Gears of War 4 im Test

(Artikel)
Benjamin Strobel, 14. November 2016

Gears of War 4 im Test

Dudebro ade!

Gears of War ist traditionell ein Fest der überzogenen Männlichkeit: Rohe Gewalt, derbe Sprüche und Männerkörper aus Fleischbergen. Die Protagonisten der Reihe waren nicht nur fast ausschließlich männlich, sondern übermännlich. Oder wie Maddy Myers schon 2010 zum dritten Teil bemerkte: "Die Männer in diesem Spiel sehen aus als ob sie zum Frühstück Steroide statt Müsli gefressen haben" - eine häufige Feststellung, die Gears vermehrt den Titel Dudebro Game einbrachte. Gears of War 4 möchte am Gameplay des Deckungsshooters nicht viel ändern, hat an seinem Image aber mächtig gearbeitet.

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Mach es richtig, bevor du es anders machst
Gears of War wurde für den vierten Teil in der Hauptreihe (mit Judgment das fünfte Spiel insgesamt) in die Hände eines neuen Studios übergeben. Mit-Erfinder der Reihe und Kopf des Studios The Coalition, Rod Fergusson, sagte im Interview mit Polygon: "Wir hatten ein Mantra, als wir [mit der Entwicklung] angefangen haben, nämlich es richtig zu machen, bevor wir es anders machen." Und das merkt man dem Spiel schnell an, auf eine erstaunlich positive Weise. Als Batman: Arkham Origins damals von WB Games Montreal anstatt von Rocksteady entwickelt wurde, fühlte man beim Spielen regelrecht, dass etwas nicht stimmte. Es war gut kopiert, aber auch nicht mehr.

Hier stimmt es. Gears of War 4 ist Gears. Die Steuerung, das Spielgefühl bis hin zum Timing für das Nachlade-Minispiel sind kein Nachbau des Originals - es ist das Original. Beispielsweise hatte das Team die Slide-to-Cover-Animation überarbeitet, aber Fergusson war nicht zufrieden. "Ich hab gefragt, wie viele Frames der originale Slide hatte, und es waren 11 frames. Also sagte ich, okay, ihr habt 11 frames. Macht es so schön, wie ihr wollt, aber ihr habt nur 11 frames." Mit diesem Grad an Präzision liefert The Coalition genau das Gears, das Fans kennen und lieben.

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Keine Sorge: Der richtige, echte Horde-Mode kehrt zurück.

Das ist gewissermaßen die Force-Awakens-Methode. Wie J.J. Abrams gehen Fergusson und sein Team mit Gears of War 4 auf Nummer sicher. Zwar gibt es neue Feinde und eine Handvoll neuer Waffen, aber keine Abweichung von der bewährten Formel. Actionreiche Passagen wechseln sich mit ruhigen Erkundungen und Story-Schnipseln ab - und wenn ihr in einen Raum voller Deckungen kommt, lassen die Gegner nicht lang auf sich warten. Aber die Feinde in Gears 4 sind cleverer geworden. Sie bewegen sich sogar! Einige wechseln die Deckung, wenn man näher kommt, andere preschen vor und zwingen einen dazu, die gemütliche Deckung zu verlassen.

Fergusson erklärte im Polygon-Interview, dass die KI nicht von der alten Unreal Engine zur neuen portiert werden konnte und das Team wieder bei null anfangen musste. "Eine Zeitlang fühlte sich nichts richtig an. An einigen Stellen war die KI zu schlau." Doch am Ende des Tages ist Gears 4 eine Power Fantasy. Wenn den Spielerinnen und Spielern die Hintern versohlt werden, funktioniert sie nicht. Es geht darum, Momente zu erleben, in denen man sich stark fühlen und die Gegner überlisten kann. Wie bei kleinen Kindern muss die KI Rücksicht nehmen und die Leute am Controller mal gewinnen lassen. Dabei darf die KI schon etwas über dem IQ eines Brotes liegen, aber sie sollte schon noch etwas blöd sein. Diese Balance scheint Gears 4 zu gelingen.

Schön sind auch verspielte Kleinigkeit wie die Windphysik, die mehrmals im Spiel zum Einsatz kommt. Der typische Deckungskampf bekommt so einen kleinen Twist, da die Bewegung stark eingeschränkt ist und man Granaten völlig vergessen kann. Erwartet aber nicht, dass das Gameplay völlig umgekrempelt wird - große Überraschungen gibt es hier nicht. Sogar im Multiplayer ist die Gnasher-Shotgun genauso ätzend, eintönig und overpowered wie eh und je - man liebt es oder hasst es. Geändert hat sich aber nichts.

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So viel Testosteron?
Gears of War 4 ist ein guter Shooter mit wenigen Neuerungen. Aber das ist nicht alles! Wenn es um die Zeichnung der Figuren geht, hat sich bei Gears viel getan. Die alten Protagonisten haben ausgedient - an ihre Stelle tritt eine neue Generation, die weniger überzeichnet ist, sich mehr Grautöne erlaubt und Vielfalt zeigt.

Patricia Hernandez von Kotaku schrieb noch 2013, "es ist so viel Testosteron in Gears, dass es ein Wunder ist, dass etwas anderes als Männer in dieser Welt existieren kann". Tatsächlich führte Gears erst mit dem dritten Teil weibliche Kämpferinnen ein. Vorher besagte die Lore des Spiels, dass Frauen nicht kämpfen können, weil sie fleißig gebären müssen. Eine ziemlich dumme und faule Ausrede, hinter welcher sich nur die Angst verbarg, weibliche Protagonistinnen würden sich nicht gut verkaufen.

Die männlichen Figuren hatten mit ihrer Übermännlichkeit zeitweise selbst zu kämpfen. So gab es mit Augustus Cole zwar eine Figur mit anderer Hautfarbe, allerdings versumpfte der Charakter in den Klischees eines Ghetto-Gangsters mit dem entsprechenden Slang und dummen Sprüchen. Die Serie machte mit emotionalen und persönlichen Geschichten zwar den Versuch, aus Shooter-Klischees auszubrechen, verharrte dabei jedoch in stereotypen Darstellungen. Das neue Team ist anders. Es besteht aus J.D. Fenix, dem Sohn von Badass-Hero-Veteran Marcus Fenix, sowie Kait Diaz und Del Walker. Zwar hatte Gears schon vorher weibliche Figuren und welche mit anderer Hautfarbe, doch in Gears 4 kaufe ich ihnen auch ab, dass sie echte Menschen sein können (Kait kann man im Zwei-Spieler-Koop auch selbst steuern, alle anderen Figuren sind zumindest im Multiplayer frei wählbar). Gleichzeitig ist der etwas stumpfe und manchmal sexistische Dudebro-Humor einem lockeren Witz gewichen, der auch gut in einen Hollywood-Actionstreifen passen würde. Es macht Spaß, hat aber nicht mehr den Beigeschmack von alten Furzwitzen.

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Meet the new Damsel: Marcus Fenix, Professional Badass-Hero

Witzig ist an dieser Stelle auch der Auftritt von Marcus Fenix. Er wirkt im Vergleich zum jungen Team nicht nur antiquiert und zeitweise anachronistisch, er verliert auch seinen Status als unantastbarerer Badass. Marcus Fenix, the manliest of them all, dem das Testosteron aus allen Poren aufsteigt, wird zu Anfang des Spiels einfach gedamselt. Einen beträchtlichen Teil des Spiels ist man damit beschäftigt, dem entführten Vater nachzujagen, um den rüstigen Rentner aus seiner misslichen Lage zu befreien. So vermeidet Gears of War 4 nicht nur die Klischees, mit denen die Serie groß geworden ist, sondern verkehrt sie sogar ins Gegenteil. Der frische Wind tut der Reihe richtig gut.

Fazit
Gears of War 4 ist ein guter Start für The Coalition und eine getreue Fortsetzung der Reihe. Spielerisch bekommen Fans ganz genau, was sie erwarten, aber auch wirklich nicht weniger. Was Gears 4 an Innovation fehlt, macht es durch Präzision - und teilweise Perfektion - wieder wett. Dabei ist es sehr erfrischend, dass die Serie ihren Klischee-Ballast abwirft ohne dabei etwas einzubüßen. Ben

Gears of War 4 wurde auf der Xbox One getestet. Ein Testmuster wurde uns von Microsoft zur Verfügung gestellt.

Gears of War 4

(Ranking)
A
RANK
Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

Kommentare

Sam
Gast
15. November 2016 um 15:23 Uhr (#1)
Ok, ich lese jetzt in dem Text, dass GOW nun auch Frauen hat und sich weiterentwickelt (wie fast jede Spielereihe). Aber was genau Kait so interessant macht, dafür war dann kein Platz mehr? Warum sie aus den Mustern ausbricht? Was sie stärker macht als z.B. Ana? Wie die Truppe sich entwickelt? Oder um was es in GOW4 überhaupt geht? Wie es die Story aufgreift oder fortsetzt?

Als Kolumne ist das ok, aber als Spieletest verstehe ich nicht, wieso das Spiel ein "A" bekommt, weil außer ein paar technischer Details eigentlich nur über die alten Teile gemeckert wird.

Übrigens: Wenn du schon auf die Stellung der Frau eingehst wäre es ganz cool, dass man herausstellt, dass die Haupt-Antagonistin, Strippen-Zieherin und eine der mächtigsten Figuren im GoW-Universum überhaupt eine Frau namens Myrrah war.

Das entschädigt nicht für das Fehlen starker Frauenfiguren auf der Protagonisten-Seite, aber unter den Tisch fallen lassen ist auch irgendwo unfair.
Ben
16. November 2016 um 11:24 Uhr (#2)
Hey Sam!

Ich denke, die Veränderungen in Gears 4 sind etwas umfassender und beziehen sich nicht nur darauf, dass es kämpfende Frauen gibt. Die Darstellung aller Figuren ist weniger stereotyp und weniger auf überzogene Männlichkeitsideale fokussiert. Davon profitieren alle Figuren, nicht nur die weiblichen. Die Charaktere sind insgesamt menschlicher und nachvollziehbarer und die Darstellung ist weder offen noch strukturell auffällig rassistisch oder sexistisch. Was man rückwirkend als Kritik an den Vorgängern verstehen kann, ist hauptsächlich ein Lob für Gears 4.

Es geht weniger darum, dass Kait eine besonders starke Frau ist. Es ist eher so, dass sie überhaupt nicht besonders markiert wird: ihre Anwesenheit ist selbstverständlich und gleichberechtigt. Es gibt keinen Kommentar dazu, dass sie eine Frau ist oder eine besonders starke Frau. Das könnte man dann auch als Rechtfertigung verstehen, dass sie überhaupt dabei sein darf - diese aber braucht es nicht.

Die Erwähnung von Myrrah ist für Gears 4 etwas weniger relevant. Aber ich denke auch nicht, dass sie ein sehr positives Beispiel für die Repräsentation von Frauen (in Medien allgemein) ist. Du selbst nennst sie eine Strippen-Zieherin, was wirklich sehr gut passt. Sie steht mit ihrem etwas entmenschlichten Äußeren und ihrer hinterlistigen Kriegsführung aus den Schatten heraus für ein typisch negatives Frauenbild - in einer Reihe mit Hexen und Succubi. Zwar sind alle diese Archetypen starke Figuren, aber mit Eigenschaften wie Verführung, Manipulation und Täuschung sehr negativ besetzt. Ich denke, "die böse Bienenkönigin" ist nichts, mit dem sich jemand gern identifizieren möchte.
Gast
19. April 2024 um 00:50 Uhr
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