Top Spin 4

(Artikel)
Haris Odobašic, 11. Juli 2011

Top Spin 4

Der neue Standard

Woran erkannt man eine gute Sportsimulation? Natürlich spielen akkurate Ballphysik, realistische Sportleranimationen oder ein spaßiges Gameplay eine große Rolle, aber diese Elemente sind nicht die Essenz. Die Essenz ist Emotion: eine großartige Sportsimulation schafft es, den Spieler dieselben Emotionen fühlen zu lassen, wie sie sonst nur der Fan im Stadion oder der Sportler auf dem Spielfeld spürt. Nimmt man dies als Maßstab und legt diesen an Top Spin 4 an, stellt man schnell fest, dass das Spiel nahe dran ist die Skala zu sprengen. Kaum ein Spiel sorgt so sehr für schwitzige Hände, bei kaum einem Titel ist jeder einzelne Spielzug so spannend.


Einer der Gründe, wieso Top Spin so intensiv ist, findet sich in den Ballwechseln. Das Gameplay hat nämlich im Vergleich zu typischen Tennis-Spielen einen kleinen Kniff spendiert bekommen: musste man früher bei Top Spin (und eigentlich jedem anderen Tennis-Spiel) den Schlagknopf so früh wie möglich drücken, um den Ball möglichst gut zurückzuschlagen, zählt bei Top Spin 4 vor allem das Timing. Wer den Schlagknopf zu früh drückt, oder, bei einem Power-Schlag, zu früh loslässt, kriegt nur einen normalen Schlag hin. Diese sorgen zwar dafür, dass der Ball irgendwie übers Netz fliegt, sind aber nicht sonderlich effektiv. Und wer den Schlagknopf zu spät loslässt, der braucht sich nicht wundern, wenn der gelbe Ball voll ins Netz kracht oder im weiten Bogen im Aus landet.
Wer hingegen den Knopf in genau dem richtigen Moment drückt, beziehungsweise, falls er ihn vorher gehalten hat, loslässt, kriegt entweder einen Control Shot oder einen Power-Schlag hin. Erstere sind schnell auszuführen und präzise, während letztere ein bisschen Vorbereitungszeit brauchen, dafür aber mit gut Wumms daherkommen.
Wann nun genau der richtige Zeitpunkt ist? Genau der Moment, bei dem man im richtigen Tennis zum Schlag ausholen würde. Dies fühlt sich sehr natürlich an und hilft, das Spiel auch für Einsteiger spielbar zu machen, die vielleicht bei Top Spin 3, welches mit seinen knapp 15 verschiedenen Schlägen, die man teilweise nur über Tastenkombinationen hinkriegt, hoffnungslos überfordert gewesen wären.


Doch nicht nur das Gameplay kann fesseln, auch die Karriere ist gut gestaltet. Ihr fehlen zwar die Gimmicks eines Virtua Tennis in Form von Minispielen, dafür hat Top Spin aber ein starkes Lizenzpaket, viele freischaltbare Inhalte und eine motivierende Spielerentwicklung zu bieten. Bis ihr an einem Grand-Slam-Turnier teilnehmen könnt -- und euer Tennis-Recke überhaupt gut genug ist, dort eine Chance gegen Federer, Nadal und Co. zu haben, kann schon die ein oder andere Saison vergehen, in der ihr an kleineren Turnieren teilnehmt, um Erfahrungspunkte zu sammeln, die in die Fähigkeiten eures Tennis-Spielers investiert werden können. Für zusätzlichen Tiefgang sorgen die Coaches, die ihr anheuern könnt. Diese geben euch nämlich einerseits Boni auf eure Fertigkeiten wie Vorhand, Rückhand oder Ausdauer, können euch aber andererseits auch noch mit zusätzlichen Fähigkeiten ausstatten, wie zum Beispiel einer höheren Präzision beim Aufschlag oder einem kraftvolleren Return. Es kann durchaus sein, dass ihr mehrere Trainer ausprobieren müsst, bis ihr einen findet, der zu eurem Spielstil passt.
Etwas schade ist nur, dass ihr frühe Fehlentwicklungen eures Spielers später nicht mehr rückgängig machen könnt. Wer also anfangs ein paar Punkte in das Spiel am Netz investiert hat, später aber merkt, dass er eigentlich nur von der Grundlinie aus spielt, hat keine Möglichkeit nachträglich noch irgendwie diese Punkte umzuverteilen.

Eine besondere Erwähnung verdient die Grafik, die absolut hochwertig ist. Anders als bei Virtua Tennis sehen die Spieler nach langen Matches nicht aus wie die weibliche Hauptdarstellerin in einem Bukkake-Film, sondern dürfen sich über realistisch aussehenden Schweiß freuen, der auch die Kleidung grafisch nett anzusehend verschmutzt. Zudem haben die Spieler eine Vielzahl von Animationen, die auch das Spielgeschehen gut reflektieren. Nach einem dummen Fehler passiert es durchaus, dass euer Spieler erst mal den Schläger mit voller Wucht auf den Boden pfeffert, und wenn euer Spieler es schafft, nach einem spannenden Ballwechsel einen Matchball erfolgreich zu verteidigen, kann das schon mal einen Freudenschrei zur Folge haben.
Doch auch bei der Soundkulisse wurde nicht geschlampt und besonders das Publikum macht sich gut bemerkbar. Gibt es nach kurzen Ballwechseln meist nur verhaltenen Applaus, werden die Zuschauer, je länger es dauert, lauter und wenn der Punkt schließlich entschieden ist, brechen Jubelstürme los, die teilweise nur durch ein "Quiet please, thank you." über die Lautsprecheranlage unter Kontrolle zu kriegen sind.


So gut Top Spin 4 ist, den ein oder anderen Makel hat es doch. So ist die Karriere gut zehn Stunden spaßig, aber spätestens, wenn man an der Weltspitze steht und seinen Charakter voll aufgebessert hat, ist die Luft raus und man müht sich etwas durch die Ziele, die einen im Modus gestellt werden. Zusätzlich frustriert, das gerade am Netz die Spieler manche Bälle, die eigentlich noch in Reichweite wären, einfach nicht erreichen und man so unnötig Punktverluste hinnehmen muss. Und auch wenn das Publikum beim Spiel gut mitgeht und für Atmosphäre sorgt, wirkt der Rest der Spielumgebung sehr statisch. Die Balljungen stehen nur rum ohne irgendwas zu machen, und man sieht keine Coaches, die die Spieler während den Pausen betreuen.

Man muss kein Tennis-Fan sein, um Top Spin 4 zu lieben. Ich habe noch nie in meinem Leben mehr als 10 Minuten eines Tennis-Spiels gesehen und wenn ich selber zum Schläger greife, dann nur um Tischtennis oder Badminton zu spielen. Trotzdem ist es mir schier unmöglich, mich dem Bann dieses Meisterwerks zu entziehen. Zu verlockend ist es, nur noch ein weiteres Match zu spielen, um seinen Spieler etwas aufzubessern oder sein Glück online zu versuchen. Top Spin 4 setzt den Standard, an dem sich jede Sportsimulation messen lassen muss. Evil

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