Jet Set Radio HD

(Artikel)
Rian Voß, 19. November 2012

Jet Set Radio HD

Humming the Baseline

Es gibt Leute, die behaupten, der Dreamcast wäre von allen Konsolen die beste gewesen. Dafür gibt es viele Gründe, etwa dass Segas letzter Beitrag zum Console War wegen des eingebauten Modems und der Virtual Memory Card seiner Zeit voraus war. Falls sowas aber bei irgendwem nicht zieht, kann man immer das Spieleangebot aufzählen, welches so umfangreich und einfach nur gut ist, dass bis zum heutigen Tage noch Remakes und Fortsetzungen angefertigt werden. Die Spiele für den kleinen, weiß-grauen Kasten zeichneten sich dabei besonders durch eine Originalität aus, die man auf anderen Plattformen lange suchen musste. Der eine Titel, der seinerzeit ganz besonders viele Hüte abgezwirbelt hat, war Jet Set Radio - hier musste man mit einem Haufen Kindern auf Inlinern das unterdrückte Tokyo-To mit Graffitis besprühen und der Polizei entkommen. Inzwischen wurde der in Amerika als Jet Grind Radio bekannte Titel - so wie alles, mit dem Sega Nostalgisten und alten Fans noch Geld aus der Tasche ziehen kann - als HD-Version auf die Online-Konsolenmarktplätze portiert.


Man übernimmt die Rolle der Straßenbande namens GGs. Diese haben es sich zum Ziel gesetzt, das sehr autoritäre Tokyo-To ein bisschen aufzulockern, indem sie an ihren Mitbürgern vorbeigrinden und Busse, Häuser- oder Plakatwände mit fetzigen Symbolen und Schriftzügen besprühen. Zuweilen gibt es da natürlich auch mal Konflikte mit anderen Banden - etwa den Noise Tanks oder der Poison Jam - und der Tokyo-Toer Polizei sowie späterhin dem Rokkaku-Konzern. Das alles wird kommentiert vom Moderatoren des einzig freien Radiosenders der Stadt, dem abgedrehten DJ Professor K und seinem Jet Set Radio.
Die Geschichte um das Schicksal der Metropole war selbst für mich, als ich 13 war, schon ziemlich aus den Fingern gesogen und heute gibt sie noch viel weniger her. Sie ist auch so merkwürdig, dass man wahrscheinlich Japaner sein muss, um sie vollständig schätzen zu können. Stichwort "vom anderen Stern": Da kommen auch die Charaktere her. Professor K, dem die Haare zu Berge stehen, so dass er aussieht wie ein schwarzer Samurai-Dämon aus asiatischen, mythologischen Zeichnungen, und der "Protagonist" Beat, mit seinen Schutzbrillen-Käferaugen und seinem restlichen Kader an modebewussten Urban-Vandalen, prägen mit den ihnen zugeteilten Kontrahenten wirklich ein sehr starkes Bild. Im Zusammenhang mit damals erstmals eingeführten Cel-Shading sieht das Spiel, egal in welcher Version, heute immer noch zeitlos gut aus. Alte Hasen werden den imposanten Style wohl nie vergessen und an Grafikdesign Interessierte sollten den Schritt in die Vergangenheit auf jeden Fall wagen.

Was leider nicht sonderlich gut gealtert ist, ist das Gameplay. Jet Set Radio verfügt in der Regel über sehr simple Aufträge: Komme in einem Stadtgebiet an, sammle Sprühdosen ein, übersprühe Graffitis oder Plakate und mache das so lange, bis du fertig bist oder ein Bossgegner auftaucht. Nach einem gewissen Fortschritt treten dann auch immer mehr und schwierigere Feinde - anfangs etwa der schrille Polizeikommissar mit seiner Overkill-Magnum, später gerne auch Panzer und Helikopter - auf den Plan. Diese sollte man in den meisten Fällen umgehen und nicht offen konfrontieren.
Dieses Konzept ermüdet leider trotz etwas Auflockerung hier und da relativ schnell, was früher okay war, weil es soooo hübsch aussah. Erschwerend kommt aber hinzu, dass die Missionen - sobald man geschnallt hat, dass man die schwierigsten Graffitis zuerst sprühen sollte - sich häufig in Sekundenschnelle lösen lassen und die fast schon gruselige Steuerung das einzige Hindernis ist, das sich einem auf dem Weg zum ultimativen JET-Ranking in den Weg stellt: So gibt es überall im Level kleine Plattformen und Lücken, die sich mit den sehr ungefähren Sprüngen nur sehr schwer erwischen lassen; man knallt viel zu leicht in Gegner rein, die sich außerdem zu Hauf außerhalb des Kamerabereichs tummeln und einem das Leben schwer machen - die Kamera ist in den sehr klaustrophobischen Levels ohnehin in 90% der Fälle vollkommen überfordert. Das größte Verbrechen ist aber die Idee, dass man Geschwindigkeit beim Grinden nur aufnehmen kann, wenn man Sprünge ausführt. Noch besser sind Lufttricks - diese kommen entweder nur zum Vorschein, wenn man schon schnell genug ist und verlängern die Flugzeit immer genau dann, wenn man es überhaupt nicht braucht, oder durch einen den Daumen zerstörende Analogstick-Eingabe, bei der man zum richtigen Zeitpunkt erst nach vorne, dann wieder nach hinten und dann wieder nach vorne drücken muss. Dieses Stick-Gefrickel gestaltet dann die Sprungrichtung auch absolut willkürlich. Immerhin kann man am Boden boosten, um Geschwindigkeit aufzunehmen - auf anderthalb Quadratmetern bringt der Anlauf dann aber auch nichts.
Ich hatte ja die leise Hoffnung, dass man für die HD-Version die wesentlich bessere Steuerung aus Jet Set Radio Future zur Verfügung stellen würde, aber da wünschte ich mir wohl schon zu viel. Jedenfalls darf man sich bei der Eroberung von Tokyo-To auf viele ungerechtfertigte Abstürze, Tode und abgelaufene Timer einstellen, was Jet Set Radio wahrscheinlich zu einem der frustrierendsten Einträge der neueren Videospielegeschichte macht.


Wer von dem HD-Port mehr erwartet als nur ein grafisches Update, wird enttäuscht sein: Es ist noch alles beim Alten, abgesehen von Tastenkommandos, die dem Layout der jeweiligen Konsole entsprechen. Ich habe außerdem das Gefühl, dass die Tonspur des guten Professor K in der 360-Version hart übersteuert und verzerrt - insofern sogar eine Verschlechterung gegenüber dem Original. Immerhin blieb der hervorragende, beatige Soundtrack unangetastet.
Es gibt zusätzlich noch ein kleines Making-Of, welches allerdings so gut wie keine tieferen Einblicke in die Entwicklung des Titels gibt, sondern nur ein wenig erläutert, wie die Menschen von SmileBit überhaupt auf so eine funkige Idee gekommen sind. Und Leaderboards dürfen selbstverständlich auch nicht fehlen.

Jet Set Radio wurde konserviert: Die gute Grafik, die verflucht großartige Musik, das schreckliche Gameplay und die verrückten Charaktere haben nun alle ihren Weg ins Online-Museum gefunden. Worauf ich nun allerdings hoffe, ist die Portierung des damals schon um Klassen bessere Jet Set Radio Futures für die erste Xbox. In das Spiel habe ich gefühlt Jahre hineinversenkt und ich würde mich nicht schämen, diese Leistungen für ein paar Achievements zu wiederholen! Den ersten Teil kann man dagegen einmal aus Neugier heraus angespielt haben und dann wieder ins Regal stellen. Rian

Kommentare

Bisher hat dieser Artikel keine Kommentare. Sei der erste, der einen Kommentar veröffentlicht!
Gast
28. April 2024 um 04:26 Uhr
GASTNAME
E-MAIL (nicht öffentlich)
      
SICHERHEITSFRAGE
Mit wie vielen "d" schreibt sich "dailydpad"?
ANTWORT

Themen

Nostalgie
Sparte - Wir schwelgen in Erinnerungen. Hach, die guten alten Zeiten... Wer auf alt gemachte Dinge sucht, denkt an Retro.
Review
Sparte - Wenn es nicht bei drei auf dem Baum ist, testen wir es.

Gefällt dir unser Artikel?

Spiele des Artikels

RELEASE
19. September 2012
PLATTFORM
Android
Plattform
iOS
Plattform - Apples Betriebssystem für Mobilgeräte.
PC
Plattform - PC-Spiele haben mit die älteste Tradition. Heutzutage laufen die meisten Games unter dem Microsoft Windows.
Playstation 3
Plattform
PS Vita
Plattform
Xbox 360
Plattform

Ähnliche Artikel