Fallout: New Vegas

(Artikel)
Benjamin Strobel, 16. November 2010

Fallout: New Vegas

Der Open World-König ist zurück!

Die Ironie hinter Fallout: New Vegas ist den meisten Europäern gar nicht so bewusst: Der Schauplatz des Spiels, Nevada, ist der Ort auf der Erde, an dem die meisten Atombomben in der Geschichte der Menschnheit gezündet wurden. Zu Testzwecken. Im Spiel ist gerade dieser Ort von der atomaren Verwüstung großteils verschont worden. Schließlich war dort schon immer Wüste, was sollte man dort auch pulverisieren? Das heißt aber nicht, dass um Vegas jetzt Friede-Freude-Eierkuchen herrscht. Ganz im Gegenteil: Verschiedene Fraktionen kämpfen um die blutige Vorherrschaft auf den letzten bunten Fleckchen der Erde.

In Deutschland geschnitten Wie schon Fallout 3 ist auch New Vegas in Deutschland entschärft. Während bei Tieren zwar Gliedmaßen abgetrennt werden können, gibt es nach wie vor weder Blut noch fliegende Körperteile bei Menschen.
Entwickler Obsidian bewegt sich nah am Vorgänger Fallout 3. An der Steuerung hat sich nichts geändert und auch die Menüs sind fast eins zu eins aus dem dritten Teil übernommen worden (Pip-Boy, yeah!). Leider bringt das auch ein paar Altlasten mit: die angestaubte Optik von 2008 spricht aus den mager animierten Gesichtern der Wüstenbewohner. Mit Freude musste ich aber bemerken, dass die Nachladeruckler in den Menüs endlich der Vergangenheit angehören. Dafür hat die vorliegende PS3-Version Probleme beim Zwischenladen von Gebieten auf der Weltkarte. Manchmal nervig, aber nicht so schlimm wie in den Menüs. Natürlich kehrt auch die Charakterestellung wieder - mit deutlich mehr Möglichkeiten!

Auf der Couch: Zur Charaktererstellung muss man Rede und Antwort stehen.

Wenn man erstmals über den Tellerrand blickt, findet man sich bei New Vegas in der Mojave-Wüste wieder. Gegenüber dem Wasteland aus Fallout 3 gibt es nun mehr Orte, die den Platz besser ausfüllen. Man muss zwar immer noch viel latschen, aber insgesamt gibt es mehr Content bei etwas kleinerem Weltumfang. Doch es gibt kaum ein Spiel, welches die Open World so beherrscht wie Fallout. Fast alle der über 100 Orte erfüllen einen Zweck, trotzdem kommt nie der fiese Zaunpfahl, der einen in irgendeine Richtung zwingt. Viele Orte werden nicht mal von Quests abgedeckt! Man muss aktiv erkunden und kann so zahlreiche Hintergrundinfos in Terminals und dergleichen finden. Manchmal bieten Häuser auch einfach bloß ein paar Tresore zum Plündern. Aber hey, wer würde sich da beschweren?

Auch wenn New Vegas allen Fallout-Veteranen sofort vertraut vorkommt (und das völlig zu Recht), gibt es eine Menge kleinere und größere Veränderungen. Der Rollenspiel-Shooter kann sich neben des Karma-Systems (Bewertung von Handlungen als gut/schlecht) auch eines umfangreichen Ruf-Systems erfreuen. Neu sind damit auch die 12 Fraktionen, bei denen man sich überall einen Namen machen kann. Von Neutralität ausgehend beeinflussen viele eurer Entscheidungen eure Renommiertheit Richtung gut oder schlecht. Hilft man der einen Seite, macht man sich ihre Feinde automatisch auch zum Feind. Ist man mit einer Gruppe befreundet, so reagieren sie mit mehr Dialog-Optionen und geben auch Rabatte bei Händlern. Anders bei schlechtem Ruf: Hier wird man mit Patronenkugeln begrüßt und in der Regel ohne Vorwarnung angegriffen. Doch auch dafür gibt es ein Mittel: verkleiden. Erstmals lassen Räuber-Outfits einen auch zum Räuber werden. Anhänger der entsprechenden Fraktionen werden einen freundlich behandeln, während ursprüngliche Freunde feindselig reagieren werden. Es kann allerdings vorkommen, dass man von Wachen durchsucht und enttarnt wird. Das ist dann schlecht, da sollte man die Beine in die Hand nehmen!

Ort des Geschens: Die Majove-Wüste

Eine große Säule von Fallout: New Vegas sind erneut die zahlreichen Entscheidungen, die man im Laufe des Spielens fällen kann. In der Regel ist man zwar kaum zu einer Entscheidung gezwungen, doch Möglichkeiten bieten sich viele. Als gutes Abbild moralischer Dilemmata gibt es dabei selten ein klares Gut oder Böse. Im Endeffekt lernt man im Laufe des Spiels alle Fraktionen zu hassen, da es Gräultaten auf allen Seiten gibt. Auch wenn das deprimierend klingt, hat man zumindest oft die Wahl, sich für das kleinere Übel zu entscheiden. Ein nötiger Schritt, der stets mit ein paar XP verbunden ist! Viele Entscheidungen haben (auch durch das Ruf-System) dauerhafte Konsequenzen, die man gut abwägen muss. Das Questlog ist jedoch immer so voll gespickt, dass man sich nicht um alles kümmern muss, um die höchste Stufe zu erreichen. Zwar steigt man etwas langsamer auf als noch in Fallout 3 und die Levelgrenze wurde auch auf 30 angehoben, trotzdem erreicht man die höchste Stufe locker bevor man mit dem Spiel fertig ist. An vielen Stellen ist auch New Vegas viel zu leicht - insbesondere dann, wenn man Begleiter bei sich hat.

Leider sind Laser-Waffen noch immer sehr schwach.

Die Begleitermechanik wurde grundlegend verbessert. Jeder der acht möglichen Mitstreiter hat einen eigenen Charakter, den er nach und nach präsentiert und der sich durch eigene Dialoge mehr und mehr explorieren lässt. Man kann sogar Befehle weitergeben und Items austauschen, allerdings irgnoriert die KI gerne auch mal Anweisungen. Bei der immer noch sehr dummen Feind-KI fällt das aber kaum ins Gewicht. Insgesamt ist New Vegas voll mit solchen kleinen Verbesserungen und viele davon scheinen aus boomenden Modding-Community der PC-Version zu entstammen. Hier gibt es bereits seit einiger Zeit Mods, die Waffenmodifikatoren und verschiedene Munitionstypen erlauben. Beides findet man auch im neuen Teil fest integriert wieder. So lässt sich beispielsweise ein Fernrohr auf die Waffe schrauben oder panzerbrechende Munition benutzen. Zudem hat sich Einiges beim Crafting getan: die Blueprints gibt es nicht mehr, dafür jede Menge mehr oder weniger nützliche Rezepte. Ich will ehrlich mit euch sein: Die meisten sind Müll. Und die anderen lohnen sich selten, da man alles auch so kaufen kann. Für die unter euch, die aber gern Zeug basteln gibt es jede Menge Pflanzen und Kräuter zu finden, mit denen man sein Geckofleisch würzen kann. Fast alle Schrottteile lassen übrigens wiederverwerten! Allerdings nehmen sie natürlich jede Menge Platz im Inventar ein, das durch die ganzen Munitionsarten und neuen Kräuter recht voll wird. Wer möchte kann aber sogar Munition an der Werkbank selbst herstellen, nur auf Waffen Marke Eigenbau muss man leider verzichten. Zudem ist insbesondere der Itemreiter "Sonstiges" mit den vielen Gegenständen etwas überfordert - eine feingliederige Menüführung wäre im Inventar mehr als angebracht.

Erst macht es bumm und dann gibt es Geckofleisch.

Und dann kommt man irgendwann nach Vegas. Achja: Da geht das Spiel dann erst so richtig los! Während man sich selbst in zahlreichen Geldfressern wie Black Jack, Roulette oder dem neuen Spiel Karawane verlieren kann, lässt sich gleichzeitig jede Menge Knete damit gewinnen. Besonders bei Karawane ist man weniger auf Glück angewiesen als auf Strategie, und umso weiter man fortschreitet, desto besser wird man, sodass dieses Spiel schnell zu einer zuverlässigen Kronkorkenquelle wird. Auf der anderen Seite sind die Casinogebiete voll mit Spielern. Die verschiedenen Charaktere vestehen es sehr gut, das Thema dieser Welt zu transportieren: Irgendwie wollen die Charaktere in den Casinos einen Teil der heilen Welt erleben, die es draußen nicht mehr gibt. Eine ganze Gesellschaft sehnt sich nach dem Gefühl des Alltäglichen, der Normalität und einem sorglosen Leben. Einige Dialoge können da schon mal ins Philosophische abdriften. Gerade die großartigen Skripte, die Obsidian hier unter die Dialoge gestreut hat, machen New Vegas wirklich spielenswert. Im Plot wie im gesprochenen Wort bemerkt man eine deutliche Verbesserung zu Fallout 3. Lediglich die Dramatik muss man weiterhin vermissen, denn die einzige Kamerafahrt des Spiels ist der Zoom auf Charaktergesichter. Ein Relikt aus Zeiten von Oblivion, dessen ich langsam überdrüssig werde.

Die bunte Insel in der Wüste: New Vegas

Zuletzt möchte ich euch eine zentrale Neuerung ansprechen, die ihren Ursprung vermutlich auch in der Modding-Community hat: Der Hardcore-Modus. Hier kann der Spieler mal richtiges Überleben trainieren! Der Charakter leidet ständig unter Hunger, Durst und Erschöpfung. Man ist also immer auf der Suche nach Wasser (notfalls gerne aus Kloschüsseln!), einem Bett (Boden mit altem Laken reicht völlig!) und einem Tier, das man zu Nahrungszwecken schnell totschlagen kann (Geckofleisch, Omnomnom!). Zu allem Überfluss hat nun auch die Munition Gewicht, sodass man keine Unmengen davon anhäufen kann, wenn man noch überlebenswichtiges Essen mit sich herumtragen muss. Es empfiehlt sich daher, seinen Nahkampf-Skill hochzuhalten, der übrigens durch Spezialschläge erweitert wurde.
Stimpacks heilen auch nur noch über die Zeit und nicht mehr sofort, sodass jeder Kampf zu einem Problem wird, wenn man nicht höllisch aufpasst. Verwundete Gliedmaßen müssen auch direkt beim Arzt behandelt werden. Jede Hütte am Horizont, jedes Dörfchen lässt hoffen, dass man endlich einen Doc findet. Der Hardcore-Modus ist also ziemlich hardcore. Doch nicht durch verbesserte oder gar unfaire KI und Feinde, die immer treffen oder viel einstecken, sondern durch relativ realistische Komponenten, die schnell nachvollziehbar werden. Wer die besondere Herausforderung sucht, sollte sich dringend daran probieren.

Der Nahkampf wurde deutlich übearbeitet und ist besonders im Hardcore-Modus sehr attraktiv.

Apropos probieren: Ihr solltet dringend Fallout: New Vegas ausprobieren! Auch wenn es auf den ersten Blick kaum Unterschiede zum Vorgänger zu geben scheint, sind die Verbesserung spürbar und machen wirklich Spaß! Das hätte man sich bereits 2008 gewünscht. Doch besser spät als nie präsentiert sich New Vegas als Open World-König mit großen Freiheitsgraden und einem angemessen Moralsystem. Allen Fans der Reihe empfehle ich dringenden Kauf, selbst wenn ihr den dritten Teil bereits zu Hause habt. Wer diesen ausgelassen hat, kann ebenfalls bedenkenlos zugreifen, denn die Geschichte ist völlig unabhängig vom Vorgänger. Trotz veralteter Technik haben wir hier eines der besten RPGs unserer Zeit. Nex

Kommentare

Bronko
17. November 2010 um 09:56 Uhr (#1)
jawoll! wusste erst nicht ob ich es mir holen soll, weil es ja eigentlich genau das gleiche ist... aber jetzt überleg ich wieder.
Damien
17. November 2010 um 16:34 Uhr (#2)
Es gibt wieder Geckos!
Ben
17. November 2010 um 17:30 Uhr (#3)
Ja, sie sind aus Fallout 2 zurück. Daher habe ich sie auch mehrfach erwähnt. Sieht übrigens total ulkig aus, wenn die über den Wüstenboden flitzen.
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26. April 2024 um 10:33 Uhr
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