Hatred

(Artikel)
Haris Odobašic, 24. Juni 2015

Hatred

Ein Amoklauf wie jeder andere

Als ich anfing, Hatred zu spielen, hatte ich eine große Hoffnung und einen Wunsch an das Spiel: dass es mich fühlen lassen würde. Denn nach all dem "Hype" in Form einer grotesken Berichterstattung, die, befeuert von vielen empörten Menschen, einerseits mit dem Zeigefinger mahnte, dass dieses Spiel so schlimm ist und kein Existenzrecht hat, und andererseits aber ständig über das Spiel sprach, die fünf Minuten Aufregung aufs Äußerte ausschlachtete, wurde bei mir Neugier geweckt und eine Erwartung aufgebaut. Wenn alle nach einem Zwei-Minuten-Trailer wissen, dass das Spiel so unheimlich schrecklich ist, dann müsste ich doch was fühlen beim Spielen. Es müsste mich doch einfach abstoßen, ich müsste mich in eine Gedankenlage bringen, die ich so in einem Videospiel noch nicht erlebt hatte.

Wenn ich den aktuellen Triple-A-Blockbustern vielleicht eines vorwerfen kann, dann, dass diese Spiele gerade im Vergleich zu einem Medium wie Film und Fernsehen oft daran scheitern, emotional zu packen. Wenn ich in Generic Military Shooter 2015 im Nahen Osten den "Bösewicht" Khalid per Headshot ausschalte, dann ermorden wir nicht etwa einen Familienvater, den der Verlust seiner unschuldigen Familie durch einen Drohnenanschlag an die Waffen getrieben hat. Wir zielen stattdessen auf namenlose Polygon-Kontrahenten, die im Grund nicht zu unterscheiden sind von der Klasseninstanz, die sie im Quellcode repräsentieren, frei von Persönlichkeit und Hintergrundgeschichte.

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Ich fühle nicht mit diesen Figuren mit und das liegt nicht an mir. Ich kann unzählige Spiele nennen, die mich mehr oder weniger stark zu Tränen gerührt haben. Persona 4, Bioshock, Trails in the Sky, Final Fantasy VII, Lost Odyssey, Gears of War 2. Ich bin der Spielertyp, der beim Zocken sich gerne voll in der Welt verliert. Kritisches Denken wird ausgeschaltet, die sogenannte "Suspension of Diesbelief" auf vollstem Kurs. Ich will mich mitreißen lassen, und durch das Schlüpfen in fremde Rollen Emotionen erleben, die mir so im Alltag verwehrt bleiben.

Ich wollte, dass Hatred mich fühlen lässt.

Hatred bedeutet, in die Haut von "The Antagonist" zu schlüpfen, dem sonst namenlosen Hauptcharakter, der mit seinem schlechten Haarschnitt und Trenchcoat direkt Erinnerungen weckt an Eric Harris und Dylan Klebold, die Massenmörder von Columbine. Es ist sofort klar, dass die Entwickler hier keinen sympathischen Hauptcharakter erschaffen wollten, keinen fiesen Anti-Helden, der doch in einer Grauzone herumwandelt, die es einem Menschen mit intaktem Moralkompass erlaubt, irgendwie eine emotionale Verbindung zu ihm aufzubauen. Er ist kein Dexter, kein Vic Mackey. Es gibt keine tiefgehende Motivation, keine tragische Vergangenheit, nicht mal eine Überdosis Steroide, um sein Verhalten irgendwie zu erklären. The Antagonist ist einfach nur ein Misanthrop, der tötet, um zu töten.

Kaum stecke ich in seiner Haut, muss ich sagen, dass es sich gut anfühlt, The Antagonist zu sein. Wobei beim Schreiben dieser Zeilen ein reflexartiger Schulterblick kommt. Werden mich jetzt dauerbesorgte Fundi-Christen und pseudo-intellektuelle Hipster, die meinen, die Welt alleine mit dem Konsum von Starbucks-Kaffees zu verbessern, mit ihrer geballten Empörung überrollen, weil ich es gewagt habe, so was zu schreiben? Es tut mir Leid, aber viel anders kann man es nicht formulieren. Denn die Steuerung ist eingängig und dadurch das Spielgefühl hervorragend. Es ist ein Twin-Stick-Shooter, das Rad wird hier nicht neu erfunden, aber eben sehr rund gebaut. The Antagonist reagiert flott, er führt seine Aktionen ordentlich aus und auch die kontextsensitiven Elemente, wie der Sprung über kleinere Hindernisse und durch Fenster, gelingt, wie man es sich wünschen würde. Dann drücke ich zum ersten Mal den rechten Trigger auf meinem Controller und kann nur zufrieden nicken: ja, auch das Schussgefühl stimmt. Ich würde sogar sagen, dass es Spaß macht, das Maschinengewehr zu benutzen.

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Dann begegne ich den ersten Zivilisten, die auf einer Bushaltestelle warten. Der junge Mann, der als erster in mein Sichtfeld kommt, kriegt einen Schuss aus dem Maschinengewehr ab, der ihn sichtlich zum Torkeln bringt. Ein weiterer Schuß und er krümmt sich auf dem Boden zusammen. Ich laufe zu ihm und drücke die Exekutions-Taste. Er hebt die Arme, versucht mit den Beinen noch irgendwie wegzukrabbeln und entgegnet mir ein verwirrt-verzweifeltes "Why?", ehe eine Salve in den Brustkorb das Leid beendet. Ich habe gar nicht die Zeit, darüber nachzudenken, was passiert ist, weil ich schon die nächsten Zivilisten ins Visier genommen habe. Es zeigt sich keinerlei Unterschied zwischen Hatred und anderen Spielen ähnlichen Gewaltgrades. Am Ende fühlt sich das "Totklicken" namenloser Polygone irgendwie doch immer gleich an. Ich gehe weiter und ballere die erste Polizei über den Haufen, die auf mich aufmerksam geworden ist.

Dann sind drei Minuten um, und das Spiel beginnt seine nervigen Eigenheiten zu zeigen. Die KI ist selten dämlich und ich würde schon fast sagen, dass diese ganzen Leute mit ihren unfähigen Fluchtstrategien, wo sie sich in Türrahmen verhängen oder nach zehn Metern Flucht erst mal wieder gemütlich spazieren gehen, es verdient haben, The Antagonist zu begegnen. Zudem ist die Dichte an Feinden eher gering und es kommt oft zu Leerlauf: ich muss auf dem Radar nachschauen, wo sich der nächste Mensch versteckt, und ihm dann erst nachstellen, statt fröhlichst das Maschinengewehr einfach dauerrattern zu lassen. Zudem sind die Missionsziele meist etwas undurchsichtig und ich durfte auch schon mal mehrere Minuten ziellos umherlaufen, bis das Spiel endlich erbarmte und mir den nächsten Questmarker anzeigte.

Das sind Probleme, die in den ersten fünf Spielminuten auftauchen und sich leider auch bis zum Ende des Spieles halten, wo sie aber noch Macken-Geschwister kriegen. Denn natürlich ist die Abwechslung eher gering und das merkt man in den gut vier Stunden Spielzeit ziemlich schnell. Unterschiedliche Areale wie Supermärkte, Militärbasen oder Kanalisationen sorgen nicht für Abwechslung und die Missionsziele, die man geboten kriegt, bestehen oft nur aus Töten in unterschiedlichen Variationen.

Dazu kommt, dass Hatreds Entwickler viel Mühe in die düstere Atmosphäre stecken, diese aber selbst immer wieder zerstören. Mal bleibt The Antagonist an einer Autotür blöd hängen oder ihr führt eine Exekution in einer Masse von Feinden durch, was dazu führt, dass diese erst mal ein paar Sekunden baff zuschauen oder wegspazieren, und dem Moment so jegliche Glaubwürdigkeit raubt.
Seine besten Momente hat Hatred, wenn es richtig zur Sache geht. Wenn ich eine Granate in ein Haus werfe und dieses halb zusammenfällt, während die lichterlohe Explosion dem sonst dauergrauen Titel etwas Farbe spendiert. Wenn ich mich durch eine Horde von wütenden Militärs ballere und auch wirklich auf meine Energieanzeige achten muss – das Spiel hat sonst einen etwas niedrigen Schwierigkeitsgrad. Wenn The Antagonist sich mal erbarmt und meine morbide Neugier mit einer neuen Exekutions-Animation stillt, statt eine schon längst gesehene zum unzähligsten Male abzuspulen. Und natürlich in den Nebenmissionen, die euch gerne auch Tankstellen und größere Gebäude sprengen lassen, was zwar nie zur kompletten Zerstörung führt, aber eben zu einem sehr ansehnlichen Grafikfeuerwerk.

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Am Ende bleibt nur die Enttäuschung. Dabei kann ich nicht mal genau sagen, was mich enttäuscht. Hatred, weil es mich nicht hat fühlen lassen, weil die ganze Dunkelheit und Misantrophie eben doch nur dünne Fassade ohne etwas dahinter ist. Oder ich mich selbst, weil ich meine eigenen Erwartungen nicht erfüllen konnte. Weil ich nicht darüber hinwegsehen konnte, dass trotz der Schmerzensschreie und des Blutes es hier doch nur Pixel und Polygone sind, die mein Mitgefühl nicht verdient haben. Ohne Namen, ohne Hintergrundgeschichte, ohne Grund für Empathie. Pixel, die ich wegklicke, um die Mission zu schaffen, wie in jedem anderen vergleichbaren Spiel auch.

Am Ende bleibt ein mechanisch durchaus passabler Shooter mit einigen Macken, der beim Spielen dennoch eine Leere hinterlässt. Es ist die Lücke, die Hatred hätte füllen können, das ungenutzte Potenzial, ein Spiel zu erschaffen, dass uns Gamer reflektieren lässt, wie kaum ein Titel zuvor.
Am Ende bleibt ein Spiel, das man spielen kann, aber leider nicht spielen muss, und das statt einer großen Diskussion nur ein ernüchtertes Gemeinschaftsseufzen hervorbringen wird. Die Kontroverse, die vor dem Release für so viel Hype sorgte, wird nach dem Release das einzige sein, woran man sich bei Hatred erinnert.Haris

Hatred wurde auf dem PC getestet. Ein Testmuster wurde uns von Destructive Creations zur Verfügung gestellt.

Hatred

(Ranking)
C
RANK
Gut gemeint. C-Spiele haben ihre strahlenden Momente, aber in entscheidenden Situationen wird großes Potential verschenkt. Über keine anderen Spiele kann man sich so sehr ärgern.

Kommentare

blackmaniac
25. Juni 2015 um 21:20 Uhr (#1)
Dann lieber Spec Ops: The Line, wenn man sich schlecht fühlen will beim Spielen
Ben
26. Juni 2015 um 09:49 Uhr (#2)
Es ist nicht ganz fair, diese beiden Spiele zu vergleichen. Sie liegen WELTEN auseinander.
Rian
26. Juni 2015 um 19:54 Uhr (#3)
Tango is motherfucking down!
blackmaniac
27. Juni 2015 um 15:04 Uhr (#4)
Was ist schon fair? ;)
Gast
28. März 2024 um 15:47 Uhr
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RELEASE
01. Juni 2015
PLATTFORM
PC
Plattform - PC-Spiele haben mit die älteste Tradition. Heutzutage laufen die meisten Games unter dem Microsoft Windows.

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