The Devil's Daughter im Test

(Artikel)
Rian Voß, 16. Juni 2016

The Devil's Daughter im Test

Sherlock Holmes hat nicht dazugelernt

Das ist jetzt echt blöd. Anscheinend hat Frogwares mein damaliges Review zu Sherlock Holmes: Crimes & Punishments nicht gelesen. Dumm gelaufen, denn Sherlock Holmes: The Devil's Daughter sieht gleich aus, spielt sich gleich und macht essentiell die gleichen Fehler. Das ist für zünftiges Ermitteln zwar meistens nicht schlimm, manchmal aber schon.

Zu lange an der Pfeife gezogen
Erst einmal zu den guten Sachen: Sherlock Holmes' London ist größer als zuvor. Der Privatdetektiv kann nun die Baker Street 221B jederzeit verlassen und zu Fuß durch nahe Gassen bis zum Scotland Yard marschieren, wo Inspector Lestrade die Spuren einer Affäre so hastig wie vergeblich zu vertuschen versucht. Straßenjungen verkaufen die frisch gepresste Tageszeitung, Bauleute bauen Gebäude auf und alles ist sehr lebhaft und authentisch. Und sinnlos.

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Okay, ich habe gesagt, wir kommen erst mal zum Guten, aber so hübsch das offene London ist - ich teleportiere mich ja doch per Notizbuch von Ort zu Ort. Was soll also dieses riesige, begehbare Gebiet, das man einmal abläuft, um ohne Erfolg nach Geheimnissen zu suchen? Die Mühe hätte man lieber in was ganz anderes stecken sollen. Die Grafik, zum Beispiel.

The Devil's Daughter hat den Sprung zwischen der letzten und der aktuellen Konsolengeneration komplett verpasst. Während die sehr abwechslungsreichen Gebiete allein aufgrund ihrer schaustückartigen Attraktion sehenswert und niemals langweilig sind, müssen vor allem die Figuren einstecken. Hölzerne Animationen, leblose Gesichter und gerade genügend Details, um nicht vollkommen veraltet auszusehen. Texturen laden ständig nach und manchmal, aber nicht häufig, bricht die Bildwiederholungsrate von flüssigen sechzig FPS auf unter dreißig zusammen. Das sollte bei einem für kräftigere Grafikkarten doch recht anspruchslos aussehenden Spiel eigentlich nicht sein.

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Passend zu den hölzernen Bewegungen passt übrigens die Vertonung. Abermals haben die Entwickler in die Synchronsprecher-Grabbelkiste gegriffen. Selbst dramatische Auseinandersetzungen klingen blass und öde. Das ist besonders schade, weil viele Figuren - von Holmes selbst über seine Tochter Kate, Watson und die mysteriöse Alice - durchaus Charme und interessante Dinge zu sagen haben, aber dann wieder so langweilig vorgetragen werden, dass die Effekte großteilig verpuffen.

Aber jetzt mal wirklich zum guten Teil: alle fünf Fälle machen Spaß, sind abwechslungsreich und halten den Spieler bei der Stange. Vor allem, wo einen die Fälle hinführen, ist nie langweilig. Einmal entdeckt Holmes nach einem Mord das originalgetreue Modell einer Pyramide und versetzt sich wortwörtlich in sie hinein, um den Prozess einer Expedition von vor zehn Jahren nachzuverfolgen. Ein andern mal nimmt man einen riesigen Unfall an einer Kreuzung unter die Lupe und rekonstruiert aus allen verfügbaren Hinweisen die Zeitlinie, um den Ursprung der Katastrophe zu ermitteln. Frogwares hat sich einiges einfallen lassen und allein die Bandbreite der gebotenen Fälle übertrifft Crimes & Punishments, das zumindest ein oder zwei schwächere Mysterien beherbergte.

sherlock-sneakAuch recht kompetente Schleichpassagen sind dabei.

Wie im Vorgänger kann Holmes auf ein breites Arsenal an Möglichkeiten zum Finden von Beweisen zurückgreifen. Ob er nun im Archiv sucht, am Wissenschaftstisch besondere Objekte unter die Lupe nimmt oder Schlösser knackt und wo einbricht - dieser Mann hat wirklich einiges drauf. Pro Fall muss man sich in vielen Minigames beweisen, die manchmal besser, manchmal schlechter, manchmal elegant und manchmal zu komplex gestaltet sind. Ich hatte mit den meisten Spaß, auch wenn ich bis heute nicht verstehe, warum ich zehn Minuten lang Boccia spielen musste.

Wer kein Fingerspitzengefühl hat oder mal stecken bleibt, kann ein Minigame oder auch manche Rätsel überspringen. Das ist auch gut, denn einige wenige sind auf eine unfaire Weise unspendabel mit Hinweisen, so dass man an dieser Stelle einfach stecken bleiben würde und stundenlang mögliche Lösungen ausprobieren müsste.

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Ich muss auch den letzten Fall besonders loben. Dieser bringt dann doch noch mal richtig Drama ins Spiel, indem er einen recht unterentwickelten Nebenplot um Holmes' Adoptivtochter nimmt und ihn in ein fulminantes Finale verwandelt, wo The Devil's Daughter noch einmal alle seine besten Elemente an Kombination, Minigames und Rätseln zur Schau stellt. Hut ab, am Ende war ich wirklich mitgerissen und hoffte aufs Happy End!

Einfach nur Bauchgefühl
Aber auch wenn das Ende des Spiels toll ist und das Herumdetektiven viel Spaß macht, hat Sherlock Holmes: The Devil's Daughter doch ein riesiges Problem: reine beschissene Willkür. Das war ebenfalls ein Kritikpunkt am Vorgänger: Wenn man am Ende eines Falls alle Beweisstücke zusammengetragen hat, muss man sie auf einem Board kombinieren und so zu einer Schlussfolgerung kommen, wer denn der Täter ist. Es gibt aber nie ausreichend Beweise, um einen Fall eindeutig abzuschließen.

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Falls ihr glaubt, dass das elegant ist und die Geschichte sich dann halt nach der Interpretation des Detektivs entwickelt, liegt ihr falsch: die Entwickler haben im Vorfeld den "echten" Täter festgelegt. Das führt dann etwa zu kuriosen Situationen, in denen etwa kaum etwas dafür spricht, dass ein Typ etwas Falsches gemacht hat, dann beschuldigt man den anderen, der dann Sekunden später eine Kiste voller abgetrennter Köpfe in der Wohnung des unschuldig Erscheinenden enthüllt. Hups.

Diese Raterei geht so weit, dass einige Plotpunkte der Ermittlung komplett unter den Tisch gefallen lassen werden. In einem Fall sah ein Zeuge, wie eine Statue von einem Sockel springt und davon läuft. Sie hinterlässt Kratzspuren und ein Freund des Zeugen entwickelt ähnliche Automaten. Die "richtige" Antwort auf diesen Fall greift diese Spur aber nie wieder auf - als wäre es komplett egal. Wo ist die Statue hin? Wer hat sich vom Sockel gebrochen? Alles egal.

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Hinzu kommt, dass man nun auch beim Erstellen von Charakterportraits, die Einfluss auf die Zeugenbefragung haben können, Fehler machen kann. Sagt das blaue Auge nun aus, dass sich der Typ geprügelt hat oder ist er in einem Boxclub? Keine Ahnung! Aber wenn man falsch rät, kann man es nicht ändern und der Stempel "IMPRECISE" liegt wie ein Schandmal ewig über dem Eintrag im Journal. Brrr.

Fazit
Auch wenn Sherlock Holmes: The Devil's Daughter eine grafische Überholung benötigt und die Sprecher trockener klingen als ein Stück Zwieback aus dem Toaster, habe ich das Spiel doch zum Großteil genossen. Sowohl die Gebiete als auch die Fälle sind abwechslungsreich und spannend, nur ab und zu werfen einem etwas zu umständlich gedachte Rätsel einen Stock zwischen die Beine. Das große Missgeschick ist nur die Willkür - wenn alles, was man tut, auf eine einzige Raterei hinausläuft, dann fühlt sich die Spielzeit verschwendet an. Hier sollten Spieler, die alle Beweise finden, einen klareren Weg zur Lösung bekommen.

Sherlock Holmes: The Devil's Daughter wurde auf dem PC (Windows 10 64-Bit, 16 GByte RAM, Intel Core i5-4690, Nvidia GeForce GTX 970) getestet. Ein Testmuster wurde uns von Big Ben Entertainment zur Verfügung gestellt.

Sherlock Holmes: The Devil's Daughter

(Ranking)
B
RANK
Anständig. Stärken und Schwächen halten sich die Waage. Positive Überraschungen sind genauso selten wie negative. Unterm Strich muss man seine Spielzeit keinesfalls bereuen.

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10. Juni 2016
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Plattform - PC-Spiele haben mit die älteste Tradition. Heutzutage laufen die meisten Games unter dem Microsoft Windows.
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