XCOM 2 im Test

(Artikel)
Rian Voß, 03. März 2016

XCOM 2 im Test

Der Zufall ist dein Zuhälter

Kein Sieg ist für die Ewigkeit. Die Anti-Alien-Organisation XCOM hat die außerirdische Rasse der Elder und alle ihre genetisch umgemodelten Sklavenrassen zwar von der Erde vertrieben, aber der Frieden war trügerisch. Keine hochentwickelte Spezies lässt schließlich eine Niederlage gegen uns Primaten auf sich sitzen. XCOM 2 spielt 20 Jahre nach der zweiten Invasion. Der erfolgreichen zweiten Invasion. Um eine Rebellion zu verhindern, machen die nasenlosen Ufoflieger zwar einen auf gütige Anführer, aber die Überbleibsel der XCOM kaufen ihnen das nicht ab. Es dauerte zwei Dekaden, aber dann gelingt dem Widerstand ihr bisher größter Coup: Sie gelangen erneut in den Besitz ihrer größten Waffe des ersten Alienkriegs - euch.

XCOM 2 ist, wie sein Vorgänger, ein squadbasiertes Taktikspiel im direkten Alienkampf und einigen strategischen Elementen auf der Weltkarte. Kenner des ersten Teils werden sich sofort wohlfühlen, denn an der Oberfläche hat sich nichts verändert: In Missionen zieht man Runde um Runde seine Soldaten von Deckung zu Deckung, navigiert sich in vorteilhafte Positionen und versucht kleine, graue Ärsche zu treten, bevor deren Plasmablaster Betriebstemperatur erreichen. Jeder Soldat darf zwei Aktionen pro Zug ausführen, also zweimal laufen, einmal laufen und schießen, einmal heilen und einmal schießen und so weiter. Hohe und halbhohe Deckungen geben Boni und Mali auf Trefferwahrscheinlichkeiten und den eingesteckten Schaden. Jeder Soldat sammelt außerdem Erfahrung, steigt in Rängen auf und wird so für das Team immer unersetzlicher.

So weit, so bekannt. Bevor ich aber zu den tollen Neuerungen und den vielen Lobsagungen komme, muss ich mich einen Abschnitt lang auskotzen.

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XCOM 2 hasst euch
Wenn ihr glaubt, dass XCOM 2 ein Spiel ist, mit dem ihr mal gemütlich in die Eisdiele gehen und eine freundschaftliche Runde Monopoly spielen könnt, dann geht nach Hause. Geht nach Hause und kommt nie wieder. XCOM 2 klaut aus der Bank, wenn ihr auf Klo seid, und kackt euch in die Waffel. Das liegt einfach daran, dass XCOM 2, wie sein Vorgänger, nahezu komplett zufallsbasiert ist. An fast jeder offensive Aktion klebt eine Trefferwahrscheinlichkeit. Je nachdem, wie nah man dem Gegner ist, was für Extras an der Waffe kleben, welche Kampfsimulationen der Soldat rockt und ob man den Feind flankiert, ändert sich diese Trefferchance. Das ist ja okay. Allerdings haben die 90 Prozent von XCOM 2 nichts mit den 90 Prozent der Realität zu tun.

Ich stelle einmal eine These auf: XCOM 2 ist keine Simulation. Das Spiel ist dafür zu simpel. Die Ecke einer Häuserwand schützt vor frontalen Gegnern genauso sehr wie vor solchen, die schräglinks zu einem stehen. Zweite These: XCOM 2 soll Spaß machen. Wenn man sich schöne Taktiken zurecht legt und diese auch fehlerfrei ausführt, dann sollte man dafür belohnt werden - und für seine Arbeit belohnt zu werden ist ein gutes Gefühl. Was definitiv kein gutes Gefühl ist, ist, wenn mein Soldat mit der Minigun zwei Schritte von einem stationären Auto-Geschütz entfernt steht und bei einer neunzigprozentigen Trefferchance jede einzelne Kugel versemmelt. Und das Geschütz dann im nächsten Zug meinen kerngesunden Soldaten mit einem kritischen Treffer wegrotzt. Das hat nichts mit Fairness zu tun, das hat nichts Balancing zu tun und das hat ganz bestimmt nichts mit Spielspaß zu tun. Das ist einfach ein riesengroßes "Fick dich" vom Spiel an den Spieler.

Es ist ja nicht mal so, dass selbst eine hundertprozentige Trefferwahrscheinlichkeit auch einen Treffer garantiert. Jede Figur verfügt über einen Ausweich-Wert, also eine zweite Trefferstatistik. Selbst bei einem Treffer kann es passieren, dass ein Gegner (oder natürlich auch ein Soldat) nur angekratzt wird und stark verminderten Schaden einsteckt.

xcom2-hitchanceFür 88 Prozent würde ich morgens nicht mal aufstehen!

Weitere Aufreger. XCOM 2 beinhaltet zufallsgenerierte Missionen. Aus Modulen zusammengeschraubte Level, Startpunkte, Gegner, Gegnerplatzierungen. Jetzt gibt es so Missionen, in denen man sechs von zwölf Zivilisten retten muss, bevor die Aliens sie abballern. Jede Runde töten Aliens einen Zivilisten (außer sie zielen SEHR schlecht). Das ist normalerweise nicht das Problem, weil man mit den Zivis Ticken spielt - sobald man sie berührt, sind sie frei. Wenn das Spiel nun allerdings alle Zivilisten ans eine Ende der Karte setzt, uns ans andere Ende und alle Gegner dazwischen, dann ist die Mission nicht nur schwierig, sondern unmöglich. Und jetzt kommt mir nicht damit, dass ein guter Commander einsehen muss, wenn er sich zurückziehen soll. Es ist Bullshit, zufallsgenerierter Bullshit und ich habe mit solchen Bullshitmomenten gerechnet, als der zufallsgenerierte Bullshit angekündigt wurde.

Aber was mich am meisten, am allerallermeisten ärgert, sind Situationen, in denen mein ganzes Team im Hinterhalt lauert. Mit dem Overwatch-Befehl schießen sie dann automatisch auf das erste Ziel, das sich aus der Deckung traut. Es gab Situationen, in denen ein Alien in fünf Metern Entfernung hinter seiner Barrikade hervorsprintet und ich dachte mir beim ersten stilvollen Slow-Down: "Hähähä, du bist Toast!" Glaubt ihr, auch nur EINER meiner sechs brennspiritusblinden Kämpfer hat einen einzigen klaren Treffer erzielt? Nein. Und manche von denen dürfen dank Boni mehrmals schießen. Also läuft der Feind durch meine Reihen, packt den Betäubungsstab aus und schlägt einen Soldaten für den Rest der Mission K.O. Da brauchte ich erst einmal eine Pause. Und eine neue Tastatur.

Mein Vorschlag: Die meisten Pen-&-Paper-Rollenspiele haben irgendeine Regel für Angriffe aus der Überzahl. GEBT EINEN BONUS, WENN MEHRERE AUFS GLEICHE ZIEL FEUERN! Oder sind eure XCOM-Regeln so anbetungswürdig unfehlbar, dass euch beim Änderungsversuch der Blitz erschlägt? Meine Güte! Wenn ich einen Simulator für die Ungerechtigkeit des Lebens spielen wollte, dann würde ich eine Runde Mario Kart fahren! Es wundert mich ja fast, dass XCOM 2 dass Soldaten beim Exfiltrieren nicht von der Sicherungsleine rutschen und sich das Genick brechen. Wenn man schon dabei ist, dann könnte man es ja auch gleich ganz durchziehen.

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Rache ist süß
Insbesondere die ersten Stunden sind extrem schmerzhaft. Soldaten sind weich, schlecht ausgerüstet und können beim kleinsten Fehler draufgehen. Aber wenn man erst einmal seine Wissenschaftler und Ingenieure ans Werk lässt, das Equipment besser wird und die Soldaten unfaire Spezialfähigkeiten erlernen, oh... Oooooooh... Leute, ich kann nur den Zwischentitel zitieren: Rache ist süß. Zuckersüß. Wenn man mit einer aufgewerteten Säuregranate vier Gegner mit garantierten Treffern ohne Regel-Schlupflöchern so richtig schön eindampft (Bonus: Laut "ICH SCHEIß AUF EUER RNG!" schreien) oder mit seinem ganzen Team in einem glücklichen Hinterhalt einen Trupp Feinde in einer Runde in Brei verwandelt, dann war es das Blut und die Tränen wert.

XCOM 2 blüht ohnehin erst auf, wenn sich Optionen entfalten. Die genannten Spezialfähigkeiten sind nur ein Aspekt, der aber wunderbar ineinander greift. Vier Klassen verfügen über zwei Entwicklungspfade, so dass jede Klasse die Rolle eines Supporters, eines Aggressors oder einer beliebigen Mischform einnehmen kann. Die Ranger-Klasse stürzt sich dabei auch voll auf die neue Schleichmechanik. Solange das Team nämlich nicht in einen Konflikt gerät, kann man um die Aliens herumwieseln und sich in Positionen für richtig schöne Hinterhalte mit gehobenen Trefferwahrscheinlichkeiten (angeblich) manövrieren. Ranger bleiben dabei auch mal versteckt, selbst wenn der Rest des Teams auffliegt, was ein Segen für die Scharfschützenklasse ist - die können nämlich überall dorthin schießen, wo die versteckten Scouts ihre Augen drauf werfen. Drohnenfutzis können dagegen verbesserten Overwatch-Status verleihen, mehrfach Medikits einsetzen oder maschinelle Gegner hacken, während Grenadiere Deckungen vernichten, Ziele markieren oder einfach nur mit Granatwerfern verheerenden Schaden anrichten - immer unterstützt durch erforschte Spezialausrüstung.

Dank der vielen Möglichkeiten fühlt es sich stets an, als würde man ein Team kommandieren und nicht eine Horde Einzelkämpfer. Die Summe der Fähigkeiten ist mehr als ihre Teile. Und mit ihren Fähigkeiten werden auch die Figuren immer cooler. Einige verdienen sich Narben, Tattoos und bekommen Spitznamen. Ich habe natürlich das DPad nachgebaut. Und auch wenn der Charaktereditor nicht an Kaliber wie Skyrim heranreicht, bietet er eine schöne Bandbreite an Gesichtern und Frisuren.

xcom2-dpad2Noch sind es Luschen, aber irgendwann werden sie alienmordende Redakteure.

Aller Anfang ist schwer
Aber auch wenn alles perfekt läuft, ist XCOM 2 kein einfaches Spiel. Viele Missionen enthalten einen Rundentimer, der den Guerilla-Charakter des Sequels unterstreicht. Rein, Mission erfüllen, und raus, bevor es jemand bemerkt. Manche Missionstypen, etwa die, in denen ich einen VIP extrahieren musste, habe ich selbst bei heftigen Reloads und perfekten Abschüssen immer nur im letzten Zug beenden können. Wenn das Team überleben soll, sind Fehler unverzeihlich. Auch viele andere Nicht-Story-Missionen, die euch dringend nötige Ressourcen-Vorteile geben, haben ein Zeitlimit.

Auf der Makro-Ebene ist das Spiel ein Kampf gegen die Zeit. Die Aliens forschen stets an ihrem mordsgefährlichen Avatar-Projekt - ist das fertig, ist das Spiel aus. Einmal musste ich nach einer deprimierenden Folge harter Verletzungen die nächsten Missionen mit Rookies antreten und die Doomsday-Uhr stand auf Fünf vor Zwölf. Nach zehn Spielstunden wollte ich das Handtuch schmeißen und noch mal auf Easy von vorne anfangen - habe mir dann aber doch ein paar Haare auf der Brust wachsen lassen und weiter gemacht.

Eine Schwierigkeit ist dabei, dass auf der Weltkarte enorm viel passiert und man schnell alleine gelassen wird. Als Spieler weiß man nicht, welche Prioritäten man beim Basenbau setzen sollte, welche Ressourcen wichtig sind und welche erst einmal nicht, welche Aufträge nötig sind und welche man hinten anstellen kann. Das Interface, die Forschungs- und die Zeitmechaniken erschließen sich einem nicht sofort und mir nichts dir nichts hat man alle seine verfügbaren Widerstandskontakte verballert und kein Geld, um die Funkstation zu erweitern. Aber auch das gibt sich mit der Zeit - der Strategieteil ist einmal gesetzt und erweitert sich nicht mehr.

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Ähnliches kann man vom Taktikteil nicht behaupten - und das im besten Sinne. Innerhalb von 40 Stunden Spielzeit ist mir keine einzige langweilige Mission begegnet. Eher andersherum: Jede Mission war spannend. Das liegt an mehreren Faktoren, ausgenommen die verschiedenen Missionstypen. Meistens muss man an einem Ort zur rechten Zeit sein oder einfach alles töten. Nein, viel interessanter ist die Kombination an zufallsgenerierten Elementen, Progression und höherer Gewalt.

Erst einmal sind die Karten so aufgebaut, dass sie sich aus unterschiedlichen Startpositionen ganz anders spielen. Dann bekommt man alle paar Missionen einen neuen Feindtyp vorgesetzt, den man kennenlernen muss. Viele Aliens sind Abwandlungen bekannter Gegner, aber jeder hat ein paar neue Tricks drauf, die unbedachte Teams so richtig schön auseinandernehmen können. Dann sind alle Gebäude mit Explosionen oder einfach nur fiesen Schusswaffen zerstörbar, so dass die Umgebung immer im Flux ist und man Laufpfade sowie Deckungsberechnungen darauf einstellen muss. Sogenannte globale Dark Events können euch außerdem gemein in die Planung grätschen, etwa durch einen Monat Sonderverstärkung oder indem sie euch die Schleichmechanik zeitweise wegnehmen. Und zuletzt kann man nicht mal immer mit dem gleichen Team spielen.

Jeder Kratzer schickt eure Soldaten mindestens ein paar Tage ins Lazarett, also müsst ihr gezwungenermaßen rotieren - und jedes Teammitglied bestimmt, wie ihr spielen solltet. Schneller Frontalangriff, einzelne Gruppen herauspicken oder doch lieber Feinde umgehen? Wie gesagt: Jede einzelne Mission war spannend und neu. In 40 Stunden Spielzeit. Mit zufallsgeneriertem Inhalt. Das ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Aber ich muss sagen, dass ich im Endgame ein wenig die Geduld mit zufälligen "Notfall"-Missionen verlor. Ich wollte eigentlich nur noch die Storymissionen abarbeiten, aber ständig hat es wieder irgendwo gebrannt. Das nervte, aber wenn man gut steht, kann man solche Missionen auch ignorieren.

xcom-03Die Avenger ist XCOMs mobile Basis.

Kein Firaxis-Spiel ohne Glitches
Glitches sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel - aber wann hat Firaxis auch das letzte Mal ein bugfreies Spiel programmiert? Wir versuchen heute noch erfolglos, Civilization 5 im LAN mit mehr als drei Spielern zum Laufen zu kriegen. Immerhin sind die Fehler hier hauptsächlich kosmetischer Natur. Soldaten zerschlagen mit dem Gewehrkolben die "Fensterscheibe" eines Lasergitters, stehen beim Schießen im 90-Grad-Winkel zu ihrem Ziel oder warpen zum Ballern durch Wände. Manchmal kommt es auch vor, dass sich ein filmischer Slowdown nicht rechtzeitig aufhebt. Dann muss sich der Feind nach einem Fehltreffer erst mal eine halbe Minute erholen, bevor man weiterspielen darf.

Gameplay-Fehler sind selten, aber sie existieren. Ich hatte zwei oder drei Fälle, in denen ich einen Granatenwurf nicht per Klick bestätigen konnte. Stattdessen ließ ich den Mauszeiger an der Zielstelle ruhen und warf mit der Enter-Taste. Unerhört wird es dagegen, wenn Wände einstürzen. Dann kann es sein, dass das Mauerwerk optisch noch wunderbar steht, mechanisch aber nur noch als halbhohe Deckung zählt und jeder Hans und Franz mit aktiver Overwatch hindurchschießen kann. Aber auch das geschieht eher selten. Glitches und Bugs sind nervig, waren bei mir aber nie spielentscheidend.

Fazit
XCOM 2 hat eine Menge Macken, keine Frage. Allein das taktische Regelsystem könnte mal ein Update vertragen. Die Trefferwahrscheinlichkeiten sind ein Graus und es ist nicht immer nachvollziehbar, warum der Wechsel in eine eigentlich vorteilhafte Position kaum Vorteile bringt. Optische Glitches gehören zur typischen Firaxis-Programmierlandschaft und der Spieleinstieg ist alles andere als intuitiv. Trotzdem ist XCOM 2 ein tolles Spiel. Ja, es gab deprimierende Scheißtage, an denen Aliens meine Leute geschlossen ins Krankenhaus geprügelt haben. Aber für jeden Tiefpunkt gibt es ein Dutzen Momente, in denen Torsten, Adrian, Haris, Ben und Vivi durch mein taktisches Geschick den Invasoren die Ärsche mit einer Ladung magnetisiertem Plasma zerfleddert haben und triumphierend, unverletzt und siegreich auf ihren deformierten Leichen tanzten. In diesen Momenten habe ich vor dem Bildschirm mitgetanzt. Und das macht kaum ein Spiel.

XCOM 2 wurde auf dem PC (Windows 10 64-Bit, 16 GByte RAM, Intel Core i5-4690, Nvidia GeForce GTX 970) getestet. Ein Testmuster wurde uns von 2K Games zur Verfügung gestellt.

XCOM 2

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A
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Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

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05. Februar 2016
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