The End Times - Vermintide im Test

(Artikel)
Paul Rubah, 05. November 2015

The End Times - Vermintide im Test

Rattengulasch nach Zwergenart

Die Welt geht dem Ende entgegen - aber nicht so, wie man sich das wünschen würde. Die Bewohner der Fantasy-Stadt Ubersreik ertrinken über Nacht in pestilenten Pelzen, denn die Skaven-Rattenmenschen kommen aus ihren Tunneln und überrennen einfach alles. Das ist, was Skaven tun. Sie sind nicht stark, sie sind nicht schlau, sie sind nicht mächtig... sie sind einfach nur viele. Und als einer von fünf tapferen Recken stellt man sich der Ungezieferflut in Warhammer: The End Times - Vermintide.


Glatt kopiert
Vermintide bedient sich dabei äußerst stark an Valves Left-4-Dead-Serie. So stark, dass es manchmal schwierig ist, die kreative Arbeit der Entwickler von der Vorlage zu trennen. Vier Spieler beginnen eine von 13 Missionen, die sehr einfache und nachvollziehbare Ziele haben können oder mehr die Absurdität des magischen Settings bedienen. So müssen die Spieler in manchen Aufträgen Nahrung für die hungernden Überlebenden in Ubersreik finden. In einer anderen gilt es dagegen, einen von sich selbst sehr überzeugten Zauberer bei einem Ritual zu helfen, damit der seinen Schutzzauber auf unsere Basis erneuert. Dabei ist der Missionsablauf dem Zombiespiel sehr ähnlich: Die Spieler bewegen sich von A nach B, machen Ratten platt und müssen dann entweder Objekte einsammeln, Objekte zerstören oder einfach nur ausharren - unter Wellen der Rattenplage.

Dabei schämt sich das Spiel nicht, viele Stilpunkte von Left 4 Dead abzuschreiben. Entdeckte Objekte bekommen eine bläuliche Silhouette und auch seine Mitspieler entdeckt man auf diese Weise leicht durch Wände hindurch. Charaktere unterhalten sich miteinander, das Spiel wirft einen ohne Tutorial ins kalte Wasser und selbst das Item-Management ist gleich: Eine Nahkampfwaffe, eine Fernkampfwaffe, ein Heilitem, eine Granate und ein Power-Up darf eine Figur schleppen. Heilung mit Bandagen benötigt ein paar Sekunden, Tränke funktionieren dagegen schneller. Und wie man es von Left 4 Dead kennt, agiert hinter den Kulissen ein Computer-Regisseur, der die Party überwacht, Items nach ihrem augenblicklichen Zustand und dem Schwierigkeitsgrad dynamisch verteilt und Einzelgängern Gegnerhorden entgegen wirft, damit sich die verlorenen Schafe schnell wieder zur Gruppe zurückgesellen. Am Ende einer Mission müssen es die Spieler lebend ins Fluchtvehikel (sprich: den Safe Room) schaffen und die Tür verschließen.

vermintide-02Blutende Ratten, fliegende Köpfe!

Die größte Kopie liegt wahrscheinlich bei den Gegnern, denn hier macht Vermintide kaum etwas Eigenes. Der Gutter Runner springt von Dach zu Dach und sticht einsame Spieler wie ein Hunter ab. Ein Pack Master kommt mit einer Stange gelaufen und verschleppt sie wie ein Smoker. Poison Wind Globadiers schmeißen Gift, das die Sinne benebelt, genau wie ein Spitter. Und der Rat Ogre ging gemeinsam mit dem Tank ins Bodybuilding-Studio. Zwei Gegnertypen stechen aus der Skavenmasse hervor, aber nicht viel: der Ratling Gunner ist eine Ratte mit einer Minigun, die einen tödlichen Kugelhagel auf ein einziges Ziel abfeuert. Ein Stormvermin ist dagegen ein Nager in voller Rüstung, der nur durch Kopftreffer oder panzerbrechende Waffen zu schlagen ist. Unterm Strich ist das aber nicht viel kreative Eigenleistung und ich kann gut verstehen, wenn jemand Vermintide einen Reskin oder ein glorifiziertes Mod nennen möchte.

Nach einigen Diskussionen mit Freunden und mir selbst muss ich aber sagen: Mir ist das egal! Denn Vermintide macht Spaß und das letzte Left 4 Dead ist schon eine Weile her! Es ist schade, dass das Spiel weder vom Missionsdesign noch von den Gegnertypen her auf Left 4 Deads Basis aufbaut, aber ich sage: lieber gut geklaut als schlecht selbst gemacht. Und dass Klauen selbst unter Freunden nicht so einfach ist, das sieht man allein am verhunzten Batman: Arkham Origins. Glücklicherweise macht Vermintide doch noch ein paar Dinge ein wenig anders, so dass man überhaupt nicht von einer blanken Kopie sprechen muss.

vermintide-08Saltzpyre, Kerillian, Bardin, Sienna und Kruber.

Und doch irgendwie sein eigenes Ding
Vermintide trifft den atmosphärischen Nagel auf den Kopf. Die Areale reichen von düsteren Städten, Ruinen aus verrotteten Planken, Tunneln, Mooren, Häfen und dem angesprochenen Zauberturm bis zu ungewohnt grünen Bauernhöfen. Dabei sind alle Level detailliert, laden zu einem leichten Erkunden ein und lassen trotzdem zu keiner Zeit die Bedrohung einer nahenden Rattenflut fallen. Selbst wenn man gerade erst eine Horde zurückgeschlagen hat, fühlt man sich nie sicher. Man hört sich um nach Getapse, sucht nach springenden Schemen auf den Dächern oder packt die Flinte nur zur Vorsicht aus, weil man um die nächste Ecke einen Pack Master erwartet. Wenn dann das Horn erschallt und das Ungeziefer aus allen Gullideckeln kriecht, die Spieler automatisch zusammenrücken und die Charaktere ihre Kampfes- und Schmerzensschreie loslassen, dann fühlt man sich mittendrin und das Adrenalin sprudelt durch die Schläfen.

Zur stimmigen Atmosphäre tragen auch die hervorragend gelungenen Figuren und die tolle Arbeit der Synchronsprecher bei. Da wäre einmal Kerillian, eine mysteriöse Elfe mit schottischem Akzent, die Pfeile wie ein Legolas im Dauerfeuer von der Sehne jagt. Sienna Fuegonasus lässt dagegen die Flammen sprechen und verpasst keine Chance, einen Feuerwitz zu machen. Bardin Gorrekson hackt dagegen gerne blutrünstig und betrunken seine Axt in zwergenhohe Magengruben und verbarrikadiert sich hinter seinem Schild. Markus Kruber ist ein ehrenwerter Sergeant des Imperiums, Victor Saltzpyre dagegen ein Hexenjäger mit Degen und Pistolen und einer so unglaublich deutschen Ader, dass er den Bösewicht in Indiana-Jones-Filmen spielen könnte. Alle Figuren interagieren miteinander, rufen laut "Hier!", wenn sie den weiteren Weg durchs Level finden, kommentieren gegenseitig die Hintergründe, Motivationen und auch die Performance in der Schlacht - und das so natürlich, dass man die Spielfiguren mit den eigentlichen Spielern dahinter vermischt. Dabei wiederholen sich die Sprüche in einem erträglichen Maße, so dass man nicht wie in einem Fußballspiel ständig wegen der Kommentatoren die Augen rollen muss. Es ist zwar ein wenig schade, dass die Story eher mau ausfällt und in der harten Missionsstruktur kaum tiefer erörtert wird, aber wem die Graffitis in Left 4 Dead egal waren, der wird sie auch in Vermintide nicht vermissen.

vermintide-07Das Red Moon Inn dient als Hauptquartier.

Außerdem bietet Vermintide ein simples Lootsystem, das den Spieler dazu lockt, Missionen immer wieder aufs Neue zu spielen. Bei einem Level Up bekommt man erst einmal eine zufällige Waffe für einen Charakter. Damit kann man schon ein wenig am Loadout verändern - es macht einen großen Unterschied, ob man als Zwerg den mächtigen Zweihandhammer mitnimmt oder doch lieber den Schild. Ob man als Elfe den langsameren und stärkeren Langboden einsteckt oder doch den viel schnelleren Kurzbogen. Ob man als Hexenjäger den Zweihänder schwingt oder mit Rapier und Pistole in der Hand ans Werk geht. Ob man als Magier auf Feuerstrahlen setzt oder lieber auf fette Explosionen. Waffen haben darüber hinaus Zusatzeigenschaften, können etwa Kopfschüsse verursachen, Rüstung durchstoßen oder weitere schlimme Dinge.

Bessere Ausrüstung mit freien Upgrade-Slots findet man in der Regel am Ende einer Mission - da wird dann gewürfelt. Je mehr gute Ergebnisse, desto besser die Waffe. Zusätzliche Würfel kann man einsacken, indem man den Superwürfel in der Mission findet, mit einem Grimoire die Lebensenergie aller Spieler verringert oder im Slot fürs Heilitem ein Buch trägt. Das alles erschwert die Mission, macht sie dafür aber auch interessanter und lohnender. Einziges Ärgernis ist da, dass auch beim Würfeln die Waffen zufällig sind. Wer den Soldaten spielt und immer nur Gegenstände für die Elfe bekommt, der flucht sich irgendwann in den Schnauzer. Immerhin kann man Gegenstände einschmelzen und zu neuen Waffen höherer Wertigkeit fusionieren - aber auch hier ist der Ausgang zufallsbasiert.

vermintide-05Das sind noch wenige.

Letztendlich ist auch das Spielgefühl ein anderes. Während man in Left 4 Dead um sein Leben bangt und frenetisch Kugeln zählt, legt Vermintide einen stärkeren Fokus auf den Nahkampf. Nicht nur das, die Spielcharaktere sind auch einfach mächtiger und können Ratten im Dutzend schnetzeln. Das heißt nicht, dass das Spiel leicht ist. Insbesondere wenn man sich mit unerfahrenen Gruppen tummelt, endet das Spiel sehr schnell unter einer Hundertschaft hungriger Rattenkörper. Ich habe die erste Mission fünfmal spielen müssen, bevor ich es endlich schaffte und überhaupt weitere Level zur Wahl hatte. Aber wenn man seine Figur verstanden und die Gruppendynamik intus hat, dann fühlt man sich das ganze Spiel über wie Aragorn, Gimli, Legolas und Gandalf in Moria oder Helms Klamm. Rücken an Rücken, vierzig Orks an jeder Seite und eigentlich keine Chance auf einen Sieg. Man flieht, dreht sich um, steht seinen Mann und stemmt die Flut wie ein tödlicher Stein in der Brandung. Wie viele andere reinen Multiplayerspiele hängt auch das Erlebnis in Vermintide sehr von den Mitspielern ab. Glücklicherweise sind die meisten Spieler im Matchmaking keine Idioten wie in The Legend of Zelda: Tri Force Heroes, sondern sind einigermaßen kompetent. Oder kommen zumindest zu Hilfe, wenn einen der Gutter Runner ausweidet. Insofern war es für mich ein durchaus positives Spielerlebnis.

Bei all dem schönen Lob für ein unterhaltsames Multiplayerspiel, das vom Besten das Beste kopiert hat, aber leider nicht viel Mut zu allzu großen Veränderungen hatte, muss ich doch noch eine Warnung aussprechen: Falls ihr jetzt auf den Vermintide-Geschmack gekommen seid, dann schaut erst einmal auf die Systemvoraussetzungen. Größter Knackpunkt: die sechs Gigabyte Arbeitsspeicher. Die sind Minimum und wir können euch aus Erfahrung sagen, dass Vermintide für Spieler ohne das nötige RAM komplett unspielbar ist - selbst wenn der Rest stimmt. Da wird hoffentlich noch ein wenig nachoptimiert, denn wenn der Titel nächstes Jahr auf Konsole erscheinen sollte, muss das mit den Specs ja auch irgendwie klappen. Wenn die Hürde gemeistert ist, könnte Vermintide sogar für die meisten Spieler als Klon mit der Qualität des Originals gleichziehen.

Warhammer: The End Times - Vermintide wurde auf dem PC (Windows 10 64-Bit, 16 GByte RAM, Intel Core i5-4690, Nvidia GeForce GTX 970) getestet. Ein Testmuster wurde uns von Fatshark zur Verfügung gestellt.

Warhammer: End Times - Vermintide

(Ranking)
A
RANK
Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

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23. Oktober 2015
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