Asoziale Kellerkinder?

(Artikel)
Kristin Riedelsberger, 15. Februar 2013

Asoziale Kellerkinder?

Gaming und Beziehungen

Es wird ja immer wieder behauptet, Gamer wären asoziale Menschen, Kellerkinder, die den Kontakt zur Realität verloren haben und sich deshalb in die Welt der Spiele flüchten. Pf! Von wegen! Spiele zu lieben ist sogar eine hochsoziale Angelegenheit, ja mitunter ist es sogar eine Voraussetzung für eine gelungene zwischenmenschliche Beziehung, dass Freund oder Partner dieselben Games gut findet, wie man selbst! Das ist fast genauso wichtig wie eine ähnliche moralisch-ethische Grundhaltung, wenn nicht sogar noch wichtiger.

So gibt es zum Beispiel Freundschaften, die gründen sich nur auf die gemeinsam geteilte Leidenschaft für ein bestimmtes Spiel. Ich finde es immer wieder faszinierend, meinen sensiblen, hochgeistigen, höflichen Musiker-Poeten-Künstler-Freund mit seinem eher grobschlächtigen Ich-nagel-alle-Frauen-und-piss-dir-ins-Bier-wenn-du-mir-blöd-kommst-Wrestler-Kumpel Tekken zocken zu sehen. Die beiden haben nichts gemeinsam außer ihrer Mila-Superstar- und Beater-Vergangenheit, sind sich auch bei Unterhaltungen über andere Themen so gut wie niemals einig, aber trotzdem pflegen sie ihre Zock-Bruderschaft mit großer Hingabe und sind vor der Konsole ein Herz und eine Seele. Die sind sogar richtig süß!

Auf der anderen Seite kann es natürlich eine Freundschaft nachhaltig belasten, wenn sich plötzlich herausstellt, dass das eigene Lieblingsspiel vom anderen nicht so geschätzt wird, wie es das verdient hätte, vielleicht sogar richtig niedergemacht wird! Schließlich gibt man ja... ja... einen Teil von sich preis, wenn man einem Freund den heißgeliebten Silberling ausleiht, der einem selbst zu großer Erkenntnis verholfen und überschwängliche Gefühlsausbrüche hervorgerufen hat. Von daher hatte ich echte Schweißperlen auf der Stirn, als Rian dem Musiker-Poeten-Künstler-Freund verkündete, er habe Alundra jetzt gespielt, fände es aber – um seinen Wortlaut an dieser Stelle einmal abzukürzen – blöd. Ihre Freundschaft hatte so gut angefangen und jetzt sah ich vor meinem inneren Auge fette rote Minus-Zeichen über seinem Wuschelhaar auftauchen...

Zum Glück konnten größere Handgreiflichkeiten abgewendet werden (Rian ist ja dann doch diplomatisch und redegewandt genug, um am Ende einer harschen Kritik noch einen relativierenden Feedback-Happen zu verfüttern), aber solche Situationen sind wirklich nicht ungefährlich. Das darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen! Zum Glück war es nur Alundra... Wäre es um Final Fantasy gegangen – ich weiß nicht, ob man die Situation dann noch hätte zum Guten wenden können!

Besonders toll ist es natürlich, wenn plötzlich völlig aus dem Nichts ein absoluter Nicht-Gamer das eigene Lieblingsspiel lobt! Mein Papa, zum Beispiel, hat seine C64-Vergangenheit mittlerweile hinter sich gelassen und abgesehen von Plants vs. Zombies und hin und wieder mal einem Wimmelbild-Spiel hat er keine großen Zocker-Ambitionen mehr. Aber vorgestern Abend rief er mich an und als ich ihn fragte, ob er nebenbei den Fernseher laufen habe, antwortete er:

"Neee, ich hab‘ hier Youtube an, guck' da Edna bricht aus!"
"Waaas!? Papa! DU spielst Edna bricht aus! Wie coooool! Das ist eins meiner absoluten Lieblingsspiele! Wo bist du denn gerade?"
"Ich bin hier gerade im Keller wo der eine einen Tunnel gräbt. Aber spielen tu‘ ich das nicht, das ist mir ja viel zu anstrengend mit den ganzen Rätseln und man muss überall hingehen und nachdenken und so. Neee, ich guck mir das lieber an, da gibt das so Videos, wo das einer spielt. Da bin ich jetzt bei Teil 40 von 71."
"Ach, das musst Du doch SPIELEN!"
"Ne, lass mal. Aber ich guck mir das gerne an, vor allem mit Droggelbecher."

Und dann lachte er!

Und wir fachsimpelten gemeinsam über die Gespräche mit der Waschmaschine, Herrn Mantel und den depressiven Peter und ich hatte meinen Papa gleich noch ein bisschen lieber. Na gut, er spielt es nicht, das ist natürlich eigentlich ein No-Go; aber trotzdem konnte ich mich blendend mit ihm unterhalten und alleine, dass er den Humor ebenso wertschätzte, wie ich, ließ mein kleines Adventure-Herz ganz warm und weich werden. (Und jetzt weiß ich auch endlich, was es für Leute sind, die sich Let’s Plays anschauen! Die Frage beschäftigte mich schon mindestens zwei Jahre.)

Soviel zum Thema asozial. Ich möchte es an dieser Stelle noch einmal voller Inbrunst in die Welt hinaus schreiben: Spiele verbinden! Und wenn einem einmal nicht der Sinn nach Kommunikation und großer sozialer Interaktion steht, dann kann man auch mal wunderbar friedlich nebeneinandersitzen und - jeder für sich - vor sich hin zocken. Zum Beispiel die großartigen Phoenix-Wright-Teile, über die ich heute eigentlich schreiben wollte... Na egal. Dann halt nächste Woche! Quis

Kommentare

Heiler
15. Februar 2013 um 19:14 Uhr (#1)
Ganz wundervoller Artikel Quis.
Ich hab meine Frau durchs zocken kennengelernt, teile zu großen Teilen ihren Spielegeschmack oder kann ihn zumindest begreifen und solch eine Passion wir das gemeinsame Daddeln, hilft auch durch die größten Beziehungsstürme oder beugt selbigen sogar vor. ^^
Kristin
16. Februar 2013 um 12:40 Uhr (#2)
"Tut mir Leid, Mausi... :( Willst Du mich eine Runde bei Tekken verprügeln...? *versöhnlich guck*"

True Story!
Heiler
16. Februar 2013 um 14:34 Uhr (#3)
Ja mancher Mann ist romantischer als Don Juan DeMarco *lacht*
Gast
20. April 2024 um 01:23 Uhr
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