Barrierefreies Spielen

(Artikel)
Benjamin Strobel, 10. September 2016

Barrierefreies Spielen

Pokémon Stay

Erzählt mir ein Freund letztens erbost von Leuten, die bei Pokémon Go cheaten. "Nur weil die zu faul sind, um aus dem Haus zu gehen!" Klar, cheaten ist voll blöd und bei einem Spiel zu cheaten, dessen Gameplay zu einem großen Teil aus Herumlatschen besteht, irgendwie auch komisch. Aber ich hab ja auch Cheater bei Shootern nie richtig verstanden.

Die kleine Anekdote regte mich aber zu dem Gedanken an, was eigentlich mit Menschen ist, die Pokémon Go spielen wollen, es aber nicht können. Zum Beispiel, weil sie auf Grund psychischer oder physischer Beeinträchtigungen ihr Haus nicht verlassen können oder dürfen. Es liegt schon im Namen, dass mit Pokémon Go vor allem Spieler angesprochen werden, die... na ja... gut zu Fuß sind.

Spiele und Inklusion
Für Menschen mit Behinderung ist die gesellschaftliche Teilhabe ohnehin an allen Ecken und Enden erschwert. Computerspiele bildeten für sie schon immer eine wichtige Schnittstelle für soziale Kontakte. Spätestens seit Onlinespiele wie WoW und DotA extrem populär und teilweise sogar zu einem Sportereignis geworden sind, können viele Menschen an gesellschaftlichen Großereignissen teilhaben, ohne ihr Wohnzimmer verlassen zu müssen. Ob ich während eines Raids auf meiner Couch oder im Rollstuhl sitze, interessiert meine Spielpartner nicht. Da zählen ganz andere Dinge.

Neben dem Spielspaß, ob alleine oder in der Gruppe, spielt bei vielen Games auch der Aspekt des Erkundens eine Rolle. Ganz egal, ob wir uns im Spiel auf einem fremden Planeten herumtreiben, durch Wüsten und Wälder flanieren oder Sight-Seeing in einem futuristischen New York machen: fremde Orte im geschützten Raum der Spielumgebung zu erkunden, hat einen ganz besonderen Charme. Mit Hilfe von Virtual Reality wird die Illusion dann (fast) perfekt.

Barrierefreiheit von Seiten der Entwickler
"Normale" Spiele, die wir am PC oder auf der Konsole spielen, so gut wie möglich barrierefrei zu machen, ist dabei gar nicht so einfach. Es gibt viele Arten von körperlicher Beeinträchtigung, auf die Hersteller mit unterschiedlichen Einstellungen reagieren müssten.

Diese können zum Beispiel so aussehen: Für Menschen mit Farbenblindheit bieten einige Spiele, darunter Borderlands 2 oder AAA-Titel wie Battlefield 3, spezielle Grafikeinstellungen. Untertitel hat heutzutage auch fast jedes Spiel, manchmal sogar mit besonderen Einstellungen für Hörgeschädigte. Für motorisch eingeschränkte Spieler hilft es oft schon, wenn sie die Tasten frei belegen können, zum Beispiel wenn sie nur eine Hand haben. Die Möglichkeiten, jederzeit das Spiel zu pausieren und zu speichern, ist vor allem für Menschen wichtig, die Konzentrationsbeeinträchtigungen oder Muskelkrankheiten haben. Und über frei einstellbare und möglichst differenzierte Schwierigkeitsgrade freuen sich nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch andere Spieler.

FarbenblindheitBorderlands 2 hat gleich mehrere Farbblindheitseinstellungen. Hier der Vergleich zwischen der gewöhnlichen (links) und der Einstellung für Blaufarbschwäche.

Die Organisation AbleGamers unterstützt Entwickler dabei, möglichst viele Barrieren in Spielen abzubauen. Auf deutsch gibt es eine Liste von Kriterien für barriefreies Entwickeln vom Spieleratgeber NRW. Sie schlagen zudem ein Game Accessibility Symbol vor, das schon beim Kauf anzeigt, auf welche Weisen das Spiel barrierefrei – oder eben nicht – ist.

Neue Controller
Zudem befinden sich momentan mehrere alternative Controller für Menschen mit körperlichen Behinderungen in der Mache. So wurde gerade der Prototyp für einen Controller, den man mit den Füßen bedient, vorgestellt und Ken, ein Mann mit einer Querschnittslähmung, spielt unter anderem Diablo III mit Hilfe eines Geräts, das er mit dem Mund steuert. Wer ihm einmal beim Spielen zuschauen möchte, findet hier den Link zu seinem Twitch-Channel.

Vorgestellt: Ein Controller, den man mit den Füßen steuert.

Pokémon Go: Fluch und Segen
Man sieht: Behindertengerechtes Spielen ist ein heikles aber enorm wichtiges Thema – und in den meisten Fällen ist behindertenfreundliches Entwickeln ohne große Einschränkungen möglich! Computerspiele sind längst kein Nischenhobby mehr und sollten daher für so viele Menschen wie möglich offen stehen. Was uns wieder zu Pokémon Go bringt, gefühlt dem wichtigsten Spiel 2016 – aber leider für Menschen mit Behinderungen nur begrenzt spielbar.

Beim Pokémon Go-Hype mitzumachen ist für Menschen mit körperlichen Behinderungen schwierig. Schon ein Smartphone zu bedienen, während man einen Rollstuhl schiebt oder sich mit Gehhilfen bewegt, ist kompliziert. Manche sind auf Hilfe angewiesen, um ihr Haus überhaupt verlassen zu können. Zehn Kilometer zu gehen, um ein Ei auszubrüten, rutscht dann schnell in den Bereich des Unmöglichen.

Die Berichte von Spielern mit Behinderungen, die sich vom Franchise ausgeschlossen fühlen, häufen sich leider. Auf der anderen Seite berichten viele Spieler mit psychischen Problemen davon, dass ihnen Pokémon Go geholfen hat, regelmäßig aus dem Haus zu gehen und soziale Kontakte zu knüpfen. Ein eingebauter "Spiele von zu Hause aus"-Modus könnte diesen Spielern die Motivation nehmen, vor die Tür zu gehen. Selbst auf der Ebene der Barrierefreiheit ist eine Lösung also schwierig.

witcher3 2016-09-10 14-39-19-97In The Witcher 3 können wir auch das HUD einstellen.

Befriedigende Lösungen für das Problem der Inklusion zu finden, ist trotzdem wichtig. Damit für viele Spieler nicht die einzige Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe ist, sich auf zwielichtigen Cheating-Portalen im Internet herumzutreiben und dann in die gleiche Ecke wie Wallhacker in Shootern gestellt zu werden.

Denn trotz aller Einbindung und Barrierefreiheit gibt es natürlich noch diejenigen Spieler, die sich aufregen, sobald jemand eine "Sonderbehandlung" bekommt. Da gibt es Stimmen, die sich dagegen aussprechen, in Militär-Shootern weibliche Models einzuführen, weil "Spieler damit die Skrupel ausnutzen, auf Frauen zu schießen" und dadurch einen Vorteil erlangen, oder, wie am Beispiel der Farbblindheitseinstellungen, manche Spieler ohne Farbschwäche diese Einstellungen wählen, da die Kontraste schärfer sind.

Gerade Spiele mit einem kompetitiven Charakter, zu dem auch Pokémon Go mit seinen Arenen zählt, ziehen eine solche Argumentation an. Denn wie am Ende auch die barrierefreien Zugänge zu solchen Spielen aussehen mögen, sie stehen natürlich jedem offen. Niemand muss Nintendo seinen Behindertenausweis oder seine Akte beim Therapeuten schicken, um behindertenfreundliche Optionen freizuschalten. Das ist nicht nur aus moralischen und Gründen des Datenschutzes fragwürdig, sondern auch noch extrem aufwändig für die Entwickler.

In diesem Video erklärt Der_Rusher, wie er mit nur einer Hand spielt.

Ein Blick in die Zukunft
Natürlich muss sich immer die Frage gestellt werden, ab wann man sagen darf: "Du kannst das eben nicht." Nicht alle Hobbys sind jedem Menschen zugänglich, ganz klar. Ich finde aber, dass Spiele wie Pokémon Go ein zu großes Massenphänomen sind, um Menschen mit Behinderung davon kategorisch auszuschließen. Und ich würde mir wünschen, dass mehr Entwickler sich die Listen für barrierefreies Gaming anschauen und beachten würden. Und doch fällt es mir schwer, mir Möglichkeiten zu überlegen, wie man Pokémon Go integrativer gestalten kann.

Augmented Reality und auch Virtual Reality sind mit Sicherheit das, worauf sich die Gaming-Industrie und die weitere technologische Entwicklung auch in Zukunft weiter ausrichten wird. Umso wichtiger, dass Entwickler sich schon früh barrierefreie Zugänge überlegen!

Kommentare

Nils
11. September 2016 um 12:12 Uhr (#1)
Ich bin kein großer Fan von dem gesamten Pokemon-Go-Hype. Im Endeffekt ist mir aber der Aufhänger egal - ich finde den Artikel sehr gut gelungen und finde, dass dieser auch ein wichtiges Thema anspricht.

Ich muss ganz offen sagen, dass ich nie darüber nachgedacht habe, dass Barierefreiheit nicht nur für das "echte" Leben da draußen eine Rolle spielt, sondern auch bei Videospielen und "normalen" Computer-Anwendungen. Insofern möchte ich mich sehr für den Artikel bedanken.
Ben
11. September 2016 um 16:58 Uhr (#2)
Ich denke, dass Virtual Reality neben dem ganz gewöhnlichen Hype auch sehr großes Potential dafür hat, Menschen mit Behinderungen Zugang zu ansonsten vor ihnen vorschlossenen Bereichen zu gewähren. Das nicht nur im Gaming-Bereich, sondern auch im Bereich der allgemeinen gesellschaftlichen Teilhabe.

Virtuelle Rundgänge in der echten Welt werden genauso möglich wie die Erkundung virtueller Welten. Für Menschen, die in ihrer Bewegung eingeschränkt sind, kann das eine großartige Möglichkeit sein, sich auch mal "frei zu bewegen".

Vielleicht kann man ja mit Google Street View virtuell spazieren gehen und dabei Pokémon fangen? Unmöglich ist das nicht.
Nils
11. September 2016 um 17:36 Uhr (#3)
Aber braucht es dazu VR? Virtuelle Rundgänge, Erkundungen usw. lassen sich auch ohne VR Brille realisieren. Das ginge auch mit einem normalen Bildschirm.
Ben
12. September 2016 um 11:54 Uhr (#4)
Nein, notwendig ist es bestimmt nicht. Aber es trägt sicher zur Erfahrung bei, macht das Nicht-Erlebbare beinahe erlebbar.
Vivi
13. September 2016 um 14:02 Uhr (#5)
Hey :) Danke für den lieben Kommentar, Nils. Es freut mich total zu hören, dass dich der Artikel, was Barrierefreiheit in Computerspielen angeht, zum Nachdenken angeregt hat! Das war ja der Sinn des Artikels und da bin ich natürlich ehrlich froh, dass er das auch geschafft hat :)

Virtuelle Rundgänge, zum Beispiel von Museen, gibt es ja schon. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es mit einer VR-Brille nochmal ein ganz anderes Gefühl ergibt.
Der_Rusher
Gast
15. September 2016 um 20:25 Uhr (#6)
Hauptsache hier ist einfach ein Video von mir reingestellt... :D KOMMENTIEREN, LIKEN UND ABO SONST GIBTS SCHLÄGE ;)
Rian
16. September 2016 um 18:21 Uhr (#7)
IHR HABT DEN MANN GEHÖRT
Gast
23. April 2024 um 16:10 Uhr
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