Sunless Sea

(Artikel)
Paul Rubah, 07. Juli 2014

Sunless Sea

The night is dark and full of terrors

In der Dunkelheit der ewigen Nacht schleppt sich ein qualmendes Wrack von einem Kahn in den Hafen von Fallen London. Das Schiff war noch nie ein Schmuckstück gewesen, doch nun ähnelte es kaum noch dem, das vor wenigen Wochen den Hafen der unterirdischen Großstadt verließ. Einschlaglöcher im maroden Metall erzählen von unglücklichen Begegnungen mit Piraten. Die Gesichter der Crew sind dagegen von weitaus erschütternderen Schrecken gezeichnet. Es erklingt kein Laut, abgesehen vom klapprigen Hecheln der verbleibenden Motorenzylinder, die durch den offen gesprengten Maschinenraum nun die salzige Seeluft der modrigen Stadt schnuppern können, während das Schiff auf den Pier zugleitet und die Matrosen die vertraute Silhouette ihrer Heimat aus leeren Höhlen anstarren. Doch obwohl niemand von ihnen für den Rest seines Lebens ruhig schlafen wird, obwohl jedes erbeutete Kleinod für Reparaturen des Schiffs draufgehen wird und obwohl nur weniger als die Hälfte der armen Teufel, die für diese Reise angeheuert haben, noch an der Oberfläche des tiefen Ozeans verweilt - beim ersten Schritt auf den Anleger sieht man jedem von ihnen die Erleichterung an. Sie haben überlebt. Zumindest dieses Mal, denn nur allzu bald werden Hunger, Armut und die ungewisse Aussicht auf Reichtum dieselben Verdammten in die Arme der verlorenen Götter von Sunless Sea treiben.

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In der Betaversion von Sunless Sea gibt es nichts Schöneres als nach Hause zu kommen. Als Kapitän eines kleinen Schiffes mit magerer Crew und bizarren Offizieren, die pulsierende Eier statt Augen im Schädel tragen, und Tätowierungen besitzen, die wachsen, wenn man nicht hinschaut, muss man sich auf der Suche nach Glorie und Reichtum den abartigen Schrecken der finsteren "Unterzea" stellen. An allen Ecken und Enden lauern lovecraftsche Horror, verrückte Kultisten und nur allzu reale Götter darauf, den Spieler mit schwierigen Entscheidungen zu quälen. Die Entwickler Failbetter Games bedienen sich dabei an dem bestehenden Setting und ihrer reichhaltigen Expertise am Browserspiel Fallen London, welches einen im Staccato mit kleinen Geschichtchen, einer dynamischen Charakterentwicklung und vielen Mysterien beschießt. Sunless Sea baut die versunkene, viktorianische Großstadt um einen ganzen Ozean der Merkwürdigkeiten aus.

Dementsprechend mangelt es Sunless Sea weder optisch noch musikalisch oder inhaltlich an Flair: Formen mit scharfen Silhouetten verleihen dem Spieler das Gefühl, er würde altertümliche Seekarten bereisen, während kalte Farben für schaurige Atmosphäre sorgen - immer wieder von künstlerisch platzierten Warmtönen unterbrochen, die wohlige Akzente in die Einsamkeit platzieren. Der Soundtrack ändert sich in Abhängigkeit der Region und setzt auf offener See auch vollständig aus. Umso schöner ist es, wenn man nach einer langen Fahrt den sicheren Hafen von Fallen London ansteuert und das vertraute Shanty wahrnimmt.
Unterstrichen wird das gute Gefühl der Heimkehr durch das Senken eines Zahlenwerts: Terror. Jede Sekunde auf See, die man nicht in bekannten Gewässern oder dem Licht von Bojen verbringt, steigert den Terror. Terror hat so unliebsame Auswirkungen wie Wahnsinn und Tod, darum sollte man ihn stets gering halten, aber oft lässt sich ein wenig Schrecken nicht vermeiden. Vor allem wenn auf Reisen schlimme Dinge passieren.


Die größte Motivation für den Spieler ist die Jagd nach Geschichten. Jeder Hafen, in dem man ankert, wartet einige Erzählungen auf, die einen vor Entscheidungen stellen. Zwar kann man versuchen zu erraten, was welche Wahl bringen wird, in der Regel sind die Auswirkungen aber nicht abzusehen. Manchmal bekommt man Geld, manchmal neue Einsichten, aber meistens wird ein Mitglied der Crew gefressen. Das macht aber nichts, denn Matrosen sind billig und gibt es in fast jedem Hafen. Es gibt auch Entscheidungen, die von den Fertigkeiten des Kapitäns abhängig sind. Manchmal hat man bessere Chancen, wenn die Angriffskraft hoch ist, manchmal wenn man gut ausweichen kann. Aber selbst wenn man in diesen Herausforderungen gewinnt, werden Matrosen gefressen. Eigentlich werden ständig Matrosen gefressen. Man kann sie auch vielen Monstern zum Fraß vorwerfen, um sie abzulenken. Matrosen, pff.

Fast jede Fähigkeit des Kapitäns steigert einen Kampfskill. Die Kämpfe finden immer gegen einzelne Feinde statt, die einem auf offener See begegnen, falls man es nicht geschafft hat, den Viechern auszuweichen. Abgesehen von der Lebensenergie sind hier drei Faktoren wichtig: Illumination, Distance und Warmup. Illumination ist ein Wert, der angibt, wie gut man seinen Feind sehen kann oder wie gut einen der Feind sieht. Die meisten Angriffe können nur ausgeführt werden, wenn die Illumination ein bestimmtes Limit überschreitet, weswegen es bei einer brüchigen Hülle immer eine gute Idee ist, den eigenen Wert möglichst niedrig zu halten. Weiterhin können gerade Monster und andere tentakelige Wesen erst angreifen, wenn der Abstand zum Schiff gering genug ist. Weglaufen ist vielleicht feige, verhindert aber den Permatod.
Zu guter Letzt hat jede Fähigkeit, ob sie nun zum Angreifen, Weglaufen oder Dunklermachen gedacht ist, eine Warmup-Zeit: Beispielsweise kann ein Angriff sechs Sekunden dauern, ein Ausweichmanöver dagegen nur fünf. So kann es durchaus vorkommen, dass man gerade noch einem starken Angriff entkommt, indem man schnell reagiert und in letzter Sekunde die Distanz zum Glubscher erhöht. Die Manöver lassen sich der Bequemlichkeit halber hintereinander stapeln, können aber jederzeit abgebrochen und durch ein anderes Manöver ersetzt werden.

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Insgesamt sind die Kämpfe ein Wechselbad der Spannung und Langeweile. Zum einen ist es sehr aufregend, die erste Begegnung mit einem neuen Feind zu überleben. Andererseits hat man am Ende des Kampfes meist auch schon die effizienteste Strategie herausgefunden, so dass der nächste Kampf gegen den Gegnertyp auf ein müdes Abarbeiten des bekannten Musters hinaus läuft.

Dasselbe Wechselbad ergibt sich für den Entdeckerteil des Spiels: Neue Archipel und unbekannte Gewässer zu entdecken treibt einem freudig-gruselige Schauer über die Gänsehaut. Da man allerdings vor allem zu Beginn eines Abenteuers knapp bei Kasse ist, muss man ständig nach Fallen London zurückkehren, um Geld für Missionen einzusacken, um sich wieder Benzin und Vorräte und eventuell einmal etwas bessere Ausrüstung leisten zu können, damit man wieder dorthin zurückfahren kann, wo man aufgehört hat. Das frisst enorm viel Zeit für eine Reise auf breitgetretenen Pfaden, auf denen nur dann und wann etwas Unvorhergesehenes passiert.

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Was derzeit fehlt, sind Handelsmöglichkeiten. Während die vielen Außenposten durchaus Charakter haben, sind deren Läden gähnend leer. Manchmal kaufen sie Güter, mit denen man in Fallen London den Frachtraum befüllt hat, doch meist sind die Erträge nur gering und man muss anschließend ohne Güter zur Hauptstadt zurückfahren, wo man neunzig Prozent des Gewinns erneut in Treibstoff und Nahrung investiert. Wenn die Karte bis zum Release Ende des Jahres noch um ein Vierfaches wachsen soll, braucht es unbedingt weitere Handelszentren, so dass man auch jenseits der Heimat finanziell überleben kann.

In der aktuellen Version bietet Sunless Sea vor allem eins: Potenzial. Die erzählten Geschichten und das Flair stimmen zum Eintauchen in den unterirdischen Ozean ein. Was es dringend braucht, ist eine gelungene Überbrückung zwischen den Geschichten und die Option, nicht ständig nach Fallen London zurückkehren zu müssen. Denn so erleichternd der erste Schritt aufs Festland ist - ihn alle paar Minuten wiederholen zu müssen, beraubt ihn seiner Wirkung.

Kommentare

Ben
08. Juli 2014 um 02:09 Uhr (#1)
Melisandre quote wins!
Gast
29. März 2024 um 10:21 Uhr
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06. Februar 2015
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Plattform - PC-Spiele haben mit die älteste Tradition. Heutzutage laufen die meisten Games unter dem Microsoft Windows.

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