Civilization 6 im Test

(Artikel)
Rian Voß, 10. November 2016

Civilization 6 im Test

Unerwartet anstrengender Adrenalinstoß

Es passiert schon wieder. Gestern Abend habe ich blinzelnd auf die Uhr geguckt. Ein Uhr morgens. Moment, es ist doch noch gar nicht so lange her, dass ich diese Runde Civilization 6 gestartet habe. Ich bin doch erst... Oh. Meine Zivilisation ist schon im Industriezeitalter angekommen. Wow.

Es ist wahrscheinlich das Wichtigste, was man über Firaxis' neuestes Strategiespiel sagen kann: Die "Nur noch eine Runde"-Magie ist nicht verflogen. Auch in Civilization 6 schmelzen die Züge zu Minuten, die Minuten zu Stunden, und ehe man sich versieht, geht die Sonne auf. Aber nur, weil der goldene Kern derselbe geblieben ist, heißt das nicht, dass es Civilization 5 kopiert. Im Gegenteil: Civ 6 macht enorm viel anders.

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Optime!
Diese Änderungen sind zum Großteil sehr willkommen. Ganz vorne mit dabei sind die KI-Spieler und Anführer der konkurrierenden Zivilisationen. Die haben nicht nur ein sehr schönes Design gepaart mit flüssigen Animationen abbekommen, bei denen das Zuschauen einfach schon Spaß macht, sondern die ganze Interaktion mit den Staatsoberhäuptern hat sich verbessert. Ein Grund dafür sind Agendas. Jedes Oberhaupt verfolgt zu jeder Zeit zwei Ziele. Manche wollen Reichtümer, andere wollen Religion verbreiten oder kulturell überlegen sein. Diese Zivilisationen respektieren dann oft reiche Anführer, freuen sich über jeden, der ihrem Glauben folgt, oder mag Spieler mit großen Armeen und ausschweifender Kultur. Es kann aber auch sein, dass ihnen überraschende Kriege missfallen oder Kämpfe gegen Stadtstaaten für sie ein ganz großes Tabu sind.

Einen Einblick in diese Agendas muss man sich erst einmal durch Geschenke und Handel verdienen. So kann man Allianzen schmieden und sich größtenteils auch aus Kriegen heraushalten. Größtenteils. Ganz berechenbar sind die Gegenspieler nämlich nicht. In einem Spiel habe ich etwa nahe an Spaniern gesiedelt. Die haben mich gewarnt, dass ich nicht weiter an ihren Grenzen siedeln soll. Okay, kein Problem, war ein Versehen. Irgendwann bekam ich die Nachricht, dass ich mein Versprechen gehalten habe. Cool, dann ist ja alles paletti! Aber trotz toller Handelsbeziehungen und großartiger Geschenke hat Philip II seine Einheiten an meinen Grenzen gesammelt, da mein Land nicht zu seiner Religion gehörte - was nicht mal meine Schuld war, denn der Kerl hat nie einen Missionar rübergeschickt. Ich hätte mich nicht mal gewehrt! Also hat er Krieg gegen mich geführt und verloren.

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Dann haben wir Frieden ausgehandelt und ich habe eine Menge Asche bekommen. Nach 30 Zügen hat er mir wieder den Krieg erklärt und verloren. Noch mehr Geld für mich. 30 Züge: Noch ein verlorener Krieg. Ich nahm ihm eine Stadt ab und habe sie ihm im Tausch für all seine Ressourcen wiedergegeben. Selbst auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad ist die KI nicht wirklich schlau und mit zunehmenden Schwierigkeitsgraden wird sie hauptsächlich aggressiver. Warum ich dem Spanier die Stadt überhaupt wiedergegeben und ihn nicht überrollt habe? Wegen Warmongering und Kriegsmüdigkeit.

Viele neue Statistiken
Das sind zwei neue Statistiken in Civ 6. Wenn man beispielsweise einen Überraschungskrieg erklärt, ist man bei anderen Zivilisationen ganz schnell unten durch. Dann wird Handel teurer oder sie erklären einem irgendwann selbst den Krieg. Besser ist es, wenn man einen Grund hat: Alliierte beschützen, Stadtstaaten befreien oder eroberte Städte zurückholen. Und je länger man Krieg führt, desto unglücklicher werden die eigenen Städte. Produktion geht zurück und es kann zu Unruhen kommen. Gerade wenn man keinen Eroberungskrieg anpeilt, sind diese Effekte desaströs für die Siegeschancen. Aber immerhin bedeutet das auch, dass alle Parteien daran interessiert sind, langwierige Kriege mit vielen Einheitenbewegungen möglichst zu vermeiden.

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Wo wir eben bei Glücklichkeit waren: Die ist nun endlich lokal statt global. Jede Stadt hat ihren eigenen Glückseligkeitscounter, also kann es den Leuten hier richtig Bombe gehen und die da drüben versinken in Depressionen. Weitere Änderungen sorgen für noch mehr Micromanagement. Kultur-"Forschung" erzeugt politische Maßnahmen, die man nun für passive Effekte in die Slots seiner Regierung einordnen und austauschen kann. Bestimmte Fortschritte in diesem Zweig erweitern die Slots, genauso wie Weltwunder. Zudem haben wissenschaftliche Forschungszweige jetzt auch Sackgassen, also muss man sich ganz genau überlegen, ob man diese eine Tech unbedingt braucht. Außerdem wurde Diplomatie mit Stadtstaaten verfeinert und es ist nun auch mal sinnvoll, die kleinen Ländereien nicht nur einfach zu erobern, und Spione sind im Endgame viel nützlicher als zuvor. Nicht zu vergessen, dass Weltwunder und spezialisierte Stadtgebiete nun echten Platz auf der Karte wegnehmen und man deswegen genau planen sollte, was wohin gehört. Micromanagement erlebt in Civilization 6 eine gigantische Rückkehr.

Auch Religion ist wieder mit dabei. Dabei scheint die bislang gängige Meinung zu sein, dass Religion derzeit zu mächtig und ein Religionssieg zu einfach ist. Spieler, die nicht in Religion machen, müssen das Konvertieren entweder über sich ergehen lassen oder militärisch Krieg führen. Dabei sind religiöse Einheiten relativ billig und bekommen sogar ziemlich gemeine, zufällige Vorteile. Beispielsweise kann dann ein Apostel einfach mal alle Barbaren im Umfeld in eigene Einheiten verwandeln - und wenn sie eigentlich noch so teuer wären. Das kann einen ganzen Krieg mit einer Aktion umdrehen. Man kann das also nicht außer Acht lassen, was noch mehr auf den Haufen der zu beachteten Spielmechaniken drauf legt.

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Bei all dem genannten Micromanagement ist es fast schon fatal, wie schlecht das Spiel Nachrichten handhabt. In Civ 5 wurde man gefühlt mit jedem Kleinscheiß belästigt, in Civ 6 dezimieren sich plötzlich meine Handelsrouten und ich weiß nicht, warum. Oder ein Deal mit einer Zivilisation endet, und keiner sagt was, während meine Bürger wegen Tabakmangels auf die Barrikaden gehen. Gleichzeitig werden sehr diplomatische Spieler unter einer Flut von hereinfliegenden Gerüchten vergraben. Dann flüstert mir ein Kundschafter zu, dass Rom eine Windmühle baut, Frankreich mit einer anderen Zivilisation handelt und in China ein Sack Reis umfällt. Wirklich gut gelungen ist das nicht und es führt dazu, dass man häufig von Wendungen überrascht wird, die entweder nie gemeldet wurden oder die man im Wulst übersehen hat.

Firaxis mal wieder
Wenn es ums Programmieren geht, hat der Entwickler Firaxis leider einen malträtierten Ruf. Der Netcode von Civilization 5 strotzte vor Fehlern oder manchmal ließ sich eine Runde minutenlang nicht beenden. XCOM ist auch nicht gerade ein Musterbeispiel fehlerfreier Handwerkskunst und Civilization 6 wird auch noch einiges an Nachbearbeitung benötigen. Bisher habe ich unangekündigte Abstürze erlebt, Nachrichten, die sich nicht wegklicken ließen, und häufige Desynchronisierungen in Onlinespielen. Bei den verschwindenden Handelsrouten bin ich mir immer noch nicht sicher, ob das jetzt ein Bug war, oder nicht - aber es resultierte in einigen leeren Menüfeldern, in denen ich absolut nichts anwählen durfte. Freunde erzählten mir außerdem von Arbeitsspeicher-Lecks in den ersten Tagen nach Veröffentlichung, auch wenn ich davon selbst nichts mitbekommen habe.

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Ist Civilization 6 besser als Civilization 5? In meinen Augen ja, aber es ist auch sehr eine Geschmacksfrage. Civilization 5 ist einfacher, es fließt besser vor sich her. Civilization 6 geht tiefer, man kann sich besser drin verlieren ohne in sabbernde Automatismen überzugehen. Vieles ist anders, aber anders muss nicht gleich gut sein. Einige Verbesserungen, insbesondere bei der Diplomatie, lassen sich aber nicht von der Hand weisen. Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich muss mich um den Spielzeugimport aus Deutschland kümmern.

Sid Meier's Civilization VI wurde auf dem PC (Windows 10 64-Bit, 16 GByte RAM, Intel Core i5-4690, Nvidia GeForce GTX 970) getestet. Ein Testmuster wurde uns von 2K Games zur Verfügung gestellt.

Sid Meier's Civilization VI

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Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

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21. Oktober 2016
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