The Detail im Test

(Artikel)
Vivian R., 07. Mai 2016

The Detail im Test

Wie man Drama komplett versemmelt

Ist das jetzt noch Adventure oder schon Visual Novel, äh, Comic? Nicht nur die Genre-Einteilung von The Detail bleibt schwammig. Es lockt mit interessantem Noir-Krimi-Setting, moralischen Dilemmas und weitreichenden Entscheidungen – was es davon in aller Schwammigkeit dann aber auch einhält, erfahrt ihr hier im Test.

The Detail - Reggie

Das Spiel der finnischen Entwicklerfirma Rival Games Ltd fängt spannend und gut inszeniert an: Im schwarz-weißen Comicstil und hinterlegt mit aufreibendem Klaviergeklimper schlüpfen wir in die Rolle von zwei Polizisten, die in die Wohnung eines Pädophilen eindringen, um ihn festzunehmen und hoffentlich sein Opfer zu retten. Nachdem wir den Triebtäter haben, folgt das Verhör, wo wir mit dem moralischen Dilemma der Polizeiarbeit konfrontiert werden: Riskieren wir das Leben des verschwundenen Mädchens und führen den Straftäter seiner gerechten Strafe zu oder drohen wir ihm Gewalt an oder schlagen ihm einen Deal vor, um das Versteck seines Opfers zu erfahren? Hier erfindet The Detail jetzt nicht unbedingt das Rad neu, hat mich emotional aber gut gefangen. Danach geht es aber nur noch bergab.

Mit Reggie, einem alternden und (natürlich) desillusionierten Polizisten, finden wir uns einige Tage später an einem anderen Tatort wieder: Der Boss der örtlichen russischen Mafia liegt mit einer Kugel im Kopf auf den Schienen, der Koffer mit Drogen noch neben ihm. Mysteriös, denken sich Reggie und sein Partner Tyrone und rufen Joe an, einen ehemaligen Spitzel, und bedrohen ihn ein bisschen, damit er Ehefrau und Töchterchen links liegen lässt und sich zurück in das Mafialeben wirft.

Joe fördert so einige interessante Ungereimtheiten zu Tage. Wir laufen also von Tatort zu Tatort, treffen auf gefühlt zweihundert Nebenfiguren, während uns immer wieder Fragen aufgedrückt werden: Wer hat Arkany umgebracht? Was hat es mit dem brutalen Russen Mikhail auf sich? Wie waren eigentlich wirklich die Umstände für den Tod von Reggies erstem Partner? Warum retten wir auf einmal Prostituierte aus dunklen Kellern? Was hat es mit dem Sozialprogramm GANG auf sich, das jugendliche Straftäter von der Straße kriegen will? Sollten wir die Frau kennen, deren Tod Reggie so bestürzt? Und warum nervt uns eigentlich immer dieser komische Kerl von der Aufsichtsbehörde im Fahrstuhl? So viele Fragen. Verwirrt? So ging es mir während des gesamten Spiels.

The Detail - Elevator Dude

Ich habe selten ein Spiel gespielt, bei dem ich so wenig begriff, was eigentlich gerade vor sich geht und was genau mich noch einmal zu dieser Nebenfigur oder an diesen neuen Ort geführt hat. Es wirkt, als hätten sich die Entwickler von Episode zu Episode einen neuen Plot überlegt und den alten dann einfach vergessen. Im "spannenden Finale" löst sich ein Konflikt auf, der erst wenige Minuten zuvor überhaupt eingeführt wurde. Selbst gut inszenierte Cliffhanger, wie jener von der ersten Episode, verpuffen einfach Momente später. Schade.

Außerdem nimmt sich The Detail kaum Zeit, Figuren einzuführen und prägnant im Kopf der Spieler zu verankern. Die einzige Figur, mit der man richtig heimelig wird, ist Joe, aber dessen Vater-vs-Gangster-Rolle ist ungefähr so einfallsreich dargestellt wie der vom Leben müde gewordene Polizist Reggie, dessen Zynismus zumindest streckenweise ganz unterhaltsam ist. Das ganze Spiel wäre mit zwei Drittel weniger Figuren locker ausgekommen. Auch fühlen sich die meisten Charaktere so flach an, dass mir in weiten Teilen egal war, was mit ihnen passiert. Blöd, wenn der interessanteste Charakter ausgerechnet der Antagonist ist.

Apropos flach: The Detail wird in Comicgrafik erzählt und ist unvertont. Die Animationen wirken etwas steif, ansonsten ist The Detail zwar nicht unbedingt der Hingucker des Jahres, gerade die Schwarz-Weiß-Szenen sind aber ganz nett anzuschauen. Gute Sprecher hätten dem Spiel sicher viel Charme geben können, den es bitter nötig hätte. Trotzdem ist die Hintergrundmusik ganz ordentlich. Schade, dass es sich mit Ausnahme einiger weniger Geräusche mit der Akustik auch schon erledigt hat. Zumindest ein paar Schüsse oder Schritte hätte ich mir dann doch gewünscht. Es ist dann eben doch kein Comic, sondern immer noch ein Computerspiel.

The Detail - Sofia

Obwohl... Das Gameplay von The Detail ist so wenig existent, dass es eher als e-Book als Adventure durchgeht. Wir klicken uns von Hotspot zu Hotspot, bis unsere Figur das macht, was sie soll. Meistens geht das von ganz alleine, ohne dass wir überhaupt ins Grübeln kommen. Spätestens in Episode 2 hat es sich dann auch mit jeglicher Form von Rätseln erledigt.

Wer sich schon bei den TellTale Games aufgeregt hat, dass uns weitreichende Entscheidungen, die wirklich etwas bewirken, nur vorgegaukelt werden, der wird bei The Detail seine Bluthochdruckmedikamente auf die Probe stellen können: Für ein Spiel, das von seinen Entscheidungen lebt, verpuffen diese im Laufe der Handlung zu leeren Hülsen.

Es macht keinen Unterschied, ob wir der Prostituierten helfen oder nicht, ob wir Beweise fälschen oder uns auf legitime Weise Zugang zu der Wohnung des Verdächtigen verschaffen, es macht nicht einmal einen Unterschied, ob wir nett oder fies zu dem Pädophilen sind: Am Ende steht immer das gleiche Ergebnis und nur die Dialoge ändern sich ganz, ganz wenig. Könnte eine schöne Metapher sein für die Ausweglosigkeit der Polizei in dieser harschen Realität, aber das kaufe ich den Entwicklern dann doch nicht ab.

Das ist auch im Subtilen ärgerlich: The Detail gibt uns die Wahl, den guten oder bösen Cop während der Dialoge zu spielen. Wenn man mit Reggie durch die Bank weg freundlich und nett ist, wird das aber in der nächsten Cutscene, wo wir ihn nicht steuern können, wieder revidiert und er pöbelt rum und droht Schläge an. Da benutzt man kein einziges Mal Polizeigewalt und macht alles nach Protokoll, und trotzdem reagieren alle NPCs auf einen, als wäre man korrupter Polizist, der direkt aus dem Zug von Sin City gestolpert ist.

The Detail - Tall Boy

Apropos abgeschmackt: The Detail versucht, die harte Realität darzustellen, tut dies aber auf eine so uninspirierte und uninnovative Weise, dass es sich nur noch lahm und zäh anfühlt. Die polnische Zwangsprostituierte mit dem verschmierten Make-up lockt keinen mehr hinter dem Schock-Ofen hervor. An kultureller Diversität haben die Entwickler aber trotzdem nicht gespart – hätten sie aber besser mal. Das organisierte Verbrechen reicht von brutalen Militär-Russen, folternden Chinesen, Latinoganggroßfamilien bis hin zu schwarzen Drogenköchen inklusive AK47-Stand-offs in abgeranzten Hochhäusern. Ja, es klingt so klebrig, wie es sich beim Spielen anfühlt. Da wird die Sprache der Chinesin (oder Kambodschianerin, für Reggie eh alles das selbe) mal eben nur als „&$@%$“-Kuddelmuddel dargestellt. Wow.

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Fazit
The Detail fühlt sich an wie spielgewordenes, vertanes Potential. Die Prämisse des ehemaligen Mafiaspitzels, der wieder zurück in seine alten Gefilde muss und zwischen Gangleben und Familienidylle schwankt, bietet viel Raum für eine spannende Geschichte. Der Grafikstil kann mit Spielen von TellTaleGames zwar längst nicht mithalten, hat aber durchaus seinen eigenen Charme. Und überhaupt – das Setting! Aus The Detail hätte mit ein wenig mehr Mut und Fantasie eine schöne Mischung aus The Wolf Among Us und LA Noire werden können – schade, dass es uns stattdessen in wirre Ödnis mit überfülltem, geistlosem Figureninventar schleudert.

The Detail wurde auf dem PC (Windows 7 64-bit, 8 GByte RAM, AMD FX-8150, AMD Radeon R9 280 3GB) getestet. Ein Testmuster wurde uns von Rival Games Ltd zur Verfügung gestellt.

The Detail

(Ranking)
C
RANK
Gut gemeint. C-Spiele haben ihre strahlenden Momente, aber in entscheidenden Situationen wird großes Potential verschenkt. Über keine anderen Spiele kann man sich so sehr ärgern.

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