Social Anxiety Quest

(Artikel)
Vivian R., 14. Mai 2016

Social Anxiety Quest

The Average Everyday Adventures of Samantha Browne im Test

Seit einer Weile schon rücken die ernsten Themen der Gesellschaft in den Fokus der Spieleentwickler. Besonders Indie-Entwickler nutzen das Medium Computerspiel, um Themen wie gesellschaftliche Ausgrenzung einen interaktiven Zugang zu verschaffen. Im Coming-Out Simulator erleben wir die Schwierigkeiten, sich in einem homophoben Umfeld zu outen, und im viel diskutierten und umstrittenen Spiel Depression Quest erleben wir das Leben eines Depressiven und versuchen, irgendwie den Alltag zwischen Arbeit und Beziehung zu meistern.

Auch The Average Everday Adventures of Samantha Browne ist kein Spiel, das Spaß macht. Wir spielen die junge Samantha, die auf dem Uni-Campus lebt und unter starker Sozialangst leidet. So stark, dass schon der Gang in die Gemeinschaftsküche, um sich eine Tasse mit Hafergrütze zu machen, zur wohlüberlegten und fast unüberwindbaren Aufgabe wird.

Samantha

Und das ist quasi schon der Inhalt des Spiels: Geh in die Küche ohne in Panik zu geraten oder vor Hunger umzufallen, und mach dir etwas zu essen. Aber wie funktioniert der Wasserkocher? Und warum sitzen mitten in der Nacht immer noch zwei andere Studentinnen in der Küche? Und hast du wirklich an alles gedacht, bevor du das Zimmer verlassen hast?

Je nachdem, welche Entscheidungen wir treffen, erreichen wir eines von zehn unterschiedlichen Enden. Da ein Durchgang nur wenige Minuten dauert, lassen die sich mit etwas Tüftelei recht fix erreichen. Wenn man Lust hat, sich durch die nur wenig ändernden Wortblasen zu klicken, denn das kurze Spiel wird recht schnell repetitiv.

Zugegeben, es gibt spannendere Plots.
The Average Everyday Adventures of Samanatha Browne versucht, den täglichen Kampf einer jungen Frau mit Sozialangst anhand einer eher simplen Aufgabe darzustellen. Das gelingt in Teilen recht gut. Wenn ich an meine Zeit als Frischling an der Uni zurückdenke, fühlt man sich sehr oft so, als gäbe es irgendwie einen Sozialcode, den jeder beherrscht und den man selbst irgendwie noch nicht kennt – und dann Gefahr läuft, wie ein Idiot dazustehen. In einer Gemeinschaftsküche zu stehen und sich zu fragen, ob der Wasserkocher jemandem gehört oder man ihn frei benutzen kann, ist sicher kein abwegiger Gedanke.

Choices

Aber bei Samantha hört die Angst hier nicht auf. Schon der Gang den Flur entlang lässt sie Fluchtgedanken haben, sie denkt immer wieder zurück an dieses eine Mädchen, das irgendwann einmal ihren Eyeliner kritisiert hat, und das Spiel ist vorbei, wenn man aus Versehen den Becher mit dem Haferbrei umstößt.

Das sind alles sicher keine Gedanken, die jemand ohne Sozialangst einfach ohne Weiteres nachvollziehen kann. Genau das möchte The Average Everyday Adventures of Samantha Browne aber erreichen: Die von außen lächerlich wirkenden und von innen betäubend schrecklichen Gedanken einer Person, die unter starker Sozialangst leidet, nachvollziehbar und empathisch nachempfindbar machen.

Kitchen

Das gelingt den Entwicklern, wie ich finde, nur mäßig. Samantha ist jung, sie ist niedlich mit ihren Katzenbechern und Plüschhasen, und tollpatschig ist sie auch noch. Dazu ist sie stellenweise recht unsympathisch und scheint nicht nur Angst vor ihren Mitmenschen zu haben, sondern diese auch einfach nicht besonders gut leiden zu können. Sie entspricht, quasi, vollkommen dem stereotypischen Bild, das sich die meisten Menschen machen, wenn sie an Sozialangstleidende denken.

Als jemand, der selbst pädagogisch tätig ist, laufen mir Menschen mit Sozialangst ständig über den Weg. In den seltensten Fällen sind es Menschen wie Samantha, sondern Businessfrauen mit perfektem Haar und Kostüm, die drei Mal nachfragen, ob sie im richtigen Zug sitzen. Oder der extrovertierte und lustige Schüler, der Angst hat, dass ihm die Sprache versagt, sobald er mit dem Busfahrer sprechen muss. Die toughe Lehrerin, die immer Angst hat, bei der Bahn nach Tickets zu fragen, weil sie sich davor fürchtet, sich zu blamieren. Solche Geschichten sind für mich interessanter als die von Samantha, da sie weit weniger klischeebehaftet sind und sich damit echter und nachvollziehbarer anfühlen.

Hall

The Average Everyday Adventures of Samantha Browne fühlt sich an, als würde es sich exklusiv an eben jene Gruppe wenden, die Samantha selbst darstellt. Deren Gefühle als valide darzustellen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine mit ihren Sozialangst-Gedanken sind, ist im Spiel interessant umgesetzt, hätte aber von einer sympathischeren Protagonistin profitiert.

Ein Publikum, das selbst nicht unter Sozialangst leidet oder zuvor keinen Kontakt damit hatte, spricht das Spiel jedoch nicht an. Durch die niedliche und tollpatschige Protagonistin verkindlicht es eine psychische Disposition, unter der viele Menschen in unterschiedlicher Stärke leiden und trägt so nur wenig dazu bei, das Stigma darum zu lösen. Schade, denn die Klickzahlen und die lebendige Diskussion bei Steam zeigen, dass solche Spiele durchaus gewünscht sind.

The Average Everyday Adventures of Samantha Browne wurde auf dem PC (Windows 7 64-bit, 8 GByte RAM, AMD FX-8150, AMD Radeon R9 280 3GB) getestet. Das Spiel ist kostenlos auf Steam erhältlich.

The Average Everyday Adventures of Samantha Browne

(Ranking)
B
RANK
Anständig. Stärken und Schwächen halten sich die Waage. Positive Überraschungen sind genauso selten wie negative. Unterm Strich muss man seine Spielzeit keinesfalls bereuen.

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18. April 2024 um 20:11 Uhr
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