PES 2016 im Test

(Artikel)
Haris Odobašic, 03. Oktober 2015

PES 2016 im Test

Im Formhoch

Letztes Jahr markierte gemeinhin den Zeitpunkt, in dem die PES-Reihe nach gut einer halben Dekade der Schwäche wieder zu EAs FIFA aufstoßen konnte. Das Debüt auf den Next-Gen-Konsolen hatte vom Gameplay endlich wieder ein Niveau erreicht, bei dem Vergleiche zu den klassischen Teilen 3 bis 6 nicht mehr wie Blasphemie klangen. Und auch wenn Schwächen blieben, gerade im Bereich der Grafik, hatte Konami eindrucksvoll bewiesen, dass sie noch am Ball sind. Doch marschiert Konami nach diesem Erfolg weiter wie die Bayern, oder geht es schnell wieder runter ins Mittelmaß der vorherigen Jahre?

Zumindest an den Gameplay-Stellschrauben wurde fleißig gedreht, um die Geschwindigkeit noch etwas zu erhöhen, was das gesamte Spiel dynamischer gestaltet. Das sieht man zum Beispiel gut an den Zweikämpfen, die im letzten Jahr noch eher binär abliefen. Entweder man wurde vom Ball weg geschubst und bekam keine Gelegenheit, ihn wieder zurückzugewinnen, oder man wehrte den Verteidiger so stark ab, dass dieser aus dem Spiel genommen wurde. Dieses Jahr existiert ein Spektrum zwischen diesen Extremen, in den euer Spieler auch mal stolpert, sich aber gerade noch so fängt, um den Ball noch zu behaupten, oder so viel Balance hat, dass er direkt nach Verlust gleich zum Tackling ansetzen kann, um den Ball zurückzuerobern.

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Aber auch andere Zweikämpfe laufen ähnlich dynamisch ab. Wenn der schmächtige Flankenflitzer sich gegen den Hünen aus der Innenverteidigung im Kopfballduell misst, ist das Resultat eigentlich klar: Der Große kommt an den Ball. In PES 2016 kann man aber so viel Gebrauch von seinem Körper machen, dass man Goliath zumindest so sehr aus der Balance bringt, dass sein Kopfball wenigstens etwas missglückt oder er gar vorbeisegelt, was ganz neue Chancen ermöglicht.

Diese Dynamik zieht sich durch das gesamte Spiel, was man auch beim Kurzpassspiel sehr deutlich merkt. Hier ist es einfacher als je zuvor, schnell zu spielen, um aus Verteidigung in Angriff umzuschalten oder die solide stehenden Verteidiger am Strafraum auszuspielen. Allerdings verzichtet PES auch nicht auf Anspruch: Ordentliches One-Touch-Passspiel erfordert, dass ihr eure Ballberührung entsprechend gut dosiert, damit euer Ball auch wirklich die Distanz bis zum Ziel überwindet.
Wie wichtig das ist, merkt man besonders, wenn man schwächere Spieler ins Passspiel einbindet, die es dann sehr schwer finden, einen hart gepassten Ball ähnlich schnell und präzise weiterzuleiten. In einem Team mit Mittelfeldmagiern hingegen zaubert man sich durch manche Verteidigung, sehenswerte Tore sind an der Tagesordnung.

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Ein großes Problem sind aber die Torhüter. Ein Neuer hält alles und jedes Tor gegen ihn ist äquivalent dazu, beim Champions-League-Finale selbst auf dem Platz zu stehen und den entscheidenden Treffer zu machen.
Alle anderen Torhüter hingegen sind unfähig bis zum Gehtnichtmehr. Fernschüsse und Kopfbälle halten sie, so wie man es erwarten würde. Aber Freistöße ab einer bestimmten Distanz sind ein fast sicheres Tor und gerade flache Kullerbälle gehen mit einer Häufigkeit rein, die nicht mehr schön ist. Der Schlenzer gilt sowieso seit Jahren als viel zu starker Schuss, aber früher musste man wenigstens die Kraft halbwegs ordentlich dosieren. Jetzt kann man auch den Schussknopf minimalst antippen und schaut fröhlich, wie der Torhüter springt wie ein Fisch an Land, um die Hand erst dann zu Boden zu kriegen, wenn der Ball längst mit seinen fünf Stundenkilometern vorbeigeschlichen ist. Ist man im Strafraum, ist es fast immer ein Tor und so wird gefühlt jedes zweite Spiel ein regelrechtes Torfest. Persönlicher Rekord war ein 17:2 und mein Gegner hatte die besseren Spieler. Im Vorgänger habe ich so viele Tore nicht mal geschossen, wenn mein Gegenspieler inaktiv war.

Die Inkonsistenz der Torhüter macht das Spielgefühl nicht wirklich schlechter, aber wenn so viele Spiele in einem absurden Ergebnis wie 6:5 zu enden scheinen, verliert das Spektakel doch seinen Reiz. Der Anspruch bei PES ist hoch und jede Torchance will bitter erkämpft werden, doch das Belohnungsgefühl ist ungleich höher, wenn manch eine schön herausgespielte Chance auch daneben geht und man sich entsprechend mehr freut, wenn der Knoten schließlich platzt. Bei PES wird man quasi am laufenden Band belohnt - und eine richtige Katharsis, wo man nach ewigem Anlaufen endlich ein Tor erzielt, ist entsprechend selten. Analog dazu gilt, dass man in der Defensive dauernd unter immensem Stress steht, weil man einfach weiß, dass auch der kleinste Fehler oft in einem Tor resultiert.

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Konami ist bekannt dafür, nach Release bei PES noch an der Spielbalance mit Patches zu feilen, und ich wäre nicht überrascht, wenn wir schon beim nächsten Patch etwas solider agierende Torhüter sehen.

Beim Drumherum wurde die Meister-Liga, mal wieder, überarbeitet. Die größte Neuerung ist, dass man, neben Zwischensequenzen, endlich Zugriff auf ein richtig großes Statistikpaket hat, welches einem zum Beispiel zeigt, wie genau die eigenen Spieler in vitalen Bereichen wie dem Passspiel performt haben. Das erlaubt es, Leistungen zu quantifizieren und sich fast wie ein kleiner Manager nach "Moneyball"-Prinzip zu fühlen, der die Effektivität seiner Recken so möglichst objektiv bewerten kann, statt sich nur auf das Bauchgefühl zu verlassen. Schade nur, dass man nicht in jedem Modus so ausführliche Statistiken geboten kriegt. Der myClub-Modus, mittlerweile wohl Herzstück von PES, muss darauf verzichten.

Allerdings hat Konami auch am Herz große Operationen gewagt und den Modus nach der Einführung letztes Jahr stark überarbeitet. Für die, die bei PES 2015 nicht dabei waren: man fängt mit einer Reihe von 08/15-Gurkenkickern an und baut sich nach und nach ein Traumteam zusammen. Dazu tritt man gegen andere Spieler an, um GP zu verdienen und diese dann wiederum in Verträge und neue Spieler zu verdienen.


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Was direkt auffällt, ist, dass die Werte eurer Spieler nun dynamisch sind. Letztes Jahr waren die Attribute in Stein gemeißelt. Dieses Jahr bringen gute Leistungen, viele Einsätze sowie – außerhalb von Partien – Trainer eine gewisse Menge an Steigerungen. Keine massiven Sprünge – aus einem Zweitliga-Spieler wird niemals ein Messi, aber in einem gewissen Rahmen kann jeder Spieler eben an Stärke zugewinnen. Das läuft über ein relativ simples Level-Up-System, das von Level 1 bis Level 50 geht. Level 30 ist die normale Stärke des Spielers, aber manchmal erwischt man eben durch das Scouting einen Spieler, der erst auf Level 1 anfängt und aufgebaut werden will.

Das alleine schon führt dazu, dass ihr eine ganz neue Bindung zu euren Recken aufbaut, wachsen sie doch mit eurem Team mit. Jeder Gewinn in einer der Attributskategorien sorgt für zusätzliche Freude und man kann es kaum abwarten, auszutesten, ob der neue Punkt im Bereich Schnelligkeit wirklich einen Unterschied in den nächsten Partien macht.

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Dabei bietet alle das dahinterliegende Trainersystem viel Potenzial zur Optimierung. Man kann nämlich Spieler, die man nicht mehr braucht, weil sie beispielsweise nicht ins Team passen, für ein paar Groschen verkaufen – oder man wandelt sie in einen Trainer um. Der kann dann einem einzelnen Spieler einen Bonus auf die Erfahrungspunkte geben, abhängig davon, wie ähnlich sich die Spieler sind. Ein Stürmer bringt einem Torhüter nichts Neues bei, aber wenn zwei Mittelfeldspieler eine ähnliche Position bekleiden, ähnliche Werte aufweisen und auch noch das gleiche After Shave benutzen, dann kann der Bonus an Erfahrungspunkten dutzende Trainings wert sein.

Auch im taktischen Bereich hat sich ein bisschen was getan durch die Zunahme von Assistenztrainern. Letztes Jahr hatte man einen Trainer für sein Team, der die Formation bestimmte - selbst was entscheiden war nicht. Dieses Jahr kann man aber noch bis zu zwei Assistenztrainer einstellen, welche ihre eigenen Formationsvorgaben mitbringen, und die es einem so erlauben, per Knopfdruck im Spiel zu wechseln, damit man einem knappen 1:0-Rückstand nicht mit einem 5-4-1-Bollwerk hinterherlaufen muss.

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Letztes Jahr habe ich mich noch mit myClub schwergetan und der Meister Liga Online, die davon ersetzt wurde, hinterhergeweint. Dieses Jahr bin ich voll und ganz überzeugt: myClub ist großartig und täglich ein paar Matches darin zu absolvieren hat sich zu einem richtigen Ritual entwickelt. Es kann zwar ein bisschen frustrierend sein, dass man bei den Spielereinkäufen nie die volle Kontrolle hat – auch wenn man mit Scouts ein paar Faktoren einschränken kann, entscheidet am Ende immer der Zufall, ob man nun Cristiano Ronaldo oder irgendeine Milchgesicht aus den unteren Ligen im Team begrüßen darf. Aber andererseits motiviert dies eben noch mehr, sich genug Geld und Scouts für die nächsten Versuche zu erspielen.

Ansonsten schwächelt PES 2016 dort, wo PES sowieso seit Jahren schwächelt. Die Präsentation ist einfach zu trocken und deswegen langweilig. Ja, die Grafik ist großartig, mit einer Vielzahl an butterweichen Animationen – man muss sich nur anschauen, was bei den Zweikämpfen so herumkommen kann - von der dreifachen Rolle über den Boden nach einem leichten Schubser bis hin zum empörten Armehochreißen, weil der Schiedsrichter lieber Däumchen dreht. Und ja, auch die Gesichter wirken toll, erlauben es die Emotion der Spieler zu lesen, wenn sie gerade nach einem knappen Fehlschuss in der letzten Minute verzweifeln oder sich überschwänglich über das Siegtor freuen. Doch alles abseits davon? Gähn!

Die Stadienauswahl ist winzig, was aber schon fast keinen Unterschied macht, weil auf jeder Fantribüne ungefähr genauso viel los ist wie beim Bingo im Altersheim. Ohne Frage schaden hier insbesondere die Fangesänge, die einfach zu sehr nach Konserve klingen. Wo man im echten Fußball alleine an den Gesängen und Schlachtrufen erahnen kann, wie ein Spiel gerade läuft und wie die Stimmung ist, klingt in PES 2016 alles nach Recycling.

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Bei den Kommentatoren gibt es dieses Jahr einen Wechsel – Wolff Fuss spricht nun bei FIFA und wird ersetzt durch Marco Hagemann –, der zumindest für langjährige Fans eine leichte Abwechslung darstellt und so zu begrüßen ist. Allerdings hat man auch hier das Problem, dass viele Kommentarfetzen sich doch schnell wiederholen und so entsprechend schnell anfangen nervig zu werden. Wohl dem, der das Gesabbel irgendwann einfach ausblenden kann.
Man muss nur kurz zu amerikanischen Sportspielen schauen, um zu sehen, dass es viel besser geht. Zwischenschalten ins Aufnahmestudio, Kommentatoren, die auf mehr als nur die Spiele der letzten Woche eingehen, Kamerafahrten, die mehr einfangen als nur das, was ohnehin offensichtlich war. Fußballspiele haben hier viel Potenzial, doch gerade bei PES 2016 denke ich manchmal, dass man mental noch zu sehr in der frühen 360-Ärä hängt.

Größere Kritik gilt vor allem dem immer noch viel zu unausgegorenen Lizenzpaket. Einerseits offizielle Champions League, andererseits spiele ich, mal wieder, mit North London statt Arsenal FC. Natürlich dürfte jedem klar sein, dass Konami eben nicht mit EAs Finanzmacht mithalten kann, aber jedes Jahr, in dem nur die Hälfte der wichtigsten Champions-League-Teams komplett lizenziert ist, macht dieses Manko noch ein bisschen unverzeihlicher. Auch fehlen, mal wieder, manche Teams komplett. So ist Bayer Leverkusen nicht mehr dabei – obwohl letztes Jahr noch lizenziert –, aber zumindest hat Konami nun neben den Bayern auch noch Borussia Mönchengladbach und den VFL Wolfsburg ins Boot geholt. Drei von vier ist aber noch immer nicht gut genug.
Die neu akquirierte EM-Lizenz hat noch keinen Auftritt und man wird schauen müssen, ob es nächstes Jahr DLC oder ein eigenes Spiel zur europäischen Meisterschaft geben wird.

Konami hat sich erneut gesteigert. Seit dem Wechsel auf die Fox Engine bringt man das Spielgefühl von Jahr zu Jahr näher an die Perfektion dran und in diesem Bereich markiert PES 2016 zum 20. Jubiläum den bisherigen Höhepunkt der Reihe. Nachdem der myClub-Modus letztes Jahr noch wie dezenter Ultimate-Team-Abklatsch wirkte, hat man dieses Mal genug neue Elemente eingebaut, um ihm eine ganz eigene Note zu verpassen sowie den Suchtfaktor noch weiter zu steigern. PES 2016 ist ein Spiel, in das man hunderte von Stunden stecken kann ohne sich auch nur einmal zu langweilen. Lizenzauswahl sowie die Atmosphäre und Aufmachung bei den Partien hingegen enttäuscht - ein Problem, an welches sich die Fans der Reihe wohl oder übel gewöhnt haben müssten. Es ist und bleibt das beste Fußballspiel, das ich bisher gespielt habe, aber es bleibt auch ein Titel der mit seinem Potenzial und der Aussage, dass man nächstes Jahr noch besser sein wird, immer wieder die Karotte vor die Nase zu hängen scheint. Haris

PES 2016 wurde für Xbox One getestet. Ein Testmuster wurde uns von Konami zur Verfügung gestellt.

Pro Evolution Soccer 2016

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Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

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