Enslaved: Odyssey to the West

(Artikel)
Rian Voß, 12. Oktober 2010

Enslaved: Odyssey to the West

Weltreise wider Willen

Journey to the West ist eine der weltweit bekanntesten Geschichten aus dem klassischen China des 16. Jahrhunderts, welche uns auch immer mal wieder unbekannterweise über den Weg läuft - Son-Goku aus Dragonball ist da wohl das prominenteste Beispiel einer Adaption, aber auch in anderen Medien ist die Legende des Affen Sun Wukong (oder auch einfach nur Monkey), der auf seinen Reisen gottesähnliche Kräfte erlangt und mit ihnen nicht sonderlich rücksichtsvoll umgeht, immer wieder zu finden, etwa im Film Forbidden World mit Jackie Chan und Jet Li. Nun hat sich Namco mit Enslaved: Odyssey to the West an eine Neuinterpretation des Stücks gewagt und da die GamesCom-Demo einen äußerst positiven Ersteindruck bei mir hinterlassen hat, wollte ich mir das Endergebnis einmal anschauen.

Das Spiel beginnt ohne große Einleitung: Monkey, ein muskulöser Chris Redfield-Verschnitt, ist in einem fliegenden Sklaven-Schiff gefangen. Kurz nachdem er aufwacht sieht er eine Frau aus ihrer Zelle fliehen, die auch gleich die Gelegenheit nutzt, ein bisschen Chaos mit den Maschinen anrichtet und plötzlich explodiert alles! In kurzen Hüpf- und Kampfpassagen (letztere gegen Roboter) mogeln wir uns - nicht ohne vorher dabei zuzusehen wie der Flieger die Fackel der leicht umgrünten Freiheitsstatue ankratzt - bis zur letzten Fluchtkapsel durch. Leider ist die bereits besetzt und zwar von der Frau, die das ganze befreiende Unheil überhaupt angerichtet hat. Sie startet die Zündung, er klammert sich an der Kapsel fest, reißt bei der Landung mit seinem strammen Rücken mehrere Wände ein und als er aus seinem Knockout-Zustand erwacht, hat Monkey ein komisches Kopfband um und die Frau namens Trip erzählt ihm verzweifelt, dass Monkey sie in ihr Dorf zurückbringen muss, denn sonst tötet sie ihn mit diesem modischen Stirn-Accessoire. Oh Mann, was für ein Tag...


Draußen vor der Tür sieht man dann auch spätestens, dass wir uns ein paar Jahre (nach dem, was ich aus dem Spiel an Infos gezogen habe, wohl etwa 200 Jahre) in die Zukunft bewegt haben und ein Großteil der Zivilisation anscheinend von einer nicht-atomaren Katastrophe heimgesucht worden ist. Es gibt noch viele funktionierende, technologische Überreste, aber die meisten Städte sind mit Vegetation überwuchert und überall befinden sich Mechs, die Menschen versklaven. Haben die etwas mit dieser Zerstörung zu tun? Nun, ich will euch nicht spoilern. Der Gegenstand des Spiels ist der momentane Zustand der Welt aber nicht, die Bewohner mögen einen grünen Planeten anscheinend selbst ganz gerne. Monkey und Trip haben ganz andere Sorgen als das Aufdecken der Fehler ihrer Vorväter!
Somit erhält das Setting schon mal ein paar Bonuspunkte - es kommt selten genug vor, dass die Handlung den Protagonisten in einer hübsch-demolierten Welt mit dem Stockholm-Syndrom kämpfen lässt; da weiß man nie so recht, ob man für Trip nun Verständnis aufbringen oder sie hassen soll! Eigentlich ist es aber vollkommen egal, welche Emotion man dem Charakter gegenüber aufbringt, denn so oder so muss Monkey Trip am Leben erhalten, schließlich ist das Sklavenband so eingestellt, dass Monkeys Neuronen schön kross angebraten werden, wenn der Puls seiner Herrin aufhört zu schlagen.


Um das zu bewerkstelligen und um Trip zielsicher nach Hause in ihre kleingesellschaftliche Zuflucht zurückzubringen, bedienen sich die Entwickler an Gameplaykonzepten, so dass ein gelungener Mix aus dem Shaker springt, der allen Uncharted-, Prince of Persia- und Beyond Good & Evil-Fans schmecken sollte: Man klettert, man prügelt, man schießt, man löst in entspannten Abständen ein Rätsel und man sammelt leuchtende Orbs ein, um Monkeys Fähigkeiten zu erweitern. Das geht auch alles sehr flott von der Hand: Kletterpassagen sind schnell bewältigt und optisch beeindruckend, man muss nicht lange die Wand nach irgendwelchen Vorsprüngen absuchen und stürzt in den Tod, wenn der herausragende Stein doch nicht so toll zum Festhalten war wie gedacht. Man kann zwar auch beim Kraxeln Schaden nehmen oder zu Tode stürzen, aber normalerweise nur durch schlechtes Timing.
Zum Hauen verwendet Monkey, man wird es ahnen, einen ausfahrbaren Streck-Dich-Stab. Der verlängert sich allerdings nur auf normale Kampfform, also kann man den Mechs nicht aus 'nem halben Kilometer Distanz ein Okular rauspieken. Im Kampf kann man ausweichen, blocken, leichte sowie schwere Hiebe anbringen und später noch ein paar Extra-Tastenkombinationen erstehen, allerdings bleiben Monkeys Kombos immer dieselben wie zu Beginn und man kann das Spiel auch ganz gut ohne die Kampf-Extras hinter sich bringen - nur den Fokus-Hieb für Bonusschaden sollte man einpacken! Und schießen kann der Stab natürlich auch, Plasma- wie Lähmungs-Munition. Damit kann man auch viele Kämpfe leicht für sich gewinnen, wenn man die Schuss-Power pusht - jedem das seine.

Insgesamt haben wir hier also Mechanismen, die man fast schon klassisch nennen darf - umso ärgerlicher ist es, dass man mit Monkey in stressigen Situationen gerne mal an irgendeiner Kante hängen bleibt oder der Muskelmann einen Sprungbefehl nicht sofort akzeptiert und man dann mit dem unter den Füßen einbrechenden Metallgitter in die tödliche Tiefe stürzt. Außerdem scheint das Problem der nervigen Kamera selbst nach vierzehn Jahren der modernen Action-Adventures immer noch nicht gelöst zu sein: Der Beobachter fährt häufig viel zu nahe an Monkey heran, so dass man von der Umgebung nichts mehr sieht, was besonders nervig bei Kämpfen in engen Räumen ist, wo die Kamera ständig irgendwo aneckt und man nur noch blind in die vermutete Richtung der Feinde hauen kann.


Um nun ein bisschen Dynamik in die Interaktion zwischen Monkey und Trip zu bringen, unterstützen sich die beiden nach Leibeskräften. Trip ist zwar keine Kämpferin, aber sie kann beispielsweise das Feuer der Mechs auf sich ziehen, während Monkey sich heranschleicht, und natürlich Schalter bedienen, an die Monkey nicht herankommt. Das ist insgesamt ein bisschen anspruchsvoller als das Konzept der Teamarbeit in Prince of Persia zwischen dem Prinzen und Farrah, wo die Dame sämtliche Aktionen vorgeskriptet hatte, allerdings nicht wesentlich komplizierter, denn die Befehle werden über ein simples Kreismenü ausgeführt. Insofern kann Trip als Gegenstand einer permanenten Beschützermission eigentlich ganz gut auf sich selbst aufpassen, bleibt meist in schön sicheren Gebieten und lässt Monkey die gefährliche Arbeit machen. Als ob er die Wahl hätte.


Neben der hübsch zerfallenden, neuen Erde mit ihrem blauen Himmel, die mich irgendwie ein bisschen an den bunten, bizarren Look von Zeno Clash erinnert, hat mich am Spiel vor allem angesprochen, dass es versucht die Erfahrung des Spielers mit der von Monkey zu verschmelzen. Beispiel: Zu Beginn des Spiels gibt es noch kein HUD, der Bildschirm ist clean. Durch das Computer-Kopfband kann die technikbegabte Trip allerdings ein wenig in Monkeys Kopf herumschwurbeln und zaubert ihm prompt eine Energie- sowie eine Orb-Anzeige auf den Bildschirm. Außerdem kann Trip auf diese Weise wichtige Ziele markieren oder Monkey optisch mit der androiden Aufklärer-Libelle verbinden. Außerdem hat Trip über das Band eine durchgehende Radio-Verbindung mit Monkey, wobei das Feature besonders zur Geltung kommt, wenn man Trip in der Nähe ganz normal reden hört, sich dann entfernt und Trips Stimme einen Walkie-Talkie-Klang erhält. Nicht nur das, es wurden auch ein paar Anekdoten aus der Literatur für die Wissenden eingestreut: Es gibt etwa eine große Mech-Hand, die (natürlich nicht mechanoid) in der Größe auch in der klassischen Geschichte vorkommt. Außerdem wurde auch der chinesische Monkey schon einmal mit einer Krone versklavt.
Das sind jetzt natürlich nur kleine Gimmicks und Randnotizen, aber ich finde sowas macht ein Spiel fantastisch stimmig!


Das letzte kräftige Motivationszugpferd, neben dem Sammeln von leuchtenden Orbs und Masken, die merkwürdige Glitches herbeirufen, sind die Charaktere an sich. Wir alle mögen Nathan Drake und seine spritzigen One-Liner, Marcus Feenix ist der archetype Action-Held, Nathan Spencer ist ein lustig verärgerter, zynischer Mann und über Geralt von Rivia gab es schon vor The Witcher eine ganze Buchserie, aber die Persönlichkeiten von Enslaved waren für mich sofort sympathisch und unglaublich glaubwürdig gestaltet - da zeigt sich wohl auch sehr gut die Feder von Co-Writer Alex Garland, der schon an Sunshine und 28 Days Later mitwirkte.
Monkey wirkt auf den ersten Blick wie der gewöhnliche, zornige No-Name-Protagonist, entpuppt aber schnell ein paar tiefer liegende Schichten ohne sein Raubein-Image zu zerstören, zum Beispiel ein gewisses Verständnis gegenüber der durchgehend von Gewissensbissen geplagten Trip, die Monkey eigentlich nicht versklavt haben möchte, aber von ihrer Macht Gebrauch macht, wenn sie sich bedroht fühlt - außerdem ist es schön zu sehen, dass weibliche Charaktere in Adventures auch mal Angst haben und hilfsbedürftig sind ohne eine hilflose Prinzessin darzustellen, und nicht die typische Action-Amazone gibt, die nur mal eine helfende Hand benötigt, wenn ihr Schienbein lustig aus dem Fleisch rausguckt.
Demnach musste ich bei einigen kurzen Sequenzen lächeln, in anderen saß ich vor Spannung und Drama aufrecht im Stuhl und dann musste ich wieder hart lachen, vor allem da das Spiel auf der Hälfte durch den Zuwachs im Team ein bisschen Komödie und Slapstick aufnimmt. Insgesamt hat das Enslaved-Team bei der Ausarbeitung der Charaktere ohne viel Wind um aufgepustete Hintergrundgeschichten zu machen eine großartige Arbeit geleistet, für die ich das Spiel gerne noch ein- oder zweimal durchleben werde.

Am Ende bleibt dann nur mal wieder eins hässlich in der Ecke stehen und winkte mit dem Zeigefinger: Der Wiederspielwert. Enslaved: Odyssey to the West ist auf dem normalen Schwierigkeitsgrad kein allzu anstrengendes Spiel, da das Kampfsystem viel Raum für Buttonmashing lässt und man bei den Kletterpassagen nur selten in tiefe Löcher stürzt. Mangels zusätzlicher Modi ist dann - wenn ihr nicht gerade von dem Setting so beeindruckt seid wie ich oder zu den Achievement-Jägern gehört - auch schon der Spaß vorbei und das Spiel kann ins Regal oder zu eBay. Solange der Titel noch zum Vollpreis angeboten wird und ihr euch immer noch nicht sicher seid, ob es etwas für euch ist, würde ich euch eher den Weg zur Videothek raten. Gibt es Enslaved allerdings vergünstigt oder seid ihr Fans von Prince of Persia, Uncharted, Beyond Good & Evil und sogar Zeno Clash, dann kann ich euch eine uneingeschränkte Kaufempfehlung geben. Monkey rockt! Rian

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