2 + 2 = 5

(Artikel)
Rian Voß, 26. April 2008

2 + 2 = 5

Das unsichtbare Element (2)

Wieder zurück in die nahe Gegenwart: Etwa zeitgleich zu den ersten Diskussionen mit Nex über das D+Pad im Frühjahr 2007 fiel mir auf, dass ich in meinen virtuellen Stammkneipen meine Meinung zu exorbitant guten Spielen mit einem Element, welches ich vorher nie bewusst mit der Entwicklung von Videospielen in Verbindung gebracht habe, begründend hinauskrakeelte. Für mich sah die Formel vorher eigentlich immer ganz simpel aus:

Innovative Idee + talentierte Leute + Zeit + Geld = Gutes Spiel (für erfolgreiche Spiele nimmt man eventuell noch Erfolg des Vorgängers, Erfolg der Konsole, gute Bewertungen und Werbung hinzu)

Einfacher ging's nun wirklich nicht mehr und bei einer Menge Spiele kann man diese Formel auch problemlos anwenden - doch dann gibt es noch die Bomben. Die Überflieger. Die Spiele - um es mal anschaulich zu gestalten-, die selbst ohne heiße Pixelbräute oder -Kerle für multiple Orgasmen sorgen und in die man sich am liebsten gleich reinsetzen würde. Was macht diese Spiele so viel besser als andere oder was lässt sie mehr Spielspaß vermitteln, als es das technische Limit eigentlich zulässt? Ich denke, die meisten von euch werden bereits ahnen, auf welchen Moment ich die ganze Zeit hintippe, aber lasst mir bitte noch diesen winzigen Augenblick des Dramas. Was ich meine, was ich sagen will, was diese Sache ist, die Spiele zu mehr machen als eine Ansammlung von lustigen Bits und Bytes, was sie zu mehr macht als nur die Summe seiner Teile, das ist das Element, das so oft so heimlich im Hintergrund agiert und wahrscheinlich auch für das eine oder andere Schlechte verantwortlich ist, aber doch in jeder guten Sache enthalten ist:

Liebe.

Dieser Kitsch ist zum Schmunzeln, ich weiß. Aber das macht es nicht weniger wahr. Wenn ein Team wirklich sein ganzes Herz in ein Projekt steckt, alle miteinander arbeiten und die Vision von Anfang bis zum Ende durchgezogen wird, dann entsteht ein Spiel, das Tausende, wenn nicht sogar Millionen bewegt (und damit meine ich nicht Dollar über die Ladentheke). Die Liebe zum Schöpferischen und zum Spiel veranlasste Miyamoto zu einer traumhaften Kreation nach der anderen, von Mario bis Zelda. Der Wille zur Entscheidungsfreiheit trieb Warren Spector dazu an, das erste Deus Ex durchzudrücken. Neben einer Menge Asche steckt auch ein gehöriges Maß an Gefühl und Liebe zum Detail in Yu Suzukis Shenmue. Das Zusammenspiel von einer einsamen Umwelt und Geschichte mit der Atmosphäre in Team Icos Shadow of the Colossus, mit seinen Riesen und Giganten, die einem als Spieler im gemütlichen Sessel trotzdem die Knie schlottern und mir die Kinnladen auf den Boden aufschlagen lassen, ist in dieser lieblichen Perfektion einzigartig. Der Einklang von hämmerndem Metal und gewitztem, detailliertem Charakterdesign in 2D-Grafik mit schnellen, coolen Moves macht Arc System Works Guilty Gear X2 #Reload zu einem dauerhaften Pixelbeater auf dem Königstreppchen. Und wie viel der Drang von Biowares Ray Muzyka, Greg Zeschuk und Augustine Yip zum tiefgründigsten westlichen RPG durch Baldur's Gate oder Planescape: Torment zum Revival dieses totgeglaubten Genres beigetragen hat, brauche ich ja wohl nicht zu erwähnen. Das alles wäre ohne Liebe, Kraft und Mut seitens der Entwickler nicht möglich - und nichts davon ist verschwendet, denn diese Liebe wird erwidert.

Üble Verkaufszahlen haben den Traum eines Nachfolgers von Ubis Beyond Good & Evil trotz immer neu aufkommender Gegengerüchte zerplatzen lassen. Das Spiel macht alles richtig, jeder, der es gespielt hat, liebt es - doch das sind leider zu wenige. Kommerz steht so nicht zum ersten Mal den wahrlich großen Titeln im Weg.
Schauen wir uns doch mal in der Gamergesellschaft, so breit gefächert sie auch sein mag, doch einmal kompakt um: Da sehe ich knapp 13.500 Fanarbeiten allein zum Weighted Companion Cube aus dem Valve-Spiel Portal. Die Video Games Live betört uns alljährlich bei der Games Convention mit lieblich remixten oder neu instrumentalisierten Orchesterversionen von Sonics Green Hill Zone oder dem unschlagbaren Metal Gear Solid-Thema. World of WarCraft ist der Akkumulator, der Jan Hegenbergs Stimme für das epische Die Horde Rennt kriegstrommelartig durch den Äther vibrieren lässt und Captain Falcons ultimativer Angriff, der Falcon Punch, welcher durch die Super Smash Bros.-Serie erst so richtig Bekanntheit erlangte und schon seit Ewigkeiten einen der bekanntesten Ingame-Witze unter Gamern darstellt. Keine andere Community der Welt hat sich das Internet derartig zunutze gemacht und versteht sich trotz der abertausend verschiedenen Geschmäcker so gut und gibt so viel Feedback auf so vielen Ebenen.

Wenn man also erkennt, wonach man in Spielen zu schauen hat und dass man ein Spiel erst richtig genießen kann, wenn das Gefühl stimmt, dann fallen alle technischen Schleier vom betrachtenden Auge ab, so wie ein Irrlicht verglimmt, wenn die Sonne durch die Wolken bricht. Da können noch so viele Fakten und guter Wille und Sollte-Eigentlichs Ja sagen: Wenn einem das eigene Herz nach allen Läuterungen von Voreingenommenheit Nein! antwortet, dann ist das Spiel vielleicht überdurchschnittlich, aber noch lange nicht grandios, geschweige denn kolossal.

Fehlende Liebe ist dafür verantwortlich, dass es mit dem Sonic Team und insbesondere Segas Maskottchen Sonic in Spielen immer schlechter geht. Das letzte Gute, was dem Kerlchen widerfahren ist, ist seine Eingliederung in den SSBB-Kämpferroster. Ebenso sieht es mit vielen Spielen des Publishers EA aus: Spiele wie Army of Two sind zwar durchaus nicht verkehrt gedacht und spielen sich auch hervorragend dank der erheblichen Menge Kohle im Arsch, die die Entwickler vermutlich verfeuern durften, sind aber ausschließlich darauf ausgelegt, der Masse zu gefallen. Das ist natürlich nicht verwerflich, business is business, aber der Entwicklung von Videospielen trägt das nicht bei. Viele Spiele haben zwar alles, was man sich eigentlich gewünscht hat, aber ein Eintauchen bleibt einem verwehrt - irgendwas fühlt sich falsch an. Neben den Kratzern, die meine 360 aus irgendeinem Grund in mein Mass Effect reinhauen musste, störte mich doch immer irgendwas an dem Spiel, was mich von der unerbittlichen Faszination für dieses Universum abhielt. Das cineastische Experiment Fahrenheit erlag dagegen seinen gezwungenen Versuchen, einen Thriller in einen Actionfilm zu verwandeln. Dazu gibt es natürlich immer die offensichtlich traurige Nachkommenschaft erfolgreicher Spiele: Deus Ex 2 war ein müder Versuch, an alte Erfolge anzuknüpfen, Fallout Tactics fehlt jeglicher Charme und die Konsolenableger von Baldur's Gate stellen für mich lieblose Diablo-Klone dar. Da fehlt das Herz.

Letzten Endes ist das der Schluss, den ich ziehe: Ohne Liebe - sei es vom Entwickler, von den bezauberten Fans, oder von so Redakteursgurken wie mir, die ihre Gedanken und Gefühle in verständliche Worte zwängen müssen - geht es mit Videospielen nicht weiter. Doch zum Glück gibt es immer wieder jemanden, der sich nicht scheut, seinen Emotionen in Polygonen und Bitmaps Luft zu machen. Ein Hoch auf die Indie-Community! Und ich kann jetzt endlich wieder darüber schreiben und hoffe, dass euch ab und an einer meiner Funken Freude bereitet oder euch warm ums Herz werden lässt. Rian

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