Diversität in der Videospielbranche
Diversität in der Videospielbranche
Brauchen wir wirklich mehr Frauen und Minderheiten?
Es gilt als eines der größten Probleme der Videospielbranche: Die Leute, die tatsächlich Videospiele spielen, werden weder in den Spielen noch in den Entwicklungsteams ausreichend repräsentiert, zugunsten eines Fokus auf junge, weiße Männer. Frauen und Minderheiten kommen dagegen zu kurz.
Die Zahlen sprechen da doch eine deutliche Sprache, wie man am Exempel des Frauenanteils sehen kann. Eine Studie der amerikanischen Entertainment Software Association aus dem letzten Jahr zeigte immerhin einen Anteil von 48 Prozent in den USA. Zahlen aus Japan, Europa und Australien lagen nur knapp darunter. In England stellen sie mit 52 Prozent sogar die Mehrheit. Im starken Gegensatz dazu steht allerdings der Anteil in der Videospielentwicklung: Laut einer Studie der Independent Game Developers Association von 2014 sind gerade mal 22 Prozent weiblich.
Und wenn man viele Meinungen und Editorials zu diesem Thema liest, könnte man meinen, dahinter stecke eine kolossale Ungerechtigkeit, ein System, das Frauen prinzipiell zurückhält. Jeder Beweis, den man dafür suchen müsste, sei in eben diesen 22 Prozent zu finden. Es sei keine Zeit für Diskussionen, sondern für Taten.
Frauen in der Entwicklung
Das Problem, wenn man hier einfach nur laut "Ungerechtigkeit" schreit, ist aber, dass man dies kaum anhand der Zahl ausmachen kann, weil zu viele Aspekte zusammenkommen. Es ist eine komplexe Situation, die man nicht einfach in Schwarz und Weiß zeichnen kann.
Wie sieht es mit den Arbeitsbedingungen aus und wie vertragen sich diese zum Beispiel mit dem Konstrukt der Familie? Eine Frau, die gerne Kinder kriegen will, wird wahrscheinlich wenig Lust haben, während ihrer Schwangerschaft plötzlich mit mehrmonatiger unbezahlter Crunchtime konfrontiert zu werden, was die Spielebranche weitläufig ungeeignet macht. Aber diese Situation ist ohnehin eine Ungerechtigkeit für sich.
Auch der Faktor Sexismus muss immer aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Wird eine Frau in einem Entwicklerstudio für ihre Fähigkeiten akzeptiert oder erwartet sie eine konstante Reduktion auf ihr Geschlecht und Äußeres? Inwieweit schreckt das Getrolle manch radikaler Elemente in der Spielergemeinschaft potentielle Entwicklerinnen ab? Und inwieweit trägt die Spielepresse dazu bei, negative Aspekte übermäßig zu amplifizieren und damit einen Abschreckungseffekt entstehen zu lassen?
Und wo bleibt überhaupt der Nachwuchs? Es gibt viele Initiativen, die das Ziel haben, Mädchen für Technik zu begeistern. Fruchten diese? Und wenn nicht, woran liegt das? Wenn nämlich nur 18 Prozent der Informatikabsolventen weiblich sind (2014 in den USA), kann das durchaus erklären, warum auch der Anteil in der Branche niedrig bleibt. Auch hier ist eine tiefergehende Analyse notwendig, die klärt, wieso das System in diesem Bereich so wenig qualifizierte Frauen produziert.
Zu guter Letzt gibt es auch noch die biologische Perspektive. Inwieweit hat die menschliche Biologie einen Effekt, der unsere Interessen mitbestimmt? Die erste Meta-Studie, die sich mit neurowissenschaftlichen Befunden der letzten 20 Jahre zum Thema geschlechterspezifische Gehirnunterschiede befasst hat, fand Belege dafür, dass es signifikante Unterschiede in Aufbau und Größe des Gehirnes zwischen den Geschlechtern gab. Da sich die Studie nicht mit der Fragestellung beschäftigt hat, inwieweit die Ursache biologisch bedingt ist oder in der Natur liegt, kann sie hierzu keine klare Aussage treffen. Mir stellt sich hier die Frage, ob, wenn wir davon ausgehen, dass es biologische Differenzen geben kann, solche Unterschiede Einfluss auf unsere Aptitude für gewisse Themenbereiche haben können. Oder, anders gefragt: Könnte es sein, dass, wenn Männer und Frauen komplett frei nach ihren Interessen her entscheiden könnten, frei von Stigmata und Stereotypen, dass wir einfach keine klare 50/50-Distribution in manchen Berufsfeldern kriegen würden, sondern eine Ungleichverteilung in manchen Bereichen, die die logische Folge dieser Freiheit wäre?
Das sind alles Faktoren, die erst ausführlich betrachtet werden müssen, bevor man überhaupt über die simple Gerechtigkeits-Dichotomie nachdenken kann. Dennoch überspringen viele Leute diesen Schritt, denn wenn man etwas als ungerecht oder unfair erklärt, hat es einen ganz simplen Vorteil: Jeder, der einem selbst nicht zustimmt, muss ja dann quasi per Definition automatisch FÜR Ungerechtigkeit und FÜR Unfairness sein. Also ganz einfach ein schlechter Mensch. Auf den muss man gar nicht hören, seine Argumente lassen sich vollkommen ignorieren, denn nun ist die Diskussion plötzlich polarisiert. Man selbst, glaubt man, steht für was unbezweifelbar Gutes ein, denn jeder mit Gegenargumenten ist doch ein Kämpfer für den bitterbösen Status Quo. Es wird eine Realität konstruiert, die vor Zirkelschlüssen nur so strotzt.
Dabei sollte man vielleicht auch verstehen, dass nicht für jeden verständlich ist, wieso ein geringer Frauenanteil in manchen Branchen pauschal ungerecht ist. Es fällt schwer, dies als unfair oder ungerecht zu empfinden, weil wir erwarten, dass Ungerechtigkeit auch immer eine klar definierte Ursache hat. Wenn zum Beispiel in den Medien das Bild eines toten, syrischen Jungen sieht, dessen gekrümmter Körper an einem Strand liegt, die Augen geschlossen, wie wenn er gerade seelenruhig ein Schläfchen halten würde, dann folgt direkt eine Phase der Introspektion, in der man sich fragt, inwiefern man selbst an diesem grausamen Schicksal beteiligt ist und ob man nicht hätte mehr tun können, um dies zu verhindern.
Wenn man hingegen vom Frauenanteil in der Videospielbranche spricht, dann klingt das für viele nach einem Problem, dass so nur bei uns existieren kann, einem typischen "First World Problem". Es fehlt ein Schuldiger und es fehlt eine klare Ursache, mit der man ein systematisches Problem aufzeigen könnte. Es gibt keinen großen Publisher, dem man sexuelle Diskriminierung im Recruiting-Prozess vorwerfen könnte, oder irgendeine Entwicklerschmiede, in der weibliche Angestellte dauerhaft sexuellen Übergriffen ausgesetzt sehen. Man kann weder mit dem Finger zeigen, noch selbst in den Spiegel schauen, denn es gibt eben nur stark verteilte Einzelfälle, meistens im Indie-Bereich, die man aber kaum als systematisch für die gesamte Spieleindustrie interpretieren kann.
Eine solche Zahl kann und sollte Diskussionen auslösen – man kann zum Vergleich ja einfach heranziehen, dass beispielsweise in den USA der durchschnittliche Frauenanteil in der IT-Branche bei 30 Prozent liegt und die Videospieleindustrie dieser tendenziell zuzuordnen wäre, wir also hier eine Diskrepanz haben – aber sie sollte eben nicht als Totschlagargument dienen, um solch einen aufkeimenden Dialog direkt wieder zu beenden.
Bisher haben wir Faktoren betrachtet, die Einfluss darauf haben können, wieso die Videospielindustrie tendenziell wenig Vielfalt in manchen Bereichen bietet. Aber das klärt die eingangs gestellte Frage, ob wir überhaupt mehr Diversität brauchen, natürlich noch nicht. Und auch wenn bekannte Internetgesetze diktieren, dass provokante Titelfragen generell mit einem "Nein" beantwortet werden können, brechen wir hier einmal die Regel: Ja, wir brauchen mehr Diversität in der Spielebranche! Aber eben nicht motiviert aus dem Einsatz eines verqueren Gerechtigkeitsbegriffs. Man kann für Diversität argumentieren und dabei auf sachlicher Ebene bleiben ohne eine polarisierte Situation zu kreieren, in der es nur Schwarz oder Weiß gibt.
Gut für's Geschäft...
Einer der stärksten Gründe für Diversität ist die simple Tatsache, dass diverse Teams bessere Resultate abliefern. Man muss sich nur die diesjährige Studie der prestigereichen McKinsey-Unternehmensberatung anschauen um zu sehen, dass Diversität glasklare Vorteile bietet.
McKinsey hat in ihrer Analyse herausgefunden, dass Firmen, die in ihrer Branche im obersten Viertel für Geschlechter- oder Ethnizitäten-Diversität lagen, auch eine höhere Wahrscheinlichkeit hatten, überdurchschnittlich stark zu performen. Bei den Firmen mit starker Geschlechter-Diversität lag die Wahrscheinlichkeit, mehr als den Industriemedian zu erwirtschaften, bei 15 Prozent. Noch deutlicher wird der Unterschied, wenn man auf Diversität bei Ethnizität und Rasse achtet, dort sind es nämlich 35 Prozent. Interessant ist auch, dass Unternehmen, die im Bereich der Diversität sich im untersten Viertel aufhalten, eine niedrigere Wahrscheinlichkeit haben, verglichen mit dem Durchschnitt besser zu performen. Niedrigere Diversität bedeutet also nicht nur, nicht ganz oben mitzuspielen, sondern tatsächlich ins Hintertreffen zu geraten.
Doch wer mit dem kapitalistischen Argument nicht warm wird und sich auch nicht damit zufrieden gibt, dass Diversität auch Kreativität und Arbeitsmoral fördert, dem kann ich auch ein kulturelles Argument bieten. Denn wenn man die Perspektive von Frauen und bisher in der Videospieleindustrie unterrepräsentierten Minderheiten mit einbezieht, führt das zwangsläufig dazu, dass eben diese Perspektive auch im fertigen Produkt zu finden ist.
... und auch gut für die Spiele.
Das vielleicht eindrucksvollste Beispiel ist aber das letztjährige This War Of Mine. Von den Gamern gibt es beeindruckende 95 Prozent positiver Reviews auf Steam (bei mehr als 11.000 Spielermeinungen) und viele sonst spielefremde Medien, wie hierzulande ZEIT Online, berichteten darüber. Der Grund? In This War of Mine sah man den Krieg nicht etwa aus den Augen eines Soldaten mit Waffe im Anschlag, sondern als Zivilisten, die nicht kämpften, sondern vor den Schrecken fliehen wollten.
Spiele, die sonst Krieg thematisiert haben, taten dies ausschließlich aus der Perspektive der Kämpfer. Es wurden Militärveteranen interviewt, die Schlachten sollten durch ihren Input authentisch wirken. Der Rest wurde, wenn überhaupt, am Rande behandelt, das menschliche Leid sollte eben nicht im Wege des Spaßes stehen. Für This War of Mine ließen sich die polnischen Entwickler von der Belagerung Sarajevos im Bosnienkrieg inspirieren, der längsten Belagerung einer Stadt seit dem zweiten Weltkrieg. So interviewten sie Überlebende, studierten Quellmaterial und befassten sich auch mit aktuellen Konflikten, wie dem in Syrien (hier gab es von den Entwicklern sogar in diesem Jahr DLC, dessen Einnahmen für eine Einrichtung zur Unterstützung von syrischen Kindern komplett gespendet wurden), um eben den Blickwinkel der sonst so oft vergessen Opfer solcher Kriege einfangen zu können.
Der Erfolg und insbesondere die positive Rezeption in der Spielergemeinschaft gab den 11 bit studios durchaus Recht mit ihrem mutigen Ansatz, doch ihr Spiel ist nur eines von vielen aus den letzten Jahren, die eben in diese Bresche geschlagen haben. Gone Home, Never Alone (Kisima Ingitchuna), Valiant Hearts und mehr - alles Titel, die in enger Zusammenarbeit sonst marginalisierte Perspektiven aufgezeigt haben. Es zeigt, dass Diversität hinter den Kulissen zu neuen, interessanten Spieleerfahrungen führen kann, eben weil man so viele Perspektiven hat, die in einem homogenen Team womöglich nicht existieren würden.
Diversität ist für die Spieleindustrie sehr wichtig, bringt sie doch nicht nur höhere Erträge, sondern sorgt auch für einzigartige und spielenswerte Erfahrungen auf unseren Konsolen, Rechnern und Handys. Auch wenn es schwer zu sagen ist, was genug Diversität wäre, ist klar, dass in der Spielebranche, gerade auch im Vergleich zu ähnlichen Berufsfeldern, noch viel Potenzial existiert, aber auch große Herausforderungen warten, die gemeistert werden müssen. Von mehr Diversität profitieren wir alle: Publisher, Entwickler und die Gamer.
Aber wir müssen aufhören, das Thema Diversität für eine polarisierende Diskussion zu missbrauchen, in der es nur darum geht, jeden, der anders denkt, möglichst einfach zu entmenschlichen, damit man sich selbst gut fühlen kann, weil man für das Richtige einsteht. Statt den emotionalen Ansatz zu wählen, kann man auch einfach logisch an das Thema rangehen, denn die Argumente für Diversität sind schlagkräftig. Eine, wie bisher, mit polemischen Argumenten geführte Debatte hingegen degeneriert nur zu einer unsinnigen Schlammschlacht, die wirklich niemandem weiterhilft.Haris
Die Meinung in Beiträgen mit dem Tag "Jetzt spreche ICH!" muss nicht unbedingt der des ganzen DPads entsprechen. Kann! Muss aber nicht.
Die Zahlen sprechen da doch eine deutliche Sprache, wie man am Exempel des Frauenanteils sehen kann. Eine Studie der amerikanischen Entertainment Software Association aus dem letzten Jahr zeigte immerhin einen Anteil von 48 Prozent in den USA. Zahlen aus Japan, Europa und Australien lagen nur knapp darunter. In England stellen sie mit 52 Prozent sogar die Mehrheit. Im starken Gegensatz dazu steht allerdings der Anteil in der Videospielentwicklung: Laut einer Studie der Independent Game Developers Association von 2014 sind gerade mal 22 Prozent weiblich.
Und wenn man viele Meinungen und Editorials zu diesem Thema liest, könnte man meinen, dahinter stecke eine kolossale Ungerechtigkeit, ein System, das Frauen prinzipiell zurückhält. Jeder Beweis, den man dafür suchen müsste, sei in eben diesen 22 Prozent zu finden. Es sei keine Zeit für Diskussionen, sondern für Taten.
Frauen in der Entwicklung
Das Problem, wenn man hier einfach nur laut "Ungerechtigkeit" schreit, ist aber, dass man dies kaum anhand der Zahl ausmachen kann, weil zu viele Aspekte zusammenkommen. Es ist eine komplexe Situation, die man nicht einfach in Schwarz und Weiß zeichnen kann.
Wie sieht es mit den Arbeitsbedingungen aus und wie vertragen sich diese zum Beispiel mit dem Konstrukt der Familie? Eine Frau, die gerne Kinder kriegen will, wird wahrscheinlich wenig Lust haben, während ihrer Schwangerschaft plötzlich mit mehrmonatiger unbezahlter Crunchtime konfrontiert zu werden, was die Spielebranche weitläufig ungeeignet macht. Aber diese Situation ist ohnehin eine Ungerechtigkeit für sich.
Auch der Faktor Sexismus muss immer aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Wird eine Frau in einem Entwicklerstudio für ihre Fähigkeiten akzeptiert oder erwartet sie eine konstante Reduktion auf ihr Geschlecht und Äußeres? Inwieweit schreckt das Getrolle manch radikaler Elemente in der Spielergemeinschaft potentielle Entwicklerinnen ab? Und inwieweit trägt die Spielepresse dazu bei, negative Aspekte übermäßig zu amplifizieren und damit einen Abschreckungseffekt entstehen zu lassen?
Cryteks Tweet über Crunchtime ging für viele Entwickler unter die Gürtellinie.
Und wo bleibt überhaupt der Nachwuchs? Es gibt viele Initiativen, die das Ziel haben, Mädchen für Technik zu begeistern. Fruchten diese? Und wenn nicht, woran liegt das? Wenn nämlich nur 18 Prozent der Informatikabsolventen weiblich sind (2014 in den USA), kann das durchaus erklären, warum auch der Anteil in der Branche niedrig bleibt. Auch hier ist eine tiefergehende Analyse notwendig, die klärt, wieso das System in diesem Bereich so wenig qualifizierte Frauen produziert.
Zu guter Letzt gibt es auch noch die biologische Perspektive. Inwieweit hat die menschliche Biologie einen Effekt, der unsere Interessen mitbestimmt? Die erste Meta-Studie, die sich mit neurowissenschaftlichen Befunden der letzten 20 Jahre zum Thema geschlechterspezifische Gehirnunterschiede befasst hat, fand Belege dafür, dass es signifikante Unterschiede in Aufbau und Größe des Gehirnes zwischen den Geschlechtern gab. Da sich die Studie nicht mit der Fragestellung beschäftigt hat, inwieweit die Ursache biologisch bedingt ist oder in der Natur liegt, kann sie hierzu keine klare Aussage treffen. Mir stellt sich hier die Frage, ob, wenn wir davon ausgehen, dass es biologische Differenzen geben kann, solche Unterschiede Einfluss auf unsere Aptitude für gewisse Themenbereiche haben können. Oder, anders gefragt: Könnte es sein, dass, wenn Männer und Frauen komplett frei nach ihren Interessen her entscheiden könnten, frei von Stigmata und Stereotypen, dass wir einfach keine klare 50/50-Distribution in manchen Berufsfeldern kriegen würden, sondern eine Ungleichverteilung in manchen Bereichen, die die logische Folge dieser Freiheit wäre?
Das sind alles Faktoren, die erst ausführlich betrachtet werden müssen, bevor man überhaupt über die simple Gerechtigkeits-Dichotomie nachdenken kann. Dennoch überspringen viele Leute diesen Schritt, denn wenn man etwas als ungerecht oder unfair erklärt, hat es einen ganz simplen Vorteil: Jeder, der einem selbst nicht zustimmt, muss ja dann quasi per Definition automatisch FÜR Ungerechtigkeit und FÜR Unfairness sein. Also ganz einfach ein schlechter Mensch. Auf den muss man gar nicht hören, seine Argumente lassen sich vollkommen ignorieren, denn nun ist die Diskussion plötzlich polarisiert. Man selbst, glaubt man, steht für was unbezweifelbar Gutes ein, denn jeder mit Gegenargumenten ist doch ein Kämpfer für den bitterbösen Status Quo. Es wird eine Realität konstruiert, die vor Zirkelschlüssen nur so strotzt.
Dabei sollte man vielleicht auch verstehen, dass nicht für jeden verständlich ist, wieso ein geringer Frauenanteil in manchen Branchen pauschal ungerecht ist. Es fällt schwer, dies als unfair oder ungerecht zu empfinden, weil wir erwarten, dass Ungerechtigkeit auch immer eine klar definierte Ursache hat. Wenn zum Beispiel in den Medien das Bild eines toten, syrischen Jungen sieht, dessen gekrümmter Körper an einem Strand liegt, die Augen geschlossen, wie wenn er gerade seelenruhig ein Schläfchen halten würde, dann folgt direkt eine Phase der Introspektion, in der man sich fragt, inwiefern man selbst an diesem grausamen Schicksal beteiligt ist und ob man nicht hätte mehr tun können, um dies zu verhindern.
Wenn man hingegen vom Frauenanteil in der Videospielbranche spricht, dann klingt das für viele nach einem Problem, dass so nur bei uns existieren kann, einem typischen "First World Problem". Es fehlt ein Schuldiger und es fehlt eine klare Ursache, mit der man ein systematisches Problem aufzeigen könnte. Es gibt keinen großen Publisher, dem man sexuelle Diskriminierung im Recruiting-Prozess vorwerfen könnte, oder irgendeine Entwicklerschmiede, in der weibliche Angestellte dauerhaft sexuellen Übergriffen ausgesetzt sehen. Man kann weder mit dem Finger zeigen, noch selbst in den Spiegel schauen, denn es gibt eben nur stark verteilte Einzelfälle, meistens im Indie-Bereich, die man aber kaum als systematisch für die gesamte Spieleindustrie interpretieren kann.
Eine solche Zahl kann und sollte Diskussionen auslösen – man kann zum Vergleich ja einfach heranziehen, dass beispielsweise in den USA der durchschnittliche Frauenanteil in der IT-Branche bei 30 Prozent liegt und die Videospieleindustrie dieser tendenziell zuzuordnen wäre, wir also hier eine Diskrepanz haben – aber sie sollte eben nicht als Totschlagargument dienen, um solch einen aufkeimenden Dialog direkt wieder zu beenden.
Bisher haben wir Faktoren betrachtet, die Einfluss darauf haben können, wieso die Videospielindustrie tendenziell wenig Vielfalt in manchen Bereichen bietet. Aber das klärt die eingangs gestellte Frage, ob wir überhaupt mehr Diversität brauchen, natürlich noch nicht. Und auch wenn bekannte Internetgesetze diktieren, dass provokante Titelfragen generell mit einem "Nein" beantwortet werden können, brechen wir hier einmal die Regel: Ja, wir brauchen mehr Diversität in der Spielebranche! Aber eben nicht motiviert aus dem Einsatz eines verqueren Gerechtigkeitsbegriffs. Man kann für Diversität argumentieren und dabei auf sachlicher Ebene bleiben ohne eine polarisierte Situation zu kreieren, in der es nur Schwarz oder Weiß gibt.
Gut für's Geschäft...
Einer der stärksten Gründe für Diversität ist die simple Tatsache, dass diverse Teams bessere Resultate abliefern. Man muss sich nur die diesjährige Studie der prestigereichen McKinsey-Unternehmensberatung anschauen um zu sehen, dass Diversität glasklare Vorteile bietet.
McKinsey hat in ihrer Analyse herausgefunden, dass Firmen, die in ihrer Branche im obersten Viertel für Geschlechter- oder Ethnizitäten-Diversität lagen, auch eine höhere Wahrscheinlichkeit hatten, überdurchschnittlich stark zu performen. Bei den Firmen mit starker Geschlechter-Diversität lag die Wahrscheinlichkeit, mehr als den Industriemedian zu erwirtschaften, bei 15 Prozent. Noch deutlicher wird der Unterschied, wenn man auf Diversität bei Ethnizität und Rasse achtet, dort sind es nämlich 35 Prozent. Interessant ist auch, dass Unternehmen, die im Bereich der Diversität sich im untersten Viertel aufhalten, eine niedrigere Wahrscheinlichkeit haben, verglichen mit dem Durchschnitt besser zu performen. Niedrigere Diversität bedeutet also nicht nur, nicht ganz oben mitzuspielen, sondern tatsächlich ins Hintertreffen zu geraten.
Doch wer mit dem kapitalistischen Argument nicht warm wird und sich auch nicht damit zufrieden gibt, dass Diversität auch Kreativität und Arbeitsmoral fördert, dem kann ich auch ein kulturelles Argument bieten. Denn wenn man die Perspektive von Frauen und bisher in der Videospieleindustrie unterrepräsentierten Minderheiten mit einbezieht, führt das zwangsläufig dazu, dass eben diese Perspektive auch im fertigen Produkt zu finden ist.
... und auch gut für die Spiele.
This War of Mine
Das vielleicht eindrucksvollste Beispiel ist aber das letztjährige This War Of Mine. Von den Gamern gibt es beeindruckende 95 Prozent positiver Reviews auf Steam (bei mehr als 11.000 Spielermeinungen) und viele sonst spielefremde Medien, wie hierzulande ZEIT Online, berichteten darüber. Der Grund? In This War of Mine sah man den Krieg nicht etwa aus den Augen eines Soldaten mit Waffe im Anschlag, sondern als Zivilisten, die nicht kämpften, sondern vor den Schrecken fliehen wollten.
Spiele, die sonst Krieg thematisiert haben, taten dies ausschließlich aus der Perspektive der Kämpfer. Es wurden Militärveteranen interviewt, die Schlachten sollten durch ihren Input authentisch wirken. Der Rest wurde, wenn überhaupt, am Rande behandelt, das menschliche Leid sollte eben nicht im Wege des Spaßes stehen. Für This War of Mine ließen sich die polnischen Entwickler von der Belagerung Sarajevos im Bosnienkrieg inspirieren, der längsten Belagerung einer Stadt seit dem zweiten Weltkrieg. So interviewten sie Überlebende, studierten Quellmaterial und befassten sich auch mit aktuellen Konflikten, wie dem in Syrien (hier gab es von den Entwicklern sogar in diesem Jahr DLC, dessen Einnahmen für eine Einrichtung zur Unterstützung von syrischen Kindern komplett gespendet wurden), um eben den Blickwinkel der sonst so oft vergessen Opfer solcher Kriege einfangen zu können.
Never Alone, ein Spiel, das sich mit den Ureinwohnern Alaskas beschäftigt.
Der Erfolg und insbesondere die positive Rezeption in der Spielergemeinschaft gab den 11 bit studios durchaus Recht mit ihrem mutigen Ansatz, doch ihr Spiel ist nur eines von vielen aus den letzten Jahren, die eben in diese Bresche geschlagen haben. Gone Home, Never Alone (Kisima Ingitchuna), Valiant Hearts und mehr - alles Titel, die in enger Zusammenarbeit sonst marginalisierte Perspektiven aufgezeigt haben. Es zeigt, dass Diversität hinter den Kulissen zu neuen, interessanten Spieleerfahrungen führen kann, eben weil man so viele Perspektiven hat, die in einem homogenen Team womöglich nicht existieren würden.
Diversität ist für die Spieleindustrie sehr wichtig, bringt sie doch nicht nur höhere Erträge, sondern sorgt auch für einzigartige und spielenswerte Erfahrungen auf unseren Konsolen, Rechnern und Handys. Auch wenn es schwer zu sagen ist, was genug Diversität wäre, ist klar, dass in der Spielebranche, gerade auch im Vergleich zu ähnlichen Berufsfeldern, noch viel Potenzial existiert, aber auch große Herausforderungen warten, die gemeistert werden müssen. Von mehr Diversität profitieren wir alle: Publisher, Entwickler und die Gamer.
Aber wir müssen aufhören, das Thema Diversität für eine polarisierende Diskussion zu missbrauchen, in der es nur darum geht, jeden, der anders denkt, möglichst einfach zu entmenschlichen, damit man sich selbst gut fühlen kann, weil man für das Richtige einsteht. Statt den emotionalen Ansatz zu wählen, kann man auch einfach logisch an das Thema rangehen, denn die Argumente für Diversität sind schlagkräftig. Eine, wie bisher, mit polemischen Argumenten geführte Debatte hingegen degeneriert nur zu einer unsinnigen Schlammschlacht, die wirklich niemandem weiterhilft.Haris
Die Meinung in Beiträgen mit dem Tag "Jetzt spreche ICH!" muss nicht unbedingt der des ganzen DPads entsprechen. Kann! Muss aber nicht.
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