L.A. Noire

(Artikel)
Haris Odobašic, 30. Mai 2011

L.A. Noire

Detektivthriller in Hollywood

Was ist der Unterschied zwischen dieser Konsolengeneration und der letzten Generation, von einem technischen Standpunkt aus gesehen? Die wohl einfachste Antwort wäre: es sieht halt besser aus. Doch wo ist da der Generationensprung, wenn die Texturen etwas besser aufgelöst sind und die Waffe in der Hand nun aus der doppelten Anzahl von Polygonen besteht? Vereinzelt gab es schon einige Spiele, beispielsweise GTA 4 mit der Euphoria-Engine, die diesen Sprung wunderbar demonstrierten, aber das wohl beste Beispiel dürfte sich, wenn man die Gesichter der Charaktere anschaut, in L.A. Noire finden.

L.A. Noire ist wohl das erste Spiel, bei dem man von überragenden Schauspielleistungen sprechen kann. Denn da hat Rockstar hier keine Kosten und Mühen gescheut sondern eine große Riege aus Schauspielern verpflichtet, die man aus Serien wie Lost, Mad Men, Heroes oder Fringe kennt. Und die von Rockstar eingesetzte MotionScan-Technologie sorgt dafür, dass diese Leute nicht nur ihre Stimme und vielleicht noch das Gesicht dem Spiel spendieren, sondern die gesamte Palette ihrer Gesichtsmimik. Das Ergebnis ist nicht viel weniger als revolutionär.


Wenn man sieht, wie die Gesichtszüge eines bekannten Schauspielers eins zu eins übertragen wurden, bis hin zu solch kleinen Details wie das leichte Rollen der Lippe beim Sprechen, kann man nur staunen. Als Vergleich kann man sich jedes andere Spiel, welches reale Schauspieler in den letzten paar Jahren verwendet hat, anschauen. Beispielsweise in Halo: ODST: man hat Nathan Fillions Stimme, man hat sein Gesicht, aber das Endprodukt ist nur schwer als der Firefly-Star zu identifizieren, spätestens wenn im Spiel was gesagt wird. Bei L.A. Noire ist man schon, rein von den Gesichtern her, sehr nah am Uncanny Valley dran, auch wenn das zur Folge hat, dass eigentlich alles andere im Spiel eben klar eine Stufe schlechter aussieht, obwohl die gesamte visuelle Qualität ziemlich hoch ist.

Doch dass die Technologie so überragend ist, sorgt nicht nur im Bereich der Grafik für positive Eindrücke, auch für das Gameplay hat dieser Aspekt eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Da ihr als Cole Phelps, Kriegsheld und einer der wenigen gesetztestreuen Polizisten in Los Angeles, nicht nur Verdächtige verfolgen oder Verbrechensschauplätze inspizieren könnt, sondern auch die ein oder andere Person verhören dürft und dabei besonders auf die Mimik achten müsst. Denn in diesem Spiel könnt ihr den Leuten wahrlich vom Gesicht ablesen, wenn sie lügen: vermeiden des Blickkontakts, schweres Schlucken, nervöses Blinzeln und viele andere Indizien können euch helfen, einem Lügner auf die Spur zu kommen und damit beispielsweise einen Verdächtigen zu einem Geständnis zu überreden oder einen unwilligen Zeugen dazu zu bringen, mehr wertvolle Informationen herauszuspucken. Die gesamte Detektivsarbeit ist sehr gut umgesetzt und hilft darüber hinwegzutäuschen, dass L.A. Noire eben auch nur ein ziemlich normales Open World Game ist, wenn auch mit ziemlich guter Story.


Denn in Cole Phelps Fußstapfen löst ihr vielleicht anfangs noch als Streifenpolizist kleinere Delikte, kommt aber schnell einem brutalen Serienkiller auf die Spur. Besonders spannend ist, dass das Spiel nicht hundertprozentig linear ist: auch wenn ein Fall dem nächsten folgt, habt ihr in den Fällen die Möglichkeit einige Entscheidungen zu treffen -- zum Beispiel wen von zwei Verdächtigen ihr nun am Ende eines Verbrechens beschuldigt, was wiederum Konsequenzen haben kann, wenn ihr beispielsweise einen Unschuldigen einbuchtet.
Zusätzliche Tiefe gewinnt das Spiel dadurch, dass im Hintergrund noch einige Subplots gesponnen werden. So gibt es zwischendurch Rückblenden zu Phelps Zeit im zweiten Weltkrieg, welche euch erst im späteren Verlauf des Spiels richtig klar werden, oder ihr erfahrt durch im Spiel verteilte Tageszeitungen etwas über einen zweifelhaften Psychiater, der ebenfalls erst später im rund 30- bis 40-stündigen Spiel eine größere Rolle bekommt. Dieser kleine Mystery-Touch ist das Sahnehäubchen auf der starken Story von L.A. Noire.

Wie es sich für Spiele dieses Genres gehört, gibt es auch in der aufwändig nachmodellierten Stadt der Engel einiges an Nebenaufgaben zu erfüllen. Wenn ihr mit eurem Auto durch die Straßen fahrt, kann es immer wieder vorkommen, dass ihr über den Polizeifunk etwas über ein kleines Verbrechen hört, und habt die Möglichkeit euch zum Tatort zu begeben, wo ihr dann beispielsweise ein paar Bankräuber auf frischer Tat ertappt oder einen selbstmordgefährdeten Jugendlichen dazu bringt, sich doch nicht vom Dach eines Hauses zu stürzen. Für Sammelwütige gibt es zusätzlich eine Menge versteckter Autos und goldene Filmrollen zu entdecken, auch wenn man sagen muss, dass andere Open World-Spiele doch mehr an Nebensächlichkeiten zu bieten haben. Genauso dürften manche enttäuscht sein, dass man als Polizeiinspektor nicht wild Zivilisten meucheln gehen kann, Waffeneinsatz ist beispielsweise nur in bestimmten Situationen, beispielsweise Konfrontation mit bewaffneten Verbrechern, erlaubt.


Wenn es demnächst bei den Academy Awards auch einen Preis für den besten Schauspieler in einen Werk interaktiver Unterhaltung gibt, dann dürfte L.A. Noire wohl das Spiel sein, das dazu geführt hat. Doch nicht nur für seine Technik verdient das Spiel von Team Bondi Lob, auch der Ermittlungsaspekt ist im Gameplay hervorragend umgesetzt. Zwar gibt es etwas weniger an Nebenmissionen im Vergleich zu dem üblichen Rockstar-Umfang, doch da die Qualität der Hauptmissionen so hoch ist, stört das nicht. Damit ist L.A. Noire nicht nur eine glorifizierte Technik-Demo, sondern ein spannender und atmosphärischer Detektivthriller, der die Videospielwelt noch nachhaltig beeinflussen wird. Evil

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