Trails of Cold Steel im Test

(Artikel)
Haris Odobašic, 17. Januar 2016

Trails of Cold Steel im Test

Großartig. Schon wieder.

Es war für JRPG-Fans vielleicht eine der größten Überraschungen 2015. Während der Release von Trails in the Sky SC noch immer zu wackeln schien, kündigte XSEED einfach an, dass man parallel auch schon an der Lokalisierung von Sen no Kiseki unter dem westlichen Namen Trails of Cold Steel arbeiten würde. Es ist das erste Trails-Spiel komplett in 3D und relativ frisch, immerhin 2013 in Japan debütiert. Doch nachdem Trails in the Sky SC es auf unsere Liste der besten Spiele 2015 geschafft hat, stellt sich natürlich die Frage, ob Trails of Cold Steel das Niveau halten kann.

Muss man Trails in the Sky vorher gespielt haben?
Da die Trails-Spiele alle auf dem gleichen Kontinent zur gleichen Zeitperiode spielen, nehmen die Spiele durchaus Bezug aufeinander. Auch wenn Cold Steel in einem anderen Land stattfindet, werden die Ereignisse der Trails-in-the-Sky-Spielen mehrmals referenziert und es tauchen auch Charaktere aus eben diesen Spielen auf. Da Cold Steel aber zeitlich nach TitS spielt, ist es unausweichlich, dass dabei auch Spoiler vorkommen – teilweise richtig massive, die zentrale Twists der vorherigen Spiele verraten.

Andererseits ist Trails of Cold Steel als Geschichte und von den Charakteren her komplett eigenständig. Cameos und Ähnliches nehmen auch keine übermäßig starke Rolle ein und werden ansonsten ausreichend erklärt. Wer also kein Interesse an Trails in the Sky hat, weil beispielsweise der altbackene Grafikstil abschreckt, wird trotzdem bei Cold Steel sehr gut abgeholt.

Nachdem die Trails-in-the-Sky-Spiele primär die Geschehnisse im Königreich Liberl betrachtet hatten, verschlägt es euch bei Cold Steel in das Kaiserreich Erebonia, eine große Militärmacht. Erebonia unterhält ein grobes Kastensystem, in dem zwischen Adel und gewöhnlichen Bürgern unterschieden wird. Auch die prestigeträchtige Militärakademie Thors, die ihr besucht, folgt diesem System. So haben Adelige ihr eigenes Wohnheim mit luxuriöser Ausstattung, während der Rest sich mit einem eher gewöhnlichen Nachtlager zufrieden geben muss. Auch die Schulklassen an der Akademie sind getrennt. Klasse 1 und 2 ist für den Adel reserviert, 3 – 5 für den Rest.

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Rean Schwarzer, in dessen Haut ihr schlüpft, wurde aber nicht für eine dieser Klassen rekrutiert, sondern für die sechste Klasse an der Thors-Akademie, Class VI... ehm... I. Ja, die sechste Klasse heißt Class VII. Doch außer dieses dubiosen Sprungs in der Nummerierung gibt es noch etwas, was diese Klasse für ihre neun Schüler ganz besonders macht. Sie gibt die Trennung zwischen Adel und Pöbel auf und mischt als eine Art soziologisches Experiment die Kasten miteinander.

Kriege und Intrigen
Wie man bei dem Setting schon erahnen kann, ist der Klassenkonflikt ein zentrales Thema - in Class VII personifiziert durch Jusis und Machias. Jusis ist Sohn einer der bedeutendsten Adelsfamilien in Erebonia und hat was von einem arroganten Schnösel. Machias ist gewöhnlicher Bürger, der sich alles im Leben hart erarbeitet hat und eines der besten Ergebnisse bei den Bewerbungen um Thors hatte, weswegen er den Adel besonders verachtet, der in seinen Augen alles in die Wiege gelegt bekommt.

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Doch nicht nur zwischen diesen zwei Hitzköpfen brodelt es, die Spannungen sind in ganz Erebonia zu spüren, wo eine Reformisten-Fraktion versucht, das System grundlegend zu ändern, aber nicht ohne auf Widerstand zu stoßen. Auch die Auslandsbeziehungen sind prekär, weil Erebonia mit der benachbarten Republik Calvard in einem langwierigen Territorialstreit verwickelt ist, der zu einer Art kaltem Krieg zwischen den Staaten geführt hat. Und zu guter Letzt gibt es noch dritte Kräfte, die im dunklen agieren und mit ihren eigenen, niederen Motiven Chaos zu stiften drohen. Class VII wird nach und nach in das Gewirr aus politischen Machtspielchen und Intrigen gezogen,

Alltag an der Militärakademie
Bevor es aber so weit kommt, gilt es erst mal den Alltag an der Thors-Akademie zu überstehen. Ähnlich der Persona-Reihe dürft ihr hier auch gelegentlich mal Schulaufgaben lösen oder Klausuren schreiben und in eurer Freizeit Freundschaftsbünde knüpfen, die es euch nicht nur erlauben, Klassenkameraden, Lehrer und andere Menschen näher kennenzulernen, sondern auch im Spiel direkte Vorteile mit sich bringen, was man gerade beim neuen Link-System merkt. Dazu jedoch später mehr.
Das Spiel ist bemüht, euch viel Abwechslung zu bieten, weswegen ihr regelmäßig auf Exkursionen geht, wo ihr mal ein Wochenende in einer anderen Stadt verbringt, um euch mit den dortigen Problemen vertraut zu machen und so natürlich auch die Story Stück für Stück voranzutreiben. Trails of Cold Steel unterhält einen dramaturgischen Fluss ähnlich zu Trails in the Sky, indem das Spiel relativ langsam anfängt und euch viel Gelegenheit gibt, euch in der Welt zu verlieren. Das große Ganze wird euch nur Stück für Stück offenbart, aber wenn es dann so ab Kapitel 5 richtig rund geht, seid ihr emotional voll involviert und das Weglegen der Vita wird durch den hohen Suchtfaktor zur Unmöglichkeit.

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Auch ein anderes beeindruckendes Element aus Trails in the Sky findet seinen Weg in Trails of Cold Steel: die unzähligen Geheimnisse, die auf euch warten. Das Spiel bietet euch zum Beispiel regelmäßig Quests in Form von Aufgaben an, die von der Schülervereinigung an euch gestellt werden oder die im Rahmen von Exkursionen erfüllt werden sollen. Doch diese Missionen sind bei weitem nicht die einzigen, die das Spiel für euch parat hat. Eigentlich jedes Kapitel versteckt weitere Aufträge hinter den vielen ansprechbaren Nicht-Spieler-Charaktere.
Es lohnt sich wirklich, nach dem ersten Durchspielen mal einen Guide zur Hand zu nehmen, nur um zu schauen, wie viel man vom Spiel bisher noch nicht gesehen hat. Unterm Strich nehmen die ganzen Nebenaufgaben noch einmal genauso viel Zeit in Anspruch wie die Hauptstory, also ungefähr 40 Stunden.

Dazu kommt, dass die Entwickler hier auch mal wieder unheimlich detailverliebt waren, um eine möglichst glaubwürdige, lebendige Welt auf die Beine zu stellen. NPCs haben Namen, eine Persönlichkeit, eine Geschichte und sind so weit mehr als nur Objekte, die platziert werden, damit die Straßen nicht so leer aussehen.
Manchmal erleben sie sogar etwas, wie zum Beispiel der reiche Baron, der von seiner Tochter shoppen geführt wird. Sieht man ihm zum ersten Mal, ist er noch frohen Mutes, mit seiner Tochter einkaufen zu gehen. Später sieht man die beiden bei einem Kleiderhändler, wo der Vater den zu hohen Preis für eine Maßanfertigung bemerkt, sich aber hoffnungsvoll äußert, dass seine Tochter seine Einschätzung teilen und von dem Kleid absehen wird. Wenn ihr ihn dann zum letzten Mal trefft, weiß er nicht, wie er doch nur all das für den Kauf geliehene Geld zurückzahlen soll, während die Tochter schon voller Vorfreude auf den nächsten Shopping-Trip entschwindet.

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Solche kleinen Dinge, ich würde sie mal Miniplots nennen, sind etwas, was der gewöhnliche Spieler wohl gar nicht mitkriegen wird. Aber alleine, dass sich die Entwickler die Mühe gemacht haben, zeigt, wie viel Liebe in diesem Spiel steckt und für die Leute, die eben gerne mit NPCs reden und sich intensiv auf eine Welt einlassen, wertet es das Spiel unheimlich auf.

ARCUS verbindet
Das Kampfsystem ist im Vergleich zu Trails in the Sky leicht gestrafft worden. Ein Gitternetz als Kampffläche gibt es nicht mehr, auch wenn ihr euch in den Rundenkämpfen noch immer bewegen könnt und Aspekte wie Distanz oder Positionierung der Feinde weiterhin wichtig bleiben. Zaubersprüche, Arts genannt, und Charakterfähigkeiten, Crafts betitelt, können zum Beispiel eine Fläche mit mehreren Feinden abdecken. Auch am Zugablauf hat sich wenig getan. Links oben seht ihr immer, wann welche Figur dran ist. Manche symbolisch gekennzeichneten Züge bringen einen besonderen Bonus mit sich. Das können garantierte kritische Treffer oder kein EP-Verbrauch beim Arts-Einsatz sein. Es liegt an euch, dies im Kampf auszunutzen, da es Fähigkeiten gibt, die eure Geschwindigkeit oder die eurer Feinde manipulieren können. Ein Schlag mit "Delay"-Eigenschaft verzögert etwa den Zug des Feindes. Praktisch, wenn das Monster eigentlich einen Bonus eingeheimst hätte und nun stattdessen einer eurer Charaktere davon profitiert.

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Neuerungen finden sich insbesondere im Link-System, mit dem sich auf dem Schlachtfeld zwei Charaktere verbinden lassen. Wenn nun einer der beiden Charaktere einen kritischen Treffer landet – oder seine Waffe besonders effektiv gegen den Gegner ist –, kann der Partner direkt einen Unterstützungsangriff starten. Je nachdem, wie gut sich die Charaktere verstehen, schaltet das Link-System sogar noch weitere Boni frei, wie automatische Heilzauber, falls es eng wird.

Das Spiel belohnt euch, wenn ihr das Kampfsystem gut beherrscht, denn eure Performance wird nach jedem Kampf bewertet. Wer effektiv kämpft, zum Beispiel ohne Schaden davonzutragen oder die Gegner besonders schnell ausschaltet, freut sich über einen Multiplikator für die Erfahrungspunkte. So hat man in jedem Kampf Grund, sein Bestes zu geben, statt irgendwann in stumpfe Knöpfchen-Drückerei zu verfallen. Der Effekt wird bei Bosskämpfen nur noch weiter verstärkt. Denn zwar sind die Bosse natürlich eine ganz andere Herausforderung, bringen aber eben auch verdammt viele Erfahrungspunkte! Hier mit einem dicken Multiplikations-Faktor herauszugehen ist quasi wie der Sieg bei der Powerball-Lotterie. Als ich entsprechend mal einen Bosskampf so gut abschloss, dass der Multiplikator 2.3 anzeigte und alle meine Charaktere ordentlich im Level stiegen, ließ sich das Ballen der Siegerfaust nicht vermeiden.

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Der Schwierigkeitsgrad ist moderat. Bosskämpfe erwarten von euch taktisches Vorgehen und wenn euch normale Gegner mal überraschen, kann es schnell hakelig werden, wenn plötzlich eure halbe Party mit fiesen Statusveränderungen belegt ist. Gleichzeitig wird es aber niemals unfair und Stufen-Grinding ist eigentlich nie nötig. Wie bei anderen Trails-Spielen sind Erfahrungspunkte sowieso von eurem Level abhängig. Seid ihr den aktuellen Gegnern im Level hinterher, gibt es einen fetten Bonus, und seid ihr ihnen weit voraus, ist die EXP-Ausbeute entsprechend mickrig. Designtechnisch ist das ein guter Zug, weil das Spiel eben so sicherstellt, dass ihr niemals zu stark oder zu schwach seid.

Gemischte Audio-Eindrücke
Die Lokalisierung von XSEED ist mal wieder vorzüglich. Gerade ein so storylastiges JRPG wie Trails of Cold Steel lebt und stirbt mit der Qualität der Übersetzung und auch hier zeigen XSEED, warum sie zu den besten in diesem Bereich gehören. Trotz einer Vielzahl von Charakteren – sicherlich mehr als 50 im Verlauf der Story – hat das Lokalisierungsteam es geschafft, die Persönlichkeit der einzelnen Figuren in den Dialogen schön herauszuarbeiten.
Sogar eine Synchro wurde dem Spiel spendiert, auch wenn diese von eher durchwachsener Qualität ist. Bei ein paar Charakteren passt die Stimme nicht ganz auf die Persönlichkeit. Fie bespielsweise, eine von Reans Klassenkameradinnen, ist dafür bekannt, an den unmöglichsten Plätzen Nickerchen zu halten und immer ein bisschen desinteressiert zu sein, hat aber eine Sprecherin, die ziemlich aufgeweckt daherkommt. Und bei den Figuren, wo die Stimme passt, liefert keiner der Sprecher eine Performance ab, die sich einem langfristig in die Erinnerungen brennen würde.

Außerdem – das war auch schon in der japanischen Version so – sind nicht unbedingt alle Dialoge voll synchronisiert. Manchmal reden in einer Zwischensequenz nur die Hauptcharaktere, während beteiligte Nebenfiguren zwar nicht sprach- aber dafür stimmlos bleiben. Kurioserweise ist ausgerechnet Protagonist Rean oftmals von diesem Syndrom betroffen. Es gibt Dutzende von Situationen, wo Reans Text auf die Vertonung verzichten muss, während alle anderen Figuren sich lautstark bemerkbar machen. Das ist ist leider etwas nachteilig für die Immersion, gerade wenn man sich in emotionalen Szenen plötzlich nicht auf das Spielgeschehen konzentrieren kann, sondern sich erst mal wundern muss, wieso ein bestimmter Charakter jetzt mal wieder keine Synchro hat. Dass die Lippenbewegungen so gut wie nie synchron sind – manchmal wird geredet, während der Mund längst zu ist oder der umgekehrte Fall tritt ein –, stört ebenfalls leicht.

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Grafisch sollte man keine Höchstleistungen erwarten. Auch wenn Trails of Cold Steel relativ neu ist, ragt der Titel weder auf der Vita noch auf der PS3 grafisch irgendwie hervor. Charaktermodelle sind passabel, während die meisten Effekte bei Zaubern und spektakulären Attacken das Grafikfeuerwerk ungezündet lassen. Texturqualität und Animationen schwanken extrem, gerade die Gesichter der Figuren sind teilweise etwas hakelig animiert. Und zu allem Überfluss neigt das Spiel zu Rucklern, wenn sich zu viele Figuren gleichzeitig im Sichtfeld befinden oder die Regionen etwas weitläufiger werden. Vergleichbare Titel, wie die Neptunia Re;Births auf der Vita, zeigen, dass man durchaus viel mehr aus Sonys Handheld herausholen kann.

Musikalisch spielt man dann aber wieder bei den ganz Großen mit. Das immer verlässliche Falcom Sound Team JDK liefert aufs Neue eine großartige Beschallung, die das gesamte Spiel aufwertet. Gerade die hohe Abwechslung bei den Battle Themes – fast eine Stunde an Kampfmusik wurde komponiert! – sticht heraus. Gerade diese Kampfthemen scheinen immer eine Spur epischer und motivierender als das Vorgängerstück sein zu wollen. Es fehlt zwar ein so einprägsames, zentrales Thema wie "Whereabouts of Light", dessen Melodie sich wie ein roter Faden durch das Spiel zieht, aber das ist nun Gemeckere auf allerhöchstem Niveau.

Trails of Cold Steel schließt sich mühelos an Trails in the Sky an, wenn es um großartige Falcom-Spiele und großartige JRPGs geht. Es ist nur minimal schwächer als die Vorgänger, primär weil Rean Schwarzer als Hauptcharakter einfach nicht mit Estelle Bright mithalten kann und auch so ein absolut herausragender Charakter wie Olivier Lenheim, der allen die Show (und das Herz) stiehlt, in der Cold-Steel-Party einfach fehlt. Die hochkomplexe Geschichte mit ihren Dutzenden an Nebencharakteren erfordert zwar vollste Aufmerksamkeit, belohnt aber dafür mit allerlei Wendungen und Windungen. Es gibt nur wenige Spiele, die eine Story auf solch hohem Niveau erzählen.

Auch die vielen Änderungen und Neuerungen bei Cold Steel wissen voll zu überzeugen und stellen eine sinnvolle Evolution in der Reihe dar. Gerade die an Persona erinnernden Elemente rund um die Thors-Akademie sind sehr willkommen und bieten eine gute Abwechslung von den üblichen Quests und Monsterkloppereien. Und, anders als noch bei Trails in the Sky, droht jetzt keine ewige Leidensperiode: Trails of Cold Steel II wurde schon für die Lokalisierung angekündigt und erscheint dieses Jahr! Bei dem Ende hätte ich es aber auch nicht länger ausgehalten.Haris

Trails of Cold Steel wurde auf der PS Vita getestet. Ein Testmuster wurde uns von NIS America zur Verfügung gestellt.

The Legend of Heroes: Trails of Cold Steel

(Ranking)
S
RANK
Herausragend. S-Spiele erweitern Horizonte. Sie bieten intensive Erlebnisse oder halten den Spieler noch lange am Bildschirm gefesselt. Selbst wenn man sie nicht jedem empfehlen kann, will man doch mit jedem über sie reden.

Kommentare

Fabio
Gast
02. September 2021 um 10:01 Uhr (#1)
„… herausragender Charakter wie Olivier Lenheim, der allen die Show (und das Herz) stiehlt, in der Cold-Steel-Party einfach fehlt.“ Hä? Oliver(t) ist doch wieder dabei. Oder was meinen Sie?
Gast
19. April 2024 um 14:01 Uhr
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RELEASE
29. Januar 2016
PLATTFORM
Playstation 3
Plattform
PS Vita
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