Review: Gris

(Artikel)
Merle B., 31. März 2019

Review: Gris

Federleichtes Aquarell-Adventure

Gris ist schön. Selten wurde ein Spiel so vorrangig und einstimmig für seine Ästhetik gefeiert. Doch was hat das Aquarell-Adventure außer atmosphärischem Liebreiz noch zu bieten?

In Gris, dem 2D-Plattformer, der kontinuierlich als das hübscheste Spiel des letzten Jahres bezeichnet wird, spielen wir eine junge stimmlose Frau in einer zunächst melancholisch monochromen Landschaft. Doch mit dem Erkunden unserer Umgebung und dem Überwinden von Hindernissen bringen wir mehr und mehr Farbe ins Spiel, bis wir uns bald schon durch eine verträumte Wasserfarbenwelt bewegen. Durch das Lösen von Rätseln sammeln wir kleine Lichter ein, die uns erlauben über Sternbilder an neue Orte zu wandeln, und gewinnen mehr und mehr Fähigkeiten, mit denen wir uns immer zuversichtlicher durch die in neuen Farben-erblühende Welt navigieren.

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Mühe um Mühelosigkeit
„Frei von Gefahr, Frustration und Tod“ - so wird Gris auf der Seite von Nomada Studio angepriesen. In der Tat ist es ein beinahe meditatives Spielgefühl, mit dem man die langsam erbuntende Welt entdeckt. Es gibt keine Gegner, höchstens Widrigkeiten, etwa einen (ebenfalls sehr hübschen) Sturm, der aufziehen und uns ungünstig durch die Gegend schleudern kann. Trotzdem wird das entspannte Spiel nicht langweilig. Gris schafft den Spagat, einerseits unverkrampftes, konfliktloses Gameplay zu bieten und andererseits stets das Interesse der Spielenden zu halten. Dies ist vor allem einem klugen Levelaufbau geschuldet, der mit sparsamem Backtracking, intuitiv verständlichem Rätseldesign und kaum einer Sackgasse so manchen Frustrationen vorbeugt.

Trotzdem sollte man Geduld mitbringen. Denn so atmosphärisch Gris auch ist, fühlt es sich manchmal fast träge an. Betritt man etwa einen neuen Bereich, zoomt die Kamera eine ganze Weile genüsslich heraus, damit wir den neuen Schauplatz in all seiner Schönheit bestaunen können – das ist zwar sehr pittoresk, heißt aber auch, dass wir uns aufgrund des Zooms unbefriedigend langsam durchs Bild bewegen. In solchen Momenten tritt das Gameplay zugunsten des hübschen Hintergrundes in den Hintergrund, was ein kleines bisschen schade ist, wenn auch erzählerisch prägnant. Ich persönlich hätte mir das Spiel etwas wendiger und leichtfüßiger gewünscht. Zum ruhigen Durchatmen und Genießen ist Gris jedoch perfekt und sollte gerade Personen, die gängige Plattformer eher als stressig empfinden, gut gefallen.

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Erzählen ohne Stimme
Wie auch das Gameplay ist das Storytelling in Gris so minimalistisch, dass man teilweise kaum merkt, dass es da ist. Das Spiel kommt beinahe komplett ohne Sprache aus. Bedeutung wird stattdessen hauptsächlich über Bilder und Musik transportiert – subtil, aber wirksam. Denn auch ohne eine eindeutige Vorgeschichte, ist klar: hier geht es um Verlust, Trauer, Einsamkeit – und darum, wie wir sie überwinden können. Als wiederkehrendes Motiv begegnen uns Frauenstatuen – in Posen tiefster Verzweiflung oder komplett zerbrochen – und immer wieder geht es um Stimmlosigkeit. Der Versuch, einen Ton von sich zu geben, ist eine unserer basalen Aktionsmöglichkeiten: Das einzige, was wir neben Laufen und Springen von Beginn des Spiels an direkt tun können, ist das namenlose Mädchen Luft holen und zu einem Ton ansetzen zu lassen – und zwar jedes Mal vergeblich.

Mit seiner bildschönen Vagheit fühlt sich Gris wie ein abstraktes Gedicht an. Die Ästhetik und Emotionalität sind unmissverständlich, doch es lässt Raum für Interpretation: Raum für die eigene Stimme und die eigenen Gedanken, während man die namenlose Heldin auf ihrer Reise durch farbenfrohe Einsamkeit begleitet.

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Kunst vor Spiel
Seinen Ursprung hat Gris in der Kunst des spanischen Künstlers Conrad Roset, der zuvor bereits für Disney, vor allem jedoch für die Modebranche arbeitete. Auch jenseits von Gris ist seine Ästhetik bestimmt von Frauen, Farbenspiel und klassischer Schönheit, die er mit Vorliebe in feingliedrigen Aquarellen festhält. Für Gris wurden seine Farbverläufe auf nassem Papier nachbearbeitet, um die hauchzarten Schauplätze zum Leben zu erwecken. Das Resultat ist ein Spiel mit einer unmissverständlich handgemachten Qualität, einem gewissen liebevollen Aufwand, wie ihn sonst alte Zeichentrickfilme haben.

Dass das Spiel seinen Ausgangspunkt in konventioneller Kunst hat, lädt auch durchaus zum Fantasieren ein: was für einzigartige Spiele könnten wohl noch entstehen, wenn wir die freie Arbeit von Künstler*innen als Grundstein eines Spiels setzen und von da aus ausbauen würden? Wenn nicht die Kunst für das Spiel gemacht würde, sondern das Spiel für die Kunst? Und wäre dies nicht auch eine spannende Möglichkeit, analoge Werke auf diesem Weg dynamisch erlebbar zu machen? Eines beweist Rosets Arbeit auf jeden Fall: in einer Welt, in der sich gerade kleine Spiele in einem Meer des Überangebots behaupten müssen, ist eine unvergessliche Ästhetik Trumpf.

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Fazit
Gris hält dem Hype um seine Ästhetik mühelos Stand. So elegant minimalistisch Storytelling und Gameplay auch sind, ist es am Ende doch schlicht die unfassbare Schönheit, die dieses Spiel unvergesslich macht. Jeder neue Ort, jede neue Farbe löst ein großes Ah und Oh aus und gerade wenn man denkt „Hübscher kann es nun gar nicht werden!“, wechselt die Szenerie und verschlägt einem aufs Neue den Atem. Es war beinahe unmöglich für mich, den Finger vom Screenshot-Button zu nehmen, und das Spiel tatsächlich zu spielen, statt es nur anzustaunen. Dieses spielgewordene Aquarellgemälde wird noch lange seinesgleichen suchen.

Gris wurde auf der Nintendo Switch getestet. Für den Test hat sich die Redakteurin das Spiel selbst gekauft.

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19. März 2024 um 04:36 Uhr
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RELEASE
13. Dezember 2018
PLATTFORM
Mac
Plattform
Nintendo Switch
Plattform - Hybrid aus Konsole und Handheld. Unter dem Codenamen Nintendo NX angekündigt, ist die Nintendo Switch im März 2017 weltweit erschienen.
PC
Plattform - PC-Spiele haben mit die älteste Tradition. Heutzutage laufen die meisten Games unter dem Microsoft Windows.

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