The Walking Dead: Saints & Sinners

(Artikel)
Benjamin Strobel, 23. Januar 2020

The Walking Dead: Saints & Sinners

Review: Zombie-Überlebenskampf in VR

Wer sich quer durch die Medien mit The Walking Dead befasst, hat gewiss Höhen und Tiefen gesehen. Unter den Games war vor allem Telltale’s The Walking Dead sehr erfolgreich. Andere Versuche waren... weniger gelungen. The Walking Dead: Saints & Sinners wagt einen neuen Versuch - und setzt dabei auf VR.

Vor dir steht ein Zombie. Er hat dir den Rücken zugekehrt und torkelt, in der beseelten und lebensfrohen Art, die diese Dinger so haben, von links nach rechts. Du greifst in deine linke Tasche und ziehst einen Revolver. Der Zombie stößt ein unbekümmertes Stöhnen aus. Nur noch zwei Patronen in der Trommel - zu kostbar. Der Stöhner versiegt in einem hastigen Grunzen als der Zombie sich zu dir umdreht. Er sieht dir direkt ins Gesicht und man kann den Wind beinahe “Menschenfleisch!” flüstern hören. Ein schneller Griff in die rechte Tasche bringt einen alten Schraubenzieher hervor. Immerhin. Du weißt, du musst seinen Kopf treffen, das ist die einzige Möglichkeit. Also holst du weit aus…

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Survival in VR
Saints & Sinnersschnürt euch im Grunde das Basis-Paket eines Zombie-Survival-Spiels - nur in VR. Das ist keine Kleinigkeit: nicht nur ist die spärliche VR-Landschaft ein karger Hintergrund für Vergleiche, eine Vielzahl der VR-Titel bewegt sich darüber hinaus eher in Techdemo-Territorium. Diese lahmen Hinkefüße lässt Saints & Sinners mühelos hinter sich. Es ist ein vollwertiges Abenteuer mit eigener Geschichte und rund 15 Stunden Spielzeit. Von Oculus Rift über HTC Vive und Valve Index werden alle gängigen HMDs unterstützt. Was dagegen nicht geht: spielen ohne VR.

Virtual Reality ist ein ein essenzieller Strang in der DNA von Saints & Sinners. Während die meisten Spielideen sich in Genrekonventionen erschöpfen - begrenztes Inventar, rare Ressourcen, Crafting - hebt die Umsetzung das Spiel auf eine höhere Stufe. Das ist nicht nur eine Sache der Inszenierung, die zweifelsohne gut ist. Sondern die Art und Weise, wie Bewegung und Steuerung funktionieren, sind eine direkte Verlängerung des Genre-Kerns: Begrenzung und Verknappung. Das beginnt bei einer trivialen Tatsache, die mir in digitalen Spielen nur selten so bewusst wird: ich habe nur zwei Hände. Wenn ich mit einer Hand die Taschenlampe halte und in der anderen meinen Revolver, tja, dann kann ich gerade nicht die Schubladen nach Medizin durchwühlen. Ich muss mir genau überlegen, ob ich meine Waffe weglegen kann oder ob ich sie noch brauche. Und ich muss mich auch erinnern, wo ich sie verstaut habe. War der Revolver in der linken Tasche oder hatte ich da mein Messer?

Ich muss auch bedenken, dass ich nur drei Gegenstände am Körper verstauen kann (an den Hüften links und rechts sowie auf dem Rücken), der Rest muss in den Rucksack. Zwar kann man über die Schulter einfach Dinge hineinwerfen, aber wenn ich etwas herasusholen möchte, muss ich das Ding ausziehen und manuell durchsuchen. Hier zeigt Saints & Sinners erstaunliche Ähnlichkeiten zu Ubisofts ZombiU von 2012. Denn während ich so in meinem Rucksack wühle, können mir Zombies unbemerkt auf die Pelle rücken. Hier werden die Sinnesorgane verknappt: Während man mit den Augen gerade woanders ist, muss man mit den Ohren nach Schlurf- und Stöhngeräuschen lauschen.

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Reden - oder die Waffen sprechen lassen
Tatsächlich bekommt man es in Saints & Sinners nicht nur mit Untoten zu tun. Die wandelnden Lebenden von New Orleans haben sich einer zwei größeren Fraktionen angeschlossen: The Tower, eine Art Militärstaat, die Nonkonformisten ohne Zögern vor die Stadtmauern setzt. Auf der anderen Seite gibt die Reclaimed, die ihre Waffengewalt zu anarchischen Zwecken einsetzen. Sympathieträger sind nicht gerade dabei, so muss man sich vorsichtig durch den Bandenkrieg manövrieren, um weiterzukommen. Dabei kann man durchaus mit verschiedenen sprechen und verhandeln, aber man sollte sich da nichts vormachen: früher oder später kommt ein Psychopath und stellt einen vo eine sadistische Wahl. Zwischen all den Zombies hält The Walking Dead auch hier nicht mit dem Mythos hinter dem Berg, dass die Menschen das wahre Übel sind (mehr zu dem Thema gibt es bei den Kollegen von Horror-Game-Politics). Saints & Sinners überlässt einem viele Entscheidungen, aber wer schon mal eines der Telltale-Spiele in der Hand hatte, weiß: eine gute Wahl gibt es selten.

Konflikt mit menschlichen Gegnern lässt sich nicht immer vermeiden. Offene Kämpfe sind in Saints & Sinners mitunter aber etwas zu hektisch für die anspruchsvolle VR-Steuerung. Mit ein oder zwei Zombies hat man ein übersichtliches Schlachtfeld vor sich. Hat man es aber mit Menschen der unterschiedlichen Fraktionen zu tun, die Schusswaffen verwenden oder brechen abends die Zombie-Horden los, ist man schnell überfordert. So ein Revolver hat nur sechs Schuss, davon gehen mindestens drei daneben, weil es logischerweise keine Zielhilfe gibt. Wenn man dann hastig neue Patronen aus der Tasche wühlt oder gar eine andere Waffe aus dem Rucksack holen muss, wird man schnell überrannt. Dabei ist das Waffenhandling wirklich interessant: größere Gegenstände wie Äxte und Baseballschläger muss man mit beiden Händen führen, um genug Kraft aufzubringen. Führt man eine Flinte, kann man den Lauf mit der zweiten Hand stabilisieren und auch Pistolen sind zielsicherer, wenn man sie beiden Händen bedient. Das verknappt einerseits wieder Ressourcen, weil man nicht gleichzeitig etwas anderes in die Hand nehmen kann und gibt den verschiedenen Gegenständen zugleich ein Gefühl von Gewicht und physikalischer Präsenz im Raum. Ganz leicht ist das in hektischen Momenten aber nicht.

Gibt man während einer Mission den Löffel ab, offenbart sich eine weitere Parallele zu ZombiU, die leichten Rogue-Charakter hat: man verliert alle Gegenstände und muss seinen Rucksack im nächsten Durchgang dort einsammeln, wo man ihn verloren hat. Stirbt man bei dem Versuch, ist die Habe für immer weg. Einen Ausweg gibt es aber doch: man kann jederzeit die Autosaves laden, die vor und nach jeder Mission angelegt werden. Quicksaves gibt es nicht - das würde mit dem Survival-Prinzip auch zu stark kollidieren.

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Recycling in VR
Die Spielstruktur hat ein angenehmes Pacing, vor allem, wenn man VR-Pausen einlegen möchte. Von einem Hub-Areal aus kann man verschiedene Level ansteuern, die je nach Aufgabe in 20-30 Minuten durchgespielt sind. Der Aufenthalt in den verschiedenen Arealen ist zusätzlich dadurch begrenzt, dass man nur über Tag einigermaßen sicher ist - nach einiger Zeit läuten Glocken die Abendstunden ein - die Zombies werden dann nicht nur aggressiver, sondern auch zahlreicher, sodass man die Beine in die Hand nehmen und schleunigst verduften sollte. Zurück in der Basis kann man den Rucksack entleeren und neue Gegenstände herstellen. Um Schrott in seine Einzelteile aufzubrechen, entsorgt man ihn ganz lapidar in einen Mülleimer. Das ist insofern witzig als dass man mit der Nase tief im Rucksack neben diesem Eimer sitzt und den Müll fein säuberlich weg sortiert. Auch wenn das langweilig klingt, hatte ich bis zum Schluss diebische Freude daran, alte Dosen, Schuhe und menschliche Schädel in die Tonne zu werfen. Alle Aktionen basieren auf der Ingame-Physik, sodass man sich ein Spiel daraus machen kann, aus größerer Entfernung auf die Tonne werfen. Mit Totenschädeln vielleicht etwas makaber - aber das ist euch überlassen.

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Locomotion und Motion Sickness
Saints & Sinners lässt sich im Stehen oder Sitzen spielen, Roomscale und freie Bewegung im Raum sind nicht möglich. Man kann zwar um Ecken spähen und sich an Schluchten nach vorn beugen, wenn man das für eine gute Idee hält, aber schon das Hinhocken funktioniert nicht mehr - dafür gibt es eine Taste. Die Bewegung im Raum erfolgt ansonsten über den linken Stick bzw. das entsprechende Touchpad auf dem Vive-Controller. Den Kopf kann man frei drehen, aber um die Orientierung permanent zu ändern, benutzt man den rechten Stick.

Für die Bewegung haben die Entwicklerinnen und Entwickler von Skydance Interactive hervorragende Arbeit geleistet. Die Geschwindigkeit ist angenehm und Drehbewegung ist wahlweise stufenlos oder in festen Intervallen, was vielen Personen hilft, die sonst Probleme mit Motion Sickness haben. Zudem gibt es mehrere Einstellungsmöglichkeiten, um die Steuerung anzupassen und individuelle Trigger von Motion Sickness zu reduzieren. Darüber hinaus verwendet das Spiel ein paar bekannte Tricks, um die Gefahr von Motion Sickness minimal zu halten, beispielsweise eine Verengung des Sichtfeldes bei schnellen Bewegungen. Ich konnte Saints & Sinners problemlos länger als eine Stunde am Stück spielen und halte Locomotion im Spiel für ziemlich gelungen.

Ein paar Bugs und gelegentliches Stottern sind zum Release noch merkbar, lassen sich mit einem Neustart aber beheben.

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Fazit
Saints & Sinners wäre ein durchschnittliches Spiel, es ist jedoch ein hervorragendes VR-Spiel. Steuerung und Inventar-Management sind nicht nur ein Gimmick, sondern stehen ganz im Dienste des Survival-Genres. Wer hätte das gedacht? The Walking Dead: Saints & Sinners zeigt ausgerechnet mit Untoten, dass VR noch lebt.

The Walking Dead: Saints & Sinners wurde auf HTC Vive getestet. Ein Testmuster wurde uns vom Publisher zur Verfügung gestellt.

The Walking Dead: Saints & Sinners

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Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

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23. Januar 2020
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