Uncharted: Golden Abyss

(Artikel)
Rian Voß, 05. März 2012

Uncharted: Golden Abyss

Springen und Schießen auf der Vita

Launch-Titel sind normalerweise so lala. Man erwartet nicht viel von ihnen, außer dass sie ein bisschen Zeit vertreiben und zeigen, was man sich da eigentlich ins Haus geholt hat. Oder, im Fall von Perfect Dark Zero, mit einem mittelmäßigen Spiel unter dem Deckmantel eines großen Namens ein bisschen Kohle zu scheffeln. War das mal anders? Ich kann mich zumindest nicht entsinnen, dass mir in den letzten zwanzig Jahren eine Konsole untergekommen wäre, deren Debut-Spiele tatsächlich nachhaltig in Erinnerung geblieben wären. Umso erstaunlicher, dass Sony mit dem Erscheinen der Vita gleich eins ihrer Aushängeschildern, in diesem Fall Uncharted: Golden Abyss, verfeuert. Und dann noch nicht mal von Naughty Dog Studios selber entwickelt, sondern "nur" von Bend Studios, die sich mit Resistance: Retribution und Syphon Filter einen Namen verdient haben. Kann das gut gehen? Offensichtlich ja. Sogar sehr ja!

Ich glaube, dass jeder, der Golden Abyss startet, als allererstes guckt, ob es auch toll aussieht. Seien wir mal ehrlich: Dafür hat man sich das Spiel gekauft. Man will ja wissen, was bisher geht. Nun, in dieser Hinsicht war ich sehr zufrieden, denn optisch ist Golden Abyss eine ziemliche Granate. Es hat mich eine Weile gekostet, bis ich überhaupt Unterschiede zu den großen Geschwistern feststellen konnte. Ja, die gibt es. Drakes Klamotten sind nicht mehr so sichtbar durchnässt wie sonst, genauso ist die Beleuchtung nicht von allererster Güteklasse. Texturen wirken etwas matschiger, Umgebungsinhalte wie Pflanzen oder Steine beim genaueren Hinsehen etwas eckiger. Das sind aber nur Mini-Mäkel, denn man wird einerseits immer wieder mit den großartig aussehenden Figuren und Animationen abgelenkt, andererseits ließen es sich die Modellierer nicht nehmen, sehr detaillierte Reliefs zu schnitzen oder herrliche Aussichten zum Genießen zu schaffen. Der einzige Wermutstropfen ist hier, dass man wegen des storybedingt nur sehr langsamen Locationwechsels kaum etwas anderes zu Gesicht bekommt als Wälder, Höhlen und Ruinen - also so ähnlich wie beim allerersten Teil der Reihe.


Thema Story: Sie ist verwirrend. Nicht so sehr die Geschichte um Marisa Chase und die mittelamerikanische Forschung ihres Großvaters zum Thema Die Goldene Stadt, welche von einem peruanischen General (Bösewicht!) und einem Freund (lies: Bösewicht!) Nathan Drakes übernommen wurde - die ist ganz nett zu verfolgen, die Charaktere sind ok, die Dialoge ebenso. Überdurchschnittlich, voll vertont, aber nichts Besonderes. Nein, die Verwirrung kommt davon, wann die Geschichte überhaupt spielen soll, denn dazu gibt es keine klaren Hinweise. Anscheinend hat unser Schatzjäger noch nicht seine Vergangenheits-Probleme aus dem dritten Teil bewältigt und in einem Dialog hieß es: "Ich verdiene mehr als du in einem Jahr." "Welches Jahr? Ich hatte gute Jahre? Okay, EIN gutes Jahr!"
Das könnte immerhin eine Anspielung auf den ersten Teil sein, wo Nate natürlich schon fleißig Treasures nebenher eingesammelt hat. Andererseits passt die aufkeimende Quasi-Liebesgeschichte zwischen Nate und Chase nirgendwo so recht ins Bild, da der Draufgänger ja eigentlich zumindest ein paar Gewissensbisse wegen seiner (Ex?)Freundin Elena haben sollte. Das Beste ist es wohl, wenn man Golden Abyss in ein eigenes Paralleluniversum verschiebt und gut ist.

Aber mal weg von der Geschichte, hin zum Gespiele. Wer schon mal irgendwann einen Uncharted-Teil in den Händen hatte, der wird mit der Steuerung auf der Vita vollends wohl fühlen, denn besser hätte die Konvertierung nicht klappen können. Das Spiel lässt sich, trotz eines gigantischen Aufgebots an Alternativen, fast vollständig mit der klassischen Controllersteuerung bestreiten. Wer Spaß dran hat, kann natürlich auch mit dem Touch-Pad Nates Kletterweg beschreiben, den er dann vollkommen automatisch zurücklegt, oder man kann Seile mit dem hinteren Touchpad ersteigen bzw. hinabgleiten. Wirklich notwendig ist das aber nicht.
An einigen Stellen wird man aber doch mal dazu genötigt, den rechten Daumen vom Stick oder den Knöpfen zu nehmen, um ein Quick-Time-Event hinter sich zu bringen - rutscht Nathan etwa an einer Wand ab und muss sich schnell festhalten, verlangsamt sich das Spielgeschehen und in der Mitte der Oberfläche erscheint ein großer Pfeil, dessen Richtung schnell nachgezeichnet werden muss. Dafür muss man aber nicht mal die rechte Seite des Handhelds loslassen, sondern man kann auch ganz gemütlich in der unteren rechten Ecke des Screens malen. Das geht meistens sehr gut. In seltenen Fällen passiert es dann doch mal, dass die Eingabe nicht erkannt wird, aber wenn man flott genug reagiert, kann man sie zwei bis dreimal wiederholen. "Buttonmashing" wird bei den QTEs also nicht bestraft.
Zu dieser gezwungenen Touchpad-Bedienung kommen noch einige wenige Momente hinzu, in denen Nate über Balken balancieren muss. Manchmal verliert er dort das Gleichgewicht, was sich sehr gnädig mit einem "Awww, SHIT!" ankündigt. In diesem Augenblick sollte man die Vita hochreißen, denn nun gilt es sie immer so nach links oder rechts zu kippen, dass Nathan nicht zu Tode stürzt. Diese Tests darauf, ob der Spieler noch wach ist, sind glücklicherweise so weit verstreut und so harmlos, dass man sich nicht durch sie geärgert fühlt und man auch in Situationen, in denen die Vita gerade nicht perfekt horizontal auf Augenhöhe gehalten wird, locker damit zurecht kommt.

Überraschenderweise gefiel mir die Trophäenjagd zum allerersten mal sehr gut, denn tatsächlich ist das Sammeln von Artefakten mehr ein Teil des Gameplays als bei seinen großen Geschwistern, wo die versteckten Gegenstände nur wie eine lahme Methode wirken, aus dem Spieler noch ein bisschen Trophy-Jagd herauszupressen. Das Ablichten von vorgegebenen Zielen ist interessant und sorgt dafür, dass man sich seine wirklich schöne Umgebung genauer anguckt. Das Kohle-Rubbeln und Untersuchen und Abstauben von Relikten ist eine nette Pause zwischen all dem Springen und schießen und zu den meisten Sammelobjekten gibt es noch eine kleine Geschichte oder historisches Hintergrundwissen, das einem von Nate racontiert wird. Das Sammeln von Gegenständen ist zudem eng verknüpft mit dem Lösen von Rätseln, welches sich hier ausschließlich auf eine "Touchscreenansicht" beschränkt: Man dreht Gegenstände, entdreckt sie und sucht nach Hinweisen, oder man schiebt Objekte auf dem Touchscreen herum. Am häufigsten werden einem zerrissene Dokumente begegnen, die es dann wieder richtig zusammenzupuzzeln gilt.

Was ansonsten einfach nur mit vollem Applaus gelobt werden muss, ist allgemein die Steuerung des Spiels. Wenn man mal von den Gimmicks absieht, ist es einfach ein Wunder, wie die Entwickler von Bend Studios es geschafft haben, das volle Uncharted-Erlebnis mit vier Knöpfen weniger zu realisieren. Nachladen auf dem unteren Knopf des Steuerkreuzes? Genial. Granaten werfen durch Drag & Drop über den Touchscreen? Will ich nicht mehr anders haben (auch wenn Nathan IMMER NOCH gerne Granaten direkt gegen Wände neben sich schmeißt, der Vollidiot). Das sind gute, nützliche Verwendungen der gegebenen Mittel und davor ziehe ich meinen Hut!
Weitere Verbesserungen oder, in Anbetracht von Uncharted 3, Rück-Verbesserungen sind Nahkampfangriffe, die keine Einladung zum Selbstmord mehr darstellen, und ein funktionierendes Stealth-System! Wir erinnern uns: Uncharted 3 hatte nach den sehr gelungenen Schleich-Angriffen aus Uncharted 2 die telepathischen Wachen eingeführt, wodurch alle Feinde in einem gewissen Umkreis vom Ableben ihres Gefährten Wind bekamen - was Stealthkills zur schlechteren Alternative des "Ich bleibe in einer guten Deckung und schieße alle tot" machte. Golden Abyss dagegen feiert den glorreichen Rückzug des lautlosen Ansatzes: Man kann ganze Räume wegen der halb-blinden Gegner schon fast ein bisschen zu mühelos leerräumen, ohne dass irgendjemand etwas mitbekommen würde. Einen Bonus für heimliche Kills gibt es zwar nicht, dafür wird keine Verstärkung auf den Plan gerufen. Das ist ja auch schon einmal etwas.


Überhaupt ist Golden Abyss das Uncharted-Spiel mit dem geringsten Geballere bis dato. Versteht mich nicht falsch: Es werden immer noch Heerscharen von Soldaten und Söldnern umgebracht - mein Kopfschusscounter zählte gegen Ende 50, aber der Stealth-Zähler 100 und der Melee-Zähler 150. Diese Nummern geben auch sehr gut, dass der Nahkampf fast schon übermächtig ist. Abgesehen von den Zwei-Meter-Hühnen, die Miniguns tragen, kann man jeden Feind mit ein paar Hieben auf die Vierecks-Taste und einem anschließenden QTE vermöbeln ohne durch Kreuzfeuer allzu viel Schaden zu erleiden. Ich habe mir tatsächlich mal den Spaß gemacht, auf einer geraden Strecke so viele Gegner wie möglich hintereinander weg zu kloppen. Am Ende waren - zu meiner Verwunderung - alle tot und ich habe keine einzige Kugel abgefeuert. Auch hier kann man sich wieder überlegen: "Ist das nicht eigentlich zu mächtig?" Aber hey, es macht Spaß! Wem das nicht reicht, der muss eben einen Schwierigkeitsgrad höher schalten.

Geschossen wird trotzdem noch sehr viel. Mehrere Maschinengewehre, Pistolen, Schrotflinten, ein Raketenwerfer und das gute Snipergewehr sind mit am Start und warten auf vollen Körpereinsatz. Die Schusswechsel sind mir ihren vielen Deckungs-Elementen sehr nach Art der Uncharted-Serie gehalten, wobei sich gerade hier, im Gameplay, ganz besonders zeigt, dass die Bend Studios mehr Ahnung vom Fach haben als die cinephilen Leute von Naughty Dog, denn: das Enemy Placement ist durchdacht! Bei den Uncharted-Teilen von Naughty Dog hat man häufig das Gefühl, dass Feinde ohne großes Nachdenken in einen Raum gesteckt werden und der Spieler muss dann eben mit der Situation fertig werden. Das resultiert sehr häufig in den von mir verhassten Arenakämpfen, wo Nate in einem großen Areal hinter einem Stein hockt, um ihn herum sind hundert Feinde, die wie wild auf ihn feuern, und man bis zu dem Moment, wo man mal ein bisschen Glück hat und sich an eine Position manövrieren kann, wo alle Gegner VOR einem sind, zehn mal neu laden musste. Die Formel lautet: Einfacher Abschnitt = Gegner vor einem, Schwieriger Abschnitt = Gegner hinter einem. In Golden Abyss passiert das nicht. Es gibt immer mal wieder Situationen, in denen man flankiert werden kann, sicher, aber in den meisten Fällen kann man noch rechtzeitig reagieren. Flutscht einem so ein Spießgeselle doch mal durch die Finger, hat man ganz deutlich selbst schuld. Ansonsten werden Gegner so platziert, dass es Sinn macht. Dass es nicht zu viele sind, aber doch genug. Und dass es Spaß macht, sie entweder einen nach dem anderen im Stillen auszuschalten oder sie doch im Deckungskampf zu stellen.
Ich bin in Golden Abyss so selten gestorben wie in noch keinem Uncharted zuvor. Das Spiel ist gut zu einem, wenn es nötig ist (unendlich Pistolenmunition, wenn man beim Seilklettern von bewaffneten Männern überfallen wird) und wenn ich doch mal das Zeitliche im Kampf segnete, dann hatte ich einfach zu lange den Kopf aus der Deckung oder kam nicht weit genug von der heranschwirrenden Granate weg. Warum wurde eigentlich das Zurückwerf-Feature ausgebaut? Ich mochte das. Genauso wie die Anzeige, dass man einen Checkpoint erreicht hat. Wenn man das Spiel verlässt, hat man keine Ahnung, wo man das nächste mal weitermachen darf.

Überhaupt haben wir es hier mit dem Uncharted zu tun, das am meisten Fokus aufs Gameplay legt, wahrscheinlich nicht zuletzt wegen einer wesentlich gekürzten Cutscene-Zeit. Golden Abyss zu spielen fühlt sich ein bisschen wie ein Tänzchen an: Klettern, ballern, Rätsel, scheichen, klettern, ballern beim Klettern, Sequenz. Auf der etwa zehnstündigen Reise durch Mittelamerika fällt einem dieser Trott höchstens etwas gegen Ende zur Last, wo man vielleicht noch mal ein bisschen mit spektakulärer Abwechslung hätte aufwarten können. Es gibt zwar die typische Flucht aus dem explodierenden Gewölbe und zwei in die Länge gezogene Kampfsequenzen mit viel Touchpad-Gedrücke, aber einerseits gibt es keine solche WOW!-Kapitel wie die Flucht aus dem brennenden Schloss oder dem Entkommen aus dem sinkenden Tanker in Uncharted 3, andererseits merkt man es einfach irgendwann, dass die Zwischensequenzen nur noch einen Bruchteil des üblichen Spielegeschehens ausmachen. Letztlich ist das Spiel doch ein bisschen gestreckt an, aber bei der Entwicklung hieß es wohl: "Wir haben keinen Multiplayer, also müssen wir aus dem Singleplayer alles rausholen!"

Richtig, es gibt keinen Multiplayer - was ich sehr schade fand, da mir die Versus- und Ko-Op-Modi von Drake's Deception sehr gut gefallen haben. Man kann über die Near-App von der Vita zwar irgendwie mit anderen Spieler Sammelobjekte tauschen, aber das ist mir nicht so ganz geheuer und mehr als eine kleine Tauschbörse ohne direkte Interaktion ist es eben auch nicht.


Für mich zeichnet sich bei der Uncharted-Serie langsam ein Muster ab: Schlecht, gut, schlecht, gut. Uncharted: Golden Abyss setzt bereits als Launch-Titel die Messlatte für kommende Vita-Spiele sehr hoch an. Hier heißt es nicht: "Erst mal ein halbes Jahr lang Minigames und dann kommen erst die Glanzstücke", sondern es geht gleich zur Sache. Golden Abyss leistet nicht nur die erwartete Tech-Demo für die Grafik-Möglichkeiten und die Integration der verschiedenen Features, wie den Touch-Pads oder dem Kipp-Sensor, sondern geht noch weit darüber hinaus und zeigt, dass die Geschichte um Nathan Drake mehr sein kann als nur eine Ansammlung von interaktiven Zwischensequenzen. Vielleicht sogar ein bisschen zu sehr, denn wegen des Mangels an furiosen Kapitel-Finali fehlt der Kampagne ein wenig der Zuckerguss. Das ist aber immer noch besser als das Fehlen des ganzen Kuchens darunter. Rian

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RELEASE
22. Februar 2012
PLATTFORM
PS Vita
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