DSA: Satinavs Ketten

(Artikel)
Rian Voß, 02. Juli 2012

DSA: Satinavs Ketten

Das Crysis unter den Adventures

Das Schwarze Auge ist wahrscheinlich das stolzeste Kind der deutschen Rollenspielszene. Mit nun fast dreißig Jahren Support auf dem Buckel und mehreren Computerspielen, darunter die bekannte Nordlandtrilogie und die zwei Drakensangs, beweist das Setting auch heute, dass sich Leute immer noch dafür interessieren. Unter den Adventure-Heinzeln von Daedalic verstecken sich anscheinend auch einige Rollenspielveteranen, denn mit einem Draht zu den Entwicklern des Pen & Paper haben sie DSA: Satinavs Ketten aus dem Boden gestampft, welches die klassischen Point-&-Click-Elemente mit den Abenteuern des Vogelfängers Geron in den Kanon der Serie integriert.

Wie vielen Titelhelden der Daedalic-Spiele ist Geron das Glück nicht gerade hold - eher umgekehrt: Als Kind wurde er von einem auf dem Scheiterhaufen verbrennenden, blinden Seher mit dessen letzten Worten als derjenige bezeichnet, der den Untergang herbeiführen würde. Das schmeckt den abergläubischen Einwohnern von Andergast nicht und seitdem ist der junge Fallensteller ein ziemlicher Außenseiter. Und durch seine sonderbare Gabe, mit bloßer Willenskraft Tongefäße in Scherben zu zerlegen, gewinnt er an dieser Front sowieso keine Freunde. Aber warum kaufen die Dorfdeppen dem Seher sein Geschwafel überhaupt ab? Nun ja, es ist nicht so, dass der alte Mann nicht mit seinen Prophezeiungen Unrecht gehabt hätte, aber er hatte noch ein paar andere, böse Sachen auf dem Kerbholz, für die es sich zu scheitern (höhö) lohnte.


Aber Geron will nicht immer der Verlierer bleiben. Er wittert seine Chance bei einer Heldenqueste, die der König zu Ehren des Besuchs der Königin von Nostria ausrufen ließ, denn derjenige, der als erstes vier gleiche, versteckte Metallblätter findet, würde von ihm persönlich gelobt werden. Enthusiastisch nimmt der Vogelfänger die Queste an ohne dass er ahnen könnte, wohin ihn die Reise führt. Denn über kurz oder lang trifft er die Fee Nuri, welche vom zurückkehrenden Seher gejagt wird. Sie soll eine Feen-Harfe spielen, die den Untergang herbeiruft und Geron gerät in ein Dilemma: sein von den Untergebenen des Sehers zugerichteter Lehrmeister bittet ihn auf dem Sterbebett, Nuri zu töten, um die Bedrohung auf diese Weise unschädlich zu machen. Ein Forscher dagegen rät ihm, die Fee in ihre Welt zurückzubringen, doch aus unerklärten Gründen würde sie lieber sterben als die traute Heimat wiederzusehen. Und mittendrin der arme Geron, der zwischen seinen Gefühlen und der Apokalypse eine Entscheidung treffen muss.

Auf der Hälfte des Spiels findet Geron einen schmutzigen Handspiegel, den man polieren kann:

"Hah, blitzeblank! ...Moment, seit wann habe ich Augenringe?"
Wie schon A New Beginning schlägt Satinavs Ketten einen ernsteren Ton an und richtet sich an ein erwachseneres Publikum. Die beiden jungen Protagonisten bringen zwar genug Elan ins Spiel, dass man ab und zu noch Luft holen kann, indem ihnen manchmal doch ein flotter Spruch über die Lippen gerät, aber mehr als ein Schmunzeln hier und da soll dem Spieler niemals entlockt werden. Der Dialogdynamik und der Wörterwahl merkt man sofort an, dass hier Muttersprachler am Werk waren und es sich nicht um eine schnöde Übersetzung handelt, und Genrewitze sind subtil eingeflochten anstatt sie dem Spieler volle Breitseite ins Gesicht zu feuern. Das Gefühl einer Bedrohlichkeit kann und soll man aber nie ganz abschütteln - dafür lauern überall zu viel Tod und Gefahr. Die Häscher des Sehers erschaffen immer wieder brenzlige Situationen, in denen Geron schnell handeln muss, um das Gespann mit heiler Haut entkommen zu lassen, und wenn der große Bösewicht seine Finger nicht im Spiel hat, dann versucht man unbemerkt durch ein Orklager zu kommen, flieht vor einem wütenden Mob oder stattet Enqui, einer Stadt voller Schmuggler, Gauner und Mörder, einen Besuch ab.
Die Atmosphäre wird in den wunderbar inszenierten Sequenzen zwischen den Kapiteln, also den Rätselarealen, auf die Spitze getrieben und vertiefen die Stimmung, indem sie der Reise von Mensch und Fee einen sehr tragischen Unterton liefern. Der Sprecher (den ich bestimmt schon mal in Baldur's Gate 2 gehört habe, ich weiß es!) schafft es dabei sehr gut, genau unter der Toleranzgrenze zur Überdramatik zu fliegen und gibt dem Schicksal der Hauptcharaktere das Gewicht einer unausweilichen Katastrophe. Ich fühlte mich an einigen Stellen an Frodos und Sams verzweifelte Reise durch Mordor in Herr der Ringe erinnert.


Doch nicht nur der selten auftauchende Erzähler ist gut gewählt, auch die meisten anderen Stimmen passen. Gerade Gerons, die nicht wirklich alt und nicht wirklich jung daherkommt, ist wie für den schwarzhaarigen Bartschattenträger gemacht. Die einzige Sprecherin, die mir wirklich auf den Keks geht, ist die von Nuri, welche die naiven Charakterzüge der Figur mit so einer Inbrunst zur Schau trägt, dass sie im Licht der anderen, zurückhaltenderen Sprecher sehr herausfällt.
Leider scheint aber auch allgemein bei dem Tonaufnahmen ziemlich gehetzt worden zu sein, so dass ich mich häufiger mal gefragt habe, ob so etwas wie eine Regie überhaupt stattgefunden hat oder ob die Voice Actor nur ihre Zeilen ohne dazugehöriges Skript in die Hände gedrückt bekommen haben und sich irgendeine Stimmung ausdenken mussten. Häufig klingen vereinzelte Aufnahmen jedenfalls stark aus dem Kontext gerissen, so dass beispielsweise die vollkommen falsche Betonung einer ungläubig gestellten Nachfrage es so klingen lässt, als hätte Geron einfach keine Ahnung von dem Thema und hört jetzt davon zum ersten Mal anstatt sich zu erkundigen, ob sich sein Gesprächspartner über ihn lustig macht.

Eine weitere 80%-20%-Angelegenheit ist die Grafik: Als Standbild sieht auf dem Bildschirm alles wirklich, wirklich toll aus. Hier hat man sich viel Mühe gegeben, so viele Details wie möglich auf den Schirm zu verteilen ohne maßlos zu übertreiben und das Auge zu überfordern. Die Zeichnungen sowie die Settings sind abwechslungsreich und man wird nie müde zu gucken - und es ist garantiert, dass Kenner der DSA-Locations hier und dort Objekte und Orte erspähen, die solchen Noobs wie mir vollkommen vorbehalten bleiben.
Wenn aber Dinge anfangen sich zu bewegen, wird es unschön. Gerons und Nuris 3D-Charaktermodelle passen zwar herumstehend so gut in die Landschaft, dass man schon ein paar mal blinzeln muss, bevor man überhaupt sieht, dass wir es hier mit Polygonen zu tun haben, aber dann ist Gerons Laufanimation ziemlich hölzern, die Lippenbewegungen in den großen Portrait-Gesprächsfenstern bieten nur drei bis vier Einstellungen - was beim cartoonigen Deponia okay ist, aber bei dem hohen Realismusanteil von Satinav hätte ich schon etwas mehr erwartet - und allgemein wirken alle Personen, wenn man etwas böse sein möchte, ein bisschen wie von Monty Python animiert. Das ist nun aber schon kleinkariertes Gemäkel, denn die meiste Zeit bewegt sich nicht viel und man verbringt viel mehr damit, das hervorragende Gesamtbild in sich aufzunehmen.


Was allerdings nahezu an Unentschuldbarkeit grenzt, sind die Systemanforderungen des Spiels. Vielleicht liegt es auch an meinem Laptop, aber auf einem Gerät mit einem 2,4Ghz-Duo-Core, vier Gigabyte Arbeitsspeicher und einer ordentlichen Grafikkarte hätte ich niemals damit gerechnet, jemals Ruckler in einem Adventure sehen zu müssen. Und davon sah ich ziemlich viele. Nicht nur das, sondern jedes Mal, wenn zwischen normalem Spielbildschirm und 2D-Dialog-Ansicht (welche ich sehr stimmig finde und welche in mehr Adventures gehört) gewechselt wird, gibt es einen kleinen Ladebildschirm. Der hält für gewöhnlich nicht lange, aber selbst zwei Sekunden des Ladens sind für mich persönlich in einem Grafikadventure, an das ich nun keine hohen, technischen Anforderungen stelle, bereits zu viel.
Richtig in die Knie ging alles in Enqui, der verregneten Stadt am Wasser. Hier war die Spielerfahrung fast schon eine Diashow und Ladebildschirme zwischen Dialogen erreichten durchschnittlich zehn Sekunden des Wartens. Da fühlte sich jeder Verklicker wie eine harte Bestrafung an.

Was noch übrig bleibt, sind die Rätsel. Die sind bei Daedalic-Spielen irgendwie immer auf einem Level und tendieren manchmal etwas mehr zur Logik, dann mal wieder etwas mehr zum Abstrusen. In Satinavs Ketten ist die Gedankenakrobatik meist eher auf der nachvollziehbareren Seite, allerdings wird einem das hastig vollgestopfte Inventar schnell mal zu einem Klotz am Bein und es wird nicht immer sofort klar, was eigentlich als nächstes getan werden kann, um das augenblickliche Ziel zu erreichen. Mein Moment der Kapitulation kam, als ich einen Kobold fangen musste, für den ich mit einem Holzschild das auf einen Schmetterling fallende Sonnenlicht blocken musste, welcher daraufhin in eine fleischfressende, Schleim absondernde Pflanze flog, deren Auswurf ich dann aufnehmen konnte, um meine Umgebung einzusauen, so dass der Kobold darauf ausrutscht, ins Wasser fällt und seine Ausrüstung verliert, für die ich ihm dann Ersatz besorgen durfte, damit er mir endlich erzählt, wo zum Donner noch eins ich überhaupt hin muss.
Das klingt jedoch schlimmer als es ist, neun Zehntel der Zeit ist man gut dabei und die einschaltbaren Komfortfunktionen, wie etwa die Hotspotanzeige, das Ausgrauen von Gegenständen, mit denen man nicht mehr interagieren muss, oder die Kombinationshilfe, sind gut unterstützende Features, auch wenn sie bei mir irgendwie sofort das Nachdenken ab- und die Faulheit einschalteten. Die Hilfen sind mit Vorsicht zu genießen, sie verkrüppeln den eigenen Verstand!

DSA: Satinavs Ketten ist ein Adventure, das nicht exklusiv für DSA-Spieler gemacht ist, worin diese sich aber sicherlich noch etwas wohler fühlen werden als der Otto-Normal-Abenteuerspieler. Für Fans des Pen & Papers gibt sich hier eine gute Gelegenheit, einen Kurzurlaub in Aventurien zu genießen, eine Weiterentwicklung des Kanons zu begutachten und vielleicht ein paar frische Ideen für das nächste Setting abzugreifen, während alle anderen ein gutes, erwachsenes Adventure in typischer Daedalic-Qualität erwartet und eventuell den einen oder anderen Interessierten sogar zum Neueinsteiger mutieren lässt. Rian

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22. Juni 2012
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