Brettspiel-Review: Zestrea

(Artikel)
Merle B., 19. November 2019

Brettspiel-Review: Zestrea

Gute Ehen, schlechte Zeiten

Wer sich bei Game of Thrones schon immer dachte: „Mensch, das hätte man durch ein paar klug arrangierte Ehen auch einfacher regeln können.“ hat jetzt die Chance, sich zu beweisen. Im Ehe-Verhandlungsspiel Zestrea (aktuell auf Kickstarter) schlüpfen wir in die Rolle des Adels im mittelalterlichen Rumänien.

Mit dem Ziel, so reich wie möglich zu werden, bestellen und verwalten wir unser Land. Dabei versuchen wir, die uns anvertrauten Dorfbewohner*innen zielführend mit Menschen aus anderen Dörfern zu verheiraten. Sowohl harte Arbeit als auch Tricks und Intrigen können hier zum Sieg führen. Doch Vorsicht: im Verlauf des Spiels brechen schwere Zeiten verschiedenster Art (von Naturkatastrophen bis hin zu Kommunismus) über die Dörfer hinein.

Zestrea-Card-Overview


Kinder, Geld und schwere Zeiten
Eine typische Partie Zestrea setzt sich aus acht Runden zusammen, die wiederum aus verschiedenen Spielphasen bestehen. Jede Runde beginnt mit der Produktionsphase, in der die Paare im Dorf Gold und/oder ein Baby (Geschlecht und Name sind von der zufällig gezogenen Karte vorgegeben) generieren. Dann beginnt jedoch der Ernst des Lebens, denn nun muss durch das Ziehen einer „Hard Times“-Karte eine zufällige Katastrophe auf die Dörfer losgelassen werden. Am Ende einer Runde muss die Dorfbevölkerung gefüttert werden – ist dies nicht möglich, muss Land verkauft werden oder die Untergebenen verhungern kläglich. (Dieses Schicksal ereilte leider über die Hälfte meines Dorfes, nachdem ich zunächst, entzückt von den schönen „Villager“-Karten, zusätzliche Kinder adoptierte, um den Traum der Großfamilie zu leben.)

Hilflos ausgeliefert sind wir dem Spielgeschehen zum Glück nicht. Mit Hilfe von Schicksalskarten können die drei bis sechs Spieler*innen Seelenverwandte bestimmen, Bälle ausrichten, Paare auseinander reißen, Kneipenschlägereien verursachen und Gürkchen oder selbstgemachten Alkohol verkaufen. Auch verschiedene Rollen und Berufe, die wir den uns angetrauten Dorfbewohner*innen zuordnen, können uns das Spiel versüßen – oder es zumindest den Anderen erschweren. War der junge Mann aus dem Nachbarsdorf eben noch eine bedrohliche Konkurrenz auf dem Heiratsmarkt, verringern sich seine Heiratschancen dramatisch, wenn man ihm etwa das Attribut Dorftrottel anheftet.

Eine allzu erfolgreiche Ehe kann leider ebenso viele Probleme verursachen, wie sie löst: freut man sich in den ersten Runden noch überschwänglich über jeden Kindersegen, werden mit dem Hereinbrechen von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Krieg und, äh, Valentinstag („Jedes Paar bekommt ein Kind.“) die Ressourcen knapper und der Nachwuchs unbeliebter.

Hier ist dann mehr denn je Verhandlungstalent gefragt, um den jeweiligen Spross an den Mann, beziehungsweise an die Frau zu bringen (gleichgeschlechtliche Ehen sind unter Einsatz bestimmter Schicksalskarten möglich). Aber Moment! Ehen müssen ja auch einvernehmlich sein. Das heißt, dass für jede Hochzeit erst via Würfel bestimmt werden muss, ob die Beteiligten der Eheschließung zustimmen. Und da Hochzeiten nun einmal auch Geld kosten, will der Versuch einer Eheverbindung wohl überlegt sein. Glücklicherweise können die Chancen auf eine erfolgreiche Hochzeit durch die Anwesenheit von Musiker*innen begünstigt werden. Es sind keine im eigenen Dorf vorhanden? Nun, ein großzügiger Adliger lässt vielleicht einen Groschen springen, um das Talent aus dem Nachbardorf für die Feierlichkeiten anzuheuern.

Alles Verhandlungssache
Herz und Seele des Spiels ist jedoch die ausgiebige Verhandlungsphase einer jeden Runde. Hier werden Ehen, Pakte und naja, Ehepakte geschlossen, Schicksalskarten gekauft und gespielt, Land vergrößert und allgemein einfach verhandelt, gefeilscht und intrigiert. Die Verhandlungen sind dabei sehr offen gestaltet und laden zu kreativen Vorschlägen jeder Art ein. Halte deine Schicksalskarten geheim oder mache sie öffentlich. Tausche sie, verkaufe sie oder lass dich dafür bezahlen, dass du sie NICHT spielst. Es gibt keine Regel, die jemandem verbietet, Schulden aufzunehmen. Es gibt auch keine Regel, die dich verpflichtet, Schulden zu bezahlen! Wenn du etwas über die Geschehnisse der nächsten Runde weißt, verkaufe dein Wissen. Lass dich dafür bezahlen, dass deine Musiker*innen auf Hochzeiten auftreten. Versprich jemandem wortwörtlich dein erstgeborenes Kind! Innerhalb der (sehr übersichtlichen) Rahmenbedingungen ist alles erlaubt. Der eigenen Durchtriebenheit sind keine Grenzen gesetzt.

In erster Linie werden jedoch Ehen arrangiert, was schnell mit solch einem strategischen Kalkül passiert, dass in unserer Runde durchaus mal der Begriff „Kuhhandel“ fiel. Je nachdem, wer von einer Ehe profitiert, muss ein Arrangement erst einmal schmackhaft gemacht werden. Eine saftige Mitgift (Rumänisch: „Zestrea“) kann einen großen Unterschied machen und auch Land, Schicksalskarten und ein Versprechen über zukünftige Kooperationen können wertvolle Argumente sein. Doch pass auf, an wen du verheiratest! Denn wer nach der letzten Runde die meisten Pärchen bei sich wohnen hat, bekommt einen üppigen Goldbonus.

Zestrea-Fate-Cars


Kleine Regeln, große Dynamik
Zestrea ist leicht zu verstehen und eignet sich mit seinen vielen amüsant-absurden Szenarien durchaus auch als Party Game. Das Spiel ermuntert von Natur aus zum Austausch und lebt von den sozialen UND parasozialen Dynamiken, die sich im Laufe einer Runde ergeben. Die Fehde zwischen einzelnen Mitspieler*innen und das Bangen um die liebsten (und nützlichsten) Figuren bestimmen den Spielverlauf ebenso stark wie tatsächliche Bemühungen um den Sieg... Die Hälfte der Zeit, die wir spielten, hatten wir die genauen Gewinnbedingungen gar nicht im Kopf, sondern waren einfach selig vertieft in die Betreuung unserer kleinen Dörfer. Für seinen überschaubaren Regelkatalog ist das Spielgeschehen zugleich erstaunlich komplex und abwechslungsreich. Keine Runde gleicht der anderen und immer wieder generieren sich neue skurrile Geschichten, Situationen und Verhandlungen.

Zwischendurch offenbart Zestrea durchaus auch die diabolischen und schlicht menschenverachtenden Züge herrschaftlichen Denkens. Ich erwischte mich dabei, wie ich erleichtert aufatmete, als alle jungen Männer meines Dorfes in den Krieg eingezogen wurden – denn ich hatte ohnehin keine Ressourcen mehr, alle zu füttern! Das Spiel legt durchaus einige Strukturen des feudalen Mittelalters offen, doch es ist keineswegs Zestreas Anliegen, vielschichtig realistische Einblicke in die Vergangenheit zu vermitteln. Vielmehr wirft es einen schmunzelnd distanzierten Blick auf die oft grausamen Adelslogiken der Vergangenheit, ohne sich jemals zu ernst zu nehmen.

Auch die Ereigniskarten greifen rumänische Traditionen auf – etwa wenn Sânziene, ein rumänisches Frühlings- und Feenfest, stattfindet oder wenn die „Caroling“-Karte gespielt wird, die auf den Brauch verweist, im Winter von Haus zu Haus zu ziehen und Lieder zu singen. Sogar die Namen unserer Dorfbewohner*innen und die Gestaltung der Karten sind Verweise auf die rumänische Kultur (statt Goldmünzen sind die liebevoll verzierten Kisten aufgedruckt, in denen die traditionelle rumänische Mitgift verpackt wurde).

Das ab und zu durchaus morbide Spielgeschehen wird stets humoristisch kontrastiert mit buntem Design und überraschend bekömmlichen Spielmechaniken. So fliegt etwa niemand je ganz aus dem Spiel, denn das letzte Stück Land und das letzte Ehepaar sind unantastbar – man hat also stets die Chance, sich von jedem noch so harten Schicksalsschlag zu erholen. Und selbst eine Niederlage fühlt sich nicht allzu negativ an, denn was zählte, waren eh die Male, die du vor Lachen Wasser auf den Tisch geprustet hast, weil dein Mitspieler schon wieder versucht hat, dir auf Teufel komm raus die verdammte Karte mit dem Gürkchenhandel zu verkaufen.

Fazit
Zestrea spielt sich wie eine niedlich-leichtherzige Version der politischen Teile von Game of Thrones, die sich nicht um Krieg und Folter, sondern um Land, Gold, Intrigen und sinnvolle Eheschließungen drehten – ein drolliger Liebesbrief an die rumänische Kultur, der sich niemals zu ernst nimmt, vor allem aber ein wundervoll unterhaltsames Kartenspiel, aus dem sich die herrlichsten Geschichten ergeben. Wer sich diesen Spaß nicht entgehen lassen will, sollte sich beeilen: denn die Kickstarter-Kampagne läuft nur noch wenige Tage.

Header: Zestrea Review - Zeit für Hochzeit
Anzahl der Spieler*innen: 3-6 (getestet mit 4)
Altersempfehlung: 12+
Spieldauer: 45-90 Minuten

Autoren: Horatiu Roman & Alex Patiu
Artwork: Maria Surducan

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