Hard West im Test

(Artikel)
Paul Rubah, 10. Dezember 2015

Hard West im Test

Nichts ist heilig im Wilden Westen

Abwandlungen des X-COM-Taktik-Systems sind immer willkommen. Allein das grandiose Massive Chalice hat für die fabelhafte Umsetzung des Subgenres dieses Jahr die höchste Wertung abgestaubt. Hard West wandelt auf ähnlichen Spuren, versetzt den Spieler aber in einen dämonengeplagten Wilden Westen, in dem man Gotteslästerung und Flüche nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Ist das ein Volltreffer oder doch ein Schuss in den Ofen?

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Die Geschichte von Hard West beginnt mit dem jungen Warren und dessen Vater. Die beiden haben gerade Warrens Mutter auf dem Oregon Trail verloren und müssen sich als unglaubliche arme Landwirte ihre Existenz verdingen. Nachdem aber Warrens Vater ein paar Schürfungsrechte erworben hat, geht es wieder bergauf. Noch besser wird es, als der Vater einen Handel mit einem Fremden abschließt, der ihm unerhörtes Glück verspricht. Warren findet sogar die Liebe seines Lebens, Florence.
Da kann die Katastrophe natürlich nicht weit sein. Der Segen des Vaters verwandelt sich in einen Fluch und er verlässt seine Familie, um ihnen kein Unglück einzuhandeln. Zusätzlich verlangt ein mächtiger Mexikaner immer höhere Anteile von allen Minenoperationen, sodass für Warren und Florence kaum noch ein roher Heller übrig bleibt. Um die Ungerechtigkeit zu beenden, töten Warren, Florence und ein paar Freunde den Mafioso, müssen jedoch feststellen, dass das Machtvakuum die gesamte Region ins Chaos stürzt. Zu allem Überfluss finden die beiden bei ihrer Wiederkehr zur Farm eine Meute Plünderer vor. Sie töten alle. Blöd nur, dass die zur Bahnergesellschaft gehören, die das Gelände "rechtmäßig" von der korrupten Regierung gekauft haben. Nach dem Kampf müssen die Verliebten als Outlaws die Flucht ergreifen.

Das ist das erste Kapitel einer nicht ganz linearen Geschichte. Hard West ist vollgestopft mit Erfolg und Misserfolg, Glück und Tragödien. Die Message ist klar: Im Wilden Westen kannst du nicht gewinnen, und wenn doch, dann kostet es dich mehr als du zahlen möchtest. Befindet man sich nicht im Kampf, reist man mit seiner Posse an Helden und Halunken durch das Land. Auf Nebenpfaden stolpert man so immer wieder über kleine Ereignisse, die schlimme oder gute Auswirkungen haben können - oftmals beides. Stecke ich meinen Arm in das Loch, um das glitzernde Objekt zu bergen? Fleddere ich die Leichen eines Massakers oder gebe ich ihnen ein würdiges Begräbnis? Raube ich ein Dorf aus, töte alle Gangster oder brenne gleich alles samt Frauen und Kindern nieder? Alle Entscheidungen sind eloquent und knackig kurz beschrieben und haben akute oder manchmal auch mittelfristige Auswirkungen - meist auf die Ressourcen oder den Zustand der Figuren. Eine Expedition kann etwa einen Hort mächtiger Waffen ausmachen, gleichzeitig aber auch einen Charakter der Posse verletzen.

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Verletzungen, Nachteile aber auch Heilung sind ein stetiges Motiv in Hard West und fabelhaft gelungen. In typischen Taktik-Spielen nach X-COM-Art passiert es oft, dass eine Figur verletzt wird und erst einmal nicht einsatzfähig ist oder nur mit einem starken Nachteil am Kampf teilnehmen kann. Hard West gibt der Sache einen Twist: Falls ein Charakter im Kampf oder durch ein Ereignis eine garstige Wunde erleidet, muss er sich zwar ein oder zwei Kämpfe mit fiesen Nachteilen herumschlagen, wandelt sein Handicap danach aber in einen permanenten Vorteil um. Ein gemeiner Gesichtsschuss mit Abzügen auf die maximale HP, die Sicht und sogar die Glücksgöttin wird nach der Heilungsphase zum "Guten Auge". Denn die Figur hat zwar ein Auge verloren, aber es hat anscheinend nur das andere zurückgehalten. Als Resultat bekommt die Figur einen permanenten Bonus aufs Zielen. Ähnliche Verletzungen gibt es für Beine, Hände, die Wirbelsäule und mehr. Lasst euch also verletzen, es lohnt sich! Insofern ist es auch nicht schlimm, wenn einmal ein Ereignis nicht so verläuft, wie ihr es euch gedacht hattet. Ihr könntet sowieso nichts dagegen tun, denn Hard West unterstützt nur eine einzige Autosave-Datei.

Eure Entscheidungen haben letztendlich aber nur wenig Einfluss auf die segmentierte Geschichte. Einige wenige Ressourcen wandern von Kapitel zu Kapitel - etwa welche Charaktere überlebt haben und manch eine freigeschaltete Waffe kann man beim mysteriösen Händler für teuer Geld nachkaufen -, aber vieles geht zu Beginn der nächsten Seite einfach verloren. Ich war ekstatisch, als ich meine Charaktere vor dem Überfall der Bahnarbeiter in mächtige Revolverhelden verwandelt habe, nur um bei der nächsten Geschichte wieder bei Null anfangen zu dürfen. Das traf mich besonders hart bei den Schicksalskarten.

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Schicksalskarten sind ein besonderes spielmechanisches Element in Hard West, das ein wenig an Final Fantasy 7s Materia-System erinnert. Statt Figuren aufzuleveln, sammelt man nach Kämpfen oder Ereignissen Karten. Bis zu fünf dieser Karten lassen sich Charakteren zuweisen, so dass diese von aktiven und passiven Boni profitieren. Mit der Ricochet-Fähigkeit kann eine Figur nicht nur besser zielen, sondern auch Glocken, Eimer oder Schleifsteine verwenden, um Gegnern in den Rücken zu schießen. Andere Karten verleihen Lebensregeneration, Unsichtbarkeit im Schatten oder ein übermenschliches Gehör, mit dem man Feinde orten kann. Ordnet man diese Karten auch noch zu Pokerhänden an, hagelt es weitere passive Boni. Insgesamt ein cooles Konzept, dessen Effekt man deutlich im Verlauf eines Kapitels spürt, auch wenn einige Eigenschaften viel nützlicher sind als andere.

Hard West erfindet trotz vieler mechanischer Kniffe das bewährte Kampfsystem nicht neu: Jede Figur verfügt über zwei Aktionspunkte. Die kann sie entweder für Bewegung, zum Schießen, für Objekte oder Spezialfähigkeiten einsetzen. Zusätzlich sind überall hohe und halbhohe Deckungen verteilt, die die Trefferchance frontaler Angriffe verringern und auch im Trefferfall den erlittenen Schaden drastisch reduzieren. Auch Vertikalität spielt eine Rolle: An erhöhten Positionen kann ein Scharfschütze weitaus mehr Feinde in Schach halten, wird im Gegenzug aber auch mit Vorliebe aufs Korn genommen. Wer X-COM gespielt hat, wird sich hier sofort zurechtfinden. Es ist solide, es macht Spaß und vor allem sind die Sounds hervorragend. Die von Originalen inspirierte Schießprügel haben richtig Wumms und niedergestreckte Gegner geben ein befriedigendes Todesröcheln von sich, während Dobro-Gitarren, Fiedeln und die eine oder andere Orgel die Kulisse mit einem schönen Soundtrack abrunden.

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Mit dieser doch recht originalgetreuen Übernahme verpasst Hard West aber auch die Chance, einige Verbesserungen vorzunehmen. So ist es beispielsweise nicht möglich, den Laufweg der Figuren anzupassen. Bei einem Spiel, wo man bei einem Feld Versatz schon mal ins automatische Feuer lauernder Feinde hineinläuft, kann das etwas frustrierend sein - hier wird man aber immerhin immer vor der drohenden Gefahr gewarnt. Auch sind Schusswinkel manchmal wirklich unglaubwürdig. Wenn man ein oder zwei Stockwerke über Feinden steht, zählt der Boden etwa nicht als Deckung und man kann ohne Einschränkungen auf einen Gringo feuern, von dem man aus der nachteiligen Position vielleicht nur die Hutspitze sehen würde. Frontale Deckung schützt dagegen in einem 180-Grad-Winkel. Steht der Charakter an einer Säule, dann macht ihn die Deckung fast unangreifbar für alle Flinten, die nicht auf einer Linie neben ihm oder gleich hinter ihm stehen. Hier werden Trefferchancen einfach zu simpel berechnet, aber immerhin ist auch das etwas, woran man sich gewöhnen kann - schließlich gilt der Vorteil auch für einen selbst. Das gilt allerdings nicht für das automatische Feuer. Aus irgendeinem Grund bekommt die KI die Möglichkeit, an einer Stelle zu warten und nahenden Gegnern auf Point-Blank-Distanz in die Fresse zu ballern. Als jemand, der in taktischen Spielen wahnsinnig gerne Hinterhalte legt, habe ich dieselbe Option für meine Recken schmerzlich vermisst. Auch eine Anzeige, welche Bereiche die Figur auf dem Zielfeld einer Bewegung einsehen kann, fehlt. Schade. Man sollte meinen, dass das ein Standardfeature sein sollte.

An eine kleine Änderung müssen sich dann aber auch X-COM-Veteranen gewöhnen: Glück ist in Hard West eine feste Einheit. Jede Figur beginnt mit einem vollen Glückstank. Wird auf sie geschossen, leert sich die Anzeige - und zwar je nach dem, wie hoch die Trefferchance war. Wer einem Todesschuss entgehen will, braucht halt eine Menge Glück. Die häufigste Art, Glück zurück zu bekommen, ist angeschossen zu werden. Das regeneriert einen Haufen Glück auf einen Schlag und macht die Figur wieder unangreifbarer für Folgeschüsse.

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Das klingt erst mal alles interessant, vor allem weil man so taktisch entscheiden muss, in welcher Reihenfolge man auf einen gut verschanzten Gegner feuert. Wenn man mit schwachen Schießprügeln kalkuliert am Glück des Gegners lutscht, trifft nachher auch die neunläufige Schrotflinte auf große Distanz garantiert. Die wahre Gemeinheit kommt aber erst noch: Glück braucht man auch für Fähigkeiten. Da, abgesehen von einigen Einmal-Items, das Angeschossen-Werden zur häufigsten Regeneration von Glück führt, gerät man in bizarre Situationen, wo man die Fähigkeit einer Figur unbedingt benutzen möchte, es ihr aber an etwas Glück fehlt - also wirft man sie absichtlich in die Schussbahn, damit sie ein paar Fleischwunden bekommt. Insgesamt führt dieser etwas überlastete Glückspool dazu, dass man viele schwächere Fähigkeiten gar nicht erst ausprobiert, weil man dann doch lieber einfach keine Kugel in der Brust hätte. Auch im Normalspiel bleiben getötete Figuren übrigens tot, sobald man die Mission abschließt.

Vor manchen Missionen ist es außerdem möglich, die Figuren unbemerkt zu bewegen, sie in Position zu bringen, Feinde in Schach zu halten oder Bonusziele zu erledigen. Das ist eine nette Idee, allerdings auch unnötig dröge. Was zuerst an die alte Commando-Reihe erinnert, entpuppt sich als anspruchslos. Insbesondere da man weiterhin alle Figuren in Reihenfolge und innerhalb ihrer Bewegungsreichweiten bewegen muss - und weil sich Feinde nie bewegen und deren Sichtradius jederzeit auf den Boden projiziert wird -, wirkt die Missionsvorbereitung wie reine Schikane und ich wäre häufig gerne einfach sofort in den Kampf gestartet.

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Die letzte interessante Spielmechanik ist das "Minigame des Tages". In jedem Kapitel muss man sich das Tagewerk auf der Übersichtskarte anders verdingen. Manchmal darf man bis zu 30 Minenoperationen durchführen, um sich Geld zu besorgen. Manchmal muss man sich ein Kopfgeld ansammeln, manchmal muss man Blaupausen für Erfindungen finden und so die Werte in Chemie, Waffenschmiede und Ingenieurswesen steigern. Manchmal müssen die Figuren nach fünf besuchten Orten etwas essen, andernmal spielt man eine direkte Kopie des Klassikers Oregon Trail. Der stete Wechsel zwischen den Spielweisen wirkt zwar etwas willkürlich, bietet allerdings eine willkommene Abwechslung. Zudem sind diese Minispiele für sich nicht unterhaltsam genug, um über die ganze Spielzeit von etwa zehn Stunden zu tragen, aber durch den kurzen Einsatz ist es immer vorbei, bevor es langweilig wird.

Hard West hat manchmal seine Längen und besonders nach ein paar Stunden ist der normale Schwierigkeitsgrad trotz ständiger Fähigkeitenresets keine Herausforderung mehr - vor allem, weil Gegner enorm dumm sind und sofort die Deckung verlassen, wenn man mal kurz aus ihrem Sichtbereich verschwindet. Trotzdem fassen hier viele unterhaltsame Spielmechaniken Fuß, die vor allem Fans von X-COM und Oregon Trail ansprechen dürften. Außerdem versetzt einen die Präsentation gut in den nicht ganz historisch akkuraten Wilden Westen. Da ist es nur schade, dass keines der originellen Elemente besonders viel Tragweite hat und sie nur die nahezu abgepausten X-COM-Kämpfe würzen und dekorieren.

Hard West wurde auf dem PC (Windows 10 64-Bit, 16 GByte RAM, Intel Core i5-4690, Nvidia GeForce GTX 970) getestet. Ein Testmuster wurde uns von Devolver Digital zur Verfügung gestellt.

Hard West

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RANK
Anständig. Stärken und Schwächen halten sich die Waage. Positive Überraschungen sind genauso selten wie negative. Unterm Strich muss man seine Spielzeit keinesfalls bereuen.

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