Scheinfreiheit

(Artikel)
Rian Voß, 30. April 2017

Scheinfreiheit

Charaktereditoren vs. Phantasie

Aufmerksame Leser wissen es schon: Ich gehöre leider zu diesen Selbstquälern, die sich beim Beginnen eines Rollenspiels partout nicht für einen Charakter entscheiden können, weil sich dieser Charakter, dieses Ich, das mich in der Zukunft für viele Stunden begleiten wird, absolut perfekt sein muss. Jetzt nicht wirklich absolut perfekt, aber rein subjektiv schon. So dass ich zufrieden bin mit der speziellen Rolle, die der Mann oder die Frau trägt, und auch so, dass ich mir im Kopf eine kleine Hintergrundgeschichte ausdenke, die Entscheidungen meiner Persona beeinflussen soll.


Als man noch freudig bei Oblivion seinen Echsen grauenvoll grelle, beißende Farbmuster verpasst hat!

Baldur's Gate hat mich bei der Figurenerstellung gut eine Stunde gekostet, aber da war ich ja auch noch klein. Bei Baldur's Gate 2 habe ich bestimmt zehn Menschen/Elfen/Halbelfen/Halborks/Zwerge/Gnome zusammengebastelt und und für jeden einzelnen mindestens eine Viertelstunde lang die besten Attribute ausgewürfelt (Magier mit MAG 18, CHR 18 und WSD 17? Yessir!). Bei Oblivion wurde ich bei den Gesichtsoptionen förmlich erschlagen und habe für jede Rasse einen Ableger mit absolut perfekten Wangenknochen kreiert - und dabei sieht man seinen Charakter während des Spiels nicht mal von Vorne! Und Mass Effect habe ich jetzt sicherlich schon zum Fünften mal von vorne angefangen, weil ich mich nicht entscheiden kann, ob ich mit einer Bioniker-/Techniker-Frau oder dem originalen Shepard spielen soll. Fallout 3 war da zum Glück gnädiger zu mir, denn ich wollte unbedingt David Tennant, den zehnten Doctor Who, impersonieren.

Und da habe ich mich schon so auf Dragon Age: Origins gefreut. Ich meine, okay, wenn ich euch gleich erzähle, was ich gemacht habe, dann werdet ihr sagen: "Äh, klar, dass das nicht so wirklich geht.", aber ich würde mir wirklich, wirklich wünschen, dass es ginge! Als ich mir nämlich den Character Creator gezogen habe, habe ich mal ein bisschen abseits von meinen üblichen Fantasy-Marionetten Gott gespielt und eine alte, weißhaarige Elfenfrau namens Ravel erschaffen.


Ravel ist, neben ihrer sowieso schon als Unterrasse abgehandelten Herkunft eine Magierin, was sie zu einer totalen Außenseiterin macht. Früher war sie einmal involviert in die Angelegenheiten der Welt, hat an der Seite von Abenteurern, Menschen wie Zwergen wie Elfen, gekämpft und auch die eine oder andere Schlacht ausgetragen. Dabei hat sie mit ihren arkanen Künsten viel Gutes getan - aber auch viel Böses. Zeit zeichnete seitdem ihr Gesicht, doch nagte der Zahn eben jener nicht genug an ihr, um nicht ein einst schönes und nobles Profil erahnen zu können. Über den Ort ihrer Kindheit schweigt sie meist, doch dann und wann, in lauen Nächten in denen das Lagerfeuer prasselt und Freunde sowie eine angenehme, warme Stimmung sie umgeben, spricht sie von einem fernen Ort mit wilden Wiesen, die bis zum Horizont reichen, und Wäldern mit Bäumen so hoch, dass keiner sie vollständig zu erklimmen vermag. Inzwischen ist Ravel jedoch des Kampfes müde und, im wahrsten Sinne des Wortes, jenseits von Gut und Böse. Derlei Extreme sind für sie längst passé und auch wenn sie ihre Knochen alt und ihre Muskeln schwach sind, so birgt sie immer noch einen Willen, der Berge versetzen kann, und sie rafft sich auf, um eine letzte Aufgabe zu erfüllen.

Japp, der Name ist von Ravel Rätselschön aus Planescape: Torment entliehen.
Leider gibt Dragon Age: Origins in keinster Weise die Möglichkeit, diesen Charakter wahr werden zu lassen. Einerseits beginnt die Magierkampagne mit dem Ende der Ausbildung, also passt Ravel da überhaupt nicht rein. Der Stadtelfen-Hintergrund mit der zersprengten Hochzeit ist ebenfalls vollkommen unpassend und zu den recht traditionellen Daelish-Elfen passt sie auch nicht so recht. Schade, wirklich. Aber das schlimmste ist noch der deutsche Character Creator: Der hat nämlich KEINE EINZIGE alte Frauenstimme! Und das fertige Spiel auch nicht! Selbst wenn ich mich durch die Anfänge eines Hintergrundes mit Müh' und Not durchboxen würde, klänge diese alte Schachtel maximal wie eine lüsterne Nymphomanin in ihren Zwanzigern oder wie ein Schulmädchen. Grrr. Die englische Version hat zwar ein paar annehmbare Stimmen, aber so wirklich richtig klingen die auch nicht. Da dann mal eine Frage von mir an Bioware und die deutschen Lokalisierer: Wenn ihr in eurem Spiel keinen Platz für alte Charaktere habt, WARUM MACHT IHR DANN DREI GESICHTSTEXTUREN FÜR ALTE LEUTE?! GAH! Rian

Kommentare

Lostelei
11. November 2009 um 03:23 Uhr (#1)
Haha, ich weiß wovon Du sprichst. Ich bin auch jemand, der ewig im Charaktergenerator rumhängt - um nicht so weit zu gehen, zu sagen, dass mir die Charaktergenerierung in manchen Fällen sogar mehr Spaß macht, als das Gameplay an sich.

Aber man lässt sich von den Möglichkeiten eines Charaktergenerators leider nur allzu leicht täuschen, denn Rücksicht nehmen die Spiele generell kaum auf die Entscheidungen, die man da trifft. (Man erinnere sich wie man bei Mass Effect einen von drei Hintergründen auswählen konnte, und dessen gefühlte Auswirkung es war, 3 Dialoge im ganzen Spiel um einen einzelnen Satz zu ändern)
Und wenn man einen wirklich kreativen Charakter macht, dann bedeutet das meistens einen Immersionskiller, weil man als Freak durch eine Welt läuft, die überhaupt kein Verständnis für deinen sorgfältig durchdachten Charakter hat.

Um sich seine Dosis an kreativer Selbstverwirklichung im Charakterschaffungsbereich zu holen, muss man vielleicht doch eher in den Pen & Paper Rollenspiel Bereich ausweichen.
Rian
11. November 2009 um 20:20 Uhr (#2)
Ich will einmal ausprobieren, ob zumindest Details auf das Alter meines Charakters änderbar sind. In einem Dialog wird etwa mein Charakter als "You young ones" bezeichnet, vielleicht wird beim Hauttyp dann sowas wie "We old ones" eingesetzt.
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28. März 2024 um 23:09 Uhr
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