Clock Tower

(Artikel)
Rian Voß, 02. Februar 2012

Clock Tower

Wenn Rian leise schluchzt

Erinnert ihr euch noch an die Zeit, als Japaner wussten, wie man mit wenigen Mitteln einem Spieler durch die geballte Ladung Psychoterror eine Scheißangst einjagt? Ich hatte diese schreckliche, mittelalterliche Zeit schon fast erfolgreich verdrängt. Doch trotz meiner terminalen Horrorphobie (unter dieser Krankheit leiden viele Menschen!), bin ich vor kurzem auf den Trichter zu kommen, das Survival-Horrorspiel Clock Tower für den SNES anzupacken. Das war's wohl in nächster Zeit erst mal mit dem ruhigen Schlafen...

Clock Tower wurde mir von Game Breakdowns empfohlen. Ich wiederum empfehle einen Besuch bei Game Breakdowns.
Jennifer und ihre Freundinnen waren Waisenkinder, doch eines Tages hat sich die Familie Barrows dazu entschlossen, die vier Mädchen bei sich aufzunehmen. Das klang zuerst wie das Ende eines langen Leiden, da die Barrows wohlhabend sind und ein riesiges Anwesen besitzen. Ja. Riesiges Anwesen. Ihr wisst, warum ich das kursiv geschrieben habe. Mrs. Barrows lässt die Mädchen nach der Ankunft für eine Weile im Foyer allein, um ihren Mann zu holen, doch nachdem ein paar Minuten ins Land gegangen sind, macht sich Jennifer auf, um mal nach ihrer neuen Ziehmutter zu sehen. Kaum ist sie aus der Halle in einen Gang getreten, vernimmt sie einen Schrei, stürmt sofort zurück und... alle sind weg. Sie ist allein.


Wenn man darauf eingehen möchte, warum Clock Tower heutzutage trotz alter Grafik, alter Sounds und tastenarmen Controllern immer noch ein Angstschweißgarant ist, dann muss man ein wenig erläutern, warum aktuelle sogenannte "Horror"-Spiele und Ableger bekannter Gruselserien, wie etwa Resident Evil, Silent Hill oder Alone in the Dark, nur noch einen Schatten im Vergleich zu früheren Serien in Hinblick auf diesen Aspekt darstellen. Es gibt sicherlich mehrere Gründe, die alle irgendwo ihre Rolle spielen, von der Verführung der grafischen Macht eines Systems (was bei Filmen den "Gewaltporno" erzeugte) bis zu Talentabwanderung in der Branche, jedoch denke ich, dass der Großteil der Schuld an der Auswanderung dieses einstmals großen Genres ins Nischendasein vor allem mit dem aktuellen Mindset der Spieleentwickler und Spieler zu tun hat. Dieses besagt nämlich: Wir wollen Macht! Wir wollen stärker und schneller sein! Wir wollen uns besser fühlen und unsere heroischen Fantasien ausleben! Das ist nicht unbedingt eine Aussage darüber, dass Spiele gewalttätiger und stumpfer werden als früher, sondern eher darüber, wie ein Spiel den Fortschritt eines Spielers belohnt - wer sich schließlich auch nur ein kleines bisschen Ahnung von den Mainstreamspielen abseits der Evergreens der 2D-Ära angeeignet hat, der weiß, dass früher genauso viel hohler Schwachsinn für den schnellen Dollar produziert wurde wie heute.

Im krassen Gegensatz dazu steht der Survival-Horror von einst: Anstatt das Monster zu sehen und sich irgendwie zu überlegen, wie man es besiegen oder zumindest austricksen kann - was das Ego des Spielers in Hinblick auf Geschick oder Intelligenz stärken würde - konnte man einfach froh sein, wenn man der Gefahr mit einer Verzweiflungstat entkommen ist und die dicke Metalltür hinter sich abschließen konnte. Ok, dann hat man eben ein Item verpasst oder man musste einen NPC zurücklassen, um seine eigene Haut zu retten. Das ist frustrierend und zuweilen auch traurig, aber DA bringen MICH keine zehn Pferde mehr rein!
Das Survival-Horror-Spiel der alten Schule beschritt einen Weg der cleveren Einschränkung, die dem Spieler Möglichkeiten nehmen sollte oder (noch besser) die den Spieler dazu veranlasst, freiwillig auf gewisse Optionen zu verzichten. Das Gegenteil dazu sind Spiele von heute, die einem so viele Möglichkeiten wie nur irgend geht in die Hand zu drücken versuchen.

Genau da tritt Jennifer auf den Plan. Jennifer ist ein Mädchen. Sie trägt einen Rock. Sie hatte wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben kaum mit Gewalt etwas zu tun und hat wohl auch nie vorgehabt, sie jemals anzuwenden. Jennifer geht nach ein paar gelaufenen Metern die Puste aus und wenn man sie auch nur eine Sekunde stehen lässt, bricht sie halb auf dem Boden zusammen, um sich zu beruhigen oder nach Luft zu schnappen. Es fehlt eigentlich nur noch, dass sie Leukämie hat, aber ansonsten ist Jennifer - im Bilde des modernen Videospiels - der personifizierte Archetyp körperlicher Zerbrechlichkeit. Man stelle daneben mal einen muskelbepackten Chris Redfield. Allein diese physische Schwäche reicht aus, um vor jedem kleinen Pixel, der sich auch nur irgendwie zu bewegen scheint, zurückzuweichen.


Diese Reaktionen sind aber auch nicht unbegründet, denn es kann tatsächlich ständig etwas passieren. Der Hauptverursacher von Panik und Paranoia ist ein kleiner Gnom mit eingefallenem Gesicht, der Jennifer langsam - mal gescriptet, mal einfach so - mit seiner zuschnappenden Heckenschere verfolgt. Meine erste Begegnung mit diesem widerlichen Wicht war, als ich einer morbiden Neugierde nachgab: Da man im Grunde genommen nie gesagt bekommt, was man zu tun hat, gilt es die Räume der Villa zu durchforschen. Eigentlich will man das ja nicht. Ich meine... im Foyer leuchtet das Licht, es ist ruhig, warm und es laufen keine VERDAMMTEN GNOME MIT VERDAMMTEN HECKENSCHEREN HERUM. Und man muss, wenn man sich auf dem Boden zusammenkugelt, nicht diese grausame Last der Schritte ertragen, die den Großteil der Soundkulisse ausmachen und jeder Bewegung eine bedrückende Schwere verleihen.
Nun ja, aber ohne die morbide Neugierde käme man ja nicht weiter, also betrat ich ein Badezimmer. Das war dunkel. Der Lichtschalter war auch nicht willig. Hinter dem zugezogenen Duschvorhang plätscherte es. Als ich Jennifer mit einem Klick auf den Vorhang zubewegte, schimpfte mich jedes Fitzelchen meines Selbsterhaltungstriebs einen Idioten - aber es musste ja sein. Im ersten Moment nach dem Zurückziehen des Stoffes sah ich die zusammengesackte Leiche von Jennifers Freundin, im nächsten tauchte dieser winzige Wahnsinnige aus dem Wasser. Die Kontrolle wurde mir sofort wieder zurückgegeben und ich musste nicht zweimal gebeten werden, um zu flüchten. Wohin ich floh, war ein weiteres Badezimmer. Es gibt viele Räume mit vielen Möglichkeiten sich zu verstecken (manche besser, manche... schlechter. Viel schlechter.), aber da hat's mich eben hinverschlagen. Jennifer rannte durch die Innentür des Zimmers, verschloss sie. In dem Moment kam der Gnom, der wirklich immer mit seiner schnappenden Schere kurz hinter mir war, egal durch wie viele Gänge ich gelaufen bin, hinein, sah die abgeschlossene Tür, schlug sie binnen weniger Sekunden ein und ich konnte in meiner immer kleiner werdenden Ecke aus Fliesen und Kälte nur noch auf den Todesstoß warten.

Das klingt an sich schon ziemlich fies, witzigerweise hat dieses alte Spiel von 1995 tatsächlich großzügig gesetzte Checkpoints - quasi bei jedem Betreten eines Zimmers kann man sich sicher sein, dass man bei einem plötzlichen Ableben eine weitere Chance erhält. Das tut, der Hypothese des Speicherpunkt-Farbbandes entgegengesetzt, dem Grusel tatsächlich nur wenig Abbruch.
Leider gibt es neben wahrhaft grandiosen Psycho-Szenen auch den sprichwörtlichen Zombie aus der Kiste; etwa wenn Jennifer sich selbst im Spiegel betrachtet und dort plötzlich Hände rausschießen, die sie dann erwürgen. What? Später habe ich herausgefunden, dass man auf eine Tasche dauermashen kann, um solchen Situationen knapp zu entkommen, aber ich war da doch erst einmal perplex.

Zu der - ich nenne sie mal - "Überlebenstaste" kommt in Sachen Features auch noch das äußerst nützliche Icon am unteren Bildschirmrand dazu, das stets Jennifers Gemütszustand zeigt. Farblich wird etwa dargestellt, wie viel Kraft sie hat; diese wird durch körperliche Anstrengung sowie plötzliche Panik verbraucht und kann nur durch Ausruhen aufgefüllt werden. Wofür die Kraft wichtig ist? Nun, manche augenblicklich auftretenden Gefahren kann man nur bestehen, wenn man ausgeruht ist. Ist Jennifer schon mit dem Nerven völlig am Ende, wenn sie aus einem Kühlschrank voller verrotteter Leichenteile eine Horde Kakerlaken anfällt, dann klappt sie womöglich sofort zusammen. Zum anderen wird im Bild auch ihre Reaktion dargestellt. Falls ein Raum also aus irgendeinem Grund... merkwürdig ist, kann es schon mal sein, dass sie die Stirn runzelt und man zumindest einigermaßen vorgewarnt ist. Auch wenn man nicht weiß, vor was oder aus welcher Richtung.

Clock Tower bereitete mir mit eigentlich wenig Aufwand eine perfide Gänsehaut, wegen der ich bei jedem Schritt in den Gängen des Hauses einfach nur wieder umkehren wollte. Insgesamt nicht so schlimm wie bei Silent Hill 2, aber auf einer Skala von 1 bis schlimm schon ziemlich schlimm. Ich dachte eigentlich, ich hätte mich ganz gut gehalten, aber als dann der Raum mit den kichernden Schaufensterpuppen kam, musste ich aufgeben. Für so etwas bin ich einfach nicht gebaut. Insofern habe ich bisher auch nur eins der insgesamt neun Enden gesehen. Ach ja, stimmt: Es gibt neun Enden.

Ich bin normalerweise kein eisenharter Verfechter der rosaroten Nostalgiebrille, aber in diesem Fall war früher tatsächlich mal etwas offensichtlich besser. Vielleicht wäre es eine gute Idee für die großen Entwickler, mal einen Blick zurück zu werfen - und nicht nur auf die eigenen Franchises. Rian

Kommentare

Marcel
Gast
03. Februar 2012 um 10:56 Uhr (#1)
Du hast mich sehr neugierig gemacht... Aber als du dann Silent Hill 2 erwähnt hast habe ich mich zurückerinnert...

Ich war in diesem runtergekommenen Hotel. Hinter einem Gitter konnte ich einen Schlüsselbund entdecken. Ich habe versucht ihn zu erreichen als dieses kleine Mädchen kam und ihn mitnahm. Okay, zu diesem Zeitpunkt war mein Blutdruck praktisch schon zum erliegen gekommen. Also den Gang wieder zurück, steht PLÖTZLICH so ein Pyramidenhelm-Typ mit seinem nachgezogenen Schlachter-Zweihänder vor mir. Ich nur schnell in das Zimmer/die Wohnung zu meiner linken, drei schritte rein, steht da eins von diesen unsäglichen "Oben und unten Beine"-Dingern! Ich mach schnell die Taschenlampe aus und verkrieche mich im Wandschrank...
Das Pyramidenviech kommt durch die Tür, sucht mich, findet nur das Beine-Monster und macht dann... SACHEN mit ihm, danach geht es wieder. Meine Spielfigur verlässt den Schrank, ich hingegen breche neben dem Sofa zusammen... "Maria? Wer ist Maria? IST MIR SCHISS EGAL WAS HIER LOS IST!!! ICH KANN NICHTMEHR!!!"
Das war das Ende... nicht vom Spiel, aber davon dass ich es gespielt habe.

Lohnt es sich dann überhaupt Clock Tower anzufangen? Oo
Rian
03. Februar 2012 um 19:13 Uhr (#2)
Du bist bei Silent Hill 2 auf jeden Fall weitergekommen als ich. Wenn man das extrapoliert, schaffst du's durch Clock Tower also vielleicht durch. xD
Kristin
04. Februar 2012 um 18:31 Uhr (#3)
Woah. Und mich haben schon die Turrets bei Portal total verängstigt. :|
Rian
04. Februar 2012 um 23:59 Uhr (#4)
Das ist mir tatsächlich bis heute noch unbegreiflich. Die sind doch so niedlich. xD
Gast
18. April 2024 um 12:40 Uhr
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