Crimes & Punishments im Test

(Artikel)
Paul Rubah, 20. Oktober 2014

Crimes & Punishments im Test

Schlinge oder Gnade?

Sherlock Holmes hat Hochkonjunktur! Nicht nur ist die aktuelle Fernsehserie um Sir Arthur Conan Doyles Mordfalllöser derzeit enorm beliebt, sondern mit Sherlock Holmes: Crimes & Punishments schickt Entwickler Focus Home Interactive den Vater aller Privatdetektive mit neuen Features auf Achse. Wir kombinieren, ob das Spiel etwas taugt.

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Wer sich viele moderne Videospiele vorknöpft, dem wird Crimes & Punishments zunächst befremdlich vorkommen. Man schaut dem Privatdetektiv perspektivisch über die Schulter, fühlt sich an nervenaufreibende Titel wie L.A. Noire oder GTA erinnert. Abgesehen vom Finale eines Falls gibt es hier aber keine Zeitlimits und keine Action - Crimes & Punishments ist ein pures Adventure und lebt alleine vom Entdecken und Kombinieren, ist dementsprechend langsam und nimmt sich viel Zeit, um narrative Höhepunkte vorzubereiten. Da es im britischen Empire aber immer etwas gemütlicher zuzugehen scheint, sind selbst die Aktschlüsse - bis auf wenige Ausnahmen - verhältnismäßig gediegen.

Die meiste Zeit latscht man also durch die britische Großstadt und untersucht Objekte. Immer mal wieder landet ein Hinweis im "Deduction"-Menü und ist bereit, mit anderen Hinweisen zu einer Schlussfolgerung kombiniert zu werden. Hier kann man sich oft pro Schlussfolgerung zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden. Ist wässriges Blut des Opfers ein Indiz oder nur Zufall? Ist das Motiv eines Verdächtigen stark genug, um ihn zum Mord bewegt zu haben? Trifft man oft genug Entscheidungen, die sich nicht offensichtlich widersprechen, fügen sich die Schlussfolgerungen zu größeren Knoten und schließlich zur Klärung des Falls zusammen. Dann war es der Butler mit dem Kerzenhalter im Esszimmer. Oder doch der Gärtner mit der Pistole im Salon? Das Spiel automatisiert den Prozess der Kombination allerdings so sehr, dass man kaum etwas selbst tun muss - außer sich für etwas zu entscheiden, das plausibel klingt.

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Tatsächlich gibt es oft nicht genug Hinweise, um einen Verdächtigen einwandfrei zu verknacken. Irgendwann ist halt Schluss mit den Indizien - ein Schuldiger muss trotzdem schon gefunden werden. Das ist ein großes Manko von Crimes & Punishments. Der Sinn dahinter ist folgender: Egal, wie man sich entscheidet - die Geschichte geht weiter. Und wenn man einen falschen zum Strang verurteilt hat, dann ist das halt so. Angeblich sollen die Entscheidungen auch Auswirkungen auf andere Fälle haben, aber wirklich etwas davon mitbekommen habe ich nicht.
Allgemein ist diese Idee gut, aber die Herangehensweise ist fragwürdig. Mehr als einmal dachte ich mir, als ich vor dem Bildschirm mit der Aufschrift "Du hast alle Hinweise gefunden, mache jetzt deine Entscheidungen!" saß: "Wie jetzt? Ich kann doch noch DAS und DAS und DAS untersuchen! Warum soll ich jetzt schon jemanden aufs Schafott schicken?" Ein Vorsatz von Crimes & Punishments, der im Vorfeld immer wieder von den Entwicklern betont wurde, war es, dass der Spieler sich so fühlen soll, als wäre er Sherlock höchstpersönlich. Ich hatte dagegen das Gefühl, die Täter öfter zu raten als zu überführen. Im Anschluss an den gelösten Fall kann man sich noch dazu entscheiden, einen Täter zu verhaften oder ihn laufen zu lassen - je nachdem, was man für moralischer hält. Mehr als die Varation einer Endsequenz gibt es dafür allerdings nicht.

Crimes & Punishments große Stärke liegt im Abwechslungsreichtum der sechs Fälle. Sei es der harpunierte Kapitän in der Gartenlaube, der Mord im römischen Badehaus ohne Tatwaffe oder ein Zug, der sich in Luft auflöst - London scheint voll von obskuren Verbrechen zu sein, die Holmes nur so in den Schoß springen. Jeder Fall bringt sein eigenes Assortiment an Verdächtigen, Locations, Methoden, Motiven und Flair mit. Highlights dabei sind die Minigames, die häufig die Form von Experimenten annehmen. Ich habe mich jedes Mal gefreut, wenn ich ein wenig Dreck unter einem Fingernagel oder eine komische Flüssigkeit oder ein Stück unidentifiziertes Metall gefunden habe, denn das bedeutete: Zurück zur Baker Street! Zwischen Stapeln von alten Zeitungen und seiner Violine hat Holmes nämlich seinen Labortisch und mit Pipetten, Bunsenbrenner und dem eigenen Verstand bewaffnet geht es den Beweisstücken an den Kragen. Manchmal ist der Kutschenritt (mit nervig langer Ladezeit) aber auch gar nicht nötig und Holmes oder Watson dürfen vor Ort ein Objekt rekonstruieren, Holmes bemüht seine Vorstellungskraft, um gedanklich Puzzles zu lösen, oder es muss einfach nur ein Schloss geknackt werden. Wo die Suche nach Hinweisen eher interessantes Sightseeing darstellt, bei dem man sich schon nebenher mental den Tathergang und den Täter konstruieren kann, sind die Minispiele oft anspruchsvoll und können manchmal sogar kein "Skip"-Knopf richtig attraktiv machen.

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Ein weiteres Highlight sind Gespräche mit Zeugen. Die sind zwar bei weitem nicht so dynamisch geartet wie bei L.A. Noire, was hauptsächlich den gruselig starren Gesichtern geschuldet ist, aber Holmes kann jede Figur im Vorfeld analysieren. Das ist abermals kein anspruchsvolles Unterfangen, sondern man muss nur Klamotten und Körpermerkmale der Personen abgrasen, bis die Cursorlupe leuchtet, aber dennoch - man fühlt sich etwas holmesiger. Zudem kann man die Analyse meist ins Gespräch mit einbauen, um diesen typischen "Oh mein Gott, wie KONNTEN Sie das nur über mich wissen?!"-Effekt herbeizuführen. Der wird echt nie langweilig.

Wo wir bei Holmes sind: Das Spiel stellt ihn gut dar. Er ist eine schrullige Koryphäe, die im Wohnzimmer Schießübungen durchführt, sich selbst als Experiment vergiftet oder auch mal hinter der Couch Bienen züchtet. Sein alter Freund und Kollege, Dr. Watson, begleitet ihn eifrigst und deren Hin und Her ist recht lebendig trotz überaus britischer Trockenheit. Letztere zieht sich übrigens durch das gesamte Spiel und schlägt leider auch viele Synchronsprecher in ihren Bann, die sich eher nach zweiter Wahl anhören und ihre Texte oft übertrieben nasal und übermäßig leblos vortragen. Wer auf die complete and utter britishness steht, wird hier feiern wie nie zuvor, aber für viele wird das wohl nichts sein.

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Sherlock Holmes: Crimes & Punishments ist ein stetiges Auf und Ab. Einige Fälle sind spannend, andere tröpfeln vor sich hin. Die meisten Fälle sind sehr umfangreich, während einer in der Mitte lachhaft kurz und simpel gestrickt daher kommt. Holmes und Watson sind kuriose Charaktere, die anderen Figuren sind dagegen Schießbudenfiguren. Wenn man einen Fall aus eigenem Antrieb lösen konnte, fühlt man sich wie ein König, aber manchmal zwingt einen das Spiel zu purem raten. Einige Spielelemente wirken mechanisch komplett sinnlos (Hinweise verbinden, Verkleidungen wechseln oder die moralischen Entscheidungen), dafür sind die Fälle allesamt gut präsentiert und sehr abwechslungsreich. Ein Kritikpunkt bleibt aber unangefochten bestehen: Selbst auf der aktuellen Konsolengeneration sieht das Spiel aus, als wäre es von gestern. Man merkt Crimes & Punishments seine vielen Releaseterminverschiebungen einfach an, sei es bei den hölzernen Animationen oder den niedrigtexturierten Objekten. Nichtsdestotrotz kann man das Spiel Adventurefreunden durchaus empfehlen.

Sherlock Holmes: Crimes & Punishments wurde auf der Xbox One getestet. Ein Testmuster wurde uns von Deep Silver zur Verfügung gestellt.

Sherlock Holmes: Crimes & Punishments

(Ranking)
B
RANK
Anständig. Stärken und Schwächen halten sich die Waage. Positive Überraschungen sind genauso selten wie negative. Unterm Strich muss man seine Spielzeit keinesfalls bereuen.

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30. September 2014
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