Life is Strange 2: Episode 2 Review

(Artikel)
Merle B., 30. April 2019

Life is Strange 2: Episode 2 Review

Die Superkraft der Pädagogik

Auch in der zweiten Folge, "Rules", befinden sich Sean und sein kleiner Bruder Daniel auf der Flucht vor der Polizei. Doch die Folge beginnt damit, dass die Brüder tatsächlich mal einen Moment der Ruhe bekommen: in einer verlassenen Hütte im Wald haben sie ein Lager aufgeschlagen, in dem sie sich einige Wochen von den Strapazen der ersten Folge erholen konnten.

Neben dem steten Verzehr von Dosenravioli ist die Hauptbeschäftigung der Brüder nun das Erforschen von Daniels Kräften. Was genau kann er? Steigern sich seine Fähigkeiten? Und wo ist das Limit? Diesen Fragen gehen die beiden Brüder spielerisch auf die Spur. Doch wie immer ist der Frieden nur flüchtig. Denn als Daniels Gesundheit zu schwächeln beginnt, sieht sich Daniel gezwungen, Hilfe bei Menschen zu suchen, denen er eigentlich kaum über den Weg traut: seinen entfremdeten Großeltern, die er seit Jahren nicht gesehen hat.

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Die Superkraft der Pädagogik
Während Sean sich in der ersten Episode überhaupt erst über die Kräfte seines Bruders im Klaren werden musste, haben wir in „Rules“ nun die Chance, diese so richtig kennenzulernen – und die Pflicht, Daniel einen verantwortungsbewussten Umgang damit beizubringen. Denn wie der Name der Folge schon verrät, dreht sich diesmal alles um Regeln. Weiterhin sind viele der Entscheidungen, die wir treffen müssen, pädagogische: wir müssen uns zwischen hässlichen Wahrheiten und tröstlichen Lügen entscheiden und vor allem gut überlegen, was wir unserem kleinen Bruder mit seiner Superkraft alles durchgehen lassen.

Mit Sean und Daniels Großeltern kommen ein paar neue Gesichter ins Spiel – und auch alte Bekannte treffen wir wieder. Denn „Rules“ ist die Folge, in der Chris, der junge Held aus der im Juni letzten Jahres kostenlos veröffentlichten Demo Captain Spirit, auftaucht. Dass sich zwischen dem comicbegeisterten Chris und Daniel alles um Superhelden dreht, liegt auf der Hand. Doch auch das Thema Familie tritt in dieser Episode weiter in den Vordergrund – denn in ihren Großeltern sehen Sean und Daniel auch eine Verbindung zu ihrer verschwundenen Mutter, die viele Jahre zuvor unter ungeklärten Umständen die Familie verließ. Wie wird ihre Reise weitergehen?

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Orte so flüchtig wie Sternschnuppen
Was sich in der ersten Folge bereits andeutete, wird in der zweiten schmerzlich klar: das Life-is-Strange-Spielkonzept und das Narrativ einer Flucht passen eigentlich nur bedingt gut zusammen. Die Bindung an Orte und Figuren, die wir im ersten Teil durch das genüssliche und oft auch wiederholte Entdecken von Räumen aufgebaut haben, bleibt leider aus, wenn wir wissen, dass jeder Ort, den wir besuchen, bald wieder hinter uns liegt und jede Figur, mit der wir sprechen, nur eine flüchtige Begegnung auf unserer Reise ist. Dass ich etwa in der verlassenen Waldhütte die Postkarten am Kühlschrank lesen kann, ist ein nettes Detail, doch wenn man bedenkt, dass wir den Ort fünf Minuten später ohnehin für immer verlassen werden, ziemlich bedeutungslos. Was in einer räumlich konstanten Handlung eine interessante Charakterisierung durch die Umwelt hätte sein können, eine Hintergrundinformation, die vielleicht sogar unsere Entscheidungen beeinflusst, ist hier nur ein beiläufiges Stück Flavor in einem kurzlebigen Raum. Es mag gemein klingen, doch es hat einen Grund, wieso das wohl berühmteste Spiel mit Schwerpunkt auf Umgebungserkundung "Gone Home" heißt und nicht "Gone to a random cabin in the woods, which I'm gonna leave forever in a few minutes".

Natürlich lässt sich berechtigt argumentieren, dass es gerade dieses Gefühl der Flüchtigkeit, des entwurzelt Seins ist, welches das Spiel kommunizieren möchte. Doch als dominante Atmosphäre über mehrere Folgen hinweg verliert es schnell an Eindringlichkeit und wirkt bald nur noch monoton. All das heißt keineswegs, dass Life is Strange 2 schlecht ist, doch die Handlung tut der Spielmechanik hier einfach keinen Gefallen – dabei war es genau dieses Zusammenspiel, welches die Abenteuer von Max und Chloe im Vorgänger so eindrucksvoll machte.

Zunehmend gleichförmig ist leider auch die Handlung. Bei einem episodischen Aufbau und einer Road Trip-artigen Handlung liegt auf der Hand, dass eine Episode je eine Station auf der Reise sein wird. Ebenfalls ist klar, dass es am Ende jeder Folge wieder auf die Straße geht, nachdem sich der letzte Ort nicht als sichere Bleibe erwiesen hat. Diese Formelhaftigkeit scheint in „Rules“ schlichtweg zu stark durch. Glück und Unglück brechen mit der Regelmäßigkeit von Ebbe und Flut über unsere Helden hinein – dramatisch und intensiv, aber eben auch vorhersehbar und in absurd regelmäßigen Abständen. Diese Vorhersehbarkeit nimmt vielen Geschehnissen einiges an emotionaler Wucht. Was einen in Life is Strange noch kalt erwischt hat, fühlt sich jetzt an wie eine traurige Unvermeidbarkeit.

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Die Qual der Nicht-Wahl
Dies liegt mitunter auch daran, dass die für Life is Strange so fundamentale Illusion, alle Ereignisse würden auf unseren Entscheidungen basieren, hier etwas wackelig aufgezogen ist. Natürlich ist mittlerweile allen klar, dass es feste Handlungsstationen gibt, die sich auch mit noch so viel Spielgeschick nicht umgehen lassen. Doch im Vorgänger war nie ganz durchsichtig, welche genau das waren: auch große, dramatische Vorfälle ließen sich manchmal verhindern und so entstand zuweilen der überwältigende Eindruck, dass einfach alles im Spiel von den eigenen Entscheidungen abhängen könnte. In „Rules“ kommt dieses Gefühl leider kaum auf. Es ist schwer zu sagen, ob es allein am Spiel liegt oder auch daran, dass die „Formel“ hinter den meisten entscheidungsbasierten Narrative Adventures offensichtlicher wird, je mehr man davon spielt. Doch leider ist diesmal meist schmerzlich transparent, welche Plot Points in Stein gemeißelt sind. Wo einen sonst tagelang Gewissensbisse plagten, baut man nun eine gewisse resignierte emotionale Distanz auf. Ja, es ist traurig, was passiert, aber so richtig hatte man auch nichts damit zu tun.

Auch wenn es sich bei diesem Aufgebot kritischer Anmerkungen vielleicht nicht so liest: Life is Strange 2 ist nicht schlecht. Die Bruderbeziehung zwischen Sean und Daniel ist nach wie vor bewegend. Auch wenn ich beim bloßen Gedanken an die Strapazen, die die Brüder in den verbleibenden drei Folgen noch vor sich haben, müde werde, ist völlig klar, dass man wissen muss, wie die Geschichte ausgeht. Denn es ist immer noch Life is Strange, es ist immer noch liebevoll und aufwändig gestaltet, toll geschrieben und zwischendurch zum Heulen schön.

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Ein Spiel, das Angst macht
Dabei gibt es besonders einen Aspekt, der das Spiel so wertvoll und interessant macht, dass ich persönlich gerne über die Schwächen von Plot und Gameplay hinwegsehe: Life is Strange 2 zwingt uns in eine unentbehrliche Perspektive. Denn das Bewusstsein, sich als flüchtender Junge mexikanischer Abstammung in den USA in einer singulär verletzlichen Position zu befinden, schleicht sich nach und nach in alle Entscheidungen, die man im Spiel trifft. So erwischte ich mich dabei, krampfhaft jeder Form von Kriminalität aus dem Weg zu gehen und mich so musterhaft zu verhalten, wie irgendwie möglich. An Stellen, wo ich sonst neugierig das Gespräch gesucht hätte, wandte ich mich ab, da ich der Figur nicht über den Weg traute oder Angst hatte, in Ärger verwickelt zu werden. „Rules“ führt einem schmerzlich genau vor Augen, wie eingeschränkt das eigene Handeln plötzlich ist, wenn man in ständiger Furcht leben muss. Es lehrt einen ganz nebenbei, wie es sich anfühlt, komplett ungeschützt zu sein und immer mit dem Schlimmsten rechnen zu müssen. Wenn dieses Spiel auch nur einen Funken Empathie und Verständnis in Menschen schafft, wo vorher keines war, ist jede holprig inszenierte Nicht-Entscheidung vergeben und vergessen.

Die dritte Folge von Life is Strange 2 erscheint am 9. Mai auf Steam.

Life is Strange 2 - Episode 2 wurde auf der Xbox One getestet. Ein Testmuster wurde uns von Square-Enix zur Verfügung gestellt.

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