Anno 2205 im Test

(Artikel)
Adrian Knapik, 18. November 2015

Anno 2205 im Test

Ich bin kurz vorm Burnout und hab' Spaß dabei

Wusstet ihr dass die Quersumme der Zahlen im Titel der Anno-Reihe immer Neun ergibt? Nach 17 ganzen Jahren, die uns diese Serie mittlerweile begleitet, ist es schön, auch mal so etwas zu erfahren. Auch wenn ich zugeben muss, dass sie durchaus unter die Kategorie unnützes Wissen fällt. Wem die Jahreszahlen allerdings ständig entfallen, der kann sich zumindest eine kleine Gedächtnisstütze damit aufbauen. Der neueste Teil der Serie nennt sich also Anno 2205 und begibt sich somit noch ein weiteres Stück in die Zukunft und zudem weg von den Unterwasserstädten hin zur Besiedelung des Mondes. In Zukunft heißt es also: Ich klau dir ein Stück vom Mond, Baby!

anno2205_gemaeßigtoberflaeche

Das neue Anno überrascht direkt mit einer Neuerung: das klassische Endlosspiel, wie man es aus den vorigen Teilen kennt und liebt, existiert nicht mehr! Aus, Ende! Vorbei ist das Spiel mit den zufallsgenerierten Karten, mit den bis ins kleinste Detail veränderten Einstellungen und dem perfekt an den eigenen Spielstil angepassten Schwierigkeitsgrad. Stattdessen wurde der Karrieremodus mit dem Endlosspiel verbunden. Im Detail sieht das so aus: zu Beginn erstellt man sich seine eigene Firma, stellt den gewünschten Schwierigkeitsgrad ein und wählt kleine Details, wie das eigene Logo, aus Vorgaben aus – und schon kann’s losgehen. In Anno 2205 gibt es insgesamt neun Regionen zu besiedeln. Dabei hat man die Wahl zwischen jeweils drei Gebieten aus jeder Klimazone, sprich die gemäßigte Zone mit normalem Wetter, der Arktis und dem Mond. Für den erfahrenen Strategiespieler klingt das erst einmal wie ein todgeweihtes Spiel. "Nur neun Gebiete, die man besiedeln kann? Pah, das habe ich doch in spätestens fünf Stunden komplett durchgespielt!" Von wegen! Anno zeigt, dass mit einem kleinen Grundgerüst ein riesiges und dazu noch komplexes Strategiespiel aufbauen kann.

Am Anfang stehen einem also drei Gebiete aus der gemäßigten Klimazone zur Verfügung. Jedes Gebiet besitzt dabei verschiedene Eigenschaften, wie die tatsächlich bebaubare Fläche und spezielle Aufgaben oder Möglichkeiten. Wenn in einem Areal zum Beispiel seltene Rohstoffe existieren, gibt es dazu eine größere Nebenquestreihe, die man absolvieren muss, um von diesen Rohstoffen zu profitieren. Das Ziel eines jeglichen Spiels ist übrigens, den Weltraumhafen zu errichten und auf dem Mond eine Siedlung aufzubauen, um letztendlich dort Fusionsreaktoren erschaffen zu können. Mit diesen kann man dann über eine spezielle Energieverbindung die Kraft zur Erde leiten, um alle Städte mit Energie zu versorgen. Aber bis zu diesem Punkt ist es ein langer Weg, vor allem wenn man alle verfügbaren Nebenmissionen auskostet und sich nicht stupide auf das Ausbauen der eigenen Stadt konzentriert.

anno2205_bauprojekteEin besonderes Bauprojekt: In einem Sektor kann man einen riesigen Staudamm errichten - und erhält dadurch eine Menge Energie.

Wie man es bereits aus den Vorgängern kennt, muss man mit Transportzentren die Logistik in den Städten aufrechterhalten. Genauso muss man für ausreichend Strom sorgen und die Bürger ständig mit den Grundnahrungsmitteln versorgen, damit sie nicht davonflüchten. Denn es gilt: je mehr Bürger in unserer Stadt leben, desto mehr Geld fließt in die Kassen. Wo zu Anfang unsere Produktionsabläufe noch kinderleicht sind und man kein Problem damit hat, eine ausreichende Versorgung herzustellen, wird Anno 2205 mit zunehmender Gebietsanzahl unglaublich komplex. Durch die riesige Anzahl an Produkten aus eurer Produktions-Pipeline und die später zunehmende Wichtigkeit von Handelswegen zwischen euren Gebieten ergeben sich Abhängigkeiten, die euch schneller in den Ruin treiben, als ihr blöd gucken könnt. Denn: einmal nicht aufgepasst, habt ihr einen Mangel in einer Produktion, wodurch euch möglicherweise ein Grundrohstoff fehlt und eine ganze Produktionskette zum Erliegen kommt. Dadurch kann es passieren, dass ein Handelsweg zwischenzeitlich abbricht und im Zielgebiet nun ebenfalls etwas Essenzielles fehlt. Die Herausforderung von Anno ist nun, schnellstmöglich den Fehler aus der Masse an Informationen herauszufiltern und ihn zu korrigieren, solange ihr noch die finanziellen Möglichkeiten habt. Denn solltet ihr euch entscheiden auf der schwierigsten Stufe zu spielen, heißt es bei einem roten Bankkonto: die Koffer packen und ins Exil gehen.

Um den Überblick über die eigenen Ressourcen zu behalten, kann man mithilfe des wirklich gelungenen HUDs jederzeit die Bestände einzelner Gebiete – oder auf der Übersichtskarte aller Gebiete – einsehen. Die Benutzeroberfläche ist aufgeräumt und viele Funktionen sind nicht mehr als einen Klick entfernt, was die Bedienung sehr angenehm, flüssig und komfortabel gestaltet. Wenn man zum Beispiel eine Ressource betrachten möchte, die man nur in der Arktis erhält und in die gemäßigte Zone liefert, werden einem beim Auswählen dieser auf der Weltkarte sofort alle Bestände in den einzelnen Gebieten und die laufenden Handelswege hervorgehoben. Einzig die langen Wege für die Augen zwischen den einzelnen Elementen, denn das meiste ist wirklich in die vier Ecken des Bildschirms gedrängt, trüben manchmal den Spaß. Das hört sich möglicherweise penibel an, aber nach ein paar Stunden merkt man, wie anstrengend es ist, schnell den Blick auf die verschiedenen Ecken zu richten. Anno ist also nicht nur Denktraining, sondern auch Training für die Augenmuskeln!

Etwas enttäuschend sind die zahlreichen Nebenmissionen, die einen beim Aufbau begleiten. Dazu zählen auch jegliche militärische Aktionen – ja, richtig gelesen, Krieg ist in Anno 2205 nur noch Nebensache. Aber nicht die "schönste Nebensache der Welt", sondern eher die stupideste. In den ersten Stunden sind die Nebenmissionen zwar noch eine gelungene Abwechslung zum Baualltag, aber danach klickt man nur noch genervt eine Anfrage der NPCs nach der anderen weg, da sie entweder zu wenig Belohnungen mit sich bringen oder man zum hundertsten Mal ein defektes Schiff von A nach B schleppen muss. Viele Nebenmissionen sind auch auf simples Suchen von Kisten reduziert, die man dann irgendwo auf der Landkarte findet – Grüße an die Point-&-Click-Titel, aber das gehört hier in der Masse einfach nicht hin!

anno2205_arktis

Während in den Vorgängern der Krieg auch direkt neben der eigenen Stadt stattfand, ist dies bei Anno 2205 nur in den speziell dafür vorgesehenen Krisenzonen möglich – und dort auch nur auf dem Wasser. Es ist eine Entscheidung, die aufgrund der neuen Areal-Designs gemacht wurde. Einzelne Gebiete sind jetzt nämlich deutlich kleiner und man hat auch keine KI mehr in seiner direkten Nachbarschaft, mit der man in Streit geraten könnte. Stattdessen sind alle NPCs freundlich gesonnen, abgesehen von den Separatisten. Diese stellen sich vehement gegen das Mondprojekt und versuchen mit militärischen Aktionen (aber bzr in vordefinierten Krisenzonen!) unsere Pläne zu verhindern. Als Spieler habt ihr die Möglichkeit, euch in den Docks eure Schiffsflotte zusammenzustellen und mit dieser dann in den Krieg zu ziehen. Jedes Schiff kann außerdem noch aufgewertet werden, sodass sich die Werte wie Angriff und Panzerung verbessern. Zu den eigenen Schiffen gibt es dann in den Missionen noch zusätzliche Power-Ups zum Aufsammeln – und die machen im Kampf den Unterschied aus. Nur mit dem gut geplanten Einsatz dieser Power-Ups kann man eine Kriegsmission ohne große Verluste abschließen. Es gibt drei Power-Ups: das Raketensperrfeuer, U-Boot-Verstärkung und den EMP. Zusätzlich zu den Power-Ups kann man mithilfe von Treibstoff, den man von getöteten Feinden oder Hafengebäuden erhält, seine eigenen Schiffe heilen oder temporär unsterblich machen. So spannend das auch klingt, nach höchstens zehn Missionen habt ihr hier den Dreh raus und müsst euch nicht mehr sonderlich anstrengen, um erfolgreich zu sein – da kann man sich nur bedanken, dass diese Missionen ebenso optional sind, wie der Rest der Nebenmissionen.

Grafisch ist Anno 2205 wunderschön anzusehen. Alle Texturen sind knackig und vor allem die einzelnen Gebäude sind so liebevoll und detailreich gestaltet, dass man am liebsten die ganze Zeit in der Detailansicht über seine Stadt huschen möchte. Die Bäume bewegen sich grazil im Wind und das Meer klatscht mit tosenden Wellen gegen die Klippen der Inseln – durch die deutlich reduzierten Gebiete sind sie grafisch besonders aufwendig ausgearbeitet worden. Die Begleitmusik lädt im Gegensatz zum ständig fordernden Spiel zur Entspannung ein und setzt somit einen schönen Kontrast, den man dann in einzelnen Momenten genießen kann, wenn mal tatsächlich alles so läuft, wie es geplant war.

anno2205_mondoberflaeche

Was im neuen Anno (noch) fehlt, ist ein Multiplayer-Modus. Noch ist nicht ganz klar, ob dieser in einem Add-On nachgeliefert wird, die Gerüchteküche brodelt hier ganz stark, aber dennoch muss man nicht ganz ohne Online-Funktionen auskommen. Wer beim Spielen mit dem Internet verbunden ist, darf bei Parlamentswahlen des Weltmarktes mitmachen und seine demokratischen Leidenschaften voll ausleben, indem er ganz anonym auf eine Schaltfläche drückt, um von der gewählten Firma seines Vertrauens verschiedene Boni, wie kostenlose Gebäude oder zusätzliche Ressourcen, zu erhalten. Die Wahlergebnisse werden dann offiziell zusammengerechnet und allen Spielern präsentiert. Aber auch wenn ihr offline spielt, bleiben euch diese Boni nicht verwehrt, denn auch hier könnt ihr eine Firma für die Boni wählen, nur dass ihr auf die offiziellen Wahlergebnisse aus dem Internet verzichten müsst. Auch der Weltmarkt an sich ist in die Online-Funktionen eingespannt – laufend aktualisieren sich die Preise für einzelne Produkte oder Rohstoffe. Wie am realen Aktienmarkt laufen dann für jeden Spieler ersichtlich in einem Lauftext die veränderten Preise über den Bildschirm. Diese passen sich dem Handelsverhalten der Spieler an, indem Produkte teurer werden, wenn gerade viel gekauft wird, und spottbillig werden, wenn sie den Markt überfluten. Ein wirklich tolles und spannendes Feature, so dass schon beim passiven Beobachten der Preise Spaß macht!

Bei Anno 2205 gibt es immer was zu tun. Wie in einem riesigen Wirr-Warr an Zahnrädern gilt: dreht man an einem, verändert sich die Position aller anderen mit. Man steht also ständig unter dem Druck, vorauszudenken und aufzupassen, sich nicht selbst den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Und gerade das ist das Wunderbare an diesem Anno - es besticht gleichzeitig mit leicht zu erlernenden Abläufen und Spielprinzipien und wird dennoch herrlich komplex im End-Game. Und trotzdem ist es nicht das perfekte Spiel, denn gerade die misslungenen Militäroperationen und die faden Nebenquests sind ein dicker Minuspunkt. Anno hat sich verändert, wagt Neues, und hat den Schritt mit Bravour geschafft. Adrian

Anno 2205 wurde auf dem PC (Windows 10 64-bit, 8 GByte RAM, Intel Core i5-4670, AMD Radeon R9 270X) getestet. Ein Testmuster wurde uns von Ubisoft zur Verfügung gestellt.

Anno 2205

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A
RANK
Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

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16. April 2024 um 17:46 Uhr
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RELEASE
03. November 2015
PLATTFORM
PC
Plattform - PC-Spiele haben mit die älteste Tradition. Heutzutage laufen die meisten Games unter dem Microsoft Windows.

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