Shadowrun Returns

(Artikel)
Haris Odobašic, 31. Juli 2013

Shadowrun Returns

Der Samurai der Straße

Es ist schon komisch: Shadowrun ist seit Jahrzehnten eines der populärsten Pen-&-Paper-RPGs mit einem einzigartigen Universum, das Potenzial für viele, spannende Geschichten bietet, doch im Gegensatz zu anderen P&P-Systemen, wie Das Schwarze Auge oder Dungeons & Dragons wird der düstere und dreckige Cyberpunk von Videospielemachern gnadenlos verschmäht. Zwei sehr gute Umsetzungen für Super Nintendo bzw. Mega Drive waren lange Jahre die einzigen richtigen Shadowrun-Spiele -- selbst der PC, eigentlich prädestiniert für so etwas, ging leer aus -- ehe 2007 die Lizenz ausgerechnet für einen mageren Shooter missbraucht wurde. Doch die Zeit des Leidens für Fans sollte 2012 ein Ende haben, als sich Shadowrun Returns zum Crowdfunding-Hit entwickelte, das selbstgesteckte Ziel gleich mehr als vierfach übertraf und schließlich diesen Monat veröffentlicht wurde. Doch haben sich fast 20 Jahre Wartezeit wirklich gelohnt?

Shadowrun Returns selbst sieht sich als mehr als nur ein Spiel, sondern ist quasi ein Toolkit, mit dem man als Nutzer selbst eigene Missionen beziehungsweise auch ganze Kampagnen erstellen kann. Die enthaltene Kampagne ist daher zwar einerseits signifikanter Spielinhalt, aber eben auch eine Art Demonstration der Fähigkeiten des Toolkits. In ihr erlebt ihr einen unterhaltsamen Krimi, bei der ein alter Bekannter eurer Spielfigur umgebracht wird, und euch eben dieser Bekannter per Videoaufzeichnung mit dem Versprechen des großen Geldes anheuert, seinen Mörder ausfindig zu machen: einen Psychopathen, der Ripper genannt wird und dafür bekannt ist, seinen Opfern bei lebendigem Leibe Organe zu entnehmen.

shadowrun-returns-kampf

Das Spiel ist dabei, West-RPG-typisch, ein gesunder Mix aus storytreibenden Dialogen und allgemeiner NPC-Interaktion, gepaart mit etwas Erkundung und anspruchsvollen Kämpfen. Leider ist das etwas gradlinig dargeboten, was wiederum für das Genre ganz und gar untypisch ist. Hier erinnert der Aufbau sogar eher an ein Actionspiel. Die Nebenquests lassen sich an einer Hand ablesen und auch wenn man die einzelnen Gebiete gut erkunden kann, sind sie ziemlich klein und das Reisen zwischen diesen Arealen sehr eingeschränkt. Ein Besuch alter Lokationen ist nur dann möglich, wenn es die Geschichte erfordert - wer also was vergisst oder übersieht, schaut in die Röhre. Die 16-bit-Varianten boten, trotz ihrer gut 20 Jahre, mehr Freiheitsgrade.
Auch das Speichersystem ist eine kleine Katastrophe, da es keine manuelle Speichermöglichkeit gibt. Euer Spielstand wird bei Gebietswechseln automatisch gesichert, und da ihr eben nur an bestimmten Punkten Reisen könnt, könnt ihr auch nur dementsprechend selten speichern. Hier ist Frust quasi vorprogrammiert, wenn man ein Gebiet ausgiebig erforscht und dann auf dämliche Art und Weise stirbt. Das wäre schon vor zehn Jahren ein großes Manko gewesen und ohne sinnvollen Grund ist es nicht mehr als ein Stolperstein, der dem Spieler unnötig in den Weg gelegt wird.
Dafür sind zumindest die Missionen etwas freiheitsliebender: je nachdem, was für eine Figur man spielt, hat man eigentlich immer mehrere Ansätze zur Verfügung ein Problem anzugehen, was natürlich auch dem Wiederspielwert positiv zugutekommt.

Dieser Absatz mag sich jetzt arg negativ lesen, entspringt aber nur den Erwartungen eines Genre-Veteranen, die derbe enttäuscht werden. Findet man sich damit ab, stellt man aber durchaus fest, dass Shadowrun quasi immer die richtigen Noten trifft und insbesondere die Qualität der Geschichte das Spiel über so manch vergleichbares Spiel hebt, das von den Mechaniken eigentlich besser wäre. Wobei Shadowrun hier auch nicht ganz unbewaffnet ist, stellt das gelungene Kampfsystem doch ein kleines Highlight dar: rundenbasierte Taktik, die erstaunlich einsteigerfreundlich umgesetzt wird und das ohne wirkliche Komplexitätseinbußen. Das wird nur dadurch erreicht, dass die Spieleraktionen, statt auf ein traditionelles System mit Aktionspunkten zu setzen, einfach nur auf die Aktionen an sich reduziert wird. In der Regel hat eine Figur pro Runde zwei davon, die aber beliebig kombinierbar sind. Zweimal laufen, um weite Strecken zurückzulegen, mehrere Schüsse abfeuern oder zaubern und dann das Weite suchen – ihr habt die Qual der Wahl. Außerdem ist es ein netter Touch, dass ein Deckungssystem integriert ist. Bewegt ihr euch an eine Wand oder ein ähnliches Objekt, welches euch Schutz spenden könnte, wird die Trefferquote automatisch beeinflusst beeinflusst.

shadowrun-returns-pc

Ohne Frage ist das Potenzial bei Shadowrun Returns in rauen Mengen vorhanden: wie schon bei anderen RPGs, die den Nutzern mächtige Toolkits zur Verfügung gestellt haben, wird man bei Shadowrun wohl auch nicht allzu lange warten müssen, bis qualitativ hochwertige Inhalte zur Verfügung gestellt werden. Und auch die enthaltene Kampagne mag zwar kurz sein, ist aber nicht nur eine spannende Geschichte sondern auch eine gute Einführung in die Mechaniken des Spiels, außerdem natürlich die perfekte Überbrückung bis die erste Flut der Community-Inhalte eintrifft. So hat das Spiel eigentlich alle Zutaten beisammen, um in seiner Nische ein Hit zu werden, dass man sich fragen muss, ob die Entwickler sich nicht selbst sabotiert haben, indem sie nicht ambitioniert genug waren. Wenn man durch die dunklen Gassen Seattles wandert, schreit das Spiel regelrecht danach, dass man es weiter erforschen soll, um mehr von dieser dreckigen und düsteren, aber dennoch faszinierenden Welt zu sehen. Redet ihr mit den verschiedenen Nebenfiguren, wünscht ihr euch, dass diese Dialoge mehr als nur Charakterentwicklung beinhalten: ihr wollt Beziehungen zu den Figuren aufbauen, etwas haben, was wirklich Bedeutung hat, euch eine persönliche Erfahrung schenkt. Und natürlich wären etwas tiefergehendere Spielmechaniken, wie die Möglichkeit, eine richtige Party zu haben, schön gewesen. All dies bietet die Kampagne nicht. Ob das Toolkit an sich diese Möglichkeiten bereitstellt? Das wird nur die Zukunft zeigen. Wünschenswert wäre es, ist das doch der Unterschied dazwischen, ob Shadowrun Returns zu einem Rollenspiel-Klassiker avanciert oder nur als gut gemeinter Versuch in Erinnerung bleibt. Haris

Shadowrun Returns

(Ranking)
B
RANK
Anständig. Stärken und Schwächen halten sich die Waage. Positive Überraschungen sind genauso selten wie negative. Unterm Strich muss man seine Spielzeit keinesfalls bereuen.

Kommentare

Ben
01. August 2013 um 12:22 Uhr (#1)
Klingt leider ernüchterender als erhofft. Ich bin gespannt, was die Community daraus machen wird.
Gast
19. April 2024 um 20:51 Uhr
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