Dishonored 2 im Test

(Artikel)
Benjamin Strobel, 30. November 2016

Dishonored 2 im Test

Die schöne Choreografie des Mordens

Kennt man ja: Man sitzt auf einer Familienfeier und plötzlich kommt jemand zu einem und sagt ganz freudig "Hey, ich bin übrigens deine Cousine, die du seit zwanzig Jahren nicht gesehen hast!" Das artet dann entweder in unangenehmes Schweigen oder in noch unangenehmere "Weißt du noch?"-Unterhaltungen aus, ist in den meisten Fällen auf jeden Fall kein Spaß. Als bei der Kaiserin Emily Kaldwin plötzlich eine Frau mit Namen Delilah und merkwürdiger Klamotte vor ihr steht und postuliert, sie sei ihre lang verschollene Tante, folgen nicht steife Höflichkeiten, sondern ein Blutbad, ein Putsch, und ein langer Weg zurück zum Thron.

Tantchen Delilah

Vati und/oder Tochter
So wie dieser Artikel wirft uns auch Dishonored 2 ohne Umschweife in die Hauptstory: Ein kurzes Gespräch mit Emilys Vater – dem graubärtig gewordenen Protagonist von Dishonored Corvo Attano – klärt uns über die Situation im Staat auf: Fünfzehn Jahre ist es her, seitdem Corvo die Verschwörung um den Mord der ehemaligen Kaiserin Jessamine Kaldwin aufgelöst und seine Tochter Emily auf den Thron gesetzt hat.

Seit einigen Monaten werden jedoch seltsame Morde an Journalisten und Adligen verübt, die ihre Stimme gegen das Kaiserhaus erhoben hatten. Ist der sogenannte Crown Killer am Ende sogar von Emily selbst angeheuert worden, um unliebsame Aufwiegler mundtot zu machen? Diese ist sowieso eher Kaiserin wider Willen: Viel lieber, als sich um die Staatsgeschäfte zu kümmern und sich um dubiose Gerüchte zu scheren, turnt sie nachts auf den Dächern rum.

Dieser Wunsch wird ihr schmerzlich schnell erfüllt, als Delilah auf den Plan tritt und gemeinsam mit dem Herzog von Serkonos einen Putsch ausübt und Emily vom Thron stürzt. In den Straßen und auf den Dächern der Stadt Karnaca, der Hauptstadt der Südseeinsel Serkonos, sucht sie nun mit Hilfe der geheimnisvollen Kapitänin Meagan Foster und unserem alten Freund Sokolov nach den Strippenziehern des Coups, um diese einen nach dem anderen auszuschalten.

Statt uns mit Emily auf die Suche zu begeben, können wir auch wieder in die Rolle von Corvo Attano, dem angegrauten Vaterchen, schlüpfen, um unserer Tochter zurück auf den Thron zu helfen. Denn Dishonored 2 gibt uns gleich zu Beginn die Möglichkeit, uns für einen der beiden Figuren als Protagonisten zu entscheiden. So bietet uns Dishonored 2 sehr unterschiedliche Spielerlebnisse: Auch wenn das Grundspiel natürlich gleich bleibt, sind es kleine Details, die die beiden Protagonisten voneinander absetzen.

Karnaca 2

Das Juwel des Südens am Ende der Welt
Da Corvo nicht länger stumm ist und auch Emily um keinen Kommentar über die Geschehnisse verlegen ist, merken wir diese Unterschiede am deutlichsten beim Erkunden der Stadt Karnaca. Für Emily ist die Hauptstadt der südlichen Insel Serkonos Neuland, während es für ihren Vater eine Rückkehr in seine eigentliche Heimat ist. Hier hat er vor seiner Berufung zum Royal Protector gelebt, weswegen er einiges über Veränderungen und alte und neue Gesichter zu sagen hat.

So oder so ist die Stadt imposant gestaltet und bietet einen starken Kontrast zu den Kapiteln, die in Dunwall spielen. Während die Atmosphäre in Dunwall am viktorianischen Steampunk mit all der dazugehörigen Düsterkeit und Grautönen kratzt, erwartet uns in Karnaca ein anderes Bild – wer jetzt aber an Badestrände und Weinfelder denkt, ist auf der falschen Fährte: Karnaca ist nicht viel freundlicher als Dunwall.

Obwohl ich euch immer gerne ein paar Screenshots zeige, habe ich bei diesem Artikel komplett das von Bethesda zur Verfügung gestellte Bildmaterial genommen. Das liegt daran, dass ich zu jenen unglücklichen Seelen gehöre, bei denen Dishonored 2 trotz guter Hardware auf dem PC nicht so flüssig läuft. Die Grütze, die die Grafik bis zum zweiten Patch bei mir war, möchte ich euch lieber nicht antun.
Dafür aber heller. Die Hitze, die sich auf den hellen Fassaden und in den Blutpfützen am Hafen spiegelt, und die tiefen Dschungelwälder, die die Stadt umsäumen, bilden einen schönen und starken Kontrast zu der Korruption, dem Elend der Bevölkerung und der sinnlosen Gewalt, die von dem hohen Aufgebot an Wachen ausgeht. Polizeibrutalität und Leichen, die in den Gassen von Fliegen zerfressen werden, stehen im starken Kontrast zur Sonne, die gleichgültig auf Blut und Armut blickt. Denn der Herzog Luca Abele richtet lieber große Feste und Orgien aus, anstatt sich, wie sein Vater, der gutmütige und großherzige Theodanus Abele vor ihm, um das Wohl seiner Bürger zu kümmern. "Früher war alles besser" scheint ein Leitmotiv der Dishonored-Reihe zu werden.

Bloodflies

Trotzdem ist Karnaca nicht mit der Verzweiflung eines Dunwalls inmitten der Rattenplage zu vergleichen. Blutfliegenschwärme nisten sich zwar jeden Sommer in Häusern und Leichen ein, und obwohl Fliegen, die ihre Eier in teils lebendigen Körpern legen, nach Horror und Albtraum klingen, erzeugen sie nicht das gleiche Gefühl von Bedrohung und Klebrigkeit wie noch die Rattenplage in Dishonored. Die Brutnester der Blutfliegen lassen sich mit ein paar wilden Schwerthieben oder – noch einfacher – mit Alkoholflaschen recht gemütlich loswerden und zur Not können wir die Fliegen mit Leichen ablenken.

Das macht es umso einfacher, die schöne Hafenstadt zu erkunden und ihre Bewohner – von Arbeitern über Diebesbanden – kennenzulernen, wofür wir zum Glück sehr viel Zeit haben. Den meisten "Haupt"-Kapiteln des Spiels, in denen wir direkt auf Tuchfühlung mit den Verschwörern gehen, geht eine lange Passage in den Straßen Karnacas voran.

Karnaca

Hier zeigt sich besonders, wie viele Entscheidungsmöglichkeiten Dishonored 2 uns auch abseits der Protagonistenwahl gibt: Eine Sackgasse ist selten eine Sackgasse. Ob wir nun schleichen oder direkt auf Kampf gehen - mit etwas Geduld finden sich immer mehrere Wege, um ein Hindernis zu übergehen. Entweder, indem wir alle Gegner ausschalten und gemütlich die Straße langspazieren, oder uns unseren Weg durch leerstehende Wohnungen schlagen. Diese Areale sind zudem weitaus größer und weitläufiger als jene im Vorgänger. Die Stadt entfaltet sich vor uns und jede Minute, die wir mehr mit Erkunden und weniger mit dem Fortschreiten der Handlung verbringen, wird durch kleine Geschichten und neue Wege, ein Gebiet zu umgehen, belohnt.

Die auf die Straßenpassagen folgenden Hauptgebiete sind kleine Kunstwerke des Gamedesigns. Zu einer der pompösesten zählt auf jeden Fall die Clockwork Mansion des genial-exzentrischen Entwicklers Kirin Jindosh, die nicht nur kämpferische Automaten beherbergt, sondern auch komplexe Mechanismen, die bei Betätigen eines Schalters den kompletten Grundriss eines Zimmers verändern, wodurch sich hunderte Wege durch das Anwesen ergeben.

Far Reach

Die Geschenke des Outsiders
Dabei helfen uns die Fähigkeiten, die wir von unserem schwarzäugigem, obskuren Freund, dem Outsider, bekommen. Corvos Eigenschaften haben sich dabei kaum verändert. Geschmeidig hüpfen wir mit Blink von einem Dach zum nächsten, in Fenster hinein oder direkt hinter einen Gegner, um ihn möglichst unauffällig auszuschalten. Ratten, Fische und Fliegen sind unsere Freunde und mit Bend Time ergeben sich neue Wege, Gegnern aus dem Weg zu gehen oder sie kreativ aus diesem zu räumen. Wer also wieder in bekannte Gefilde schlüpfen will oder die perfekte Kombination bereits in Dishonored gefunden hat, für den ist Väterchen Corvo die richtige Wahl.

Lediglich das Herstellen von eigenen Bonecharmes und Runen können wir als neue Fähigkeit sowohl mit Corvo als auch mit Emily lernen. Emilys Fähigkeiten sind neu und laden so zum Herumspielen und Entdecken ein. Ihr Far Reach ähnelt Corvos Blink, jedoch teleportiert sie sich nicht, sondern zischt durch die Luft – was auch Gegner auf uns aufmerksam macht.

Besonders gefreut habe ich mich auf das Experimentieren mit Emilys Domino-Fähigkeit, mit der wir bis zu vier Figuren verknüpfen können, sodass diese ein Schicksal teilen. Ich wurde nicht enttäuscht: Dominos Wirkungsradius ist zwar begrenzt, trotzdem ist es enorm befriedigend, wenn wir eine Wache – oder unseren Doppelgänger! – bewusstlos würgen und drei weitere um uns herum in seligen Schlaf kippen. Auch Shadowwalk, mit dem Emily eine Schattengestalt annimmt, sorgt für Abwechslung und hat eine interessante Dynamik.

Wie auch schon Dishonored lädt Dishonored 2 dazu ein, mit den Fähigkeiten herumzuspielen und für sich zu entdecken, welche Kombination am besten zu unserem jeweiligen Spielstil passt. Welch elegante Choreografie des Mordens sich entwickeln lässt, zeigen ja einige beeindruckende Videos bei Youtube. Die meisten Fähigkeiten lassen sich sowohl für Schleicher als auch für wilde Angreifer nutzen, sodass sich viele kreative Möglichkeiten des Gameplays ergeben. Dazu kommt, dass wir nun für einen nichtletalen Durchgang nicht mehr aufs Schleichen angewiesen sind: Selbst im direkten Kampf können wir uns entscheiden, ob wir dem Gegner das Messer ins Herz rammen oder ihm lieber einen handfesten Schlag auf den Kehlkopf geben.

Soldaten

Wie schon im Vorgänger richtet sich je nach Herangehensweise an Gegner unser Chaos-Level aus: Bei einem hohen Chaoslevel können wir auf ein Massaker zurückblicken, bei einem niedrigen haben wir die meisten Gegner in Tiefschlaf versetzt oder sie gleich umgangen. Das Chaos-Level wirkt sich wiederum auf die Stimmung und in Teilen auf die Gestaltung der Stadt aus: Die Blutfliegenschwärme sind dichter, da diese sich in Leichen festsetzen, was wiederum zu mehr Nest Keepern führt – so etwas wie Zombieleichen, nur ekliger. Allgemein ist die Stimmung aggressiver und das schöne Karnaca düsterer.

Auch unser Begleiter, das Herz kommentiert, den Erhalt oder den Verfall unserer Moral zudem, was besonders auf hohem Chaoslevel ganz schön ins Gemüt drückt. Obwohl es in Dishonored nie tatsächlich bestätigt wurde, dass es in der Tat Jessamines Herz ist, das der Outsider uns als Hilfe gibt, ist Dishonored 2 da weniger subtil und lässt Jessamines Geist direkt zu uns sprechen. Leider verändern sich die Dialoge mit und Monologe von ihr kaum, ob wir nun ihre Tochter Emily oder ihren Geliebten Corvo spielen – Herzschmerz ist trotzdem vorhergesagt.

Bei all diesen Möglichkeiten – Corvo mit niedrigem Chaos-Level, Corvo mit hohem; Emily mit niedrigem oder mit hohem, ganz abgesehen von all den Möglichkeiten, uns unserer Hauptziele zu entledigen – fällt eine Möglichkeit fast unter den Tisch: Nämlich jene, in der wir dem Outsider die kalte Schulter zeigen und sein Angebot, uns Kräfte zu verleihen, ausschlagen. Ohne jegliche Fähigkeiten und nur gestützt auf unsere mechanischen Helferlein wie die Armbrust, Granaten und natürlich unser Schwert, müssen wir ganz andere Wege finden, um unseren Thron oder den unserer Tochter zurückzuholen.

Breanna

Morden nach Zahlen
Über das spaßige und abwechslungsreiche Gameplay lässt sich das Thronzurückholen schon fast vergessen. Irgendwie zurecht. Mit Plots hat die Dishonored-Reihe es ja eh nicht so: Räche die Frau, rette das Mädchen, werde in so etwas wie einem Twist verraten und fang den Rachefeldzug von Neuem an, bis alle tot sind, zumindest aber keiner mehr meckert. Wenn wir nett sein wollen, nennen wir Dishonoreds Plot solide. Innovativ ist anders, aber trotzdem hat er funktioniert. Dishonored 2 geht es sehr ähnlich, vielleicht noch etwas stumpfer.

Meagan Foster

Zudem werden die wenigen interessanten Augenblicke, die das Spiel zu bieten hat, lange vorbereitet, verpuffen aber leider durch eine eher magere Inszenierung. Interessante und markige Figuren scheint es zudem nur auf der gegnerischen Seite zu geben: Das Schiff von Meagan fühlt sich leider nicht so lebendig an wie noch der Hound Pits Pub im Vorgänger - es fehlen Figuren wie Piero, Samuel oder Calista, die diese Lücke füllen.

Dazu lernen wir während des Spiels, dass Emily keine so glanzvolle Kaiserin war. Ein Grund, weswegen sich gegen den Putsch nur eine Handvoll von Soldaten gestellt hat. In Verbindung mit der Frage nach der tatsächlichen Legitimität Delilahs auf den Kaiserthron als älteste Tochter des ehemaligen Kaisers hätte Emilys Unlust aufs Kaiserdasein eine interessante Dynamik ergeben können – wird jedoch zunichte gemacht durch Delilahs schiere und ehrlich uninspirierte Bösartigkeit. Am Ende bleibt selbst eine demotivierte Kaiserin wie Emily die absolut bessere Wahl.

Jindosh

Fazit
So viel ich auch über den Plot von Dishonored meckere: Ich habe es trotzdem bestimmt zehnmal auf alle verschiedenen Arten und Weisen durchgespielt. Ein Schicksal, vor dem auch Dishonored 2 nicht gefeit sein wird. Denn trotz der uninspirierten Story mit ihren Pappaufsteller-Bösewichten, ist Dishonored 2 ein beeindruckendes Spiel, das durch Gameplay und Gestaltung der Welt absolut überzeugt. Die vielen Möglichkeiten, Dishonored 2 zu erleben, und die vielen kleinen Geschichten, die sich entdecken lassen, laden immer wieder zum Zurückkommen ein. Trotzdem beraubt die strikte Linearität der Handlung dem Spiel viel seines klugen und innovativen Charmes.

Dishonored wurde auf dem PC (Windows 10 64-bit, 8 GByte RAM, AMD FX-8150, AMD Radeon RX 470 8GB) und der XBox One getestet. Ein Testmuster wurde uns von Bethesda zur Verfügung gestellt.

Dishonored 2

(Ranking)
A
RANK
Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

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