Grim Fandango Remastered

(Artikel)
Paul Rubah, 02. Februar 2015

Grim Fandango Remastered

Wie Adler auf Pogo-Stöcken

Aaaaah, El Marrow, die Stadt der Knochen. Zigaretten, vier Jahre der Reise, Liebe, Verschwörung, ein heißer Schlitten und die coolste Klappsense der Welt. Manuel Calaveras Reise in die neunte Unterwelt entführt mich tief in meine Spielervergangenheit - und mit dem Remaster gibt es auch endlich wieder einen guten Grund für mich, diesen Klassiker zum sechsten Mal durchzuspielen.

grim-fandango-strumpfhoseO là là, Madame zeigt Schenkel... knochen.

Liebe ist für die Lebenden
Die achte Unterwelt ist eigentlich gar nicht so anders wie unsere eigene - Menschen arbeiten, um bis an die Spitze zu kommen oder um eine gepflegte, ruhige Kugel zu schieben, und haben ansonsten ihren normalen Alltag. Nur sind die Menschen hier lebende (tote) Skelette in Anzügen und Kleidern der Dreißigerjahre. Manny ist eines davon und er sitzt fest. Nicht wörtlich, sondern beruflich. Er gehört zu den Schnittern der DOD, die frisch Verblichene aus dem Reich der Lebenden zu holen, um ihnen anschließend Reisepakete in die neunte Unterwelt und letzte Haltestelle ihrer spirituellen Existenz zu verkaufen - je moralischer der Kunde gelebt hat, desto komfortabler die Reise. Richtige Heilige qualifizieren sich sogar für ein Nummer-Neun-Ticket. Dieser Expresszug macht aus den vier Jahren Reise schlappe vier Minuten.
Aber, wie gesagt: Manny kommt nicht weiter. Um die Sünden seines alten Lebens zu begleichen, muss er ein guter Verkäufer sein, aber er bekommt nur Nulpen, denen er Wanderstöcke andrehen darf. Eines Tages hat er genug von seinem Pech und klaut einem Kollegen einen richtig dicken Fisch von der Angel. So eine, die nur ehrenamtlich arbeitet, Tiere liebt, nie einen Groschen hatte und Kindern Geschichten vorliest: Mercedes Colomar. Die verduftet sich allerdings ohne ein Sterbenswörtchen aus seinem Büro und Manny verliert seinen Job. Die knöchrige Dame wiederzufinden ist Calaveras einzige Chance auf eine Zukunft bei der DOD.

grim-fandango-rauchenKeine Lungen, kein Lungenkrebs.

¡Viva la Revolución!
Grim Fandango ist ein klassisches Adventure nach Art von Monkey Island, das in erster Linie von Atmosphäre und Charme, weniger von seinen Rätseln lebt. Der Aufwand, der seinerzeit in die vorgerenderten Hintergründe, die vielen einmalig benutzten Figurenanimationen und die hervorragende Musik geflossen ist, muss gewaltig gewesen sein. Mannys Reise gliedert sich in vier Jahre. Jedes Jahr verschlägt es den Knochenmann mit dem spanischen Akzent in eine vollkommen andere Ecke der Unterwelt - vom großstädtischen El Marrow über den versteinerten Wald voller fliegender Spinnen, dem Hafenstädtchen Rubacava und einem Dampfschiff bis zum Rand der Welt. Jedes Setting bietet nicht nur einen Haufen spielerisch sinnloser Backdrops, die einfach nur schön anzuschauen sind, sondern sind auch gefüllt mit mehr mexikanischer Kultur und lebendigen Charakteren als es ein Spiel voller Toter haben sollte. Einige Skelette sind melancholisch, andere quirlig, wieder andere zum Kotzen fies und gemein. In Grim Fandango zeigt sich Tim Schafers Dialoggenie wie kaum woanders und den Künstlern ist es mit Bravour gelungen, das erste Drittel des letzten Jahrhunderts so authentisch einzufangen wie es die Serie Mad Men mit den 60ern geschafft hat.

grim-fandango-krawattenDer Chef ist anscheinend früher in die Mittagspause gegangen.

Glottis, Glottis... ist das ein schweizer Name?
Hier muss man auch einfach mal, weil das ja selten genug passiert, die deutsche Synchronisation loben. Ich bin mir sicher, dass auch ein wenig Nostalgie hineinspielt, aber die deutschen Sprecher sind einfach eine Wucht. Allein Tommi Pipers mexikanische Interpretation von Manny Calavera ist fantastisch. Tommi Piper kennt ihr vielleicht noch als die deutsche Stimme von ALF. Auch die anderen Sprecher stehen der Hauptrolle in nichts nach, bringen ihr eigenes Quentchen Persönlichkeit mit ins Spiel. Allein diese komplette Hingabe konnte mich als den Ludo-Germanophoben, der ich heute bin, noch dazu bewegen, mir dieses Spiel noch kein einziges Mal in seiner Originalversion zu geben. Hut ab! Trotzdem kann es sich mal lohnen, in die englische, die französische oder andere Sprachen reinzuhören.

grim-fandango-fassHier muss man einen klaustrophoben französischen Kellner in ein Kämmcherchen einsperren.

Nein. Einfach nur... nein.
Leider ist das Rätseldesign von Grim Fandango wesentlich schlechter gealtert als dessen Charme. Dieses Spiel stammt aus einer Zeit, als es noch okay war, dass man die Lösung von Rätseln errät, alles mit allem ausprobiert oder über kombinatorische Fähigkeiten verfügt, die nahezu transzendental in das verschwurbelte Hirn der Puzzledesigner schauen können. So sehr ich es liebte, zwei mit Packschaummaterialien gefüllte Luftballonschlangen das pneumatische Postsystem herunter zu schicken, um den Server lahm zu legen, damit der Techniker die Tür aufsperrt, damit ich sie heimlich blockieren kann, um anschließend mit einer gestanzten Spielkarte den Arbeitsauftrag von Mannys Kollegen zu klauen - es gibt einfach Grenzen. Bei mir war die überrschritten, als es darum ging, aus zwei völlig voneinander unabhängigen Komponenten und einem viel zu komplizierten Vertuschungsversuch sowie einer PUREN RATEREI ein gewisses Datum herauszufinden.

Grim Fandango gehört außerdem zu den Adventures, wo man sich mit Zettel und Stift jede noch so erdenkliche Trivialität merken muss. Oh, du weißt nicht, was du machen sollst? Hast du dir etwa nicht diesen einen Halbsatz aufgeschrieben, den ein Statist vor zwei Stunden in einem Hintergrundgespräch genuschelt hat? Tja, schade! Versteht mich nicht falsch - eine Stärke von Grim Fandango ist es, dass es keine unwichtigen Teile gibt und nahezu jeder Charakter eine Rolle spielt. Aber manchmal treiben es die Entwickler einfach zu weit.

grim-fandango-vorher-nachherLinks: 1998, rechts: 2015

Der HD-Remaster
Dass überhaupt ein Remake von Grim Fandango existiert, ist famos - denn unter aktuellen Betriebssystemen bekommt man diesen Klassiker selbst mit Tricks kaum noch zum Laufen. Da ist es allerdings schade, dass 17 Jahre nach Erstveröffentlichung kaum mehr als die Standardbehandlung heraus gekommen ist. Zwar wurden alle Musikstücke neu aufgenommen, damit auch Menschen mit guten Soundkarten und Lautsprechern keinen Ohrenkrebs bekommen, aber auf der grafischen Seite haben ausschließlich die Figuren ein Texturenlifting erhalten. Außerdem kann man das Spiel nun in 16:9 und hoher Auflösung spielen. Was grandios gewesen wäre, wäre, wenn sich die Remasterer an komplett neue Hintergründe gesetzt oder zumindest die Gelegenheit bekommen hätten, die inzwischen äußerst pixeligen Hintergründe neu zu rendern. So sieht das Spiel jedenfalls nur wenig besser aus als 1998, als die Systemvorraussetzungen ein Pentium mit 90 MHz waren. Absolute Nostalgiker können immerhin jederzeit in den alten Grafikmodus zurückspringen.

Oder sich die gruselige Panzer-Tastatursteuerung antun. Die wurde glücklicherweise durch einfache Mausbedienung ersetzt - auch wenn es mit der manchmal hakt und Manny in eine vollkommen falsche Richtung läuft. Protip: Da jede Steuermöglichkeit noch im Spiel vorhanden ist, kann es sich bei manchen kontrollintensiven Rätseln durchaus lohnen, kurz von der Maus zur Tastatur umzusteigen. Und wenn man in der Ferne einen Gegenstand benutzt, zwingt man Manny bei gehaltener Shift-Taste den Sprint auf. Was dagegen etwas lächerlich ist, ist, dass das enorm miese Jackentaschen-Inventar des Originals ungeändert beibehalten wurde. Hier hätte man sich auch schnell ein Nutzer-Interface herbeibasteln können. Auch eine Autosave-Funktion fehlt. Statt so etwas zu verbauen, klatscht das Spiel einem zu Beginn nur den Hinweis vor die Füße, dass man doch bitte manuell im Menü speichern solle. Das schreit doch nur nach Faulheit.

grim-fandango-donErsprossen zu werden ist das Einzige, was eine tote Seele wirklich tötet.

"Dieser Bug bringt uns mindestens einen weiteren Monat"
Immerhin ein kleiner Mehrwert für Fandango-Fans sind die Audiokommentare. Hier haben nahezu alle Chefs aller Entwicklerteams ihre Gedanken zu verschiedenen Situationen aufgezeichnet und gewähren dem Spieler Einblicke in die Produktion. Ob nun der Komponist über ein bestimmtes Stück spricht, die Programmierer darüber abseufzen, wie schwierig damals eine automatische Fahrstuhltür umzusetzen war, ein Animator von Glottis Hintern schwärmt oder Tim Schafer erzählt, wie er in einem früheren Job Taubenmist von einem Dach schaufeln musste - das meiste ist durchaus hörenswert und ein gelungener Zusatz zum Spielerlebnis.

Grim Fandango wird auch weiterhin einen Ehrenplatz in meinem Herzen bekommen. Es ist bestimmt nicht das letzte Mal gewesen, dass ich Manny in die neunte Unterwelt begleitet habe. Aber bei all der Liebe muss ich auch zugeben, dass der Zahn der Zeit dieses Spiel schon sehr verunstaltet hat. Abgesehen von den aktualisierten Modellen, der tollen Musik, dem Witz und den herausragenden Sprechern mussten vor allem das altertümliche Rätseldesign und die vorgerenderten Hintergrundgrafiken leiden. Ich hoffe sehr, dass es eines Tages noch einmal ein richtiges Remake von Grim Fandango geben wird.

Grim Fandango Remastered wurde auf dem PC getestet. Der Autor hat sich das Spiels selbst gekauft.

Grim Fandango

(Ranking)
A
RANK
Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

Kommentare

Ben
05. Februar 2015 um 16:55 Uhr (#1)
Sieht auf den ersten Blick wirklich GENAUSO aus wie damals.
Gast
28. März 2024 um 23:27 Uhr
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Spiele des Artikels

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30. Oktober 1998
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