GOTY-Nominierung 2016

(Artikel)
Haris Odobašic, 29. Dezember 2016

GOTY-Nominierung 2016

Haris: JRPGs sind nicht tot!

Es ist schon ziemlich krass: da gibt es ein kleines, japanisches Entwicklerstudio und das haut Bethesda, Bioware, Square-Enix und Co. voll in die Tonne, wenn es darum geht, eine glaubwürdige und sich lebendig anfühlende Videospielwelt zu erschaffen. Denn während diese großen AAA-Titel mit ihren aufwändig designten Welten schnell zu begeistern wissen, hält die Illusion, die sie erschaffen, nur begrenzt.

Denn meist dauert es nicht lange, bis einem generische NPCs ohne Namen begegnen, die euch leere Worthülsen entgegenwerfen. "I took an arrow to the knee" hat einen Funken Charme, wenn man es zum ersten Mal hört, aber beim hundertsten Mal vom dreißigsten NPC ist es nur eine regelmäßige Erinnerung daran, wie schlecht konstruiert die Welt ist.

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Überhaupt scheinen die Figuren in solchen Spielen sich nur durch a) ihre Beziehung zu den Protagonisten und b) ihre Rolle im Plot zu definieren. Wenn sie denn überhaupt wichtig genug sind, mehr als nur lahme Questgeber oder Spender von allseits bekannten Fakten zur Welt zu sein.

Und hier macht Nihon Falcom etwas, was man außerhalb ihrer eigenen Spiele einfach nicht sieht, vor allem nicht in so großem Rahmen: Sie wagen es, so gut wie jeder Figur, egal wie unbedeutend, eine Persönlichkeit, eine Geschichte und etwas zu tun zu geben. Meistens sogar gekoppelt mit Charakterentwicklung und manchmal mächtig viel Drama.

Tatsächlich gibt es in Trails of Cold Steel gleich eine ganze Schar an Figuren, die niemals direkt mit den Hauptcharakteren interagieren oder irgendwas zum Plot sagen, sondern euch nur einen Einblick in ihr Leben mit relativ unterhaltsamen Vignetten eben.

Das mag banal wirken, doch der Effekt ist mehr als deutlich. Die Welt, die in den Trails-Spielen erschaffen wird, fühlt sich so real an wie kaum eine andere Videospielewelt. Man kann die Protagonist-und-Plot-Linse ablegen und sich unheimlich gut vorstellen, wie normale Menschen im erebonischen Imperium leben. Wie sehen ihr Alltag, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen oder ihre typischen Sorgen aus? Das sind Fragen, die man für überraschend viele Figuren in Trails of Cold Steel I + II beantworten kann, wenn man sich nur voll auf das Spiel einlässt und die Möglichkeit nutzt, immer wieder mit Leuten zu reden, die in schöner Regelmäßigkeit etwas Neues zu sagen haben.

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Und neben diesem absoluten Alleinstellungsmerkmal kommt natürlich noch eine ganze Liste von Großartigkeiten hinzu. Eine epische Story, die das typische Anime-Schulsetting aufgreift, sich aber sehr schnell zu einem packenden politischen Drama im Kontext einer Welt entwickelt, die neben massiver sozialer Ungleichheit auch mit den Folgen einer rapiden industriellen Revolution klarkommen muss. Dazu ein wahres Ensemble an Figuren – wir reden hier von gut 50 wichtigen Charakteren – von denen sich keine einzige überflüssig anfühlt.

Ein Kampfsystem, das es schafft, trotz der 30-jährigen Geschichte des Genres dennoch ein paar frische Elemente mitzubringen, und zudem in fordernden Bosskämpfen zu absoluter Höchstform aufläuft. Und ein Soundtrack, der sich im Genre vor niemandem verstecken muss.

Angesichts dieser Pluspunkte ist es zu verschmerzen, dass die Spiele technisch klar veraltet sind, mit einer Grafik, die eher an PS2 als an PS3 erinnert, und mit Ladezeiten, die euch gerade auf der Vita graue Haare wachsen lassen.

Entsprechend hat die Trails-Reihe auch dieses Jahr mein Herz erobert mit dem Cold-Steel-Doppelschlag. Nur schade, dass jetzt das große Warten anfängt. Der zweite Teil endet, wie man es gewohnt ist, auf einem richtig fiesen Cliffhanger, und Teil 3 erscheint erst Ende nächsten Jahres. In Japan. Ich fürchte schon fast, dass es hierzulande erst irgendwann 2018 werden wird.Haris

Kommentare

Kristin
30. Dezember 2016 um 13:39 Uhr (#1)
Sorry Haris, aber ich kann Deine Begeisterung für Trails so gar nicht nachvollziehen. Auch wenn ich mittlerweile selbst ein großer Fan von RPG's bin - vornehmlich der Tails-Reihe (Zestiria ausgenommen), hatte ich schon an Trails of Cold Steel I nur mäßig Spaß und habe es nicht einmal durchgespielt. Die Charaktere waren mir einfach zu cheesy, fallen meinem Empfinden nach perfekt in das gängige Boy/Girl-Group-Casting-Muster und gingen mir mit ihren Zickereien (die ja wahrlich genüsslich in die Länge gezogen werden!) nur auf den Keks, die Dungeons waren stinklangweilig, die Kämpfe nervig, die Missionen 0815, und die Story schlich so langsam voran, dass ich bald vollständig das Interesse an ihr verlor. Entsprechend ringt mir auch der "richtig fiese Cliffhänger" nur ein müdes, vielleicht noch ein erleichtertes Lächeln ab, weil ich mir durch das Abbrechen von Trails I nach ca. 30-40 Std. Spielzeit eine ganze Menge Lebenszeit gespart habe. ;)
Kristin
30. Dezember 2016 um 13:43 Uhr (#2)
Tales-Reihe O.o
Gast
23. April 2024 um 20:51 Uhr
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