Lost Dimension

(Artikel)
Haris Odobašic, 03. September 2015

Lost Dimension

Lahmer Verrat

Kommt ein Typ an und tötet mal eben zwei Milliarden Menschen. Mag krass klingen, passiert aber in Lost Dimension. Dieser nette Mensch, der nur als The End bekannt ist, hat aber noch größere Ambitionen und will auch den Rest der Weltbevölkerung daran glauben lassen. Aber eine Chance gibt er der Menschheit: ein mysteriöser Turm erscheint inmitten einer Großstadt und auf dem obersten Stockwerk wartet The End.

Ihr findet euch also zu Spielanfang in diesem Turm zusammen mit zehn Kameraden wieder. Ein bisschen Amnesie führt dazu, dass ihr nicht genau wisst, wie ihr dort überhaupt reingekommen seid und was ihr miteinander zu tun habt, außer, dass ihr Teil der gleichen Spezialeinheit seid. Prompt taucht auch The End auf, um euch zu erklären, dass einer von euch ein Verräter ist. Tolle Voraussetzungen, um die Welt zu retten. Fortan gilt es also sich nicht nur durch die Stockwerke im Turm auf dem Weg zum Showdown zu kämpfen, sondern auch den Verräter auf jedem Stockwerk zu identifizieren und am Ende in einer Abstimmung seine Exekution zu beauftragen.

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Was auf den ersten Blick nach spannender Detektivarbeit klingen mag, stellt sich leider sehr, sehr schnell als unheimlich ernüchternd heraus. Alleine schon das System, wie ihr den Verräter sucht, ist ziemlich schwach. Nach jedem Kampf im Turm hört ihr ein Stimmengewirr der anderen Mitglieder in eurer Sechser-Party. Verzerrte Stimmen deuten darauf hin, dass in der aktuellen Gruppe ein Verräter sein könnte – auf jedem Stockwerk gibt es drei verdächtige Stimmen – und entsprechend wechselt ihr also von Mission zu Mission durch eure Partymitglieder, bis ihr schließlich eine Ahnung habt, wer die Verdächtigen sind. Diese könnt ihr dann in einem sehr simplen Minispiel zur Rede stellen, um schließlich herauszufinden, wer auf die Seite von The End gewechselt ist.

Wobei man sagen muss, dass der Verräter an sich im Spiel nichts macht. Er sabotiert euch nicht im Kampf, wenn ihr ihn in der Party habt. Er sorgt nicht dafür, dass die Story irgendwie vorangetrieben wird. Er schnarcht nicht mal nachts im Schlaf. Verräter ist in diesem Fall schon quasi ein zeremonieller Hoheitstitel ohne Relevanz. Wenn es keinen Verräter gäbe, würdet ihr das wohl nicht mal merken, auch weil sich das Spiel lange Zeit lässt, zu erklären, was es damit überhaupt auf sich hat.

Dem Spiel wird auch nicht geholfen dadurch, dass durchweg alle Charaktere langweilig sind. Vor allem, wenn man den Vergleich zu einem Danganronpa zieht, das ja auch das Verräter-Konzept bietet, wo eigentlich jeder Charakter heraussticht, ist Lost Dimension die Antithese dazu. Das Design der Figuren wirkt uninspiriert und in den Konversationen fällt es schwer, nicht mal zu skippen. Das Spiel lässt einfach zu viel im Dunkeln im Bezug auf die Figuren, so dass man gar keine Ansätze hat, um neugierig zu werden, wer denn mit einem hier versucht die Welt zu retten. Entsprechend leidet auch die Verräter-Mechanik, weil keine emotionale Bindung entsteht. Für die Spielgeschichte ist es egal, wer nun der Verräter ist, und für mich auch.

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Besser sieht es hingegen aus, wenn ihr in den Kampf zieht. Das Gameplay erinnert dabei an das letztjährige Natural Doctrine, insbesondere durch die Assist-Attack-Mechanik: Bei vielen Angriffen schalten sich automatisch alle befreundeten Figuren mit ein, wenn sie in Reichweite sind. Und das gilt sowohl für euch als auch die Gegner. Entsprechend ist die Positionierung von Figuren ein sehr wichtiges, taktisches Element, wenn man versucht, gegnerische Einheiten möglichst zu isolieren, ohne sich selbst in so einer Situation wiederzufinden. Einen Nahkämpfer ohne Support in eine Gruppe von Feinden stürmen zu lassen wäre beispielsweise ein fast sicheres Rezept für einen toten Charakter.

Und auch wenn ich die Charaktere weiter oben dafür rüge, dass sie persönlichkeitslos sind, muss ich sie aus Gameplay-Sicht doch loben. Jeder Charakter hat eine Spezialfähigkeit – wir wären ja sonst nicht in einem japanischen Spiel – und dazugehörige Skilltrees, so dass wirklich jede Figur komplett individuell ist. Da haben wir dann zum Beispiel einen Charakter, der sich mit anderen Figuren mental verbinden kann, um erst nur ihre Attribute zu kopieren, aber sich später so weit entwickelt, dass er ihre Buffs und sogar ihre kompletten Fertigkeiten übernimmt. Andere Figuren haben zum Beispiel starke Supportfähigkeiten, wie die Möglichkeit Teammitglieder und Feinde über das Schlachtfeld zu teleportieren wie natürlich auch die übliche Palette an offensiven, defensiven und unterstützenden Aktionen, die man in so einem Spiel erwarten würde.

Was auch ziemlich cool ist – und das vielleicht einzige sinnvolle Feature der gesamten Verräter-Mechanik – ist, dass die Verräter ihre Fähigkeiten als Materie zurücklassen. Also auch wenn sie nicht mehr auf dem Schlachtfeld sind, bleiben ihre Fähigkeiten verfügbar, um als Ausrüstungsgegenstand jemandem zugewiesen zu werden. So konnte ich zum Beispiel einen Charakter, der sonst unter geringer Reichweite litt, plötzlich mit Levitationsfähigkeit und entsprechend erhöhtem Radius ausstatten oder eine Figur ohne Offensivfähigkeiten mit mächtiger Magie versehen. Das erlaubt viele Möglichkeiten, insbesondere auch weil Abhängigkeiten im Skilltree existieren: manche Fähigkeiten sind nur verfügbar, wenn ihr die richtige Materie ausgerüstet habt. In der Regel sind das auch die mächtigsten, entsprechend ist jeder Verrat auch eine Chance auf besonders starke Fertigkeiten.

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Der hohe taktische Anspruch, die vielen Entwicklungsmöglichkeiten und nicht zuletzt die Tatsache, dass man seine Party oft rotieren muss, sorgt dafür, dass Lost Dimension sich doch sehr spaßig spielt. Auch die Feinde tragen ihren Teil dazu bei, weil die unterschiedlichen Gegner auch unterschiedliche Strategien erfordern. Von selbstzerstörerischem Kanonenfutter, was aber bei Nichtbeachtung großen Schaden per Kamikaze anrichtet, bis hin zu richtigen Kampfrobotern, die weitflächige Areale mit Zerstörung eindecken und die HP eurer Figuren gerne mal aufs Minimum dezimieren, warten viele Herausforderungen in abwechslungsreich gestalteten Leveln darauf, überwunden zu werden.

Lost Dimension ist die Art von Spiel die ich lieben sollte, kombiniert es doch das Danganronpa-eske Mysterium um Verräter in den eigenen Reihen mit einem meiner Lieblingsgenre, dem Taktik-RPG. Leider stellt sich schnell heraus, dass gute Mechaniken auf ein sehr schwaches Drumherum treffen, was jegliches Potenzial im Keim erstickt. Das Charakter-Ensemble ist größtenteils uninspiriert, was die ganze Verräter-Mechanik stark abschwächt. Bei Danganronpa zerriss es mir manchmal das Herz, wenn ein liebgewonnener Charakter sich als Mörder herausstellte. Bei Lost Dimension ärgerte ich mich höchstens darüber, dass ich nun meine Teamzusammensetzung neu überdenken musste. Selbst das kompetente Kampfsystem hilft leider nicht die Enttäuschung zu überwinden, macht aber zumindest genug Spaß, um zum Dranbleiben zu motivieren. Lost Dimension hat tolle Ideen, aber kann zu keinem Zeitpunkt sein Potential auch nur annähernd erfüllen. Haris

Lost Dimension wurde auf der PS Vita getestet. Ein Testmuster wurde uns von NIS America zur Verfügung gestellt.

Lost Dimension

(Ranking)
C
RANK
Gut gemeint. C-Spiele haben ihre strahlenden Momente, aber in entscheidenden Situationen wird großes Potential verschenkt. Über keine anderen Spiele kann man sich so sehr ärgern.

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18. April 2024 um 17:58 Uhr
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RELEASE
28. August 2015
PLATTFORM
Playstation 3
Plattform
PS Vita
Plattform

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