Mirror's Edge Catalyst im Test

(Artikel)
Benjamin Strobel, 20. Juni 2016

Mirror's Edge Catalyst im Test

Schnelle Frau in lahmer Open World

Machen wir uns nichts vor: Mirror's Edge war ein Flop. Ich mochte es trotz seiner Macken, aber das hat nichts geändert. Das ungewöhnliche Parkour-Spiel gewann eine solide Fanbase, blieb kommerziell aber erfolglos. EA haben sich acht Jahre Zeit genommen, bis sie der Idee eine zweite Chance gaben. Erstaunlich genug, aber ich freue mich. Bleibt nur die Frage, ob das Warten sich gelohnt hat.

Wie versprochen
Sollte ich mit einem Punkt benennen, woran Mirror's Edge fehlte, würde ich sagen: es war die Open World. Halt, nein. Das ist der größte Blödsinn überhaupt, wer würde sich so etwas überlegen? Oh.

mirrors-edge-catalyst-1Das neue Mirror's Edge kommt mit einer Open World.

Mirror's Edge Catalyst kommt mit offener Spielwelt. Ob das dem Spiel hilft oder mehr schadet, bespreche ich weiter unten. Das eigentliche Problem von Mirror's Edge war für mich ein anderes: Es fehlte der Fluss. Zu oft rannte ich hinter Türen gegen Wände oder musste nach einem Slide mühsam neu anlaufen. Zu oft wusste ich nicht, wohin ich laufen sollte und sprang in die Leere. Mirror's Edge hat viel zu selten die Parkour-Erfahrung geliefert, die es versprochen hatte. Zu oft wurde man ausgebremst, zu oft wurde der Spielfluss unterbrochen – auch durch die unnötigen und schlechten Kämpfe, die mit Schusswaffen nur noch träger und komischer wurden.

Dieses Problem löst Catalyst zufriedenstellend. Atmet auf, Leute! Der Parkour im neuen Mirror's Edge macht Laune. Eine neue Runner Vision zeigt euch deutlich, aber subtil genug an, wo es lang geht und auch das Ziel der Reise ist auffällig in der Welt markiert. Türen, hinter denen man gegen Wände rennt, findet man kaum noch. Durch neue Möglichkeiten zu springen und sich durch die Welt zu bewegen, ist Mirror's Edge Catalyst so dynamisch wie es der Vorgänger immer sein wollte. Die wohl wichtigste Verbesserung ist ein kurzer Dash, den man jederzeit in eine beliebige Richtung machen kann. So kann man nicht nur Hindernissen in letzter Sekunde ausweichen, sondern kommt auch nach einer harten Landung schnell auf die Beine und kann mit Knopfdruck wieder Fahrt aufnehmen. Gegen die neue Faith war die alte eine ungelenke Kröte.

Einige Fähigkeiten sind hinter XP-Walls in Skilltrees versteckt, doch die hilfreichsten Manöver erhält man früh. Neue Moves sind auch eine tolle Belohnung, die super ins Spiel passen: je mehr man spielt, desto besser und vielseitiger kann man sich durch die Stadt bewegen. Leider ist auch Catalyst nicht perfekt und so krankt es stattdessen an neuen Problemen.

Fast Travel oder Parkour?
Wenn ich in anderen Artikeln lese, wie die offene Spielwelt von Catalyst als großer Spielplatz gefeiert wird, verdrehe ich die Augen. Ich sehe das anders. Nicht, weil ich ein Feind von Open Worlds bin. Ich mochte zum Beispiel Witcher 3 und auch den dritten Far Cry. Open Worlds müssen nichts Schlechtes sein. Es kommt darauf an, wie man sie füllt und wie das zu den restlichen Mechanismen des Spiels passt. In Mirror's Edge passt es nicht. Die immer gleichen Gebäude abzurennen, wird nach einer Weile so witzlos, dass sogar die Entwickler sich dachten: geben wir den Spielern mal lieber eine Fast-Travel-Option. In einem Spiel, bei dem das Laufen als Selbstzweck Freude machen sollte, ist Fast-Travel eine Beleidigung; mehr noch, es zeigt ein fehlendes Vertrauen in die eigenen Ideen. Der Moment, als Fast-Travel auf den Tisch kam, hätte ihn jemand vom Stuhl treten müssen. Es ist einer dieser Widersprüche, die so offensichtlich sind, dass ich sie nur als Ignoranz deuten kann.

Aber auch eine sinnlose Open World kann man interessant füllen. Kann man. Ist bei Mirror's Edge Catalyst leider nicht der Fall.

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Und täglich grüßt das Time Trial
EA Dice haben vor der Entwicklung mit Sicherheit Ubisofts geheimes Lehrbuch "How to cook a game" gelesen. Ganz wie bei bekannten Vertretern des französischen Riesen wurde ein Sack voll bunter Icons über der offenen Spielwelt ausgeschüttet. Das verspricht viel Ablenkung vom linearen Pfad der Hauptstory. Leider ist die Auswahl weniger abwechslungsreich als erhofft. EA Dice möchte mit euch das lustige Spiel spielen: "Wie oft können wir den Deppen dasselbe als was anderes verkaufen?" Die Antwort von Catalyst lautet: fünfmal.

Fünf der sechs Arten von Nebenmissionen sind Time Trials. Einmal tief Luft geholt und aufgelistet: Als erstes gibt es Dashes, bei denen man möglichst schnell vom Start zum Ziel gelangen muss und sich dabei mit Freunden messen kann. Delivery-Missionen funktionieren genauso, nur dass man ein festes Zeitlimit hat. In Fragile-Delivery-Missionen kommt hinzu, dass man auf dem Weg nicht hart landen darf, weil man sonst die Ware beschädigt. Trotzdem mit Zeitlimit. Bei Covert-Delivery-Missionen darf man nicht gesehen werden. Und? Zeitlimit. Zuletzt gibt es noch Diversions – hier muss man so schnell wie möglich von einer Feindgruppe zur nächsten laufen, darf sie aber nicht bekämpfen, weil das zu lange dauern würde. Hat natürlich auch ein Zeitlimit. Am Ende spielen sich alle diese Missionen gleich: man muss den besten Weg finden und ihn nahezu perfekt ablaufen. Schon bei frühen Missionen ist der Schwierigkeitsgrad absurd hoch und viele Strecken lassen sich in der Zeit nur mit Equipment schaffen, das man etwas später im Spielverlauf bekommt. Es ist repetitiv und frustrierend.

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Viele Nebenaufgaben sind in kleine Geschichten eingebettet. Eigentlich nett, aber dann hapert es wieder an der internen Logik: Die Narration klärt überhaupt nicht auf, warum die Aufgaben ein Zeitlimit haben. "Hier, überbring meinem Freund dieses total teure, ultraseltene Geschenk. Du hast 30 Sekunden!" Die Questgeber stehen tagelang auf irgendwelchen Dächern, warten darauf, dass ich vorbei komme und wollen ihre Arbeit dann in Sekunden erledigt haben? In der Zeit hätten sie das auch dreimal selbst vorbei bringen können.

Mal ganz davon abgesehen, dass die Simulation der Stadt so mies ist, dass die Leute sich nicht vom Fleck bewegen oder mal ein Wort miteinander oder dem Spieler wechseln. Die stehen da wie Automaten, in die man Münzen einwirft, um Quests herauszubekommen. Und wenn man scheitert, plappern sie ihren ganzen Missionstext von neuem herunter. Nach der zehnten Wiederholung einer Delivery-Mission habe ich den Ton ausgeschaltet, nach dem zwölften Versuch habe ich abgebrochen. Eigentlich bin ich bei solchen Spielen ganz perfektionistisch und arbeite brav die Nebenmissionen ab, bevor ich mit der Story weitermache. Keine Chance. Nach dem ersten Drittel von Catalyst habe ich die Siedequests komplett aufgegeben. Fünfmal denselben Missionstyp als neu zu verkaufen ist spielerisch arm. Ganz arm. Das lehne ab.

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Der einzig interessanten Nebenaufgaben sind die so genannten GridNodes. Hier darf man ruhig bleiben, die Uhr tickt nicht. Stattdessen sind die GridNode-Räume kleine Puzzle mit Fallen und schwierigen Wegen, auf denen man sich bis nach oben zu einem Terminal vorarbeiten muss, um es zu hacken. Es ist ein bisschen vergleichbar mit den Aussichtstürmen in Far Cry, nur dass die GridNodes deutlich anspruchsvoller sind – dafür gibt es leider auch nicht so viele davon.

Hacken funktioniert in Mirror's Edge Catalyst übrigens durch Handauflegen. Hand aufs Terminal – gehackt. Hand auf einen Bildschirm – gehackt. Ob Faith auch die Karten legt und mit Mondscheinwasser getränkten Vulkansteinen meine Aura reinigt? Ihr Name passt schon mal ins Programm.

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Das Spiel, das es sein sollte...
...findet man in den oft gut designten Hauptmissionen. Die Story von Catalyst ist marginal besser als die vom Vorgänger, aber weit über "böse Konzerne bekämpfen" geht es nicht hinaus. Es geht stattdessen ums laufen, schnell, dynamisch und cool. Am besten funktioniert das in den Story-Missionen, denn hier läuft man nicht generische Wege ab, sondern durchdacht designte Level. Dass man zwar ständig auch Fahrstuhl fährt ist erneut anachronistisch, aber das Laufen durch die großen Gebäude, über Baustellen und Kräne ist großartig. Ab und zu werden Kämpfe eingestreut, die ähnlich viel Laune machen. Es gibt zwar Gegner mit Fernwaffen, aber Entwaffnen und selbst schießen wurde zum Wohle des Flows entfernt. Faith hat ein paar coole Schlag- und Trittcombos, kann Feine ineior boxen oder von Dächern stoßen. Die Bewegungen sind dynamisch und ein Dash hilft, auszuweichen und um die Gegner zu tänzeln. Am besten ist Catalyst aber dann, wenn man im Laufen jeden Feind mit nur einem Schlag erledigt ohne Tempo zu verlieren. Da Moves beim Rennen stärker werden, funktioniert das super.

Ich glaube, ein lineares Mirror's Edge mit mehr tollen Missionen wäre deutlich besser gewesen als die Hälfte der Spielzeit in einer mäßig interessanten Open World zu verbringen. Die Parkour-Elemente sind richtig gut, das Kampfsystem macht Spaß und in vielen Hauptmissionen passt einfach alles zusammen. Dazu eine Sorte Time Trials, um sich online zu messen und gut. Der Rest kann eigentlich weg. Schade. Ben

Mirror's Edge Catalyst wurde auf der Xbox One getestet. Ein Testmuster wurde uns von Electronic Arts zur Verfügung gestellt.

Mirror's Edge Catalyst

(Ranking)
B
RANK
Anständig. Stärken und Schwächen halten sich die Waage. Positive Überraschungen sind genauso selten wie negative. Unterm Strich muss man seine Spielzeit keinesfalls bereuen.

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09. Juni 2016
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