HTC Vive im Test

(Artikel)
Rian Voß, 21. Juli 2016

HTC Vive im Test

Mein Urteil nach acht Wochen VR

Das Vive-Review ließ eine ganze Weile auf sich warten. Das hat seine guten Gründe: Einmal ist der VR-Hype nun endlich abgeflaut. Zum anderen habe ich nicht mehr im Hinterkopf, dass ich knapp 900 Euro ausgegeben habe und mich deswegen über dieses Gerät freuen und es in höchsten Tönen loben muss. Beides war Voraussetzung dafür, genug Abstand zu haben, um einmal kühl und kalkulierend über die VR-Brille zu reden und zu sagen, wo Virtual Reality gerade steht.

Kurz zum Testsystem: Wie bekannt ist, benötigen sowohl Oculus Rift als auch HTC Vive einen recht starken PC. Meine Nvidia Geforce GTX 970, inzwischen eine Mittelklasse-Grafikkarte, gehört dabei zur Untergrenze des Nötigen, um Spiele ohne Einknicke in 90 Bildern pro Sekunde zu erleben. Alles unter dieser Grenze erhöht rapide die Gefahr, dass einem schlecht und schwindelig wird. Trotz meiner jetzigen Sicherheit bedeutet das: Will ich in Zukunft Spiele mit besserer Grafik zocken, werde ich spätestens nächstes Jahr upgraden müssen.

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Bild: HTC

Installation
Das Vive-System aufzusetzen ist eine Pein im Arsch, aber die Pein hätte viel größer sein können und man muss es ja nur einmal machen. Man muss die Kabel in eine Box stecken, die Box in den PC, die Controller in den PC. Dann muss man noch die Infrarotkameras an gegenüberliegenden Ecken der Spielfläche in zwei Metern Höhe aufbauen und beide am Strom anschließen. Als mir der Gedanke kam, dass die Kameras auch noch per Kabel an die Signalbox müssten, bekam ich Schnappatmung - zum Glück kommunizieren sie dann doch drahtlos. Ein Synchronisierungskabel ist rein optional und soll das Tracking verbessern. Blöd: Die Kameras summen ein wenig. Wen das stört, der muss sie nach dem Spielen wieder ausstecken.

Die Steam-VR-Software führt den Vive-Besitzer ganz gut durch das Setup. Dazu gehört zum Beispiel, die Spielfläche mit einem Bewegungscontroller einzukreisen. 1,5 x 2,0 Meter sind Pflicht, wenn man sich im Raum bewegen möchte. Und man möchte sich im Raum bewegen. Kleiner Tipp meinerseits: Besorgt euch einen Teppich in der Größe eurer Spielfläche oder platziert sonstige Markierungen am Boden, durch die ihr spürt, wenn ihr das "sichere" Areal verlasst. Die Vive hat zwar ein eingebautes Warnungssystem, aber es ist wesentlich angenehmer, wenn man seine Umgebung fühlt.

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Bild: HTC

Die Sache mit der Übelkeit
Richtig schlecht ist mir beim Spielen nie geworden - zumindest nicht wegen der Hardware. Die ersten zwei Sessions endeten in einer leichten Magenfläue, aber bei der dritten konnte ich beliebig in Abgründe stürzen, mich von Baum zu Baum schwingen oder Lasergeschossen ausweichen. Kein Problem. Kleine Trackingfehler oder Ruckler passieren immer mal wieder - meistens, wenn das System gerade erst warmläuft. Das kann aber mehrere Gründe haben: Raum zu klein, Grafikkarte am Kämpfen und ich muss zugeben, dass mir vor dem ersten Spielen eine Kamera runtergefallen ist. Da hatte ich kurz einen Herzstillstand.

Wenn mir mal richtig schlecht beim Spielen wurde, dann liegt es an dürftiger Optimierung für VR seitens der Entwickler. Ein schönes Beispiel ist Fated: The Silent Oath - es zeigt wunderbar, dass man klassische Controllersteuerung für die Egoperspektive aufgeben muss, wenn es in die virtuelle Realität geht. Spiele, bei denen sich die Entwickler aber Gedanken gemacht haben, sollten bei einem festen Magen kein Karussellgefühl auslösen.


Das Gute
+Tragekomfort
Die Vive ist mit ihren Gummibändern und einem Gewicht von angegebenen 555 Gramm leicht zu tragen, auch über längere Zeit. Allerdings muss man bei den Bändern eine Weile blind herumfummeln, bis man seine Kopfform herausexperimentiert hat. Die Brille ist gut ausbalanciert und die Polster schonen das Gesicht - im Gegensatz zur Oculus, wo man an den Wangenabdrücken vom harten Schaumstoff nachhaltig Freude hat.

+Kopfhörerklinke
Zusätzlich zum Datenkabel gibt es am Hinterkopf auch einen Anschluss für eine typische 3,5mm-Kopfhörerklinke. Wer über gute Kopfhörer verfügt, kann hier sein Lieblingspaar anschließen und die Immersion noch mal deftig verstärken. Die beiliegenden In-Ear-Kopfhörer sind auch nicht schlecht - ich persönlich bin aber kein Fan davon, Dinge in meinen Ohren stecken zu haben.

+Mikrofon und Außenkamera
Für Multiplayerspiele ist ein eingebautes Mikrofon einfach genial. Dazu brauche ich wohl nicht viel mehr zu sagen. Man muss sich außerdem nicht zwingend ein Headset kaufen, sondern kann einfach in die Brille sprechen. Wer sich außerdem in seinem Spielzimmer umgucken möchte, kann im Pausenmenü die Außenkamera aktivieren und bekommt ein Kamerabild auf einen der Bewegungscontroller projiziert. Praktisch, wenn jemand anruft und man nicht das ganze Gedöhns vom Kopf holen will.

+Versorgt sich selbst
Ist das System einmal aufgesetzt, muss man sich quasi um nichts mehr kümmern. Steam schnappt sich alle Updates, über Steam schaltet man die Brille ein und das interne Menü ist ebenfalls einfach zu benutzen. Einzig die Bewegungscontroller müssen für Firmwareupdates per USB angeschlossen werden. Da Steam außerdem enorm verbreitet ist, hat man in der Regel auch schon ein sehr bequemes Spielehub und die Plattform bietet bereits mehrere hundert VR-Titel an.


+Zusammenstöße ausgeschlossen
Da man während des Setups den Spielraum nachgezeichnet hat, kann die Vive immer erkennen, wenn man sich den Rändern nähert. In solchen Fällen zeigt die Brille erst subtil und dann aufdringlich ein blaues Gitter an, das einem sagt: Hier geht es nicht weiter! Ärgerlich ist nur, dass sich manche Spiele nicht an diese Beschränkung halten und dann interaktive Objekte auch mal außerhalb darstellen. Dann muss man mit Positionswechseln kreativ werden.

+ICH BIN DRIN!
Es ist wohl der wichtigste Punkt für eine VR-Brille: Ich fühlte mich sofort in eine andere Welt versetzt. Brille auf, Job Simulator an und es hat keine Minute gebraucht, bis ich mit Spielfiguren redete, als wären Sie direkt vor mir. Ich habe gegrinst wie ein Idiot und es war mir egal!

+Hervorragende Controller
Ein Grund, warum ich mich letztendlich für die Vive anstelle von der Oculus entschied, waren die Bewegungscontroller. In Videos sahen sie enorm genau aus und die leichtgebauten Pistolenhandgriffe haben mich nicht enttäuscht: Jede Bewegung wird sofort in Spielegrafik umgesetzt, so dass man ein wirklich haptisches Erlebnis in der virtuellen Realität hat und sich noch ein wenig mehr "drin" fühlt. Nichtsdestotrotz: Handschuhe in der nächsten Generation müssen sein.

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Das Schlechte
-Brillenträger sind benachteiligt
Es wäre schön, wenn auch unrealistisch gewesen, wenn die Vive eine Korrektur für Sehschwächen bieten würde. Zwar passen auch große Brillen dank Drehreglern ins Gehäuse, allerdings wird es in diesem versiegelten Raum schnell sehr warm und feucht. Dadurch wird die Brille bald schlierig, was vor einem so nahen Bildschirm nicht unbemerkt bleibt und nervt. Wer mit einer VR-Brille spielen möchte, sollte unbedingt über die Anschaffung von Kontaktlinsen nachdenken.

-Kabel
Ich bin beim Spielen bisher nicht über das sehr lange Verbindungskabel der Vive gestolpert - auch nicht in actionreichen Titeln wie Holopoint oder Space Pirate Trainer. Trotzdem nervt die Kabelei und sorgt dafür, dass man sich eher vorsichtig und bedacht bewegt, statt voll drin zu sein. Das ergibt einen leichten Bruch mit der Immersion, weil man dann eben doch merkt, dass man sich nicht in der Spielwelt befindet, sondern immer noch zu Hause herumsteht.

-Putzen, putzen, putzen
Vor dem Spielen, nach dem Spielen - ich lasse gefühlt häufiger das Mikrofasertuch über die Linsen kreisen als böse Buben abzuschießen. Wer an seiner teuren Investition lange Spaß haben möchte, muss sie natürlich auch pflegen. Allerdings habe ich bislang noch keine wirklich gute Methode gefunden, um die Linsen schnell sauber zu machen und auch so, dass keine merklichen Dreckrückstände bestehen bleiben. Trotz Linsenreiniger für Kameralinsen. Wer Tipps hat: Bitte in die Kommentare schreiben!

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-Pixelgitter
Es kommt ein wenig auf das Spiel an und natürlich, wie viel los ist. Wenn ich aber die Zeit habe, mich ein wenig umzugucken, dann merke ich schnell die Verpixelung meiner Umgebung. Das gilt auch für Spiele, die meine Grafikkarte eigentlich mit Links packen sollte. An der Stelle muss man einfach einsehen, dass die Auflösung der Vive noch nicht ihr volles Potenzial erreicht hat und hoffentlich in der zweiten Generation zum Jahreswechsel ein besseres Ergebnis bietet.

-Es braucht imposantere Spiele
Zu sagen, dass die Grafik an die Realität herankommt, wäre weit übertrieben. Bislang habe ich nur Titel gesehen, die sich etwa auf PS3-Niveau befinden. Aber bis die richtig heftigen Grafikspiele kommen, wird wohl noch etwas Zeit vergehen. Kein ökonomisch orientierter Entwickler wird hoffen, dass jeder Brillenbesitzer eine GTX 1080 verbaut hat, die über zwei 1080x1200-Pixel-Bildschirme bei vollen Details nur lachen kann. Bislang kann die Oculus mit ihren Exklusivtiteln mehr beeindrucken.

Fazit
Derzeit spiele ich nicht in VR. Ich warte auf meine Kontaktlinsen. Denn so fantastisch es ist, sich in die virtuelle Realität zu wagen und ganz neue Abenteuer zu erleben: Vor jeder Sitzung stellt sich die Frage, ob ich den ganzen Budenzauber ums Aufsetzen, putzen, prüfen, aufsetzen, Brilleputzen, Kabel entwickeln wirklich mitmachen möchte. Die Brille aus der Gleichung zu nehmen wäre schon einmal ein guter Schritt in die Richtung zum Aufsetzen und loslegen. Und da will man ja auch hin: Konsole ein, Controller in die Hand, los!

Natürlich ist die Vive die erste Generation. Sofern sich VR als Plattform durchsetzen sollte, wird es noch viele weitere Iterationen geben und der große Durchbruch wird kommen, wenn die Ingenieure endlich das Kabel eliminieren. Die Vive ist ohne Frage ein genialer erster Schritt, aber Käufer müssen sich immer wieder im Klaren sein, dass sie Early Adopters sind. Wie viel ist es euch wert, sagen zu können, man sei ganz am Anfang dabei gewesen?

Die HTC Vive wurde mit dem PC (Windows 10 64-Bit, 16 GByte RAM, Intel Core i5-4690, Nvidia GeForce GTX 970) getestet. Für den Test hat sich der Redakteur die Hardware selbst gekauft.

Kommentare

Kristin
22. Juli 2016 um 09:07 Uhr (#1)
Beim Punkt "Zusammenstöße ausgeschlossen" muss ich widersprechen - das Gitternetz grenzt einen nämlich zwar an den Seiten ein, nicht aber nach oben! Zugegeben: Die Deckenhöhe bei uns ist mit 1,80m sehr niedrig, aber auch mit einer Höhe von 2,00m kann man den Controller bei Wurfspielen problemlos in die Decke rammen. Also jetzt Menschen, die groß sind. Nicht so wie ich. Da müsste noch nachgebessert werden.
Die Schlieren beim Spielen habe ich auf meiner Brille auch gemerkt, allerdings finde ich generell die Hitzeentwicklung unter der Brille problematischer - länger als 30 Min. mag ich gar nicht spielen. Vielleicht überlegen sich die Experten ja noch ein besseres Belüftungsproblem, was das Beschlagen und das Zerfließen gleichermaßen behebt.
Kristin
22. Juli 2016 um 09:08 Uhr (#2)
-system. O.o
Rian
22. Juli 2016 um 09:33 Uhr (#3)
Ja gut, wenn die Kameras mindestens auf 2m angebracht werden sollten, dann ist 1,80 sowieso zu niedrig... xD

Aber ja, die Wärme ist nicht sehr angenehm und es bräucht immer mal wieder eine Pause. Aber eine aktive Belüftung will man auch nicht unbedingt mit sich herumschleppen, hm.
Heiler
22. Juli 2016 um 14:43 Uhr (#4)
Solang mein guter 50 Hertz Röhrenfernseher
noch läuft brauche ich solch neumodischen Firlefanz nicht!

Manchmal kann ich die Untertitel zwar nur lesen wenn ich bis auf 10 cm an die Kiste rangehe,
aber dafür knistern meine Augäpfel dann auch ganz lustig.

Solang dieses "Wiih Arr" meine Augen
nicht wonnig zum Knistern bringt
kommt mir dieses seelenstehlende Hexenwerk
nicht ins Haus!

Sapperlot noch eins!
Talis
22. Juli 2016 um 15:19 Uhr (#5)
Die Decke bei uns ist 2m hoch und die Kameras hängen knapp dadrunter, Kristin! :D
Mann muss sich aber klar werden, dass die Controller natürlich handbreit über die Hand hinausragen und, dem stimme ich zu, mindestens 2,2m wären in der Deckenhöhe sehr angebracht!
Auch das Chaperone sollte schnellstmöglichst geupdated werden und die Decke mit einbeziehen, ansonsten macht es seine Arbeit tadellos und ich würde nicht den Spielbereich noch weiter haptisch abgrenzen wollen.

Die Lighthouses sind übrigens nicht Kameras, wie es die eine bei der Oculus ist, sondern beherbergen ein Array aus Infrarotlasern und die ganzen Vertiefungen der Vive und der Controller sind Photosensoren, also Kameras.

Der minimale Bereich von 1,5m X 2m den ich grade so bereitstellen konnte reicht leider tatsächlich für viele Spiele nicht aus, aber viele Spiele bemängeln, zumindest wenn sie aus dem VR-Overlay gestartet werden, dass der minimale Raum nicht zur Verfügung steht.

Meine 780ti kommt bisher nur bei Nvidias Funhouse sehr schnell an ihre Grenzen, aber das "Spiel" ist auch nicht sonderlich sehenswert. Wie du schon sagst, Rian, eigentlich ist bisher alles Demo bis Tech-Demo, Prove of Concept oder einfach storylos zusammengeschustert und wir müssen wohl noch etwas warten bis interessante Spiele kommen. Ich freue mich zum Beispiel auf "Budget Cuts", die Demo hat Spaß gemacht (auch wenn mein Raum zu klein ist)!

Für das Kabel der Vive habe ich auch noch keine Lösung gefunden. Eine Klemme oder Karabiner um es an der Hose zu fixieren, damit es nicht immer hinterher schleift ist schon nicht schlecht, es am Schreibtisch zu fixieren um es vom Boden zu lösen könnte eine weitere Verbesserung bringen.

Schlecht/Schwindelig wurde mir bisher nur bei "Spell Fighter VR" einer Tech-Demo die das first person RPG ins VR bringen möchte, in der man sich über das Touchpad des Contollers bewegt (also ohne sich wirklich zu bewegen). Das ist sehr gewöhnungsbedürftig.
Das andere Mal war beim Job Simulator als ich hunderte Rubbellose aus der Schublade des Einkaufsladens gekramt habe und mein PC oder die Engine einfach stark überfordert war :D

900€ sind nicht ohne. Es ist schön es erlebt zu haben, aber viel Zeit verbringe ich nicht in der virtuellen Welt. Ich freue mich auf den Fortschritt und die erwähnten Handschuhe, denn die müssen wirklich her!
Noch besser gleich ein ganzer Anzug mit force-feedback und allem, ich arbeite da insgeheim seit Jahren dran, nur leider ohne Erfahrung, ohne das nötige Wissen und daher ohne Erfolg :D
Rian
22. Juli 2016 um 19:02 Uhr (#6)
> Die Lighthouses sind übrigens nicht Kameras, wie es die eine bei der Oculus ist, sondern beherbergen ein Array aus Infrarotlasern und die ganzen Vertiefungen der Vive und der Controller sind Photosensoren, also Kameras.

Genau, um das nicht schreiben zu müssen, habe ich es auf "Infrarotkameras" versimpelt. Verzeih die Vereinfachung, ich wollte nicht, dass mir die Leser einschlafen xD
name
Gast
08. Juli 2017 um 19:58 Uhr (#7)
Viel zu verpixelt und miserable Qualität der Controller ist mein Fazit. Kein Spiel kann mich wirklich überzeugen und kann absolut keine Kaufempfehlung geben.
Gast
25. April 2024 um 13:34 Uhr
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