The Count Lucanor im Test

(Artikel)
Vivian R., 12. März 2016

The Count Lucanor im Test

Schlafende Ziegen soll man nicht wecken

Hans möchte endlich erwachsen sein. Und schließlich ist er ja auch schon zehn Jahre alt. Wer hat mit Zehn nicht auch schon gedacht, er hätte den totalen Durchblick und Erwachsene wären ihm kein Stück voraus, halt nur ein Stückchen größer? Hans haut also von zuhause ab und schlägt sich durchs Unterholz in einen Wald, der den wenig einladenden Namen Hangman's Wood trägt. Wir erwarten Grusel! Aber schon nach den ersten Schritten denk ich mir: Na ja, so schlimm ist es hier aber nu' auch net.

Da kann man sich noch so viel Mühe geben: An Häschen, die auf einer Wiese tollen, Eichhörnchen, die die grünen Bäume hinauf huschen, und bunten Blümchen im Sonnenschein – dazu noch in niedlicher Pixelgrafik – ist einfach nichts gruselig. Und der Rabe, ach. Vorbote des Todes und so, ne? Da sind ja der diebische Händler und der betrunkene Ziegenhirte unheimlicher, die wir auf unserem Weg treffen. Pfffffff. Hans ist immerhin erwachsen, nöch?

CL Goatherd

Okay. Kommando zurück.
Fünf Spielminuten später wachen wir auf einem Friedhof auf. In der Ferne hören wir das Mähen von Ziegen. Ziegen, die, wie wir bald feststellen, mit roten Augen im Kreis tanzen. Um den abgeschlagenen Kopf des Ziegenhirtens herum. Der dann auch noch anfängt mit Hans zu sprechen.

Oh, dear.

Ab hier beginnt die Talfahrt in einen makabren und gelungen inszenierten Albtraum. Auf unserer Flucht vor den Ziegen, die sich nun mit Gras nicht mehr zufrieden geben wollen, stolpern wir über einen blauen Kobold, der uns in das Schloss des Count Lucanors bringt. Dieser ist seit Jahrhunderten auf der Suche nach einem Erben. Jedoch nur unter der Bedingung, dass er den Namen des Kobolds errät. Und da Erbe = Schloss + Moneten heißt und draußen ja sowieso die beißwütigen Ziegen warten, stimmt Hans ein, sein Glück zu versuchen.

CL Kobold

Um den Namen zu erraten, müssen wir im Schloss Buchstaben sammeln. Diese finden wir in roten Truhen, die sich nur öffnen oder zu denen wir nur Zugang erlangen, indem wir Rätsel lösen und geschickt Fallen umgehen. Während unserer Erkundungen schreitet die Zeit immer weiter voran. Dies wiederum löst Ereignisse aus, die den Verlauf des Spiels bestimmen. So werden uns manche Hinweise verschlossen, wenn wir mit der Person zu einem zu späten Zeitpunkt sprechen.

Zum Glück treffen wir auf die hilfreiche, wenn auch etwas schreckhafte Schatzjägerin Giulia, die uns mit Tipps und Kerzen (die wichtigste Ressource des ganzen Spiels!) versorgt. Die müssen wir aufstellen, damit wir sehen können, dass Gegner anrücken. Und immer wieder stolpern wir über die Notizen eines mysteriösen Soldaten namens J. F., der sich auch auf die Suche nach dem Namen begeben hat. Und was hat es eigentlich mit der in den Keller verschleppten Tochter des Counts Lucrezia auf sich, von der wir immer wieder hören?

CL Goatherd 2

Count Lucanor nimmt Elemente von klassischen Horror-Survival-Spielen auf. Unter anderem können wir uns gegen Gegner nicht verteidigen, sondern müssen ihnen im besten Fall komplett aus dem Weg gehen und uns unter Tischen und hinter Vorhängen verstecken. Haben sie uns einmal gesichtet, führt das ebenso schnell zum Tod wie die Fallen. Gut, nun ist Hans auch nur ein kleiner zehnjähriger Junge, aber er verträgt doch relativ wenig. Count Lucanor verzeiht uns keine Fehltritte. Regelmäßig seine Seele zu speichern, ist buchstäblich Gold wert.

Denn das Speichersystem von Count Lucanor fügt sich nahtlos in die Welt ein. Im Laufe unserer Reise sammeln wir Goldmünzen, für die wir uns Gegenstände bei einem Händler kaufen können. Pro Goldmünze können wir aber auch einmal beim Raben am Brunnen im Innenhof des Schlosses speichern. So wird ausgerechnet der Todesbote zum buchstäblichen Seelenretter.

Das Dilemma: Sparen wir lieber auf einen Umschlag mit dem Buchstaben für den Namen des Kobolds und gehen das Risiko ein, im nächsten Raum zu sterben und so einige Rätsel zu wiederholen, oder gehen wir lieber auf Nummer Sicher und werfen dem ollen Raben eine hart verdiente Münze in den Rachen? Das ist ein fieser Trick, um uns zusätzlich unter Druck zu setzen, den Gegnern und Gefahren im Spiel wirklich auszuweichen und nicht einfach nur durchzuhetzen.

CL Camerlengo

Count Lucanor bleibt die ganze Spielzeit über skurril, mysteriös und makaber. Die Pixelgrafik verstärkt den starken Kontrast zwischen freudig-buntem Anfang und dem blutbekleckerten Horror-Szenario, durch das wir mit Hans im Schloss des Counts waten. Neben Spielen wie Hotline: Miami zeigt auch Count Lucanor, dass man keine beeindruckende Grafik braucht, um ein mulmiges Gefühl zu erzeugen. Trotz der geringen Spielzeit definitiv ein kleines Juwel.

The Count Lucanor wurde auf dem PC (Windows 7 64-bit, 8 GByte RAM, AMD FX-8150, AMD Radeon R9 280 3GB) getestet. Ein Testmuster wurde uns von Baroque Decay zur Verfügung gestellt.

The Count Lucanor

(Ranking)
A
RANK
Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

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RELEASE
03. März 2016
PLATTFORM
PC
Plattform - PC-Spiele haben mit die älteste Tradition. Heutzutage laufen die meisten Games unter dem Microsoft Windows.

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