Analogue: A Hate Story

(Artikel)
Rian Voß, 23. September 2013

Analogue: A Hate Story

600 Jahre alter Krimi sucht Lösung

Manche Namen ragen aus dem Wulst von nicht-desktiptiven Spieletiteln im Steam-Angebot einfach heraus. Neben Portal, Just Cause und Bioshock: Infinite hat Analogue: A Hate Story etwas bezaubernd Deutliches. Die koreanische Visual-Novel baut aber nicht nur auf einen guten Titel, sondern greift auch tief in die Gimmick-Gameplay-Tasche und liefert eine interessante Sci-Fi-Geschichte um ein Schiff voller Männer und Frauen, die viel zu lange in einem einzigen Raumfahrzeug durch das Weltall flogen.

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Wer wir sind, ist unwichtig. Was zählt, ist der Auftrag, der eines Tages über unseren Bildschirm flimmert: Es wurde das Wrack der koreanischen Mugunghwa gefunden - ein Kolonialisierungsschiff, das offensichtlich seinen Job nicht erfüllen konnte. Wir sollen uns an die Kommunikationsschnittstelle des Weltraumkreuzers hängen, uns mit einer Künstlichen Intelligenz namens *Mute, die für die Sicherheit des Schiffes verantwortlich war, in Verbindung setzen und alles an Informationen downloaden, was Aufschluss darüber geben könnte, was vor vielen hundert Jahren an Bord der Mugunghwa vonstatten gegangen ist.
Für alle Benutzer von Textkonsolen, wie sie etwa die meisten Linux-Anwender kennen und lieben, gibt es nach Spielbeginn schon ein kleines Highlight: Wir müssen uns durch eine sogenannte Shell navigieren. Grafisches Interface? Pff. Das brauchen nur Noobs und Mausschubser! Also erst einmal "help" eingeben. Der "download"-Befehl wirkt da sehr attraktiv, aber wenn wir dessen Ausführung mit einem schwungvollen Schlag auf die Entertaste bestätigen, heißt es nur, wir sollen mit der KI reden. Gut, mit *Mute ein Pläuschchen zu halten stand ohnehin noch auf unserer To-Do-Liste. Leider findet sich unter den aufgeführten KIs nur eine *Hyun-ae. Da wir sonst nicht viel tun können, aktivieren wir *Hyun-ae und somit auch die grafische Oberfläche.

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Ein Computerabbild in Form eines Schulmädchens begrüßt uns freundlich, freut sich darüber, endlich wieder eine Unterhaltung nach so langer Zeit führen zu können, und stellt uns ein Tippfeld zum Antworten bereit. Leider scheint unser hypermoderner Zeichensatz nicht mit dem der Mugunghwa kompatibel zu sein, also muss zur Verständigung eine Auswahl aus zwei vorgefertigten Antworten genügen.
In diesem kurzen Abschnitt finden sich bereits zwei große Merkmale von Analogue: Positiv ist die Konsistenz, die das ganze Spiel an den Tag legt. Von den Anfängen mit der Textkonsole bis zu weiteren Spielmechanismen unterliegt alles dem Set-Up, dass man sich nicht wirklich auf der Mugunghwa befindet und nicht wirklich dieser *Hyun-ae gegenüber steht. Das Spiel baut eine merkliche Barriere zwischen dem Spieler und den Charakteren auf, so dass fiktiven Charakteren mehr Realität verliehen wird, indem man sie im Spiel als narrativ unecht ausweist. Das ist fast schon Poesie. Leider kann das binäre Interface, mit dem man Antworten gibt, da nicht ganz so gut mithalten; oft habe ich mir andere Antwortmöglichkeiten als die Gegebenen gewünscht. Für jede Situation genau die richtige Menge an gelungenen Antworten zu findet ist eine Visual-Novel-Kunst für sich, aber eine, die hier leider nicht aufgeht.

Ist aber zum Großteil eh egal, da man gar nicht so viel Zeit im Dialog verbringt. Die meiste Zeit liest man oder hört zu. Eigentlich liest man immer, aber ich beziehe mich mit "Lesen" auf die Datalog-Einträge, die nach und nach, mit eingeschobenen Gesprächen mit *Hyun-ae (und später auch *Mute), freigeschaltet werden. Diese zeichnen ein Bild der Strukturen und Lebensweise der adeligen Familien Smith und Kim - der einflussreichsten Familien der Mugunghwa. Und was man da zu sehen bekommt, ist starker Tobak. Was zuerst an harmlose und langweilige Schul-Geschichte erinnert, in der Frauen gesellschaftlich gerne untergebuttert werden, entpuppt sich irgendwann als tragisches Beziehungsdrama einer Zivilisation, die auf Irrwegen die Gestalt der Joseon-Dynastie angenommen hat - einer der dunkelsten Zeitabschnitte in der koreanischen Geschichte. Zu den angeschnittenen Themen gehören: Inzest, schwerer häuslicher Missbrauch, Umgang mit Homosexualität, Fehlgeburten, Pädophilie und Zwangsheirat im Kindesalter. Es ist schwierig, nicht an der einen oder anderen Stelle schwer zu schlucken, und die hauptsächlich in Briefform verfassten Texte, die abrupt im Jahr 322 enden, sind dabei sehr lebendig und bekommen durch KI-Kommentare oft noch eine weitere Dimension; wie von Geschichtsbuch-Autoren zu Textabschnitten gesetzten Fußnoten.

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No Hentai: Wer expliziten KI-Sex sucht, muss woanders graben, denn Analogue ist optisch vollkommen harmlos.
Um letztendlich herauszufinden, was mit der Mugunghwa und ihren vielen Passagieren geschehen ist, muss man sich nach einem Minigame, in der eine plötzlich auftauchende Krisensituation behandelt werden muss (ich will dazu nicht mehr sagen, es ist einfach zu gut), für einen Gesprächspfad entscheiden: *Mute oder *Hyun-ae. Das führt zu fünf verschiedenen Enden, die hauptsächlich von der Moralität des Spielers abhängen. Aber mal ganz ehrlich: Man legt sich eh am Scheidepunkt ein Savegame an, um an alle Endings heranzukommen.

Mit einer gemütlichen Lesegeschwindigkeit ist man auf jeden Fall in zwei bis drei Stunden durch. Trotz der recht kurzen Spielzeit fühlt sich der Abschluss von Analogue: A Hate Story nicht unvollständig an, sondern die Entwicklerin Christine Love hat lediglich gut abschätzen können, wie lang das Spiel zu sein hat ohne die Spielmechaniken zu strecken oder einen weiteren Charakter einführen zu müssen. Dadurch ist Analogue: A Hate Story ein kurzweiliger Unterhalter, der durch die Gewichtigkeit seiner Themen und den verschlingbaren Schreibstil keineswegs an emotionalem Wumms verliert. Rian

Analogue: A Hate Story

(Ranking)
B
RANK
Anständig. Stärken und Schwächen halten sich die Waage. Positive Überraschungen sind genauso selten wie negative. Unterm Strich muss man seine Spielzeit keinesfalls bereuen.

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