentscheidenden Gegenstand herbeizaubert.

Wärmstens empfehlen möchte ich das Spiel aber trotzdem: Wer Spaß an anspruchsvollen Rätseln, liebevoller Comic-Grafik, interessanten Charakteren und einer kritischen Geschichte hat und über diesen einen Widerspruch hinwegsehen kann, sollte sich A New Beginning schon mal auf die Weihnachtswunschliste setzen – bis dahin ist hoffentlich der erste Patch draußen. Quis

Update: Es wurde ein Hotfix herausgebracht, der die schlimmste Abstürze verhindern soll.

Kommentare

Rian
15. Oktober 2010 um 11:41 Uhr (#1)
Ich habe das Spiel noch nicht durchgespielt, aber immerhin zum Teil. Wenn man mal bei einem Rätsel feststeckt und per Zufall irgendwann auf die Lösung kommt, dann war das bis jetzt auch immer so ein "Aha, komplex, aber man hätte drauf kommen können"-Gefühl - ganz anders als bei Spielen wie Monkey Island und Konsorten. Ich werde mich durch den Rest des Spiels sicherlich auch noch irgendwie durchmogeln!
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