Geisterjagd ohne Grusel

(Artikel)
Haris Odobašic, 20. November 2016

Geisterjagd ohne Grusel

Tokyo Twilight Ghost Hunters: Daybreak Special Gigs im Test

Ein Videospiel, in dem es um Geister geht – komplett ohne Horrorelemente? Mag ungewöhnlich klingen, ist aber das zentrale Konzept dieses Rollenspiels aus dem Hause Toybox. In Tokyo Twilight Ghost Hunters: Daybreak Special Gigs schlüpft ihr in die Rolle eines Schülers, der nebenbei für das Magazin Gate Keepers arbeitet. Doch die Zeitschrift mit einer Spezialisierung auf das Okkulte doppelt gleichzeitig als Front für eine gut gebuchte Geisterjägeragentur. Und da ihr eine besondere Aptitude dafür habt, Geister wahrzunehmen, könnt ihr euch sicher vorstellen, was für ein Schulalltag euch erwartet.

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Das in Kapitel unterteilte Spiel folgt grob dem "Monster-of-the-Week"-Format. Am Anfang eines jeden Kapitels seht ihr typischerweise eine kurze Zwischensequenz, die die Situation vorstellt, in der eure Hilfe als Geisterjäger erforderlich ist. Danach folgt ein Intro-Video, eine meist relativ lange Visual-Novel-Passage, ehe ihr euch schließlich dem Geist stellt. Abgeschlossen wird wieder mit ein bisschen Gelaber und einem Outro-Video.

Die Visual-Novel-Sequenzen sind gut geschrieben, begeistern aber primär durch ihren Präsentationsstil. Es wurde eine spezielle Animationstechnik benutzt, weswegen es keine statischen Bilder zu gucken gibt, sondern Charaktere, die sich flüssig bewegen, während sie mit euch reden. Es erinnert ein bisschen an die Live2D-Technologie, die man mittlerweile in einigen Spielen sieht, und lässt vor allem eine Frage offen: Wieso wird das Verwenden solcher Animationen nicht zum globalen Standard für alle Visual Novels erklärt? Denn ja, sie sehen so gut aus.

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Aber, und das ist quasi ein Leitmotiv von Tokyo Twilight Ghost Hunters, leider kommen die Visual-Novel-Sequenzen auch mit ihren Schattenseiten daher. Primär dadurch, wie ihr mit Leuten interagiert. An manchen Stellen im Spiel dürft ihr reagieren und dazu gilt es, aus jeweils fünf Sinnen und fünf Emotionen eine Kombination zu wählen. Freundschaft und Tastsinn führen beispielsweise meistens zu einem Handschlag, Wut und Sehsinn zu einem wütenden Blick.

Das Problem ist, dass das, was bei den Kombinationen herauskommt, meist extrem unberechenbar ist. Manchmal mögen Leute euch die Hand geben, in anderen Situationen kommt aber bei der Kombination nicht mal ein Handschlag heraus, sondern eine andere Art von Berührung, die die Person verärgert. Und ihr wundert euch, was das genau sollte. Das ist nervig, weil die Interaktionen mit anderen Leuten bestimmen, was für ein Ende ihr zu sehen kriegt. Und es kann schnell passieren, dass ihr jemanden verärgert mit eurem Handeln, gerade wenn ihr mal ein bisschen mit den 25 Kombinationen experimentieren wollt.

Das ist ein bisschen schade, da man euch nach und nach eine große und abwechslungsreiche Truppe zur Seite stellt, vom pummeligen Pseudo-Rockstar über den Yakuza-Sohn bis hin zur willensstarken Polizistin. Die Charaktere sind zwar nicht überragend, aber für jeden dürfte doch die ein oder andere Figur dabei sein, die man sympathisch findet. Es sich mit so jemandem dann zu vermasseln, weil einem das System mit seiner unnötigen Kompliziertheit einen Streich spielt, ist ärgerlich.

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Ist es Zeit für einen Kampf, gibt es erst mal eine Planungsphase, in der ihr einen Grundriss des Ortes vor euch seht, in dem sich der Geist aufhält. Zum Beispiel eine Konzerthalle oder eine Wohnung. Dort könnt ihr nun Fallen und andere nützliche Gegenstände platzieren, wie okkulten Schnickschnack, der Geister anlockt oder ihnen ein Passieren unmöglich macht. Die Wichtigkeit des Planens sollte nicht unterschätzt werden. In den Kämpfen nehmt ihr die Geister nämlich nur wahr, wenn sie in eurer Reichweite sind oder an einem Detektor, den man setzen kann, vorbeispuken. Und da jeder Kampf ein Zeitlimit hat, welches euch die Anzahl an Zügen vorgibt, kann es bei schlechter Planung durchaus passieren, dass ihr ahnungslos umherwandert und dann scheitert, ohne einen Geist gesehen zu haben.

Bei erfolgreicher Planung könnt ihr euch hingegen auf spannende Duelle freuen. Die Geister haben unterschiedliche Persönlichkeiten. Von aggressiven Biestern, die euch regelrecht jagen, bis hin zu schüchternen Viechern, die bei jedem Kontakt die Flucht ergreifen und dabei nicht mal zurückschrecken, durch Steckdosen in den nächsten Raum zu fliehen. Entsprechend stellt euch jeder Kampf vor eine neue Herausforderung, da ihr erst mal herausfinden müsst, was für ein Gemüt denn der Geist vor euch hat.

Das Kampfsystem, welches mit seinem Raster an Taktik-RPGs erinnert, hat einen signifikanten Twist zu bieten: ihr und eure Gegner zieht gleichzeitig. Wenn ihr also in eurem Zug plant, wohin eure Charaktere gehen und in welche Richtung sie angreifen, müsst ihr immer bedenken, welchen Weg die Geister einschlagen könnten. Gerade am Anfang kann man sich darauf einstellen, oft nur Luft zu treffen, ehe man so langsam lernt, wie die Geister reagieren werden und wie man sie entsprechend am wahrscheinlichsten treffen kann.

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Der Soundtrack ist nur Mittelmaß, obwohl sogar Nobuo Uematsu einen Track beigesteuert hat und man sich musikalisch durchaus von dem abhebt, was man im Genre so kennt. Der Sound dröhnt sehr erdig und die Produktion ist, wohl bewusst, zurückgeschraubt worden. Obwohl es rockiger zugeht, braucht ihr keine ausufernden Keyboard-Teppiche oder ewig schreiende Gitarrensolos zu erwarten, oder gar orchestrale Unterstützung. Das Endprodukt klingt eher nach der Art von Musik, die man in Sportspielen findet, welche nicht genug Geld für einen lizenzierten Soundtrack hatten. Saiten werden gezupft, irgendwer haut auch auf Trommeln, aber jeder Ton, der in den Gehörkanal eindringt, biegt direkt zur Vergessenheit ab.

Nachtrag (27. März 2017): Wir konnten uns nun auch den PC-Port des Spieles anschauen. Das Spiel ist inhaltsgleich zur PS4/Vita-Version und was wir vom Port angeschaut haben, war technisch solide. Allerdings ist die Tastatur-Steuerung dezent verwirrend: Der Griff zum Controller wird empfohlen!

Tokyo Twilight Ghost Hunters: Daybreak Special Gigs besetzt eine wirklich undankbare Nische im Bereich der JRPGs. Es hat seine eigene Note, wodurch es sich genug vom typischen Genre-Futter abhebt, um es für eigentlich jeden Kenner interessant zu machen. Dem entgegen steht aber, dass viele Elemente im Spiel gut angedacht, aber schlecht umgesetzt sind. So eine wirkliche Befriedigung beim Spielen setzt nie ein, aber die Faszination, die der Titel durch seine Einzigartigkeit ausstrahlt, motiviert dennoch, am Ball zu bleiben. Womöglich wird dieses Spiel in vielen Jahren als vergessene JRPG-Perle die Runde machen, aber im derzeitigen, goldenen JRPG-Zeitalter fällt es schwer, es uneingeschränkt zu empfehlen. Dafür haben wir die Auswahl aus zu vielen Schätzen. Wer aber gerade Platz im Backlog hat, zum Beispiel wegen der Persona-5-Verschiebung, könnte hier einen Geheimtipp für sich entdecken.Haris

Tokyo Twilight Ghost Hunters: Daybreak Special Gigs wurde auf der PlayStation Vita getestet. Ein Testmuster wurde uns von NIS America zur Verfügung gestellt.

Tokyo Twilight: Ghost Hunters

(Ranking)
B
RANK
Anständig. Stärken und Schwächen halten sich die Waage. Positive Überraschungen sind genauso selten wie negative. Unterm Strich muss man seine Spielzeit keinesfalls bereuen.

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RELEASE
13. März 2015
PLATTFORM
Playstation 3
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Playstation 4
Plattform - Die Playstation 4 (PS4) von Sony ist eine Spielkonsole der 8. Generation. Sie erschien am 29. November 2013 europaweit als Nachfolger der Playstation 3.
PS Vita
Plattform

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