10 Sekunden, dann ist man tot. Das klingt nach einer verrückten Grundlage für ein Spiel, aber Mullet Mad Jack ist alles andere als normal. Man ist der titelgebende Jack mit seinem Vokuhila. Eure Mission? Rettet die Influencer Prinzessin aus den Klauen der Robillionären, sie hat schließlich 2 Milliarden Follower. Das ganze wird live gestreamt und die Likes der Zuschauer werden in Dopamin umgewandelt, was eure Lebenszeit wieder auf maximal 10 Sekunden anhebt. Aber Likes gibt es nur, wenn man Roboter tötet, je spektakulärer, desto mehr Likes. Daher die Devise: schnell und effizient sein, wer zu langsam ist stirbt.
Das Spiel fängt dabei auch sehr stilsicher an. Der Titelbildschirm bietet im Hintergrund ein paar Szenen aus den Zwischensequenzen an mit ein paar Gameplay Ausschnitten unterlegt von einer lässigen Melodie, die stark von einem Saxophon getragen wird. Präsentieren tut sich Mullet Mad Jack in einer handgezeichneten 90er Jahre Anime Cyberpunk Ästhetik. Die Zwischensequenzen schreien Anime, die Story ist sowas von Anime und alle Charakter, Gegenstände und Waffen sind gezeichnete Sprites. Sowas hätte man vor 25 Jahren als DVD im Laden kaufen können.

Auf diesen guten ersten Eindruck folgt auch gleich die nächste Punktlandung von Entwickler Hammer95: Das Gameplay. Nach der kurzen Introsequenz in der Jack natürlich mit einem Akira-Slide vor dem Hochhaus der Robotor parkt geht es mit Revolver in der einen und Handy mit der Zeitanzeige in der anderen ins erste Stockwerk. Die Stockwerke werden dabei zufällig aus vorgefertigten Bausteinen zusammengewürfelt, das einzige was sicher ist, dass man immer nach vorne preschen kann.
Gegner stehen dabei gerne mal vor großen Ventilatoren oder entblößten Kabeln, wer mehr Zeit für den Kill haben will schliddert auf sie zu und tritt sie da rein. Oder man erledigt sie durch einen gezielten Schuss in Kopf oder Hoden, das gibt auch einen höheren Zeitbonus. Verteilt in der Umgebung kann man verschiedene Waffen oder Werkzeuge finden mit denen man einen spektakuläreren Nahkampfkill vollführen kann, der eure Zeit vollständig auffüllt. Von Hammer, Feueraxt, Messer und sogar Mangaheft ist einiges dabei. Ein guter Tipp ist es, diese Items sich aufzubewahren sollte die Zeit mal knapp werden, um sich so vor dem Tod zu retten. Ähnlich verhält es sich mit den Getränkedosen, die durch Austrinken ebenfalls die Zeit auffüllen. Die kann man ziemlich gut ausnutzen, da man während der Trinkanimation praktisch unverwundbar ist.

Am Ende wartet ein Aufzug auf euch, der euch ins nächste Stockwerk bringt. Da kann man nicht nur mal eben verschnaufen, sondern auch eines von drei zufälligen Upgrades auswählen. Dabei bekommt man immer eine neue Waffe zur Auswahl. Die anderen Upgrades bieten Boni wie mehr Zeit für bestimmte Kills, oder man nimmt weniger Schaden durch bestimmte Hindernisse, fällt man auf 3 Sekunden wird eine Zeitlupe aktiviert oder man erhöht die maximale Anzahl an Sekunden um 1. Ja, auch roguelike Elemente haben es in das Spiel geschafft und sie passen sehr gut.
Denn wer aufgrund der Beschreibung glaubt, man müsste in diesem Spiel nur W drücken und ballern, der liegt falsch. Die Tiefe zeigt sich da nämlich recht schnell. Jeder Raum bietet einiges an Entscheidungen, die schnell gefällt werden müssen. Erschieß ich den Gegner vor mir, oder versuche ich ihn durch einen Tritt in den Ventilator zu schubsen, damit ich mehr Zeit kriege? Oder vielleicht ignoriere ich den Gegner komplett, weil ich genug Zeit habe und da hinten andere Gegner sind, an denen ich meine Zeit auffüllen kann. Welchen Gegner töte ich überhaupt sofort. Nutze ich jetzt mein Nahkampfitem, um die Zeit aufzufüllen? Auf dem Tisch sehe ich ein neues, wäre nützlich. Bei den Upgrades stellt sich auch die Frage, welche nützlicher sind. Will ich den Sekundenbonus für Schüsse in die Nüsse? Oder wäre es besser, wenn ich mein Leben um eine Sekunde verlänger? Andererseits wird mir da die Railgun angeboten, die jeden Gegner mit einem Schuss tötet und daher sehr effektiv ist.

Alle 10 Stockwerke wartet dann noch ein Bosskampf auf euch. Dabei ist der Livestream gestört und anstatt Sekunden hat man vorerst klassische Lebensenergie. Die Kämpfe sind durchaus abwechslungsreich, auch wenn sie weniger eine Herausforderung darstellen. Ich persönlich bin kein einziges mal bei den Kämpfen gestorben, aber das ist in Ordnung, der Tod lauerte eher in den normalen Leveln auf mich.
Nach dem Bosskampf wird einem ein neues Element für die Stockwerke vorgestellt, damit man ohne Druck sich darauf einstimmen kann. Einer der Bosskämpfe ist sogar eine härtere Version eines Gegners, der danach im normalen Level auftaucht. Sehr cleveres Design, wie ich finde. Nach jedem Bosskampf werden übrigens alle Upgrades wieder entfernt, lediglich seine Waffe behält man. Und wenn man einen Boss zum ersten mal besiegt hat, dann darf man eine permanente Verbesserung auswählen: Höhere Waffenlevel, Upgrades neu würfeln oder nach dem Tod Upgrades behalten. Einmal freigeschaltet gelten die für immer im Story Modus. Das gilt auch für höhere Waffenstufen, die man findet. Sobald man in der Story also die Schrotflinte auf Level 3 hat, wird sie immer als Level 3 angeboten.

Die Wahl eurer Waffe beeinflusst stark euren Spielstil. Der Standard Revolver kann euch locker durchs ganze Spiel tragen, insbesondere wenn man auf Level 3 nicht mehr Nachladen muss, aber die Schrotflinte garantiert maximalen Schaden und maximalen Spaß, wenn man näher dran kommt. Die Uzi ist etwas enttäuschend, finde ich, da sie seltsamerweise auf Level 3 kein unbegrenztes Magazin bekommt und somit nicht so ganz mit den anderen Waffen mithalten kann. Übermäßig stark hingegen sind die Plasmakanone und die Railgun. Beide machen guten Schaden, müssen schon auf Level 2 nicht mehr nachgeladen werden (Level 3 erhöht nur die Feuerrate) und das bisschen Rückstoß verlangsamt einen nur unwesentlich. Sie sind definitiv die erste Wahl, wenn man sich an den höheren Schwierigkeitsgraden versuchen will, oder möglichst weit im Endlosmodus kommen möchte. Interessant sind die beiden Katanas, Feuer und Eis. Mit ihnen wird jeder Gegner mit einem Treffer getötet, aber man muss, ihr könnt es euch denken, in den Nahkampf gegen. Mit Nachladen kann man sie immerhin auf entfernte Feinde werfen, aber bis sie wieder da sind, ist man halt wehrlos. Sie sind nicht schlecht, werden nur von anderen Waffen überschattet. Aber macht schon Spaß damit.

Mullet Mad Jack ist eigentlich ein sehr kurzes Spiel. Den Story Modus hat man in spätestens 3 Stunden durch. Aber glaubt mal ja nicht, dass ihr dann mit dem Spiel fertig seid. Das schnelle Spielprinzip, die Roguelike Elemente und der schiere Spaß verlangt, dass ihr die Influenzerprinzessin nicht nur einmal rettet. Und dann gibt es noch den kurz erwähnten Endlosmodus in dem es darum geht so viele Stockwerke zu bewältigen wie möglich. Bosskämpfe gibt es keine, Upgrades halten dafür aber nur für 10 Stockwerke und nach jedem zehnten Stockwerk wird eure Maximalzeit um eine Sekunde verringert (das Upgrade für die Maximalzeit ist nicht verfügbar). Wer dann noch möglichst Hoch auf der Rangliste landen will, der sollte jedes Stockwerk auch so schnell wie möglich beenden, denn eure Punkte werden aus der Anzahl der geschafften Stockwerke Minus der benötigten Zeit errechnet. Das erfordert dann eine nochmal andere Herangehensweise, denn im Story Modus kann man durchaus auch mal kurz stehenbleiben und überlegen, aber wenn einen Highscore will, sollte sich sputen.
Der Tod kann in Mullet Mad Jack aber auch schneller kommen, als einem lieb ist. So gibt es einen Gegner, der mit einer Schrotflinte bewaffnet ist und ein Treffer macht da natürlich viel Schaden in Form von Sekundenabzug. Und dann stellt der sich so verlockend vor ein offenes Kabel, ich denk mir “Na den trittst du jetzt da rein, habe ja sogar das Upgrade, dass ich noch eine Sekunde extra für solche Kills bekomme, die kann ich gerade gut gebrauchen” und realisiere zu spät, dass es der Schrotflinten Typ ist. Zack, tot, weil er mir ne Ladung Schrot verpasst, während ich mit dem Fuß zuerst auf ihn zustürme.

In den späteren Leveln gibt es auch Abgründe, in die man ungeschickterweise reinfallen kann, waseinen zwar nur zum Anfang des Segmentes zurücksetzt, aber halt ohne Gegner bei denen man sich Zeit zurückholen könnte. Es gibt Laserfallen bei denen man sich verschätzt und gleich 5 Sekunden abgezogen bekommt, und und und. Manchmal kann sich das schon unfair anfühlen, wenn z.B. in einem Gang gerade kein Gegner zu finden ist. Die meisten Tode habe ich mir aber selbst zu verdanken, weil ich im Tunnelblick eine Gefahr übersehen habe.
Es geht um den richtigen Flow bei diesem Spiel und diesen zu finden bedarf Lernen durch Scheitern. Welcher Gegner macht was, denn manche bleiben stehen und schießen, manche stürmen auf euch zu, manche kann man nicht einfach so erschießen. Aber auch wo die Gegner bei den verschiedenen Bausteinen erscheinen sollte man sich einprägen, damit man gleich weiß, wie man am besten durchkommt und von wo man mit Gefahren rechnen muss. Oder halt auch wo man die Nahkampfwaffen findet, sodass man evtl einfach die aktuelle Waffe verbrauchen kann mit dem ruhigen Gewissen, dass an der nächsten Ecke eine neue liegt.

Wenn es mit Mullet Mad Jack klickt, dann aber richtig. Auch wenn ich nach 8 Stunden bereits alle Achievements gesammelt hatte, war ich noch nicht fertig mit dem Spiel. Sei es weil ich doch wissen wollte, ob ich es noch weiter im Endlos Modus schaffe, oder weil es einfach Spaß macht durch die Level zu brettern, einen Grund fand sich schon. Die Entwickler sind selbst auch noch nicht fertig, so wurde letztens per Update der Endlosmodus um ein Waffenroulette (zufällige Waffe pro Stockwerk) und um den Trittmodus (gar keine Waffen) erweitern. Weitere sollen folgen. Eine Twitch Integration bei der die Zuschauer fürs Upgrade abstimmen können soll auch bald kommen.
Mullet Mad Jack ist mein Highlight des Jahres. Ich liebe alles an diesem Spiel. Und es läuft prima auf dem Steam Deck.
Mullet Mad Jack wurde auf dem PC getestet. Für den Test hat sich der Redakteur das Spiel selbst gekauft.