I Have No Mouth, And I Must Scream

(Artikel)
Rian Voß, 02. Dezember 2013

I Have No Mouth, And I Must Scream

I Played This Game, And It Was Okay

I Have No Mouth And I Must Scream ist ein altes Adventure. Wie, es gibt noch andere alte Adventures als die von LucasArts? Ich war auch erstaunt. Zumal es in die seltene Psycho-Sparte fällt. Auf der Buchvorlage einer Tabus zerschmetternden Geschichte gleichen Namens basierend, ist I Have No Mouth And I Must Scream definitiv ein Kuriosum seiner Zeit. Man sollte aber nicht zu viel erwarten.

Der stärkste Teil des Spiels ist ohne Frage seine Geschichte: In Vorbereitung auf einen weltweiten Nuklearkrieg, der in seiner Kontrollierbarkeit jeden menschlichlichen Geist übersteigen würde, baute die westliche Welt den Allied Mastercomputer, genannt AM. In einer dunklen Stunde der Menschheit erlangte dieses Rechnersystem ein Bewusstsein und, eingepfercht in seinem Gefängnis aus Stahl und Silicium, wurde es wahnsinnig. Bomben fielen. Die Menschheit wurde ausgelöscht. Der Krieg war so schnell vorbei wie er begann.
Aber es gab doch sicherlich einen ganzen Haufen Überlebender, die nun gegen AM kämpfen, ja? Nein. Fünf Menschen überlebten den Fallout. Allesamt wurden sie von AM eingesammelt und 109 Jahre lang gequält, verstümmelt, genetisch manipuliert, getötet und wieder zum Leben erweckt, nur um noch mehr von dieser hasserfüllten Maschine gefoltert zu werden.

HAAAAAAATE.

Eines Tages will AM aber ein Spiel spielen. Ab und zu überkommt ihn das Verlangen, seine Labortierchen auf kreative Weise zu peinigen - und diesmal lässt er ihnen so viel Freiraum, dass sie eine Chance haben auf... nicht viel. Die Menschheit ist bereits tot, schon vergessen? Aber vielleicht haben unsere Protagonisten die leise Chance darauf, mit ihren vergangenen Sünden ins Reine zu kommen.

Getragen wird die Stimmung ganz klar von AMs Stimme. Harlan Ellison ist eine Art epische Mischung aus William Shatner und Mark Hamills Joker. Der Mann bringt den willkürlichen Wahn des wortwörtlichen Deus Ex Machina perfekt rüber, mit einer lange nicht mehr dezenten Prise Überdramatisierung, die die psychotische Natur AMs nur noch hervorhebt. Es ist die beste Art von Bösewicht: Irgendwie findet man ihn gut, aber man betet, dass er einem selbst nie widerfährt. Die anderen Sprecher sind leider nicht ganz so stark. Für 1995 war eine vollständige Sprachausgabe - wahlweise sogar in stark zensiertem deutsch! - wohl noch ein ziemliches Novum im Adventure-Genre. Nichtsdestotrotz wird die Atmosphäre stets dadurch gedrückt, dass die Sprecher niemals so klingen, als hätten sie ein Jahrhundert des Martyriums hinter sich. Sie sind eher leicht genervt.
Auch sind die einzelnen Charaktere nur oberflächlich interessant. Es ist ganz nett herauszufinden, was die einzelnen Menschen traumatisiert hat, aber ich habe mit Schrecklicherem gerechnet. Sicher, das Spiel unterhält brisante Themen wie Vergewaltigung, Mord und Genozid, aber andere Spiele (vor allem aus Fernost) stellen diese Themen weitaus besser dar. Es ging hier anscheinend mehr um den Schockmoment ("Oh nein, DAMIT hätte ich nicht gerechnet!") als um die Konfrontation mit dem Abyss der menschlichen Seele. Naja, andere Zeiten. Heute ist man ja abgebrühter!

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Die fünf Kapitel mit den fünf Protagonisten lassen sich in einer beliebigen Reihenfolge spielen. Jeder Charakter hat so seine eigenen Macken: Ellen hat beispielsweise eine schreckliche Angst vor allem, was gelb ist, Benny ist dagegen von AM so deformiert worden, dass er kaum Dinge heben geschweige denn Treppen steigen kann. Die Szenarios sind abwechslungsreich, etwa besucht man einen Dschungel und eine Bar in der Wüste, aber auch recht schnell vorbei.
Kompensiert wird die Spielzeit dadurch, dass man Situationen unterschiedlich lösen kann. Jede Aktion wirkt sich auf das Seelenheil des Charakters aus. Verschont man Unschuldige und vermeidet, seinen Trieben nachzugehen, ist das gut. Gut führt häufig zu einem besseren Abschluss.

Blöd ist nur, dass man für das "beste" Ende eine Reihe von spezifischen Handlungen in einer spezifischen Reihenfolge ausführen muss - und manche wirken ziemlich random. Um mit Nimdok an das ausführliche Ende zu kommen, muss man einem Gefangenen die Augen entfernen (ist das was Gutes?) und durch den richtigen von zwei Ausgängen ein Gebäude verlassen. Wählt man falsch, stolpert man nicht über eine aus heiterem Himmel erschienene Box. Ohne Box kann man die Augen nicht verstecken. Versteckt man die Augen nicht, wartet draußen ein Mob auf einen, der einem den Behälter aus der Hand schlägt. Damit ist der Rest der Storyline verbaut und wenn man nicht gerade clever gespeichert hat, muss man für ein besseres Ende von vorne anfangen.
Das ist insbesondere frustrierend, weil immer wieder auch mal wichtig ist, dass man etwas NICHT macht. Etwa mit Gorrister einen bestimmten Jukebox-Track zu hören. Wer in einem Durchgang das beste Ende haben möchte, hat keine andere Wahl als vor jeder Aktion zu speichern. Gutes Spieldesign ist das nicht. Wer will schon einen offensichtlich falschen - und noch dazu kürzeren - Pfad bestreiten und dann noch mal ganz von vorne anfangen?

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Das wäre nicht weiter schlimm, wenn nicht das ganze Adventure nach dem widerlichsten Prinzip des Genres aufgebaut wäre: Führe eine Aktion aus und dann laufe herum und interagiere erneut mit allem, weil sich etwas geändert haben könnte. Bestes Beispiel: Wenn man mit Benny nach Teilen für eine Puppe suchen soll, kann man eine Gruppe von Ranken untersuchen, in der man plötzlich einen Draht findet. Dieser beschissene Draht war bei vorigen Untersuchungen nicht da. Wer nicht auf Gutdünken mal diese bekloppten Ranken untersucht, muss sich mit einem schlechteren Ende zufrieden geben.

I Have No Mouth And I Must Scream versucht in erster Linie zu schockieren. Immer mal wieder geht die Sache auch tiefer - es ist interessant herauszufinden, welche Probleme die Protagonisten mit sich herumtragen. Die vielen von AM geschaffenen Konstrukte bieten ordentlich Raum für Allegorien und Metaphern, so dass man sich auf einer Interpretationsebene ordentlich austoben könnte- wenn nicht der gesteuerte Charakter dauernd alles verraten würde. Mistkerl. Das ist mein Spiel, hier interpretiere ich! Jedenfalls: Schaut euch I Have No Mouth an, wenn ihr am Stil eines dunkles, klassisches Adventure bereichern wollt. Wer logisch oder auch nur ansatzweise fair rätseln möchte, ist hier aber fehl am Platz.

I Have No Mouth, And I Must Scream

(Ranking)
B
RANK
Anständig. Stärken und Schwächen halten sich die Waage. Positive Überraschungen sind genauso selten wie negative. Unterm Strich muss man seine Spielzeit keinesfalls bereuen.

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31. Oktober 1995
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