The Technomancer im Test

(Artikel)
Rian Voß, 17. Juli 2016

The Technomancer im Test

Bioware-Cyberpunk, nur nicht von Bioware

Bioware-RPGs verlieren ihren Charme. Eine steile These, ich weiß, aber weder Mass Effect 3 noch Dragon Age: Inquisition waren die Highlights, die man vom Entwickler, der sich zuvor noch immer selbst übertraf, gewohnt ist. Und obwohl die Welt von Inquisition grafisch imposant war, fühlte sie sich doch irgendwie seelenlos an. Spiders Studios The Technomancer könnte dagegen das Bioware-Rollenspiel sein, das die Fans der ersten Stunde heutzutage vermissen.

technomancer-01Szenenbilder: 1+

Der Mars ist besiedelt. Allerdings nicht von melancholischen Weltraumcowboys, sondern von Firmen. Konglomerate, wie Abundance oder Aurora, liegen allerdings seit über hundert Jahren im Krieg ums kostbare Wasser, denn: Irgendwann ist einfach die Verbindung zu unserer Erde abgebrochen. Das Ergebnis, zumindest im konservativen Abundance, ist eine Kastenstruktur, in der sich die Firma alle Mitarbeiter, deren folgenden Generationen und die Mutanten zu Untertanen gemacht hat. Es gibt die Arbeiter, die Gauner, die Jäger, das Militär und auch die Technomancer - ein verschworener Orden, dessen Mitglieder Blitze schießen können.

Zachariah Rogue Mancer ist der neueste Offizier der Technomancer. Er wird eingeschworen, indem ihm das Geheimnis, das alle Technomancer verbindet, enthüllt wird. Und dieses Geheimnis ist es, das eine Menge Probleme in der überdachten Stadt hervorbringt, denn einem machthungrigen Geheimdienstchef geht anscheinend nichts mehr auf den Sack als diese spezielle Wissenslücke.

Kennenlernphase
Aber bis es soweit ist und die Scheiße die sich drehenden Ventilatorblätter berührt, vergehen etwa acht Stunden. In diesen acht Stunden erkundet man mit Zachariah jeden Winkel von Ophir, der Hauptstadt von Abundance. Vom respektablen Exchange-Bereich, in dem Metallbäume und verträumte Wandmalereien eine verwaschene Erinnerung an die Erde imitieren, über die dreckigen aber lebhaften Slums bis zu den Underworks, einem Netzwerk aus Wartungs- und Schmugglertunneln - Ophir ist riesengroß, gespickt mit Figuren und ist einfach nur hübsch anzuschauen. Die Stadt gibt einen gruseligen und gleichzeitig futuristischen Vibe von sich, in dem sich Cyberpunk-Fans nur so suhlen können.

technomancer-05Szenenbilder: 1++++

Zum guten Ton (haha) gehört auch der Soundtrack. Dieser spiegelt das aktuelle Areal immer vortrefflich wieder. Von den düsteren, simplen Bässen der Slums zum sterilen und fast blechernen Exchange oder auch den späteren Gebieten - die Musik macht ihr ganz eigenes Ding und bietet ein subtiles Klangerlebnis, das an Originalität seines gleichen sucht. Es wäre nicht übertrieben zu behaupten, dass der Soundtrack dafür sorgt, dass The Technomancer sich atmosphärisch von anderen Sci-Fi-Spielen abhebt.

Um die Probleme des Militärs, des Widerstands, des Mobs oder von Zufallsbegegnungen zu lösen, stehen Zachariah einige Möglichkeiten offen: Entweder kann sich der Junge mit einer Silberzunge durch Gespräche labern (dafür gibt es gleich drei Dialogattribute, von denen Charisma allerdings der wichtigste ist), er kann sich ab und an durch Gebiete unbemerkt hindurch schleichen oder die Fäuste auspacken. Und mit Fäuste meine ich: Stab, Messer und Pistole oder Knüppel und Schild.

500.000 Volt
Im Kampf lässt sich on the fly zwischen den drei Kampfstilen wechseln. Mit dem Stab haut man kräftig zu und hat mehr Reichweite. Messer und Pistole sind flink und lassen einen besser ausweichen. Mit Knüppel und Schild kann man dagegen wunderbar Gegner betäuben und Schaden komplett neutralisieren.

Zusätzlich kann man auch die Technomagie aufwerten. Dann schießt Zachariah Blitze aus den Fingerspitzen, bufft sich mit einem magnetischen Schild oder betäubt seine Gegner mit einem freundlichen (Elektro-)Klaps. Im Laufe des Spiels sammelt man genügend Skillpunkte, um mindestens zwei der vier Skillbäume gut zu füllen. Wer mehr will, kann auch immer wieder nachspawnende Kreaturen abgrinden.

technomancer-03Die Energieanzeige für Blitzangriffe lädt sich im Kampf wieder auf.

Insgesamt ist das Kampfsystem solide, ist allerdings auch nicht schrecklich tiefgründig. Mit seinen zwei Kameraden kann man nicht viel anstellen (drei Verhaltensbefehle sind das Höchste der Gefühle) und wenn man eine Gewinner-Prügelkombination heraus hat, bleibt man meist bei dieser. Als ich in der Mitte des Spiels alles mit Blitzen und einigen Stabattacken dem Boden gleich gemacht habe, habe ich nie wieder einen Gedanken an die restlichen Waffen verschwendet.

Das ist insbesonders schade, weil die Kampfstile den Controller überladen. Mit dem rechten Bumper (Xbox-Controller) kann man zwischen den Loadouts wechseln. Auf dem linken Bumper gibt es dann ein Schnellmenü, das über Tabs verfügt, unter denen man mit den Schultertasten durchwechselt. Die linke Schultertaste aktiviert sekundäre Funktionen der Controllertasten. Im Kampf sind dann alle normalen Tasten sowie die Schultertasten für Angriffe belegt und... ja, ich kam auch nach zwanzig Stunden Spielzeit immer noch ein wenig durcheinander.

technomancer-02Selbst Nicht-Mutanten sind nicht wirklich schön.

Durchhalten!
Trotz des schönen Settings sind die ersten acht Spielstunden etwas träge. Das liegt daran, dass die echten Spielgefährten, die man auch bis zum Ende behalten darf, erst mit dem Herunterkrachen des Hauptplots eintrudeln. Dann wird es auf einmal auch zwischenmenschlich interessant - bis dahin hält sich The Technomancer aber nur mit einigen wenigen kuriosen Figuren über Wasser. Eine davon ist Scott Seeker, Zachariahs durchgeknallter Quasi-Vater. Den ich dann allerdings nie in die Gruppe genommen habe, weil mich seine ausgewalzten, zerstreuten Monologe enorm nervten. Da hilft auch nicht, dass die Gesichtsanimationen allgemein eher einer Leichenstarre gleichen. Dramatische Dialoge verpuffen in der Ausdrucksleere der Fazialgelähmten.

Die Stärke von The Technomancer liegt im Midgame. Hier öffnet sich die Welt, man wird an jeder Ecke mit storymäßig einnehmenden (wenn auch spielmechanisch nicht unbedingt kreativen) Quests beworfen und kann sich seines ersten freigeschalteten Skillbaums erfreuen. Man craftet ohne Ende, öffnet verschlossene Kisten, hilft Menschen und Mutanten und es wurde mir so richtig schön Knights-of-the-Old-Republic-warm im Bauch - auch wenn ein Comic Relief vom Kaliber eines HK-47-Roboters fehlt.

technomancer-04Braucht jedes RPG: Gefährten, die man nach eigenem Gutdünken einkleiden darf.

Im Endgame wird es dagegen wieder etwas kritisch. Das Kampfsystem hat seine Blütezeit hinter sich und stagniert, sofern man nicht aus irgendeinem Grund zu einer ganz neuen Waffenkategorie wechseln möchte. Die Aufträge führen einen außerdem sehr häufig an alte Orte zurück, und zwar auf eine Weise, dass man nicht alles gleichzeitig machen kann. Stattdessen kämpft man sich durch einen Zugangsdungeon, erledigt die Quests, kämpft sich wieder zurück durch die gespawnten Gegner und darf das zwanzig Minuten später alles wiederholen, wenn neue Quests eingetrudelt sind. Das ist ermüdend und kein guter Weg, ein bis dahin spannendes Rollenspiel ausklingen zu lassen.

Fazit
Vor acht Jahren hätte The Technomancer den Bioware-Titeln ordentlich Konkurrenz gemacht. Das ist gleichermaßen großes Lob und die größte Kritik, denn das Spiel wirkt trotz hübscher Szenenbilder etwas antiquiert. Das Kampfsystem ist etwas steif, die Gesichter sind etwas steif, Menü und Controller sind überladen und auch die Geschichte kommt erst nach einer langen Aufwärmzeit so langsam in die Gänge. Wer aber nach einem neuen alten West-Rollenspiel sucht, darf mit The Technomancer viele nostalgische Stunden verbringen.

Spiel wurde auf dem PC (Windows 10 64-Bit, 16 GByte RAM, Intel Core i5-4690, Nvidia GeForce GTX 970) getestet. Ein Testmuster wurde uns von Koch Media zur Verfügung gestellt.

The Technomancer

(Ranking)
B
RANK
Anständig. Stärken und Schwächen halten sich die Waage. Positive Überraschungen sind genauso selten wie negative. Unterm Strich muss man seine Spielzeit keinesfalls bereuen.

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28. Juni 2016
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