Silent Hill: Book of Memories

(Artikel)
Benjamin Strobel, 08. November 2012

Silent Hill: Book of Memories

Achtung: Action-RPG

Kontrovers diskutiert und kritisch beäugt: Silent Hill: Book of Memories entfernt sich unter der Feder des Entwicklers WayForward weit von den Survival-Horror-Ursprüngen ins Action-RPG-Genre. Ohne Ziffer im Namen ist der Titel ganz klar keine Fortsetzung der Hauptlinie und daher nicht als klassisches Silent Hill zu verstehen. Was alte Fans bedauern, muss durchaus nichts Schlechtes bedeuten. Mit einer selbst erstellen Hauptfigur slasht und lootet sich der Spieler durch zufallsgenerierte Dungeons und altbekannte Feinde - allein oder zu viert im Koop-Modus.

Der PS-Vita-Exklusivtitel müht sich nicht mit weiträumiger Story ab, sondern springt gleich ins Geschehen. Ein kleiner Charaktereditor fordert den Spieler auf, eine eigene Figur zu erstellen. Von Mann bis Frau, von Schwarz bis Weiß, von Cap bis Brille ist alles dabei. Bestätigen. Und schon steht der aus Downpour bekannte Postbote vor der Tür: ein anonymes Paket aus dem sonnigen Silent Hill. Merkwürdig, ich kenne niemanden in Silent Hill. Trotz berechtigter Bedenken reißt eure Figur das Paket auf wie ein Kind sein Präsent unter dem Weihnachtsbaum. Mummy, es ist das gruselige Book of Memories mit dem uralten Einschlag und all meinen Erinnerungen. Es ist genau das, was ich mir gewünscht habe! Ohne zu zögern blättert der Hauptcharakter durch das Buch und beschließt spontan und ohne guten Grund, eine wiedergefundene Erinnerung umzuschreiben. Warum auch nicht? Das erste Studiensemester war einfach kacke! Er geht ins Bett, schläft ein und prompt träumt er schlecht. Der erste Dungeon beginnt.


Obwohl Book of Memories optisch eine hervorragende Leistung zeigt, bleiben die meisten Details in der isometrischen Perspektive verborgen. Es keimen sofort Erinnerungen an Diablo und Torchlight auf - mit gutem Grund: Book of Memories ist ein purer Dungeoncrawler, der den Spieler durch ein Netz von Räumen in verschiedenen Größen und Formen schickt. Fast jeder davon ist gespickt mit Feinden, die der geschulte Silent-Hill-Spieler sogleich erkennt. In der Umgebung finden sich verschiedene Waffen, von Messern über Pistolen bis hin zu Äxten, Baseballschlägern und Schwertern. Für besiegte Feinde gibt es Erfahrungspunkte, für Erfahrungspunkte gibt es Level und für Level gibt es Skillpunkte, die der Spieler auf Attribute seiner Figur verteilen kann. Energie, Waffenschaden, kritische Treffer und vieles mehr kann je nach Vorliebe verbessert werden.
Um gleich mehrfache Boni auf Attribute zu erhalten, kann der Spieler Runen finden oder kaufen. Mit verschiedenen Gegenständen kann man zusätzliche Angriffe lernen und Slots in seinem Rucksack erhöhen. Das Charaktermanagement macht wirklich Spaß und liefert sogar etwas Fanservice: die meisten Gegenstände sind schon aus verschiedenen Spielen bekannt und spätestens, wenn man sich den Pyramid-Helm kaufen kann, erfüllen sich feuchte Träume für jeden Silent-Hill-Nerd.

Jeden Abend vor dem Schlafen ändert eure Figur eine Erinnerung im Book of Memories und wacht im Dungeon wieder auf. Zu Beginn erhält der Spieler eine Mission von Valtiel, der einigen noch aus Silent Hill 3 bekannt sein dürfte. Tötet man bestimmte Monster oder findet eine Reihe von Objekten, so wird man am Ende mit einer Waffe entlohnt. Das Netz aus Räumen ist mit schlauchigen Gängen verbunden und muss durch Betreten der Räume erst aufgedeckt werden. Neben gewöhnlichen Räumen, die ein paar Feinde, Waffen und hoffentlich ein Medipack enthalten, gibt es auch besondere Orte. In jedem Dungeon gibt es vier bis sechs Räume mit Challenge Orbs. Diese müssen zerbrochen werden, um eine Aufgabe auszulösen, die auf die ein oder andere Weise darin besteht, Feinde zu töten. Bei Erfolg erhält der Spieler ein Puzzleteil. Wenn er alle gesammelt hat, kann er sie verwenden, um das Level zu verlassen. Dazu muss ein simples Rätsel gelöst werden, indem man Objekte nach Größe oder Farbe sortiert - da kennen wir vom "großen" Silent Hill durchaus schwerere Aufgaben.


Das Kampfsystem hat seine Stärken und Schwächen. Zwei Knöpfe dienen zum Schlagen, auf einer weiteren Taste kann man blocken und ausweichen. Waffen gehen schnell kaputt und müssen dann entweder repariert werden oder sind für immer zerstört. In der Regel hält eine Waffe nur für ein bis zwei Räume, dann sollte man sich etwas Neues überlegen. Gerade für einen Dungeoncrawler finde ich das sehr schade, da ich gerne neue Waffen finde und dann auch behalten möchte. In Book of Memories musste ich meinem Feuerschwert (Feuerschwert, ja! Absurd, ich weiß. Aber das gibt es wirklich!) nach wenigen Minuten Lebewohl sagen, weil ich keine Schraubenschlüssel zum Reparieren mehr habe. Störend ist auch die Tatsache, dass man Waffen-Statistiken nicht direkt vergleichen kann, wenn man etwas aufsammelt, sodass man das Werkzeug einfach rundheraus aufsammelt und hofft, dass sie was taugen. Andererseits wechselt man Waffen, dass das auch wieder egal ist. Etwas besser wird es, wenn man sich neue Slots erkauft hat, in denen man Waffen verstauen kann, die man gerade nicht benutzt. Will man sein Feuerschwert also länger behalten, kann man es im Rucksack verstauen, bis sich ein Schraubenschlüssel findet.
Neben dem oberflächlichen Slashen ist das Karma-System eine interessante Ergänzung. Alle Feinde gehören einer von zwei Gruppen an: Blutkarma oder Lichtkarma. Besiegte Monster lassen entsprechende Essenzen fallen. Man muss sich entscheiden, ob man sein Karma mit Blut oder Licht füllt und sollte dann nur die entsprechenden Essenzen aufsammeln. Hat man genug Karma aufgebaut, kann man es für Spezialangriffe nutzen: Blutkarma verursacht Schaden, Lichtkarma dient dagegen der Heilung und beides ist sehr nützlich.


Die vermutlich wichtigsten Räume sind der Shop und der Speicherraum. In jedem Dungeon gibt es stets nur einen Speicherraum, der auch noch zufällig auf der Map versteckt ist. Hat man Pech, taucht er ziemlich spät auf und man stirbt noch bevor man sich mühselig zu ihm hingeschleppt hat. Da es kein automatisches Speichern gibt, muss man also den Dungeon von vorn spielen und sich von zwanzig Minuten verschwendeter Lebenszeit verabschieden. In einigen Levels habe ich häufig versucht, die Feinde zu ignorieren und den Dungeon soweit zu erforschen, dass ich mindestens den Speicherraum, bestenfalls auch den Shop gefunden habe. Da Medipacks im späteren Spielverlauf sehr rar werden, kann man sich nicht mehr auf Fundstücke in Schränken und Kisten verlassen. Jeder Shopbesuch sollte mit dem Kauf von Heilungspäckchen beginnen und den Rucksack bis zum Limit damit füllen. Es ist mir schon passiert, dass ich mit wenig Lebensenergie in einen Raum geriet, der sich hinter mir verriegelte und erst wieder geöffnet würde, wenn alle Feinde besiegt sind. Bevor das passierte, wurde ich totgeschlagen und konnte den Dungeon von vorn beginnen. Diese unfairen Tode sind nahezu eine Spezialität des Spiels und mithin sein größtes Manko.

Die Schlauch-Struktur der Level zwingt den Spieler immer wieder zu Backtracking. Vielfach gibt es Wege, die sich teilen. Hat man einen bis zum Ende verfolgt, muss man die leeren Räume wieder zurück stiefeln. Manchmal fehlen einem wichtige Schlüssel für eine Passage, die es in einer anderen gegeben hätte, die man sich später anschauen wollte. Gehen die Medipacks zur Neige, nimmt man lieber einen umständlichen Weg zum Shop in Kauf als eine ganze Passage erneut spielen zu müssen. Will man zwischendurch pausieren, so muss man erst einmal zum Speicherraum zurück laufen, wenn man ihn denn gefunden hat. Das ist extrem unkomfortabel. Gerade bei einem Handheld-Spiel, das man auch mal unterwegs spielt, sollte schnelles Speichern zum guten Ton gehören. Dasselbe gilt für die Ladezeiten: Book of Memories benötigt über eine halbe Minute zum Laden seiner Level. Das gilt auch für den Neustart nach dem Sterben. Das sollte nicht nur für mobiles Spielen ein No-Go sein.

Ich habe den Eindruck, Book of Memories möchte seinen Spieler gerne ärgern. Nach den ersten Dungeons kurbelt es ordentlich am Schwierigkeitsgrad und beglückt den Spieler mit explodierenden Feinden und unsichtbaren Fallen, die entweder stark verlangsamen oder gleich an der Lebensenergie ziehen. Das Spiel schämt sich im weiteren Verlauf auch nicht, gleich zwei solcher Fallen in jedem Raum des Dungeons zu verstecken. Vergiftungsfallen können mit Schaden über Zeit sogar dann noch tödlich sein, wenn man schon alle Feinde besiegt hat. Ohne Speicherpunkt beißt man sich bei so etwas hart in seinen Arsch!


Viele der Probleme lösen sich, wenn man den Multiplayer-Modus startet. Leider kommen auch neue dazu. Bis zu vier Spieler können kooperativ durch die Dungeons streifen und gemeinsam leveln. Das Loot gehört immer nur dem, der es aufsammelt, was im Grunde okay ist. Aber leider gilt das auch für Schlüssel. (derp!) Es kann vorkommen, dass ein anderer Spieler einen wichtigen Schlüssel hat und aus irgendeinem Grund zu dämlich ist, die Türen zu öffnen. Und man kann nicht mal sehen, wer einen Schlüssel dabei hat! Gegenstände können nicht getauscht werden und Spieler dürfen auch nicht gleichzeitig den Shop benutzen. Wie im Supermarkt muss man sich brav hinten anstellen.
Der Mehrspieler-Modus hat aber auch seine Vorteile: So muss man nicht von vorne starten, wenn man stirbt, sondern kann respawnen und sich seinen Kollegen wieder anschließen. Wie bei allen Koop-Spielen empfehle ich, das Spiel mit Freunden zu bestreiten und sich per Voice-Chat abzusprechen, um das Problem mit den Schlüsseln zu vermeiden. Natürlich finden sich auch offene Spiele, denen man beitreten kann. Man kann sogar spätere Dungeons mit Leuten auf hohem Level durchspielen und so Erfahrungspunkte boosten. Kehrt man in sein eigenes Spiel zurück, verschafft das einem gerade den Vorteil, der nötig ist, um unfaire Stellen besser zu bewältigen.

Im Buch der Erinnerungen finden sich gute Ideen. Das Grundprinzip macht Spaß und man schaltet das Spiel immer wieder ein. Durch häufige und unfaire Tode schaffe ich aber kaum mehr als einen Dungeon am Stück. Es ist einfach erschöpfend und so schade, dass die Schwierigkeit des Spiels nur durch mangelnde Fairness aufrecht erhalten wird. Die Hintergrundgeschichten sind leider spärlich und nicht tragfähig genug, um den Spieler im Singleplayer bei Laune zu halten. Das kooperative Spiel bringt mehr Leben und Fairness hinein, hat aber auch seine Schwächen. Es ist eine Hassliebe - irgendwie will man es spielen und irgendwie auch nicht. Nex.

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