Endlich mehr Matches... gleichzeitig!?

(Artikel)
Merle B., 12. August 2016

Endlich mehr Matches... gleichzeitig!?

Die neuen Formate der NA & EU LCS – eine erste Bilanz

Seit es die League of Legends Championship gibt – also seit niedlichen drei Jahren – bekämpfen sich die zehn besten Teams Europas beziehungsweise Nordamerikas in der LCS und tragen dabei traditionell je ein Spiel pro Begegnung aus. Das ist jetzt passé... zum Ärger der Community.

In der diesjährigen Pause zwischen Spring und Summer Split hat Riot Games die Übertragungen für Europa und Nordamerika völlig neu konzipiert. Im Mittelpunkt der Veränderungen steht die Anzahl der Spiele: die NA LCS richtet statt klassischen Einzelspielen nun Matches im Best-of-Three-Format aus, die EU LCS bekommt Best-of-Twos.

Ganze zehn Stunden würde es mittlerweile dauern, die Spiele eines einzigen Tages der europäischen LCS nacheinander zu gucken. Um derart exorbitante Laufzeiten zu umgehen, werden je zwei Matchups gleichzeitig auf parallel laufenden Streams übertragen. Mehrere Spiele erfordern natürlich auch mehrere Locations, weshalb Riot in Berlin neben dem LCS Studio jetzt tatsächlich auch eine LCS Arena eingerichtet hat. Mehr Personal, mehr Standorte, simultan laufende Spiele in Arenen – auf den ersten Blick wirkt es ganz so, als wäre die LCS inzwischen mit „seriösem“ Sport vergleichbar.

Erst einmal keine schlechten Nachrichten, sofern man mehr als einen Bildschirm hat – und nach Möglichkeit auch mehr als einen Aufmerksamkeitsfaden. Für den Rest der Community bedeutet das jedoch eine drastisch veränderte LCS, deren umgekrempeltes Format auch jetzt noch heiß diskutiert wird. Nach Vollendung des ersten regulären Splits im neuen Format ist es nun an der Zeit, eine Bilanz zu ziehen.

eu_lcs_schedule_1Vier Spiele pro Stream, ein gemeinsames Matchup des Tages - so sieht mittlerweile das LCS-Abendprogramm aus.

Best-of-Twos: Die Community reagiert... unentschieden!
Dass gerade der EU LCS das Best-of-Two Format zugeordnet wurde, ist übrigens kein Zufall. Während man nämlich in Nordamerika mit dem Konzept fremdelt, ist „Unentschieden“ als Endergebnis im fußballdominierten Europa keine Kuriosität. Und wenn es den Leuten im Fußball einleuchtet, wieso nicht auch in der LCS?

So ganz ist es dann aber doch nicht das Gleiche. Im Fußball mag ein Unentschieden von Zeit zu Zeit mal vorkommen. In der neuen EU LCS enden nun durchaus mal alle fünf Matchups des Tages ohne Sieger oder Verlierer. Und so sehr ein hart umkämpftes Patt den Hype für das Wiedersehen steigert – wenn plötzlich niemand mehr gewinnt, ist Frustration bei den Zuschauern garantiert.

Auch die neue Punktevergabe sorgt ab und zu für Verwirrung. So waren bis zur fünften Woche G2 als einziges Team der EU LCS unbesiegt – aber trotzdem nicht auf dem ersten Platz. Dort befanden sich nämlich Fnatic, die im bisherigen Split sowohl mehr gewonnen als auch mehr verloren hatten. Ein kontraintuitives Ergebnis, finden manche. Ein kontraintuitives Format, steigern andere. Die NA LCS habe da – mal wieder – den Vorzug bekommen, mit mehr Spielen an mehr Tagen und auch noch den besseren Tagen, sprich: Wochenende. Die Klagen über die vermeintliche Stiefkindrolle der europäischen Region sind nach den Veränderungen jedenfalls wieder voll im Gange.

punktevergabeSorgt schon mal für Verwirrung: die Punktevergabe im Best-of-Two.

Hektisches Zappen, Spoiler und Hausaufgaben
Was sich bei der ganzen Sache wohl am meisten verändert hat, ist das Erlebnis für die Zuschauer. Früher hieß LCS-Gucken: den Stream anzumachen, sich zurückzulehnen und Augen und Öhrchen aufzusperren. Jetzt muss man neuerdings... denken.

Für Casual Viewers, die nach Lust und Laune mal in ein Spiel reinschauen und den Split sowieso eher häppchenweise verfolgen, bleibt eigentlich alles beim Alten. Wer sich aber für die Gesamtnarrative der Season interessiert und nichts verpassen will, muss sein Guck-Erlebnis jetzt sorgfältig planen. Und „sorgfältige Planung“ ist eigentlich echt kein Ausdruck, den man mit Unterhaltungsfernsehen verbinden möchte.

Welches Spiel ist relevanter? Wo ist mir das Live-Erlebnis wichtiger? Bei welchem kann ich besser damit leben, die Ergebnisse gespoilert zu bekommen? Obwohl Riot, wie erhofft und erwartet, eine leicht bedienbare Benutzeroberfläche für die Parallelstreams bereitgestellt hat und ein fliegender Wechsel zwischen den Spielen prinzipiell möglich ist, gilt jetzt: Wer Spiele in ihrer Gesamtheit sehen will, muss sich entscheiden.

So ganz auf sich allein gestellt sind Zuschauer mit der neuen Situation zum Glück nicht. Riot hat eine umfangreiche Online-Mediathek angelegt, wo sämtliche Spiele fast unmittelbar nach ihrer Ausstrahlung hochgeladen und uneingeschränkt verfügbar gemacht werden. Versäumnisse können also jederzeit „nachgearbeitet“ werden. So richtig verpassen muss man also eigentlich gar nichts, oder?

Na ja, eben doch. Denn der erwähnte Live-Charakter ist für viele Fans kein nettes Extra, sondern einer der zentralen Aspekte der Show.

Den Twitch-Chat mitverfolgen, Kommentare auf Twitter lesen und selber welche schreiben – LCS-Gucken ist keine passive, einsame Aktivität in einem Vakuum, sondern hochgradig interaktiv. Riot ist stets bemüht, das Online-Publikum gründlich einzubinden: Fans können vor jedem Match über das Ergebnis abstimmten, Moderatoren stellen offene Fragen an die Zuschauer und mitfiebernde Tweets von Laien sowie Pros werden laufend in die Sendung geschaltet. Genau diese nette Illusion des Mit-dabei-seins macht den Charme der LCS aus.

Wir leben nun einmal nicht alle in Berlin, wo man alles live in den Studios miterleben kann. Wir leben auch nicht alle in größeren Städten, wo es Gaming-Bars oder sonstige Locations gibt, bei denen LCS-Spiele vor Publikum ausgestrahlt werden. Für Viele sind die Live Broadcasts die einzige Gelegenheit, eSports in einer Gemeinschaft zu erleben. Auf die Gefahr hin, wie eine Toffifee-Werbung zu klingen: die Livestreams bringen die Community zusammen. Und gerade für eine Sportart, die offline noch ziemlich weit vom Mainstream entfernt ist, sind diese gemeinschaftsstiftenden Momente unentbehrlich.

Jetzt ist halt alles etwas... zerrupft. Auf YouTube erwischt man von Zeit zu Zeit mal einen ReBroadcast, mit dem man sich trösten kann – jedoch nicht, ohne dass ein Depp im Chat das Endergebnis rausposaunt. Und Internet-Trolle sind leider nicht die einzigen, vor denen man sich in Sachen Spoilern hüten muss: Die offiziellen LCS-Spielanalysten tun auch ihren Teil dazu. Denn ärgerlicherweise gibt es für zwei Streams nach wie vor nur ein Analyst Desk, an dem dann sämtliche Matches bunt durcheinander besprochen werden. Egal, wie gut man seinen LCS-Abend letztendlich plant - ein von Spoilern unbeflecktes Gucken ist inzwischen ein Ding der Vergangenheit.

analyst deskVorsicht Spoiler! Am Analyst Desk werden Ereignisse aus beiden Streams besprochen.

Kleinere Franchises ziehen den Kürzeren
Neben den Leib-und-Seele-LCS-Fans bleiben leider auch die kleineren Franchises etwas auf der Strecke. Als es nur einen Stream gab, guckte man alle Matches einmal runter – egal, wer spielte – und lernte so zwangsläufig jedes Team kennen. Und manchmal wurde man positiv überrascht und begann, sich für Spieler zu begeistern, die man sonst wohl nie wahrgenommen hätte. Gerade die unbekannteren Mannschaften, die noch nicht so lange dabei sind, sind auf diese Aufmerksamkeit und den damit einhergehenden Support angewiesen. Sichtbarkeit ist für sie lebenswichtig.

Vom neuen Format profitieren jedoch im Zweifelsfall die Großen und Beliebten. Denn seien wir ehrlich: wer guckt schon Echo Fox gegen Phoenix1, wenn gleichzeitig TSM und CLG ihre jahrelange Konkurrenz in einem epischen Kampf der Giganten austragen?

Phoenix1 ScreenshotUnbekannte Newcomer: Phoenix1 besiegten als einzige den Tabellenführer und erkämpften sich Respekt.

Dies könnte man man natürlich auch als Anreiz für alle Teams sehen, mal ein bisschen zu polarisieren und sich interessanter in Szene zu setzen – die Unicorns of Love haben es 2014 vorgemacht! Aber die beste Publicity ist und bleibt einfach ein gutes Spiel und wenn das keiner guckt, sieht es schlecht aus.

Mehr Übung im Split, mehr Erfolg bei der WM?
Wieso denn dann eigentlich das Ganze? Was könnte eine Veränderung, die offensichtlich so viele Kritik- und Jammerpunkte mit sich bringt, rechtfertigen? Wer Antworten auf diese Fragen sucht, ist gut damit beraten, sich noch einmal die LCS-Weltmeisterschaften der letzten Jahre anzuschauen. In Kurzfassung: die koreanischen Teams essen EU und NA zum Frühstück. Zwar gibt es gelegentlich auch Anlass zur Freude, etwa als Origen sich letztes Jahr auf wundersame Weise ins Halbfinale durchkämpfte, aber unterm Strich sind die westlichen Teams nur Nebencharaktere im Showdown der asiatischen Meisterklasse.

Und jetzt ratet mal, was die anders macht. Ein Blick über den Tellerrand der westlichen Regionen zeigt: das Ein-Spiel-pro-Matchup-Konzept ist im asiatischen Raum schon lange überholt. China spielt Best-of-Twos, Korea Best-of-Threes – und beide sammeln so jeden Split ein Vielfaches der Erfahrung, die die Teams in NA und EU erhalten können. Nicht nur der allgemeine quantitative Vorsprung ist dabei entscheidend, sondern vor allem die spezifische Übung, mehrspielige Matchups zu bewältigen. Das heißt konkret: psychisches Durchhaltevermögen trainieren. Lernen, den Gegner nach jedem Spiel neu zu evaluieren und Strategien von Runde zu Runde gezielt an ihn anzupassen. All diese Fähigkeiten bleiben bei Einzelmatches auf der Strecke und lassen sich außerhalb der Show nur schwer trainieren. Dass diese Kluft zwischen den Regionen jetzt geschlossen wird, ist eigentlich längst überfällig.

Heißt das, wir können damit rechnen, dass NA und EU dieses Jahr bei der Weltmeisterschaft ganz groß rauskommen? Da nehmen wir den Mund mal lieber nicht zu voll, beziehungsweise lassen ihn sogar erst einmal strategisch leer. Man kann leider nicht leugnen, dass insbesondere die europäischen Mannschaften trotz (oder gar wegen?) der Veränderungen diesen Split in entscheidenden Momenten wackelig aussehen und einfach nicht konsistent spielen. Egal, was für positive Auswirkungen das Format auf lange Sicht haben mag, sie werden nicht von heute auf morgen passieren. Aber hey, gerade EU-Teams sind für ihre Unvorhersehbarkeit bekannt und konnten schon zuvor überraschen. Wir bleiben also gespannt.

Veraltet oder altbewährt?
Veränderungen passieren, das ist Fakt. Und genau so ist es Fakt, dass eingeschworene Fangemeinden darauf gerne mal empfindlich reagieren.

Es ist toll, dass es jetzt mehr LCS zu gucken gibt und dass es regional wie global noch einmal mehr competitive wird. Es ist ein Zeichen, dass die LCS mit ihrer Fangemeinde wächst, von Jahr zu Jahr besser aussieht und professioneller läuft. Mit mehr Spielen bekommen wir auch größere Spannungsbögen, länger haltbare Dramatik und mehr Diversität in den Ergebnissen – die Geschichten, die die LCS schreibt, werden umfangreicher und komplexer. Kurz: Es gibt viele schlagende Argumente für das neue Format.

Doch die konkrete Umsetzung dieser Veränderung schränkt leider genau die Sachen ein, die ich persönlich an der LCS liebe: In einer kurz aufflackernden, intimen Fangemeinde eine zentral ausgerichtete Live-Show zu gucken ohne irgendwas zu verpassen.

Man fragt sich schnell, ob es nicht klüger gewesen wäre, den Broadcast auf mehrere Tage zu verteilen, statt zwei Matchups gleichzeitig laufen zu lassen. Bei der LCK läuft das scheinbar sehr gut und wenn wir schon bei den asiatischen Regionen abgucken, dann doch richtig! Hier muss man aber realistisch sein und sich eingestehen, dass eSports in Deutschland noch lange nicht den kulturellen Stellenwert haben, den sie in Südkorea genießen. Ob Riot seine Studios in Berlin überhaupt vier Tage pro Woche voll bekäme, ist leider unklar.

best of 3Hype und Bangen um Spiel drei - im neuen Format fühlen sich auch normale Matches an wie Playoffs.

Einen realistischeren Vorschlag hätte ich aber noch: Rankings! Lasst die Zuschauer abstimmen, welches die sehenswertesten Spiele des Tages waren, welche Partien besonders überraschend, haarsträubend oder vielleicht einfach nur witzig waren. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo bloß die Wenigsten noch die Zeit haben, alle Spiele zu schauen. Und wer nur ein Match gucken kann, will wirklich keinen einstündigen Stellungskrieg sehen, bei dem der Baron spawnt, bevor First Blood vergossen wurde. Nicht zuletzt bekommen so auch die kleineren Teams eine Chance, es nach einer schillernden Performance ins Rampenlicht zu schaffen. Große Wirkung, wenig Aufwand – make it happen, Riot!

Zum Glück ist dieser Split ja auch nicht das Maß aller Dinge, sondern war von vornherein eher als Testrunde für die beiden neuen Formate angelegt. Die Chancen stehen also gar nicht schlecht, dass Riot bereits aufmerksam in die Community hineinhorcht und zumindest manche der problematischen Aspekte noch ausbügeln wird. Bis dahin jonglieren wir die Matches halt so gut wir können und freuen uns auf die Weltmeisterschaft, wo NA und EU dann ihre neu gewonnenen Skills unter Beweis stellen können – diesmal dann Gott sei Dank wieder nacheinander.

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27. Oktober 2009
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