2 + 2 = 5

(Artikel)
Rian Voß, 24. April 2008

2 + 2 = 5

Das unsichtbare Element (1)

Manchmal kommt es vor, dass Rian Gedanken hat. Doch das reicht ihm nicht. Er möchte sie euch auch mitteilen. Hier der erste Teil des unsichtbaren Elements, direkt aus seinen Hirnwindungen:

Unerklärliche Phänomene gibt es überall auf der Welt. Seelenwanderungen, spurlos verschwindende Personen... 4chan. Das Videospielegeschäft erscheint dagegen weitgehendst befreit vom Ominösen - natürlich beschäftigt uns nach wie vor, womit Duke Nukem Forever-Schöpfer 3DRealms eigentlich ihr Geld verdienen und welchem Dämonen Will Wright für seine genialen Visionen seine Seele verpaktet hat, aber ich bin mir sicher, dass es dafür logische Erklärungen gibt. Hoffe ich.

Eine Sache blieb jedoch bisher unerörtert: Egal wie gut ein Spieleredakteur ist, egal wie viel Erfahrung er gesammelt, wie viele Spiele er gespielt, wie viele Entwickler er interviewt, wie viele Messen er besucht und wie viele Artikel er geschrieben hat - früher oder später muss er ein Spiel reviewen. Doch dieses Spiel gehört nicht zur ordinären Sorte. Unser Redakteur geht also an das Rezensionsexemplar (oder unter weniger glücklichen Umständen, wie bei uns, an seine Privatanschaffung), so wie er es schon tausend mal gemacht hat. Er öffnet die Packung, wirft vielleicht (falls diese gut gestaltet ist) einen Blick in die Anleitung. Er entnimmt die Disc, schiebt sie ins Laufwerk der Konsole oder seines Rechners, lässt eventuell einen mehr oder weniger interessanten Installationsbildschirm über sich ergehen, und startet das Spiel.
Nach ein paar Stunden oder zehn oder zwanzig, häufig beim ersten getippten Wort des Reviews und spätestens bei der Endwertung dämmert's ihm dann langsam. Gameplay, Grafik, Sound, Steuerung - die Grundsäulen einer jeden Wertungsrichtlinie, seitdem der erste Spieleredakteur aus seiner Nerdhöhle gekrochen ist und das Bedürfnis empfand, das Erlebte in Zahlen zusammenzufassen - zu einer Zeit, noch lange vor der PC Player und den Multimedia-Leserbriefen. Damals, als Artikel samt Screenshots noch auf Steintafeln gehauen und per Hand angemalt wurden.
Wieder zurück in der Moderne schießt unserem Schreiberling mit diesem gewissen Spiel nun ein wichtiger Gedanke durch den Kopf: So kann ich das Spiel nicht bewerten.

Videospiele entwickeln sich und so mussten dem grundlegenden Resultate-Register weitere Begriffe hinzugefügt werden. Story für erzählerische Ideen, die den Spieler mit wahnwitzigen Wendungen, Verrat und rätselhaftem Foreshadowing intellektuell reizen sollen. Atmosphäre für stimmiges Ambiente und allgemein die Fähigkeit eines Spiels, den Spieler in eine andere Welt ziehen zu können. Wir sehen die Aufspaltung von Sound und Musik kommen und gehen und wiederkommen. Singleplayer und Multiplayer wurden seit der exponentiell ansteigenden Popularität von Internetsessions und LAN-Parties sowie dem Einführen der Vier-Spieler- und internetfähigen Konsolen strikt getrennt. Das Ganze spinnt sich dann bis zum absoluten Wertungsoverkill der ComputerBILD-Spiele, wo auf Punkt und Komma genau das Preis-Leistungs-Verhältnis der virtuellen Entertainment-Einheit (VEE) berechnet wird.

Das alles ist, trotz des irrsinnig übertriebenen Anscheins, letztendlich natürlich nicht ganz ohne Logik: Da sitzt unser Redakteur nun. Gestern noch als erster VEE-Kolumnist (hey, ich mag den Begriff) für den Pulitzer-Preis vorgeschlagen und heute weiß er nicht, wie er einem Spiel mit 70% Grafik, 80% Steuerung, 82,5% Gameplay, 77% Sound und einer netten, aber eigentlich ziemlich dummen Story eine verdiente 85er-Wertung geben soll. Er schwitzt, zweifelt, weint. Er schraubt die Gameplay-Wertung ein bisschen hoch und die Endwertung ein bisschen runter und erhöht den Sound auf 80%. Dann gibt er dem Spiel eine recht hohe Atmosphären-Wertung und plant für die Nacht vor der Auslieferung des Printmagazins schon mal einen Brandbombenanschlag auf's Lagerhaus. Feuer reinigt.

Auch ich befand mich natürlich schon häufiger in dieser Bredouille: Entweder reichten Bewertungskriterien, die mir seit Urzeiten von meiner ersten Man!ac bis zur Gamepro eingeprügelt wurden, nicht für eine zufriedenstellende Synthese der Prozentzahlen aus oder es gab viel zu viel zu berücksichtigen. Story in Mortal Kombat? Ich bitte euch.
Nachdem ich vor einigen Jahren meinen kurzen Abstecher in die Opferzone beendet hatte, hörte ich eine ganze Weile damit auf, Artikel nach Schema F zu schreiben.
Einleitung, Hauptteil (Idee, Story, Gameplay, Atmo), Grafik und Sound, Endergebnis und meine tausend Variationen dieser Elemente - keinen meiner Artikel konnte ich wirklich zufriedenstellend beenden und am Schluss sagen: "Ja, ich hab's auf den Punkt gebracht und mein Essay wurde dem Spiel wirklich gerecht" (ausgenommen Spiele, die nicht der Rede wert sind, da sie nach einem ebenso festgesetzten Mantra entwickelt wurden).

Lange Zeit war dann erst mal Pause mit dem ernsthaften Journalismus - zwar hatte ich zu der Zeit, in der ich partitiell bei GamesInfusion.de (inzwischen bankrott gegangenes Prequel zu Gamikaze.de) beschäftigt war schon eine vage Ahnung davon, wie ich in Zukunft schreiben wollte, aber Rianq's Commentary Corner wurde leider nie umgesetzt. Ich gab daraufhin meine Meinung zu Spielen hier und da in Foren und anderen Communities zum Besten und beriet Freunde. Aber nichts bot mir eine Plattform für mehr.

To be continued...

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29. März 2024 um 14:29 Uhr
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